Monthly Archives: Februar 2017

Ulf Torreck – Fest der Finsternis

Paris im September 1805. Der Sturm auf die Bastille ist genauso beendet wie die blutige Terrorherrschaft der Jakobiner . Napoleon herrscht über Europa und in der Hauptstadt seines Reichs große Armut und Elend. Der ehemalige Inspektor Louis Marais, dessen Name noch immer die Unterwelt von Paris in Unruhe versetzt, kehrt genau hierhin zurück. Eigentlich hatte ihn der Polizeiminister Joseph Fouché nach Brest abgeschoben, doch nun braucht er den Polizisten dringend wieder in Paris. Die Leiche eines jungen Mädchens wurde schwer verstümmelt aus der Seine gefischt. Wenn ein Ermittler dem Täter das Handwerk legen kann, dann Marais.

Und dieser stößt bei seiner Recherche recht schnell auf höchst beunruhigende Information. Denn offenbar wurde von oberster Stelle her vertuscht, dass diese Leiche des jungen Mädchens nicht die erste ist, die in letzter Zeit aufgefunden wurde. Eine ganze Reihe weiterer Morde gibt es – nur war an der Aufklärung niemand interessiert. Marais verbeißt sich in den Fall und fordert damit Täter heraus, die keinerlei Interesse an der Wahrheit hinter den Morden haben. Seine Spuren führen in okkulte Kreise und sorgen schließlich dafür, dass aus dem Jäger einer Gejagter wird.

Ulf Torreck ist mit seinem Debüt im Heyne-Verlag ein großer Wurf gelungen. Bisher publizierter er unter dem Namen David Gray im Pendragon-Verlag, nun gibt es im neuen Verlag einen historischen Thriller von ihm zu lesen. Und der hat es in sich. Wendungsreich entführt er den Leser in ein dunkles und dreckiges Paris, das nicht viel mit der Seine-Metropole zu tun hat, die man heute kennt. In großer Armut lebt die französische Bevölkerung, während das Establishment rauschhafte Feste feiert und sich in Eskapismus ergeht.

Als besonderen Clou integriert Torreck zahlreiche historische Gestalten, deren Treiben den Rahmen des Buchs bildet. So spielt der damalige Polizeiminster Joseph Fouché genauso eine entscheidende Rolle wie auch der Staatsmann und Lenker Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord. Schon fast ein Holmes/Watson-Doppel ergibt dann Torrecks Idee, Marais mit dem legendären Marquis de Sade zusammenzuspannen, der den Ermittlungen entscheidend weiterhilft. Diese Idee und die entsprechende Umsetzung bilden das Salz in der Suppe und machen aus Fest der Finsternis ein besonderes Erlebnis.

Eine Prise Jean-Christophe Grangé, ein wenig Das Parfüm, ein wenig Okkultismus, ein bisschen Alexandre Dumas – die Mischung geht auf. Wenn die nächsten Fälle für Louis Marais genauso gut ausgearbeitet sind wie dieser erste Fall, dann stehen uns noch viele großartige Titel ins Haus, bei denen alleine das Lektorat deutlich bessere Arbeit machen muss. Ansonsten eine stimmige Geschichte!

Zum Hintergrund und der Idee hinter dem Roman sei an dieser Stelle noch das Interview empfohlen, das Alexander Roth vom hervorragenden Blog Der Schneemann mit Ulf Torreck alias David Gray geführt hat. Man findet es an dieser Stelle.

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Kurz und Gut

Nachschub in der Kategorie der kurzen Rezensionen! Heute gibt es drei weitere Rezensionen von Büchern, die in letzter Zeit gelesen wurden

 

Steffen Kopetzky – Grand Tour

Alles andere als ein bequemer Schmöker – Kopetzky lässt den Leser an Bord von Schlafwagen mit dem Schaffner Leon Pardell quer durch Europa reisen. Verschiedene sinistre Gestalten hegen eigene Pläne, ein reicher Baron jagt einer ganz besonderen Uhr hinterher und man selbst findet sich inmitten dieser etwas chaotischen Gemengelage, die sich erst nach und nach klärt und setzt.

Der Stil Kopetzkys ist sehr barock überbordend und von einer schönen Sprache, mitunter schlägt die Erzählung aber ein paar Arabesken zu viel. Man muss sich mühen, am Ball zu bleiben und die verschiedenen Reisestationen Pardells im Blick zu behalten. Wer diese Energie für das über 720 Seiten starke Epos aufbringt, wird mit einem Schmöker belohnt, der viel Reiz hat. Zwar erreicht das Buch die Klasse des fantastischen Risikos Steffen Kopetzkys nicht, aber dennoch lohnt sich diese Neuauflage des ursprünglich 2002 erschienen Buchs auf alle Fälle.

 

 

Colum McCann – Transatlantik

Diese Buch war nur ein Zufallsfund inmitten eines Tisches voller Remittenden. Da ich eh eine Schwäche für die Literaturszene Irlands habe (Adrian McKinty, John Boyne, Ken Bruen, tbc) habe, nahm ich mir einfach diesen Roman auf Verdacht mit. Eine Entscheidung, die sich mehr als gelohnt hat. McCann erzählt in seinem Roman von drei Momenten aus der Irisch-Amerikanischen Geschichte, verwebt durch eine wunderschöne Sprache (Deutsch von Dirk van Gunsteren). Der erste Transatlantikflug ist Thema in McCanns Erzählung, ein amerikanischer Senator reist nach Irland um im IRA-Konflikt zu schlichten und ein Abolitionist kommt nach Irland, um auch dort für seine Sache zu werben, nämlich die Aufhebung der Sklaverei.

Verbindendes Element sind – wie sollte es anders sein – natürlich Frauen, die in jenen drei Momenten immer beteiligt sind oder Einfluss hatten. Die Konstruktion des Romans überzeugt, die Geschichte fasziniert, McCann beherrscht sein Handwerk genauso gut wie seine anderen irischen Schriftstellerkollegen. Ein Glücksgriff für mich, dieser Roman!

 

 

Homer – Odyssee

Etwas Anspruch darf auch einmal sein – die Möglichkeit dazu bot und bietet die Taschenbuchausgabe der Odyssee im neuen Deutschland-Ableger des Penguin-Verlags. Dieser Klassiker der Weltliteratur liegt hier in der Übersetzung von Kurt Steinmann vor und weist ein einigermaßen gut lesbares Schriftbild auf. Man braucht Geduld und muss sich auf die Sprache einlassen. Wenn man dann allerdings ins Homers Lyrik eingefunden hat, versteht man schnell, warum auch dieser Text nach tausenden von Jahren immer noch seinen Reiz hat. Die Geschichten vom Zyklopen Polyphem und der listenreichen Flucht des Odysseus oder die Episode rund um die verlockenden Sirenen sind schon längst in die Legendenbildung eingegangen. Hier kann man sie noch einmal im Kontext erleben und neu entdecken.

Für ambitionierte Leser und Kultur-Kenner, die sich mit wirklichen Originalen beschäftigen wollen!

 

 

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John Wray – Das Geheimnis der verlorenen Zeit

Marcel Proust war auf der Suche nach der verlorenen Zeit, der Engländer John Wray will nun ihr Geheimnis erkunden. Die verlorene Zeit steht im Mittelpunkt dieses Romans, der sich konsequent jeder Einordnung entzieht und der den Leser in eine Zeitschleife schickt. Von Tschechien über Wien bis nach Amerika geht die Reise, die Zeit und Raum durchmisst.

Der Hobbyphysiker und Gurkenfabrikant Znaim Toula entdeckte just das Geheimnis der verlorenen Zeit, um aber kurz nach dieser Entdeckung von einem Automobil auf die Hörner genommen zu werden. Seine beiden Söhne Waldemar und Kaspar entwickeln sich danach auf ganz eigene Art und Weise weiter und versuchen stets, das Erbe ihres Vaters zu entschlüsseln.

Neben diesem chronologischen Erzählungsstrang, der sich durch die Weltgeschichte und durch verschiedene Schauplätze arbeitet, gibt es einen zweiten Erzählstrang, der die Episoden aus der Familiengeschichte zusammenhält. Denn irgendwo in einem Appartement sitzt in einer Zeitschleife Waldemar Tolliver fest. Dieser schreibt an seine Liaison Mrs Haven Briefe, in denen er ihr und damit dem Leser erklärt, wie sie zusammenfanden und welche Geheimnisse der Tolliver-Clan so hütet.

Es könnte so schön mit diesem Roman sein – doch leider macht es John Wray dem Leser respektive meiner Wenigkeit sehr schwer. Dass er schreiben kann – das steht außer Frage. Doch wunderbare Passagen werden immer wieder von völlig konfusen Seiten durchbrochen, in denen Wray schwer verständliche Schilderungen, Briefe oder physikalische Erklärungen unterbringt oder seine Charaktere surreale Dialoge führen lässt.

Bei allem Willen zum Experiment und formalen Sich-Ausprobieren – das war für mich über die Länge des Buchs dann doch zu unlesbar.

Ärgerlich ist das vor allem, da unter allen Manierismen und erzählerischen Schlacken immer wieder eine tolle und faszinierende Geschichte durchschimmert. Das Potential einer außergewöhnlichen Geschichte ist ja da – doch John Wray verschießt leider sein ganzes Pulver, um diesen überlangen Roman zu etwas Besonderem zu machen. Und genau daran scheitert er dann eben, denn Dada, Physik und viel Zeitkolorit wollen hier nicht miteinander reagieren und nicht zu einer flüssigen Erzählung legieren.

So bleibt der Roman hinter den Erwartungen zurück – ein engeres Korsett hätte „Das Geheimnis der verlorenen Zeit“ gutgetan. In meinen Augen die bessere Wahl wenn es um Physik, Zeitgeschichte und Faszinosien geht – Reif Larsen mit Die Rettung des Horizonts.

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Der Preis der Leipziger Buchmesse – Die Nominierungen

Heute wurden die Nominierungen zum Preis der Leipziger Buchmesse bekannt gegeben. Der Preis wird in drei Sparten verliehen, als da wären Belletristik, Sachbuch und Übersetzung. Zu Beginn der Buchmesse am 23.03.2017 werden dann die drei PreisträgerInnen bekanntgegeben.

Unter den Nominierten finden sich alte Bekannte wie etwa der Schweizer Lukas Bärfuß oder die Autorin Brigitte Kronauer. Aber auch mir unbekannte AutorInnen wie etwa Natascha Wodin oder Steffen Popp finden sich auf der Liste der Kategorie Belletristik. Das bietet Chancen für neue Entdeckungen. Zur Erinnerung: letztes Jahr erhielt Guntram Vesper für seine äußerst voluminöse Stadtchronik Frohburg den Preis der Leipziger Buchmesse. Sonderlich viel gehört hat man von dem Buch und Autor seitdem aber nicht, für mein Gefühl hat eher Heinz Strunk mit Der goldene Handschuh das Rennen gemacht.

Hier nun aber die Links zu den Nominierungslisten – Viel Spaß beim Entdecken und Stöbern!

Belletristik – http://www.preis-der-leipziger-buchmesse.de/de/Nominierungen/Belletristik/

Sachbuch – http://www.preis-der-leipziger-buchmesse.de/de/Nominierungen/Sachbuch-Essayistik/

Übersetzung – http://www.preis-der-leipziger-buchmesse.de/de/Nominierungen/Uebersetzung/

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Reginald Hill – Die letzte Stunde naht

Was hat der Dicke nicht schon alles überlebt – einen Bombenanschlag (Der Tod und der Dicke), eine Kur (Der Tod heilt alle Wunden) – und nun auch noch das. Kaum genesen verwechselt das kriminalistische Schwergewicht den Wochentag und landet so statt montags im Büro am Sonntag in der Kirche. Dort macht er die Bekanntschaft einer jungen Dame, die Andy Dalziel um Hilfe bittet. Ihr Ehemann Alex ist vor sieben Jahren verschwunden, nun will sie ihn für tot erklären lassen. Denn sie lebt inzwischen mit einem anderen Polizisten zusammen und will die alten Zöpfe abschneiden. Dalziel soll ihr helfen, das Verschwinden ihres Ex-Mannes aufzuklären.

Dies ist allerdings alles andere als einfach, denn nachdem Dalziel noch verwirrt von seiner Wochentag-Verwechslung der Dame seine Hilfe zusichert, wird die Sache wirklich kompliziert (und tödlich). Denn hinter der Frau ist ein Killer-Duo her, das Böses im Schild führen. Und dann mischen auch noch weitere Polizisten, Reporter und aufstrebende Politiker mit, sodass der Fall zum Mahlstein für Dalziel und Pascoe zu werden droht. Wem naht die letzte Stunde?

Acht Jahre hat es gedauert, bis nun auch der letzte Fall des legendären Duos Dalziel/Pascoe auf Deutsch vorliegt. Übersetzt wurde der finale Band erneut von Karl-Heinz Ebnet. Gelohnt hat es sich auf alle Fälle.

Der letzte Fall des ungleichen Duos hat es wieder in sich – hier zeigt sich Reginald Hill voll auf der Höhe seiner Könnerschaft. Wie er den zunächst recht abstrusen Plot immer dichter verwebt und zusammenführt, sodass auch die einzelnen Exkurse und Stränge am Ende zusammenpassen und einen Sinn ergeben, das ist meisterhaft. Eine Besonderheit dieses Abschlussbandes ist es auch, dass Hill die gesamte Handlung an einem einzigen Tag spielen lässt. Die von Accelerando bis Furioso reichenden Kapiteleinteilungen bilden die Grobgliederung, die einzelnen Kapitel selbst werden einfach mit den Uhrzeiten benannt, zu denen sich die aktuelle Handlung abspielt. Das sorgt für Tempo und Abwechslung.

Schade, dass es nun mit Dalziel und Pascoe ein Ende hat – der großartige Autor Reginald Hill verstarb ja bereits 2012. Wünschenswert wäre es, nun da der Abschlussband endlich vorliegt, dass die Vorgängerbände noch einmal als Gesamtausgabe veröffentlicht werden, liegen doch fast alle Bücher der Dalziel/Pascoe-Reihe nur noch antiquarisch vor. Die Qualität dieser Reihe würde dies definitiv rechtfertigen!

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