Monthly Archives: Januar 2017

Hanya Yanagihara – Ein wenig Leben

Freunde fürs Leben

Was für ein wuchtiges und komplexes Stück Literatur – dieser nahezu 1000-seitige Buchmonolith der amerikanischen Autorin Hanya Yanagihara sucht seinesgleichen. Es dürfte bereits jetzt schwer werden, diesem Buch im Laufe des literarischen Jahres 2017 Konkurrenz zu machen hinsichtlich sowohl hinsichtlich seines Umfangs (der neue Roman 4,3,2,1 von Paul Auster einmal ausgenommen) und als auch seiner tiefenscharfen Figurenzeichnung, die in meinen Augen den Reiz dieses außergewöhnlichen Buches ausmacht

Die Hauptrolle spielt im Roman Jude St. Francis und seine Freundschaft zu drei weiteren Männer, die da wären: Malcolm, ein penibler Architekt, Jean-Baptist, genannt JB, ein Maler von figurativer Kunst, und Willem, zunächst noch ein erfolgloser Schauspieler. Yanagihara fungiert nun als Chronistin dieser Freundschaft und beobachtet die Entwicklung der vier Männer von Collegefreunden bis hin ins wirkliche Mannesalter. Fixstern dabei ist und bleibt zu jeder Zeit Jude St. Francis, alle anderen Charaktere und Figuren kreisen um ihn, mal sind die Umlaufbahnen um ihn herum enger, mal weiter, manchmal elliptisch, immer aber bleibt der Bezug zu ihm klar.

Die Journalistin und Autorin geht dabei sehr geschickt vor, in fünf Großkapiteln aufgeteilt erzählt sie weitestgehend chronologisch, verlässt aber diese Chronologie mehrmals, um etappenweise das ganze Schicksal und die Herkunft von Jude St. Francis zu enthüllen. Als Leser bekommt man immer wieder Puzzleteile und Andeutungen serviert, die aber erst nach den 950 Seiten ein komplettes wenn auch nicht erfreuliches Bild enthüllen.

Ein Buch, das für Aufsehen sorgte

Hanya Yanagihara schreibt für das Stilmagazin der New York Times und hat bereits einen Roman veröffentlicht. Ihr zweiter Roman schlug dann in Amerika wie eine Bombe ein – Nominierungen für wichtige Preise, Diskussionen im Feuilleton, Buchscouts, die sich um die Rechte zankten. Nun hat es das Buch mit zwei Jahren Verspätungen zu uns geschafft – und wird wahrscheinlich auch hier das Feuilleton und die Literaturgemeinde beschäftigen. Die Themen, von denen Yanagihara erzählt, sind individuell und zeitlos.

Die literarische Qualität von Ein wenig Leben besteht für mich nach dem Ende seiner Lektüre in der tiefgehenden und intensiven Schilderung von Judes Leben und Leiden. Die Sprache ist hierbei nur Vehikel und (in der von einigen Schludrigkeiten und Fehlgriffen abgesehen passablen Übersetzung von Stephan Kleiner) gehobener Durchschnitt. Doch der Reiz des Buchs liegt in meinen Augen woanders – wie die Autorin das Schicksal von Jude und das seines Umfeldes schildert, das ist von einer großen Genauigkeit, Ernsthaftigkeit und Größe. Normalerweise bin ich mit derartigen Floskeln vorsichtig, hier halte ich sie für angebracht. Die Art und Weise, mit der Hanya Yanagihara ihr Porträt schildert sorgt dafür, dass dieser Jude St. Francis zu Überlebensgröße findet und zumindest in meinem Kopf noch ein geraumes Weilchen herumspukt.

Homosexualität, Freundschaft, Kampf mit inneren Dämonen, Missbrauch – die Schilderungen in Ein wenig Leben reißen mit und dürften auch hierzulande für viel Diskussionen sorgen!

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Arthur Conan Doyle – Heute dreimal ins Polarmeer gefallen

Der große Eistaucher

Arthur Conan Doyle kennt man als Schöpfer des wohl berühmtesten Detektivs der Literaturgeschichte, Sherlock Holmes. Dass der Schotte darüber hinaus auch ein spannendes Leben geführt hat, das ist schon weniger Menschen bekannt. Ein besonderes Kapitel aus Arthur Conan Doyles Leben behandelt das Buch Heute dreimal ins Polarmeer gefallen. Der Untertitel Tagebuch einer arktischen Reise zeigt schon, wohin für den jungen Mann seine damalige Reise ging.

Heute dreimal ins Polarmeer gefallen von Arthur Conan Doyle

Im Jahr 1880 heuerte Conan Doyle als Schiffsarzt an Bord der Hope an. Dieses Boot war als Walfänger in der Arktis unterwegs und durchkreuzte das Meer auf der Suche nach Walfischen und Robben, die im Vereinigten Königreich dann gewinnbringend verkauft wurden. Mit gerade einmal zwanzig Jahren versah der junge Schotte Conan Doyle ein halbes Jahr seinen Dienst an Bord der Hope, kümmerte sich um das Wohlergehen der Mannschaft und versuchte sich auch selbst als Jäger im Eis. Davon berichtet das mit viel Selbstironie und Humor geschriebene Tagebuch, das Doyle während seines Aufenthalts verfasste. Neben Einblicken in das Leben auf dem Walfänger gewährt es auch Einblicke in das blutige Tagewerk der Männer und zeigt einen jungen, literarisch begabten Mann, der sich an Bord Respekt erarbeitete, trotz seines Missgeschicks auf dem Bord, das ihm schließlich den Titel als großer Eistaucher einbrachte. Denn Conan Doyle fiel mehrmals ins eiskalte arktische Wasser und konnte sich einmal nur mit knapper Not wieder auf eine Eisscholle ziehen. Das und mehr berichtet er in einem nonchalanten und kurzweiligen Tonfall, der das Tagebuch auch heute noch lesenswert macht.

Ergänzt wird das Ganze durch zahlreiche Essays, über 220 kommentierende Fußnoten und einige in der Buchmitte eingebrachte Auszüge aus dem Faksimile des Original-Tagebuchs. Neben einem Einleitungswort der beiden Herausgeber Jon Lellenberg und Daniel Stashower gibt es auch noch Geschichten und Schriften von Arthur Conan Doyle, die von seinem Arktis-Aufenthalt inspiriert sind, darunter auch die Sherlock-Holmes-Geschichte Der Schwarze Peter. Beigefügt ist ebenfalls eine Zeittafel, die Einblick in das Leben Conan Doyles gibt, und ein Essay von Alexander Pechmann, der das vorliegende Buch übersetzte und einen Aufsatz beisteuerte, in dem er die von Arthur Conan Doyle beschriebenen Tierarten teilweise korrigiert und Einblick in die Fauna der Arktis gibt.

Dies alles rundet den positiven Eindruck des Tagebuchs ab, das auch in seiner Taschenbuchausgabe ein schön gestaltetes Buch ist. Eine wirkliche Wiederentdeckung, bei der sich Erkenntnis und Lesespaß nicht ausschließen!

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Martin Suter – Elefant

Ein Elefant im Schweizer Land

Elefanten werden in der Schweiz gemeinhin ja eher wenig gesichtet. Die Erscheinung, die nun der Obdachlose Schoch in seiner Höhle am Ufer der Limmat hat, ist aber mehr als außergewöhnlich: ein kleiner rosa Elefant steht plötzlich in seiner Behausung und dieser leuchtet obendrein auch noch in der Nacht. Auch der Verzicht auf den obligatorischen Fusel hilft da nicht weiter – der Elefant will einfach nicht verschwinden. Wie dieser rosa Miniaturelefant in Schochs Höhle fand, davon erzählt der neue Roman des Schweizer Romanciers Martin Suter.

Auslöser für die Ereignisse, die Schochs Leben und auch das vieler weiterer Charaktere nachhaltig verändern, sind die Genversuche des Schweizer Genforschers Roux. Dieser will für einen Auftraggeber aus Fernost die Idee der Glowing Animals auf die Spitze treiben. Glowing Animals sind Tiere, die mithilfe der Biolumineszenz im Dunkeln leuchten. 2008 erhielten Wissenschaftler aus Japan und den USA den Nobelpreis für ihre Forschungen, bei denen sie die natürliche Biolumineszenz auf Tiere wie etwa Schafe und Katzen übertrugen.

Roux will nun einen die Grenzen des Machbaren verschieben, indem er einen Miniaturelefanten züchtet, der zudem im Dunkeln leuchtet und damit die Forschung revolutioniert. Das soll dem Forscher endlich den wissenschaftlichen Ruhm einbringen, der ihm bislang immer verwehrt blieb. Doch derartig kühne Pläne rufen natürlich auch Gegner auf den Plan.

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Bernhard Aichner – Totenrausch

Brünhilde Blum ist zurück – ein letztes Mal muss sich die Bestatterin auf der Flucht ihrer Verfolger erwehren, damit sie endlich zur Ruhe kommen kann. Und dieses letzte Mal hat es in sich, denn am Ende wird sich Blum in einen wahren Totenrausch hineinsteigern müssen, um zu überleben.

Aichner exerziert in diesem Thriller die Theorie vom Schmetterlingsflügelschlag bis zum Orkan knallhart durch. Nachdem sich Blum nach allem was der Totenfrau zugestoßen ist und sich im Totenhaus ereignet hat, nun auf der Flucht befindet, ist sie auf den Lofoten gestrandet. Doch Blum will zurück nach Deutschland und strandet in Hamburg. Das Bild, das Aichner von der Hansestadt zeichnet, hat allerdings nichts von der Elbphilarmonie-Idylle, die in den letzten Tagen beschworen wurde. Aichners Hamburg ist grau und düster, denn Blum landet bald beim skrupellosen und brutalen Zuhälter Schiele. Diesem verspricht sie als Gegenleistung einen Menschen zu töten, wenn Schiele dafür ihr und ihren Kindern neue Pässe besorgt. Doch der faustische Pakt droht zum Mahlstein um den Hals von Blum zu werden  …

Der Binnenband der Totenfrau-Trilogie namens Totenhaus konnte mich nicht so recht überzeugen – allzu verworren und überzeichnet war die Handlung darin. Doch der neueste Streich des Österreichers Aichner liest sich, als hätte es all diese Schwierigkeiten nicht gegeben. Stringent entwickelt er seinen Plot, der nicht nur Blum in einen Rausch zieht, sondern ebenso den Leser. In seiner verknappten, parataktischen Satzweise fegt Blum durch die Hansestadt und wird zur Auftragskillerin wider Willen. Die Dialoge sind sparsam gesetzt, die Kapitel kurz. All das erhöht das Lesetempo und sorgt für Spannung. Die Brutalität und der Bodycount sind gewohnt ausgeprägt und alles andere als Blum-ig. Wer mit dieser stets präsenten, mal mehr mal weniger subtilen Gewalt, gut leben kann, der bekommt hier noch einmal die volle Dosis dieser modernen Amazone Brünhilde Blum.

Schön zu lesen, dass es Bernhard Aichner mit dem letzten Band seiner Totenfrau-Trilogie gelungen ist, die Schwäche des letzten Bandes abzuschütteln und sich für dieses Finale auf seine schriftstellerischen Qualitäten zu besinnen!

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Elena Ferrante – Die Geschichte eines neuen Namens

Die Neapolitanische Saga um die Freundinnen Elena und Lila geht weiter. Der zweite Band behandelt die Jugendjahre der Freundinnen und ihren schweren Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung und ist zugleich wieder ein Panorama Italiens in den 60er Jahren.

Nach dem Cliffhanger am Ende von Meine geniale Freundin wollte man natürlich wissen, wie sich die junge Ehe von Lila und Stefano entwickeln würde und welchen Weg Elena, genannt Lenù, beschreiten würde. Der nächste Band des Quartetts gibt nun eine ausführliche Antwort. Der Konflikt, der sich im ersten Band mit den Solaras bereits andeutete, steigert sich nun. Während Stefano in Abhängigkeit zu den Brüdern steht, die die Camorra repräsentieren, rebelliert Lila weiterhin und bringt ihr störrisches Wesen immer wieder zum Ausdruck. Dies sorgt für häusliche Konflikte und bleibt auch im Rione, dem Stadtviertel Neapels in dem die beiden Freundinnen aufwuchsen, nicht unbemerkt. Klatsch, Neid und subtile Gewalt sind in diesem dumpfen Milieu an der Tagesordnung und engen die beiden jungen Frauen ein.

Während Lila in ihrer Beziehung rebelliert, versucht Lenù dem Druckkessel Rione durch Bildung zu entgehen. Im Gegensatz zu ihrer genialen Freundin verfolgt sie nämlich weiterhin ein Schulkarriere, die sie bis in ein Kolleg in Pisa führen wird. Doch trotz allem Drang nach Bildung und Fortkommen verläuft auch Lenùs Weg alles andere als gerade. Ein Sommer in Ischia wird zum Wendepunkt im Leben der beiden Frauen und stellt alle Dinge auf den Kopf …

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