Monthly Archives: Mai 2015

Hakan Nesser – Die Lebenden und die Toten von Winsford

Verschwunden im englischen Nebel

Eine Frau, ein Hund und viel englischer Nebel – dies sind die Hauptkomponenten in Hakan Nessers neuem Roman „Die Lebenden und die Toten von Winsford“. Nach Himmel über London bleibt der Schwede Nesser nun in England, auch wenn das neue Buch in der englischen Provinz in Cornwall angesiedelt ist.

Eine Frau mit einem Geheimnis

http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Lebenden-und-Toten-von-Winsford-Roman/Hakan-Nesser/e453086.rhdSie nennt sich selbst Maria Andersson und setzt sich im kleinen Dorf Winsford ab. Sie hat einen Hund im Gepäck und einige Geheimnisse, die erst langsam ans Tageslicht drängen. Maria Andersson hat früher beim Fernsehen gearbeitet, nun schützt sie allerdings vor, ein Buch zu schreiben. Sie bezieht ein zugiges Cottage und fasst langsam im Dorf Fuß. Ihre Tage werden von Routine bestimmt. Den Hund ausführen, den lokalen Pub besuchen und darauf hoffen, dass die Dorfbewohner nicht hinter die Geheimnisse kommen, die sie so sorgsam hütet.
Genauso wie den Dorfbewohnern ergeht es auch dem Leser. Überlegt man zunächst noch, was die Schwedin von der Geschäftigkeit Stockholms ins ländliche England verschlägt, so kommt man schon bald den Geheimnissen der geheimnisvollen Fremden auf die Spur.
Ist sie vor jemandem auf der Flucht? Welches Schicksal hat die Schwedin in die Provinz gebracht?
Die Idee, die hinter „Die Lebenden und Toten von Winsford“ stehthat durchaus seinen Reiz: Eine Frau, die ein Geheimnis hütet und dieses erst allmählich ans Licht gezerrt wird – dieses Motiv in den Händen von Hakan Nesser, da kann eigentlich nichts schief gehen.
Leider stellt sich mit Fortschreiten des Buchs ein gewisses Gefühl der Redundanz ein. Ähnlich wie mit der Monotonie und Einöde der englischen Landschaft, in der sich Maria befindet geht es dem Leser auch an einigen Stellen. Zahllose Wiederholungen des Wetters und der Beschreibung der Spaziergänge Marias sind nicht gerade dazu angetan, die Spannung des Buchs zu erhöhen. Um einen Krimi handelt es sich bei Die Lebenden und die Toten von Winsford eh nur im weiteren Sinn. Spannung kommt erst im letzten Drittel des Buches auf, das Buch überzeugt vielmehr durch seine dichte Atmosphäre, die Nesser hervorragend einzufangen weiß.

So ist das neue Buch des Schweden eher die Psychostudie einer getriebenen Frau als ein Spannungsroman. Für alle Liebhaber von England und im Speziellen von Cornwall ist dieser Titel auch auf jeden Fall eine Empfehlung wert!

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Ian Rankin – Mädchengrab

Rebus im Unruhestand

Eigentlich hatte er ihn schon in Rente geschickt, seinen inzwischen altgedienten Schnüffler John Rebus – doch dann hat sich Ian Rankin eines Besseren besonnen und Rebus reaktiviert. In seinem nunmehr 18. Fall bekommt es Rebus diesmal mit verschwundenen Mädchen und einem anderen Rankin-Protagonisten zu tun

Die verschwundenen Mädchen

http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Maedchengrab-Inspector-Rebus-18-Kriminalroman/Ian-Rankin/e449763.rhdEigentlich hätte es so schön sein können – entspannt alte Platten hören, in der Oxford-Bar einen Whisky schlürfen. Doch das Schicksal und die Lektorin Nina Hazlitt haben anderes mit dem Rentner im Ruhestand vor. Hazlitts Tochter verschwand vor einigen Jahren spurlos entlang der Autobahn A9 in Schottland. Sie ist davon überzeugt, dass andere Fälle mit diesem zusammenhängen und wendet sich nun an Rebus. Dieser verbringt seine Tage bei der Abteilung für ungelöste Verbrechen und kann das Ermitteln doch nicht ganz sein lassen. Erfolgreich und stur wie eh und je klemmt er sich hinter die Fährte der Verschwundenen und stößt tatsächlich schon bald auf Übereinstimmungen mit anderen Fällen. Kann es sein, dass in Schottland unerkannt mehrere Mädchen verschwanden und niemand die Zusammenhänge erkannte?

 

 

Nicht Rebus‘ stärkster Fall

Die Grundidee von Mädchengrab ist nicht die Neueste. Verschwundene Mädchen, ein unerkannt operierender Killer, ein Dezernat für ungeklärte Verbrechen. Die Zutaten, mit denen Rankin sein Süppchen kocht sind nicht mehr die frischesten. 
Für das Comeback von Rebus hätte ich mir hier etwas mehr Originalität gewünscht. Zudem sind die Ermittlungen Rebus‘ doch eher von Zufällen und dem Ermittler einfach vor die Füße fallenden Fakten geprägt.
Gerade das letzte Viertel erschien mit etwas lieblos heruntergeschrieben worden zu sein – den Showdown und die schlussendlichen Ermittlungen hat man bei Ian Rankin schon einmal stärker gelesen. Auch blieb mir Rankin das Motiv des Mörders und Hintergründe zu den Taten schuldig.
Bei aller Kritik über den Plot, dem etwas mehr Raffinesse gutgetan hätte, muss man jedoch auch sagen, dass Rebus‘ 18. Fall in der Reihe nicht der stärkste Roman sein mag, insgesamt aber solider Durchschnitt ist. Von Conny Lösch ins Deutsche übertragen ist dieses Wiedersehen mit Schottlands Ermittler No. 1 für Fans auf jeden Fall lesenswert. Allen Rebus-Neulingen würde ich empfehlen, mit früheren Bänden einzusteigen.
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Keigo Higashino – Böse Absichten

Ein Krimi wie ein Sudoku

Nach seiner Reihe um den Physikprofessor Yukawa (man erinnere sich nur an die verzwickte Verdächtige Geliebte) erscheint nun bei Klett-Cotta der Beginn einer neuen Reihe um den Ermittler Kaga. Im Original in Japan bereits im Jahr 2001 erschienen liegt der Roman nun von der Murakami-Übersetzerin Ursula Gräfe in klares Deutsch übertragene Fall als Paperback vor.

Ein klarer Fall?

Der berühmte Schriftsteller Kunihiko Hidaka wurde in seinem Haus ermordet. Der Starschreiber wollte eigentlich nach Kanada auswandern, doch diese Pläne haben sich sprichwörtlich zerschlagen. Für den Mord kommen nur Hidakas Kollege Nonoguchi und Hidakas Gattin Rie in Frage. Doch die Alibis der beiden scheinen mehr als wasserdicht zu sein.
Mit seinem unbestechlichen Intellekt setzt sich nun Inspektor Kaga hinter die Fährte des mysteriösen Falls und entwirrt langsam den Knoten, unerbittlich, Faden für Faden.
Wer hat den Schriftsteller ermordet und wo liegt das Motiv für die grausame Tat?

Ein klug komponiertes Rätsel

Was an Böse Absichten so besticht ist die Konstruktion des Romans. Eigentlich ist der Fall bereits nach 93 Seiten gelöst und man könnte das Buch als Novelle beenden, wenn da nicht der hartnäckige Intellekt Kagas wäre. In der Tradition von Eine-Frage-hätte-ich-da-noch-Columbo lässt ihn das Offensichtliche nicht ruhen und er verbeißt sich in den Fall
So unerbittlich und logisch wie ein Sudoku hat Keigo Higashino sein Buch konstruiert – und lässt dann seinen Inspektor Kaga dieses zunächst noch leere Krimipuzzle immer weiter mit Inhalt füllen. Schritt für Schritt dringt er immer weiter in das dicht gesponnene Mord-Geflecht vor und kommt der Wahrheit auf die Spur.
Allmählich setzt sich das Mosaik aus Zeugenbeschreibungen, Anmerkungen des Ermittlers und
Die Charaktere bleiben hierbei schematisch und erfüllen eher einen dramatischen Zweck in der Konstruktion des Romans, als dass sie durch eine tiere Auslotung ihrer Befindlichkeiten bestechen. Immer wieder wechselt Higashino die Perspektive und lässt mal den Schriftsteller Nonoguchi erzählen, mal ist wieder Kaga an der Reihe.
Die besondere Komposition des Romans und seine japanisch-nüchterne Erzählweise, die auf sämtliche Ausschmückungen verzichtet, machen den Roman wirklich außergewöhnlich und lassen ihn aus dem Gros der Krimilandschaft herausragen.
Dieses Buch fällt definitiv aus dem Rahmen – als Krimiliebhaber sollte man sich diesen Titel nicht entgehen lassen!
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Michael Robotham – Erlöse mich

Der Stalker

Zum nunmehr neunten Mal lässt der gebürtige Australier Michael Robotham den Ex-Cop Vincent Ruiz und den Psychologen Joe O’Loughlin auf Londons Straßen ermitteln.
Erlöse mich heißt der neue Fall, der die beiden gegensätzlichen Charaktere über Gebühr beschäftigt.

Eine geheimnisvolle Patientin

Erloese mich - Michael Robotham

Erloese mich – Michael Robotham

Der Parkinson-geschwächte Psychologe Joe O’Loughlin hat eine ganz besondere Patientin in Behandlung, deren Schicksal ihn nicht loslässt. Marnies Gatte verschwand vor einem Jahr spurlos und seitdem befindet sich Marnie in Behandlung bei Joe.

Der Verlust ihres Gatten beschäftigt sie schwer. Für ihre Kinder muss sie eine gute Mutter sein und ihnen einen normalen Alltag bieten.
Doch durch das Fehlen ihres Ehemanns ist Marnie schwer traumatisiert und hat manchmal das Gefühl, als würde sie jemand beobachten. Doch wie real ist das Gefühl eines Verfolgers im Leben der jungen Mutter? Joe O’Loughlin muss mit seinen Zweifeln kämpfen – gibt es den Verfolger in Marnies Leben wirklich?
Zusammen mit dem alten Haudegen Vincent Ruiz ermittelt Joe und kann seinem eigenen Urteil manchmal gar nicht so richtig trauen.
Schon bald sollen alle Beteiligten erfahren, was Realität und was Fiktion ist.

Ein gelungenes Verwirrspiel

Die Reihe rund um Joe O’Loughlin und Vincent Ruiz finde ich deshalb so spannend, weil man nie so richtig weiß, was man bekommt. Mal schreibt Robotham einen astreinen Psychothriller (wie etwa das großartige Dein Wille geschehe oder eben auch Erlöse mich), dann gibt es wieder einen Verschwörungsthriller á la „Auf der Flucht“ (z.B. Bis du stirbst oder Der Insider). Stets schnürt Robotham eine Wundertüte, bei der das Geschehen mal aus der Warte von Vincent Ruiz geschildert wird, um dann im nächsten Buch wieder von Joe O’Loughlings Warte das Geschehen zu betrachten.
Im vorliegenden Band spielt neben Marnie ganz klar Joe O’Loughlin die Hauptrolle, der klären muss, ob es den mysteriösen Stalker wirklich gibt.  Der besondere Reiz, den Erlöse mich ausmacht ist das permanente Schwanken zwischen Glaube und Unglaube, was Marnies Verfolger angeht. Wie real ist die Bedrohung, die sie empfindet?
Michael Robotham weiß gekonnt mit seinen Lesern zu spielen. Besonders bis zum fiesen Cliffhanger hin dreht er unerbittlich an der Spannungsschraube und sorgt so dafür, dass der Leser unbedingt wissen will, welche Auflösung der Autor bereit hält.

Die Klasse, die „Dein Wille geschehe“ besaß, erreicht das Buch leider nicht, in der Reihe aber einer der definitiv stärkeren Titel. Deshalb sei an dieser Stelle eine große Leseempfehlung ausgesprochen!

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Ryan Bartelmay – Voran, voran, immer weiter voran

Zwei Brüder

Voran, voran, immer weiter voran ist der Titel eines Gedichtbandes und das Debüt von Ryan Bartelmay, der Kreatives Schreiben unterrichtet und nun seinen ersten „großen“ Roman vorlegt. Den Gedichtband hat Chick Waldbeeser verfasst, einer der beiden Hauptprotagonisten des Buches. Er und sein Bruder Buddy sind die Charaktere, um die das Buch beständig kreist.

Ein Bilderbogen zweier Leben

Voran voran immer weiter voran von Ryan Bartelmay

Immer wieder wild durch die Chronologie und sein Personenverzeichnis springend schlägt Bartelmay einen großen Bogen von der Jugend der Brüder bis hin zum hohen Alter und bringt die verschiedenen Facetten ihres Lebens zum Vorschein.

Das Cover stimmt schon auf die Ödnis ein, in der sich die Brüder des Öfteren wiederfinden sollen – von einer Hochzeit, die unter keinem guten Stern stehen sollte bis hin zu den letzten Tagen Tagen Chicks im Altenheim erzählt der amerikanische Autor.

Während er sich mit Buddy nicht besonders gut versteht, könnte Chicks Glück seine Familie sein, die jedoch auch schon bald durch ein schweres Schicksal zerrissen wird. In der Folge beobachtet der Leser Chick bei seinem Taumel durchs Leben. Während die Beziehung seines Bruders zu seiner indischen Gattin Lijy auch von Schwierigkeiten und Missverständnissen durchzogen ist, gelingt diesem ein kleiner wirtschaftlicher Erfolg. Chick sucht hingegen sein Glück in der Poesie – „Voran, voran, immer weiter voran“ – ist das Resultat. Ein Bilderbogen zweier Leben entfaltet sich vor dem Leser.

Kein neuer Stoner – aber gute Literatur

Die hohen Lobpreisungen, die dieser Roman auf dem Klappentext versammelt, kann ich zwar grundsätzlich teilen, die Qualität des „Stoner“ von John Williams, den der Text auflistet, erreicht dieser Debütroman allerdings nicht. Dennoch ein Buch, das gerade durch seine Montagetechnik gut unterhält und zwei gegensätzliche Leben nebeneinanderstellt. Ein amerikanischer Familienroman frei von Glamour und Überzeichnung – aber ein tolles Stück Literatur!

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