Monthly Archives: Juni 2017

David Coventry – Die unsichtbare Meile

Der Neuseeländer David Coventry entführt in seinem Debüt Die unsichtbare Meile die Leser zurück in eine Welt des Radsports, die noch nicht von Doping und Sponsoren, sondern vom harten Kampf gegen den eigenen Körper gezeichnet war. Im Jahr 1928 kämpfen Radsportler aus aller Welt um den Sieg beim prestigeträchtigen Radrennen quer durch Frankreich. Unter ihnen auch eine Equipe aus Neuseeland.

David Coventry - Die unsichtbare Meile (Cover)

Die Chancen jener Equipe werden zunächst belächelt, ist doch Nouvelle-Zélande alles andere als für seinen Radsport bekannt. Doch die Männer verbeißen sich in dem Gedanken an den Sieg, und so lassen sie tausende von Meilen und viele Mitbewerber hinter sich.

Geschildert wird jenes Rennen im Jahr 1928 aus der Sicht eines jener Radsportler aus dem neuseeländischen Team. Eindrucksvoll lässt Coventry seinen Erzähler leiden. Massenhaft Stürze, Reparaturen an den Rädern, Betäubung der Schmerzen mit Kokain – diese Tour de France ist eine einzige Tour de Force. Doch die Männer befahren die Meilen wie besessen und ringen um das Gelbe Trikot. Denn die Schmerzen sind nur die eine Seite der Medaille.

Zwischen Tour de France und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg

Über der Tour liegt wie ein nicht zu verscheuchender Nebel die Erinnerung an das Grauen, das sich vor zehn Jahren in dem nun befahrenen Land abspielte. Landmarken wie Ypern oder Gallipolli spuken noch immer in den Köpfen der Fahrer, insbesondere in jenem des Ich-Erzählers, herum. Für ihn ist das Radrennen auch eine Möglichkeit, mit seinen inneren Dämonen eine Rechnung zu begleichen. Denn in Neuseeland starb seine Schwester und sein Bruder wurde mit seinem Flugzeug über Frankreich abgeschossen.

Immer wieder durchflackern Erinnerungen an den Krieg und dessen Folgen das Bewusstsein des Ich-Erzählers. Eindrucksvoll zeigt Coventry, wie durch die Tour Körper und Geist geschunden werden und was die Männer dann doch wieder durchhalten lässt. Dabei ist das Ereignis neben der Radtour auch die anspruchsvolle Sprache, in die die Erzählung gekleidet ist. An dieser Stelle sei auch nachdrücklich der formidable Übersetzer Volker Oldenburg gelobt, der nicht nur David Mitchell sondern nun auch David Coventry adäquat ins Deutsche übersetzt hat.

Ein anspruchsvoller Radroman, der passend zum 200. Geburtstag des Drahtesels kommt. Mit einem schönen Cover gestaltet ist dieses literarisch anspruchsvolle Werk genau das Richtige für alle Rad- und Literaturfreunde!

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Kurz und Gut – schnelle Leseempfehlungen

Nachdem es schon länger keine Kurzrezensionen mehr an dieser Stelle zu lesen gab, sei dies hier mit drei frischen, sommerlichen Empfehlungen nachgeholt

Malla Nunn – Zeit der Finsternis

Der vierte Fall des südafrikanischen Ermittlers Emmanuel Cooper hat es abermals in sich. Malla Nunn schickt ihren Ermittler in den 50er Jahren nach Johannesburg, während die Apartheid das Land im Griff hält. Während Cooper unter einem gefährlichen Vorgesetzten den Fall zweier ermordeter Weißer aufklären soll, muss er um jeden Preis sein Privatleben schützen. Denn Cooper hat ein Kind mit seiner farbigen Frau. Ein schweres Verbrechen, das der Ermittler vertuschen muss. Nicht leichter wird alles, als sich herausstellt, dass der Hauptverdächtige des Doppelmordes der Sohn seines Zulu-Kollegen Shabalala ist.

Ein sauber gearbeiteter, sehr spannender Krimi, der seinen Reiz aus dem Setting und der Zeit zieht, in der er spielt. Nunn fängt das Apartheid-Südafrika hervorragend ein und beschert uns Figuren, die wir so schnell nicht wieder vergessen.

 

Ann Patchett – Die Taufe

Ein heißer Sommertag ist es, der zwei Familien in Ann Patchetts Die Taufe zusammenschmiedet. Denn an diesem heißen Sommertag findet die Taufe statt, die alles verändern soll. Der Staatsanwalt Bert Cousins taucht auf dieser Feier uneingeladen auf, um sich seiner familiären Pflichten und Probleme für einen Nachmittag zu entziehen. Dadurch wird ein Band zwischen seiner Familie und der von Fix Keating, des Vaters des Täuflings, geknüpft.

In schnörkellosem Ton erzählt Ann Pachett in Die Taufe, wie sich in den folgenden Jahren die Geschichte der beiden Familien immer wieder einmal miteinander verflicht. In Schlaglichtern zeigt die Autorin, wie aus dieser einen folgenschweren Begegnung Schicksal erwächst. Ein klassischer amerikanischer Familien- und Gesellschaftsroman mit einer besonderen Konstruktion.

 

Larry Brown – Fay

Eine junge Frau reißt von Zuhause aus und schlägt sich durch – das ist im Grunde der Plot, der hinter Larry Browns im Original bereits 2000 erschienenem Buch steckt. Doch die Kunst dieses Buchs ist das Drumherum, das Brown langsam in Fay entfaltet. Er zeigt einfache Menschen, die mit Fay in Kontakt kommen – manche von ihnen gut, andere schlechte, der Charakter von anderen Figuren zeigt sich erst im Verlauf der Handlung. Diese Plastizität macht den Reiz von Fay aus. Eine tolle Südstaatenstudie, flirrend und packend.

Der leider schon verstorbene Larry Fay fügt sich nahtlos in das Portfolio des Heyne Verlags ein und ist eine Entdeckung, der man schon früher ihren Durchbruch gewünscht hätte. Südstaatenliteratur, wie sie sein sollte. Hart, rau aber stets auch mit Herz und Emotionen. Diese Fay schließt man in sein Herz!

 

 

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Gabriel Garcia Marquez – Hundert Jahre Einsamkeit

Dass dieses Buch in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, merkt man Hundert Jahre Einsamkeit wirklich nicht an. Zum halben Jahrhundert hat der Kiepenheuer&Witsch-Verlag dem Buch eine Neuübersetzung durch Dagmar Ploetz spendiert, die damit das Buch wieder neu aufpoliert, sodass alle Facetten des Romans funkeln dürfen.

Der 2012 verstorbene Nobelpreisträger erzählt in seinem Roman von hundert Jahren Einsamkeit, die der stete Begleiter des Buendias-Clans sind. Jener Clan begründete einst das Dörfchen Macondo tief in der Abgeschiedenheit Südamerikas. Die Generationen leben in dem Dorf und erleben viele Höhen und Tiefen mit. Marquez konzipiert seinen Roman dabei ganz klassisch, vom Aufstieg des Buendia-Clans über wirtschaftliche Erfolge bis hin zum Niedergang des Dörfchens reicht der Bogen, den der kolumbianische Romancier schlägt.

Der Buendia-Clan und das Dorf Macondo sind unlöslich miteinander verkettet und können auch als Allegorie auf Südamerika gesehen werden. Der Leser wird Zeuge des wiederkehrenden Besuchs von Zigeunern im Dörfchen; dank einer Bananenplantage kehrt Wohlstand in das Dörfchen ein – doch auch negative Ereignisse wie etwa politische Kämpfe oder die blutige Niederschlagung von Revolten treten auf.

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Jan Schomburg – Das Licht und die Geräusche

Ausgerechnet nach Island verschlägt es die Protagonisten in Jan Schomburgs Schriftstellerdebüt Das Licht und die Geräusche. Jenes Land, das klischeemäßig mit Elfen, Trollen, Geysiren und eigenwilligen Menschen besetzt ist, wird in Schomburgs Debüt zum Dreh- und Angelpunkt für drei Protagonisten, deren Schicksal er in Das Licht und die Geräusche erzählt.

Schomburg, der bislang eher als Drehbuchautor und Regisseur in Erscheinung trat (z.B. bei den Filmen Vergiss Mein Ich oder Vor der Morgenröte) hat sich getraut und unternimmt eine Forschungsreise in die wohl spannendste Zeit des Lebens – die Teenagerzeit. Er erzählt aus Sicht von Johanna eine Dreiecksgeschichte, die sich im Koordinatennetz zwischen Parties, Liebe, Klassenfahrt und Freiheitsdrang entfaltet. Der Rhythmus, der von der Schule vorgegeben wird kontrastiert mit dem immer spannender werdenden sozialen Leben und der bevorstehende Sommer bringt viele Verheißungen mit sich. Diese Zeit elektrisiert nicht nur Johanna – die Erzählung kreist auch um ihren besten Freund Boris und dessen portugiesische Freundin Ana-Clara, deren Schicksale eng aneinander gekettet sind.

Schomburg erzählt flirrend und zerrissen von der Zeit der Pubertät, eine Zeit, mit der sich wohl jeder Leser identifizieren kann. Parties in Hobbykellern mit Alkoholexzessen, nächtliche Ausflüge zu Freunden, Nacktbaden im See. Er verdichtet diese Zeit auf Schlaglichter, ehe dann im zweiten Teil des Romans immer mehr Struktur zutage tritt. Denn Boris scheint sich plötzlich nach Island abgesetzt zu haben, um dort seinem Leben ein Ende zu setzen. Die überforderten Eltern setzen sich mit Johanna und Ana-Clara ins Flugzeug, um Boris vielleicht noch rechtzeitig zu finden. Vor Ort entspinnt sich dann eine ganz eigene und auch überraschende Dynamik, der man als Leser dann beiwohnt und die auch Wiedererkennen birgt.

Jan Schomburg ((c) Gunter Glücklich)

Jan Schomburg gelingt das, woran Arno Frank in So und jetzt kommst du brachial gescheitert ist – eine glaubhafte Stimme für seine jugendlichen Protagonisten zu finden. Die Sprache ist nicht anbiedernd, sondern authentisch und genau passend für die Geschichte, die Schomburg erzählen will. Man erkennt sich und seine Jugend im Handeln und in den Gedanken wieder- ein Flashback in vergangene Zeiten.

Ich bin geneigt Das Licht und die Geräusche in die Reihe gelungener Adoleszenzromane zu stellen, in denen für mich  Auerhaus, Der Fänger im Roggen und Tschick stehen!

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