Monthly Archives: Mai 2013

Veit Heinichen: Im eigenen Schatten

Zerfallende Strukturen

Diese Überschrift gilt allerdings nicht der ethnisch und terretorial zersplitterten Region in und um Triest herum, sondern dem achten Fall von Proteo Laurenti, der den Titel „Im eigenen Schatten“ trägt.
Es spielen mit: ein dubioser Südtiroler Geschäftsmann und Ex-Senator, eine Diebesbande, jede Menge Gewürztraminer, Südtiroler Nationalisten, ein zwischen seinen Frauen aufgeriebener Proteo Laurenti, ein Flugzeigabsturz, ein Überfall auf einen Goldtransporter und noch viel mehr. Klingt alles ein wenig wirr? Das ist „Im eigenen Schatten“ leider auch größtenteils. Dort wo Veit Heinichen in früheren Büchern mühelos Geschichts- oder Wirtschaftlektionen mit einer klaren Handlung um den Triestiner Kommissar verknüpfte, ist ihm in Proteos neustem Fall leider nur Stückwerk gelungen. Er degradiert seinen Commissario zu einer Figur unter vielen im Roman – mindestens genauso viel Raum nimmt die heterogener Verbrecherbande, die einen Goldtransporter ausnimmt, ein. Deren unterschiedliche Mitglieder bekommen viel Raum zugestanden – den ich mir eher für den italienischen Kommissar gewünscht hätte. Spannung war zwar noch nie das Kennzeichen der Proteo-Laurenti-Reihe, doch so zerstückelt und unübersichtlich kam mir bisher noch keines der Bücher vor.
Statt klarer Linien und einer linearen Erzählweise zieht Veit Heinichen zerfallende Strukturen vor, die zwar ein Abziehbild der behandelten Themen (die Verwicklungen Triests als Drehscheibe in die Finanzwelt und die Separationsbestrebungen Südtirols) sein könnten – um hier interpretatorisch tätig zu werden – aber keinesfalls die Lesbarkeit erhöhen.Er springt munter zwischen den unterschiedlichen Ermittlern, Tätern und sonstigen beteiligten Personen sowie den verschiedenen Handlungsebenen hin und her und fordert so den Leser ungemein, der am Ball bleiben muss.
Leider macht Veit Heinichen auch Abstriche bei seinem großen Talent – nämlich dem Humor. Ich erachte den Triestiner Autoren für einen der wenigen deutschsprachigen Autoren, bei denen sich Humor und Krimihandlung nicht ausschließen. Seine humoristischen Einwürfe, die sich wie immer am meisten in den Reibereien zwischen der kleinen Kommissarin Pina oder dem Methusalem-Gerichtsmediziner Galvano entzünden, vermisste ich in „Im eigenen Schatten“ sehr. Zwar gibt es wieder durchaus einige Stellen, die vortreffliche Pointen garantieren, auf die Länge des Buchs gesehen war ich aber enttäuscht.
So bleibt „Im eigenen Schatten“ trotz des eigentlich spannend angelegten Plots unübersichtlich und überfrachtet. Ein Roman voller zerfallender Strukturen, der bei mir die Befürchtungen schürt, dass der Zenit der Proteo-Laurenti-Reihe überschritten sein könnte. Das nächste Buch wird Klarheit bringen – und hoffentlich wieder das Niveau der Vorgängerromane erreichen können.          
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Sebastian Fitzek: Der Nachtwandler

Diesmal leider keine fünf Sterne

Er gilt als der momentan wohl bekanntestes deutsche Thillerautor: die Rede ist von Sebastian Fitzek. Stets von Massen positiver Kritik begleitet erscheinen Jahr für Jahr neue Psychothriller des Autoren und verkaufen sich wie geschnitten Brot.
Dennoch möchte ich mir hier nun einmal die Freiheit nehmen und den „Nachtwandler“ von Sebastian Fitzek kritisieren, da er in meinen Augen kaum an die großartigen Vorgängerbücher anknüpfen kann.
Die Grundidee ist wieder eine typische Fitzek-Frage: Was ist, wenn man im Schlaf ein Leben führt, von dem man in seinem richtigen Leben nichts weiß? Er konfrontiert mit dieser Frage Leon Nader, der von seiner Frau Natalie Hals über Kopf verlassen wurde. Immer mehr gerät er in einen Strudel um die (scheinbare) Realität und um das, was er in diesen Phasen tut, wenn er zum Nachtwandler wird.
Wo „Die Therapie“ das auf leisen Sohlen daherkommende Grauen noch eindrücklich wie ein Crescendo aufbaute, ist „Der Nachtwandler“ leider eine kakophonische und hektische Symphonie des Schreckens. Statt auf Thrill zu setzen, der langsam beim Leser entsteht, überschüttet Fitzek den Leser mit grausigen und mysteriösen Szenen im Sekundentakt, sodass die Auflösung dieses Durcheinanders an (eingebildeten) Szenen den Leser niemals befriedigen kann. Hier wäre etwas mehr Ruhe und Kontinuität beim Aufbau des Romans von Vorteil gewesen. Natürlich kann man einwerfen, dass dieses Durcheinander der Szenen vom Autoren gewollt sein könnte – ich fand es dennoch zu effekthascherisch und überzogen. Auch die Auflösung des Ganzen fand ich in diesem Zusammenhang äußerst krude und an den Haaren herbeigezogen. Bei mir stellte sich auch das Gefühl ein, dass Fitzek hier nicht mehr viel einfällt, da ich deutliche Parallelen zu einem anderen Werk des deutschen Starautoren sah.
Ein vielbeschworener Wunsch (dem ich vorbehaltlos zustimme) ist es, dass Fitzek doch einmal seinen schriftstellerischen Output drosseln möge, um auf seine einzelnen Werke mehr Sorgfalt zu verwenden. Bei mir entsteht immer mehr der Eindruck, dass es sich bei Sebastian Fitzek um eine Buchschreibemaschine handelt, die mit einer unglaublichen Geschwindigkeit Roman an Roman reiht, sei es in Kollaborationen oder als Serienprojekte, und dabei ein wenig an Profilschärfe verliert. Meinetwegen sollte er wieder ein wenig von seinen Nebentätigkeiten (Buchvermarktungsspiele, Geldeinwerbung für Kinofilme, …) lassen und stattdessen seinen Fokus auf das Schreiben seiner Bücher richten. Und da mag dann auch ruhig einmal ein Jahr oder mehr ins Land gehen, ehe ein neuer Fitzek erscheint. Dafür dann aber plausibel, spannend und durchdacht geschrieben!
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Klüpfel/Kobr: Herzblut

Mit mehr Herzblut als die Vorgänger geschrieben

Wenn Kluftinger ein Tatort-Team wäre, wäre er am ehesten mit den Ermittlern Boerne und Thiel aus Münster zu vergleichen – ein reiner Krimi ist ein Roman des Autorenduos Klüpfel und Kobr nämlich niemals. Zugunsten der schon fast karikaturesk anmutenden Figur des Kommissar Kluftingers mit all seinen Marotten und Hilflosigkeiten tritt die Rahmenhandlung des Krimis oftmals in den Hintergrund.
Bei den Vorgängerromanen hatte man da mehrmals den Eindruck, dass der Krimi mehr oder minder eine lästiges Gerüst ist, das nur als Steilvorlage für die Comedy-Episoden des meist sehr grenzdebil agierenden Kluftinger dient (abgesehen von der Realitätsferne – keine Polizei der Welt würde solch einen Kommissar ermitteln lassen …). Doch bei „Herzblut“ sind diese Eskapaden der Allgäuer Spürnase dankenswerterweise wieder etwas in den Hintergrund getreten, wenngleich immer noch für mein Empfinden mit zu viel Platz ausgestattet. Die Krimihandlung wird – sehr auf Mainstream gebürstet – von der Suche nach einem Serienmörder getragen. Die Auflösung des Ganzen ist dann aber sehr dilettantisch geraten (ich persönlich wusste nach Seite 270 von 400, wer der Mörder war und worin sein Motiv bestand) – insgesamt aber ansprechender als die beiden mehr als schwachen Vorgänger „Schutzpatron“ und „Rauhnacht“. Würde man den Krimi als reinen Krimi bewerten, käme er sicher nicht mehr über ein sehr durchschnittliches Ergebnis.
Da die Episoden des Kommissars inklusive den Auseinandersetzungen mit seinem Intimfeind Dr. Langhammer allerdings durchaus an manchen Stellen sehr lustig sind und dem Ganzen so einige Pointen schenken, werten sie den Gesamteindruck von „Herzblut“ auf.
Insgesamt ist das neue Buch des Allgäuer Autorenduos Klüpfel und Kobr ein Werk, das irgendwo zwischen derbem Bauerntheater und Regiokrimi oszilliert und dennoch ein zumindest fast stimmiges Etwas bildet. Wer die Bücher der Beiden bisher schätzte, wird auch mit diesem Werk nicht enttäuscht!       
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Joey Goebel: Ich gegen Osborne

Ulysses an der Highschool

Joey Goebel zählt zu den interessantesten jungen amerikanischen Autoren der Gegenwart. Sein neuestes Werk „Ich gegen Osborne“ macht da keine Ausnahme – ganz in der Tradition eines John Dos Passos oder James Joyce beschreibt er in diesem Buch einen einzigen Tag im Leben des Zwölftklässlers James Weinbach.

Dieser Ich-Erzähler nimmt es im Roman mit Osborne auf – seiner Highschool, der er mehr als kritisch gegenübersteht. Von dem anfänglichen Versuch, eine Freundin zu fragen, ob sie ihn zum Abschlussball begleite, ausgehend entwickelt Goebel schnell das Porträt eines Tages, nach dem im Leben James‘ Weinbach nichts mehr so ist, wie es war.
Mit „Ich gegen Osborne“ hat Joey Goebel einen Roman vorgelegt, der der amerikanischen (Schul-) Gesellschaft den Spiegel vorhält. Lustvoll seziert James Weinbach, der sich an seiner Highschool als Primus inter Pares versteht, seine Mitschüler und deren Leben.
Vor seinem gnadenlosen Augen findet niemand Gnade, grimmig nimmt er seinen Kampf gegen seine bestenfalls mittelmäßigen Mitschüler auf und versucht auch in puncto Abschlussball ein für ihn bequeme Lösung zu finden.
Das liest sich größtenteils sehr humorvoll – „Ich gegen Osborne“ strotzt nur so vor zitierwürdigen Passagen:

„Die Person im Wagen neben meinem ließ das Fenster ein wenig herunter, und da wurde mir klar, dass ich mit einem Song beschallt wurde, der vermutlich den Titel „Make ‚em say Uhh“ trug, ein Lieblingslied – eine regelrechte Hymne – meiner Mitschüler. Mir war dieser Sonh so verhasst, dass ich das Leben verabscheute, wenn ich ihn nur hörte. Der Refrain bestand hauptsächlich aus Grunzgeräuschen, bei denen man unwillkürlich an Lust und/oder Verdauungsprobleme dachte. Der schlechte Geschmack von Menschen meines Alters erschütterte mich, und die Jugendkultur generell bewirkte, dass ich mir am liebsten in die Hände gekotzt hätte.“ (S. 16)

Hier spricht ein vom Leben und seinen Altersgenossen angeekelter junger Mann, der sich durch seinen Highschooltag schleppt (und an manchen Stellen leider auch der Roman) – und der durch Abgrenzung wieder Originalität erhält. Man sieht den jungen Schüler förmlich vor sich, wie er sich durch die Gänge seiner Highschool schleppt, gewandet in einen Anzug seines verstorbenen Vaters.
Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag
Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Kennzeichnend, wenn James einmal äußert: „Satan, dein Name ist Pubertät.“ – wohl jeder kann den Schüler verstehen und an der ein oder anderen Stelle dürfte sich wohl jeder in diesem Roman wiederfinden.

Ein epischer Tag an der Highschool ganz wie meine eigenen Erfahrungen der Schule – lustig, nachdenklich und manchmal auch ein bisschen zäh. Aber am Ende hat man garantiert etwas gelernt!
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Malla Nunn: Ein schöner Ort zu Sterben

Hochspannende Geschichtsstunde

Ein schöner Ort zu Sterben von Malla Nunn ist ein packendes, faszinierendes und überaus vielschichtiges Buch, bei dem ich mich richtig ärgere, es erst so spät zur Hand genommen zu haben.

Bereits vor einem Jahr erworben, fristete es lange ein Dasein in den unteren Bereichen meiner Bücherstapel, ehe ich es mir nun zur Hand nahm, um das Buch endlich auch einmal zu lesen. Und schon wenige Kapitel später ärgerte ich mich schon über mich selbst und fragte mich, warum ich das Buch nicht schon viel früher gelesen habe – denn es ist wirklich großartig.

Nicht erst seit der WM 2010 erfährt Südafrika einen großen Boom, der sich besonders in der Kriminalliteratur niederschlägt. Deon Meyer, Roger Smith und Mike Nicol stehen für extraordinäre Kriminalliteratur, die sich besonders durch ihre Härte und ihre Schnelligkeit auszeichnet. Malla Nunn geht hier andere Wege. Beinahe bedächtig lässt sie den englischstämmigen Constable Emmanuel Cooper in Jacob’s Rest, einem kleinen Dorf an der Grenze zu Mosambik ermitteln. Der örtliche Dorfpolizist wurde erschossen und treibt tot in einer Furt – und das im Jahr 1952, in dem die menschenfeindliche Apartheid-Politik gerade in Kraft tritt. Unbeirrt vertritt Cooper seine Auffassung von Gerechtigkeit und nimmt mit seinen Kollegen die Ermittlungen auf. Dabei muss er nicht nur zwischen der schwarzen und weißen Lebenswelt hin- und herwechseln, sondern kommt mit seiner Spurensuche schon bald dem mächtigen südafrikanischen Geheimdienst, genannt Security Branch, in die Quere.

Die Narben der Vergangenheit Südafrika

Malla Nunn hat mit Ein schöner Ort zu Sterben ein Buch geschrieben, das noch lange über das Ende hinaus nachdenklich macht und den Leser fesselt. Gelungen gibt sie Einblick in eine Zeit und in ein rassistisch motiviertes Denken, dass wir uns heute weder vorstellen wollen, noch können. Dennoch schafft sie es, weder die Krimihandlung, noch ihre Protagonisten oder die geschichtliche Rahmenhandlung zu kurz geraten zu lassen. Man meint förmlich die aufgeladene Stimmung in Jacob’s Rest zu spüren, wenn Cooper die Dorfgemeinschaft aufmischt und dann auch noch die sadistischen Schergen des Geheimdienstes die Südafrikaner quälen.

Für mich kommen bei diesem Buch zwei wichtige Aspekte zum Tragen: Zum einen schafft es Malla Nunn wirklich hervorragend, die Geschichte Südafrikas und seine wechselvollen Perioden und Einwohner glaubhaft zu schildern, und zum anderen ist dieses Buch ein ausgezeichneter Kriminalroman, der spannend ist, ohne je die Glaubwürdigkeit zu verlieren und der seine Spannung bis zum großartigen Finale halten kann. Müßig ist es zu erwähnen, dass die Autorin mit Emmanuel Cooper einen tollen Ermittler geschaffen hat, der mich in seiner unbeirrbaren Haltung zwecks Wahrheitsfindung stark an Leo Demidow aus den Büchern Tom Rob Smiths erinnert.

Wenn ihr mal wieder auf der Suche nach Lektüre für den Kopf und für spannende Stunden seid, greift zu diesem Buch – intelligenter kann man Geschichte und Literatur nicht zusammenbringen!

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