Monthly Archives: Oktober 2016

Frankfurter Buchmesse 2016

Alle Jahre wieder, so auch dieses Jahr – 4,5 Stunden Busfahrt von der Fuggerstadt Augsburg bis in die Messestadt Frankfurt, dann Rundgänge, Termine, Stöbern, Schauen, dann 4,5 Stunden Rückfahrt und damit wieder viel Zeit im Bus. Zeit, die die platten Füße zur Erholung brauchen und auch Zeit, um die neuen literarischen Errungenschaften in Augenschein zu nehmen.

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Die Agora, das Herz der Buchmesse

Die diesjährige Messe war mit einem Partnerland-Doppel gekoppelt, nämlich den Niederlanden und Flandern. Deren grenzenübergreifender Sprachraum bildete die Basis für die Kooperation mit der Buchmesse. In der Gastland-Halle zeigten die beiden Länder dann auch prompt, welchen literarischen Output dieser Sprachbereich beisteuert. Namhafte Autoren wie Tommy Wieringa, Margriet de Moor oder Leon De Winter waren mit ihren Büchern nicht nur im Forum vertreten, sondern auch an bei allen Ständen und Podien mehr als präsent.

Immer wieder hörte man mit dem niederländische Satzfetzen oder stolperte an den Ausstellerständen über Titel aus den Nachbarländern, die sich größtenteils interessiert anlasen und in den nächsten Wochen hier auch noch auf dem Blog vorgestellt werden. Doch nun erst einmal von Anfang an: Continue reading

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Nathan Hill – Geister

Die Geister, die ich rief …

Was für ein Buch – Nathan Hills Debüt Geister bringt es auf stattliche 864 Seiten und verlangt dem Leser einiges an Kondition ab. Ins Deutsche übertragen wurde der Titel vom Übersetzerduo Werne Löcher-Lawrence und Katrin Behringer. Erschienen ist es im Münchner Piper-Verlag.

In seinem Roman entfaltet Hill das Panorma zweier Existenzen – zum einen das des Englisch-Professors Samuel Anderson und zum anderen das seiner Mutter Faye Anderson-Andresen.

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Verbunden sind diese nicht nur durch ihre Herkunft, sondern auch durch ein Geheimnis, das Samuel nun endlich ergründen möchte. Eines Tages verließ seine Mutter einfach ihn und seinen Vater und verschwand ohne ein weiteres Lebenszeichen aus deren Leben.

Und nun tritt sie Jahre später mit einem Knall erneut in Samuels Welt. Sie wird nämlich gerichtlich dafür belangt, einen republikanischen Präsidentschaftsbewerber attackiert und mit Steinen beworfen zu haben. Da Samuel finanziell mehr als in der Klemme steckt, soll er nun eine alte Bringschuld für seinen Verleger einlösen und ein Buch über diesen Vorfall und damit über seine Erzeugerin schreiben. Er beginnt mit seiner Recherche, und dringt dabei auch tief ins Jahr 1968 vor. Damals versetzten die Studentenunruhen und Proteste ganz Amerika in Aufregung und im Leben von Samuels Mutter spielten sich entscheidende Dinge ab, die sie für immer prägen sollten.

864 abwechslungsreiche Seiten

864 Seiten, das klingt auf dem Blatt erst einmal nach einem wirklichen Ziegelstein von Buch. Doch Nathan Hill ist ein zu guter Schriftsteller, als dass er seine LeserInnen wirklich zu so vielen Seiten verpflichten wollte, wenn er nichts zu erzählen hätte. Seine Doppelbiografie zweier kantenreicher Persönlichkeiten liest sich ausnehmend kurzweilig, was auch der Montagetechnik des Romans geschuldet ist. Immer wieder springt er zwischen den Jahren 2011 und 1968 hin und her und variiert auch seine Schreibe.

So berichtet er von Computerspiel-Episoden, ersinnt eine Entscheide-Dich-Geschichte und liefert mit einer brillant choreografierten Schilderung der Antikriegs-Demonstrationen in Chicago 1968 den für mich überzeugendsten Teil der Geister ab. Diese variantenreiche Erzählweise macht den großen Reiz aus und sorgt dafür, dass man sich gut in Hills Protagonisten einfühlen kann.

Besonders sticht bei diesem Buch auch hervor, dass der junge Autor nicht alles zwangsläufig auserzählen muss.

Ein verheißungsvoller Literat macht sich warm

Entscheidende Passagen oder Schlüsselszenen spart er manchmal auch aus und überlässt deren Inhalt der Fantasie des Lesers. Immer wieder bringt er neue Facetten zum Vorschein oder legt den Fokus auf unterschiedliche Protagonisten (darunter auch Personen der Zeitgeschichte wie etwa Allen Ginsberg). Dies lässt aus diesem toll gestalteten Buch eine spannende und abwechslungsreiche Lektüre werden.

Ein großer amerikanischer Roman für diesen Herbst. Hier macht sich ein neuer Literat am Seitenfeld warm, der schon bald altgedienteren und etablierten Great-American-Novel-Schreibern den Rang ablaufen könnte!

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Donal Ryan – Die Gesichter der Wahrheit

Ein kleines Dorf in Irland, getroffen von der Rezession. Dieses Dorf hat sich der Schriftsteller Donal Ryan erwählt, um hier einen Blick in den Kosmos der Dorfgesellschaft und damit im Endeffekt auch auf die Lage des Landes zu werfen. Ryan erzählt von Kindergärtnern, Bauarbeitern oder auch aus der Perspektive von Kindern, die einen ganz eigenen Blick auf das Dorfleben haben.

pressebild_die-gesichter-der-wahrheitdiogenes-verlag_72dpiDie Rezension hält das kleine irische Städtchen am Boden und das Bild eben jenen Dorfes wird von Bauruinen dominiert, die nach dem Platzen der Finanzblase nicht mehr weiter gebaut wurden. Der lokale Bauunternehmer hat seine Mitarbeiter ausgeschmiert und nun brodelt es im Dorf. Doch auch zwischenmenschliche Konflikte treten immer mehr zutage, sodass am Ende dieses Erzählreigens eine Entführung und sogar ein Mord stehen werden. Wie es dazu kam erschließt sich Stück für Stück aus den einundzwanzig Geschichten, die damit die Gesichter der Wahrheit bilden.

Nach seinem sehr guten Erstling Die Sache mit dem Dezember gibt es nun Nachschlag von Donal Ryan . Abermals kam die Übersetzerin Anna-Nina Kroll zum Einsatz, die den Titel The spinning wheel als Die Gesichter der Wahrheit ins Deutsche übertrug. Sie hat es recht gut geschafft, den Slang der irischen Landbevölkerung ins Deutsche zu übertragen. Chorisch berichten die Protagonisten Ryans, die meist kein Blatt vor den Mund nehmen und so Zeugnis vom Niedergang eines ganzen Landes geben.

Dass bei einundzwanzig Geschichten auf 240 Seiten keine große Tiefe oder Profilschärfe in puncto Figurenzeichnung zu erwarten ist, das ist klar. Dafür gelingt es Ryan aber schnell, von Geschichte zu Geschichte zu wandern und sein Spinnrad der Fiktion von Speiche zu Speiche zu drehen – ein Panoptikum des Niedergangs, schnell auf ein wenig mehr als 250 Seiten erzählt.

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Seitenblicke in Fürth

Hier mal wieder ein kleiner Veranstaltungshinweis in eigener Sache – besonders für alle Literaturafficionados aus dem Einzugsgebiet der Sadt Fürth:

Am Donnerstag, 20.10.2016 findet in der Innenstadtbücherei Carl Friedrich Eckart Stiftung der Volksbücherei Fürth (Friedrichstraße 6 A) zum ersten Mal die Veranstaltung Seitenblicke statt. Ähnlich dem Literarischen Quartett wollen wir (hoffentlich fundierter und gesitteter) über drei Neuerscheinungen dieses Bücherherbstes debattieren, ehe dann noch Herbstschmöker oder lesenswerte Titel in einer schnellen Runde vorgeschlagen werden. Dei drei diskutierten Titel sind:

Katharina Hagena – Das Geräusch des Lichts

hagenaFünf Menschen im Wartezimmer. Wer könnten sie sein? Eine der Wartenden beobachtet die anderen und erfindet ihre Lebensgeschichten. Da ist die Botanikerin Daphne Holt, so widerstandsfähig und zart wie das Moos, das sie erforscht. Auf den Spuren einer verschollenen Freundin stößt sie in der kanadischen Wildnis auf ein Geheimnis. Da ist der Musiker in seinem dottergelben Hausboot, der den letzten Willen seiner Frau erfüllt und auf dem zugefrorenen See das Nordlicht erwartet. Der zwölfjährige Richard sucht in jeder Öffnung, jedem Schacht, hinter jedem Gitter einen möglichen Weg zum Planeten Tschu. Auf dem befinden sich nämlich seine Mutter und seine Schwester, weil sie nach ihrem Verschwinden ja irgendwo sein müssen. Und da ist die verwirrte Dame, in deren Kopf sich die weiße Leere schon ganz ausgebreitet hat. Schließlich erfindet die Erzählerin ihre eigene Geschichte, einen Thriller über die Verbrechen einer skrupellosen Ölfirma, bei dem sie selbst in Lebensgefahr gerät.

Noah Hawley – Vor dem Fall

Vor dem Fall von Noah Hawley

An einem nebligen Abend startet ein Privatjet zu einem Flug nach New York. Wenige Minuten später stürzt er in den Atlantik. Nur der Maler Scott Burroughs und der vierjährige JJ überleben inmitten der brennenden Trümmer. Und Scott gelingt das Unmögliche: Er schafft es, den Jungen an das weit entfernte Ufer zu retten. Während die Suchtrupps fieberhaft nach den Leichen und der Blackbox fahnden, greifen immer abstrusere Verschwörungstheorien um sich. Scott versucht verzweifelt, sich den Medien zu entziehen – und gerät dabei in eine Welt der Intrigen und Manipulationen, in der niemand vor dem brutalen Fall ins Nichts geschützt ist.

Hier gibt’s meine Meinung auch schon zu lesen: Rezension „Vor dem Fall“

 

Margherita Giacobino – Familienbild mit dickem Kind

familienbildIn ihrer Kindheit hat Margherita immer eine Schar von Tanten und Großtanten um sich: die sanfte Polonia, die als Hebamme alle im Dorf auf die Welt gebracht hat, Michin, die Seelenverwandte mit dem scharfen Witz, die schon als junges Mädchen mit ihren Schwestern in die Fabrik arbeiten geht, und vor allem Ninin, der Fixstern in dieser bitterarmen piemontesischen Bauernfamilie: Ninin mit ihrer unermüdlichen Arbeit und Hingabe für ihre Geschwister, für die Neffen und Nichten, auch für Maria, das Auswandererkind, das mit acht Jahren allein aus Amerika zurückkommt. Maria ist die erste der Familie, die sich mit einem Laden selbständig macht.
Über ein Jahrhundert umspannt Margherita Giacobinos persönliche Familiensaga, in der sie die Ränder der großen Geschichte erkundet und vor allem den Frauen ein Denkmal setzt. Es ist eine Geschichte von bitterer Armut und harter Arbeit, eine Geschichte von Auswanderung und Wanderarbeit, von der Kriegsgefangenschaft des Vaters im fernen Deutschland, aber auch die Geschichte des ökonomischen Wandels und einer allmählichen Emanzipation der Frauen.

Der Eintritt ist kostenlos, alle Literaturfans sind herzlich eingeladen – wir freuen uns auf euer Kommen!

Hier noch der Link auf die Homepage der Veranstalter.

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Melanie Raabe – Die Wahrheit

Homeland auf Deutsch

Philipp Petersen ist wieder da. Sieben Jahre lang war der Ehemann von Sarah Petersen irgendwo im Dschungel Südafrikas verschwunden, gekidnappt heißt es. Nun wurde er befreit und wird zurück in die Heimat zu seiner Familie geflogen und steht plötzlich von Reportern umringt auf dem Rollfeld. Das Problem das sich nun bei der Sache stellt, ist nur Folgendes – Sarah Petersen hat die Person, die Philipps Namen trägt und neben ihr auf dem Rollfeld der Presse zuwinkt, nie gesehen. Wer ist der Fremde neben ihr?

fallenstellerFleißigen Zusehern der US-Serie Homeland sollte dieser Plot bekannt vorkommen. Heißt in der Serie der Rückkehrer Adrien Brody ist es hier Philip Petersen, dem der Zuseher bzw. Leser misstraut und nicht über den Weg traut. Die Ich-Erzählerin Sarah und der Fremde belauern sich im Buch permanent – dies schildert die Autorin auch mithilfe der verschiedenen Kapitel, die aus beiden Perspektiven erzählt das Geschehen fortentwickeln. Melanie Raabe präsentiert zwei Seiten einer Wahrheit, zwei Menschen, die sich gnadenlos beharken und von denen jeder seine ganz eigenen Wahrheiten hat – doch gibt es sie überhaupt, die Wahrheit? Continue reading

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