Deon Meyer – Fever

„Es gab keine Gerechtigkeit im Universum. Als das Fieber kam, stand Dortmund auf dem zweiten Tabellenplatz, sie hätten Meister werden können. Thomas Tuchel war ihr Trainer. Ein verdammtes Genie …“ (Meyer, Deon: Fever, S. 230)

Der BVB und die Frage der Meisterschaft – das kann auch schon einmal in der Apokalypse enden, wie der südafrikanische Starautor Deon Meyer in seinem Buch Fever zeigt. Denn die Welt, wie wir sie kennen existiert im neuen Buch des Krimiautors nicht mehr, Grund dafür ist eine Fieberepidemie, die nahezu die komplette Bevölkerung ausgelöscht hat. Während sich die Flora und Fauna ihre Lebensräume zurückerobert, sind es nur wenige Menschen, die die Katastrophe überlebt haben.

Solche Überlebenden sind Nico und sein Vater Willem Storm, die in einem Truck durch Südafrika reisen, auf der Suche nach anderen Überlebenden und einem Plan in der Hinterhand. So schildert es uns Nico, der als Erzähler fungiert und uns eine Chronik des Untergangs und des Neuanfangs präsentiert. Wer sich hier an Cormac McCarthys Die Straße erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Das Thema vom Vater und seinem Sohn und deren Kampf ums Überleben ist identisch, Deon Meyer aber gelingt trotz der ähnlichen Ausgangslage ein ganz eigenständiger, ebenso unterhaltsamer wie nachdenklicher Roman, der Dystopie, Entwicklungsroman und Mad Max gekonnt verquickt.

Für die Erzählung seiner großen Geschichte (der Umfang fällt mit über 700 Seiten weit aus dem üblichen Rahmen, die Übersetzung besorgte Stefanie Schäfer) wählt Meyer einen besonderen Kniff. Der Großteil der Geschichte wird vom 13-jährigen Ich-Erzähler Nico Storm vorgetragen, der durch oftmalige Sprünge in der Chronik und Vorgriffe für Spannung sorgt. Dieser erzählerische Hauptstrang wird durch Berichte und Rückblenden vieler weiterer Charaktere ergänzt, die ebenfalls beständig zu Wort kommen. Denn Nicos Vater begründet im Lauf des Buchs den Ort Amanzi, an dem er einen Neustart der Gesellschaft versucht. Die Bewohner, die nach und nach Amanzi bevölkern, finden durch das sogenannte Amanzi-Projekt Gehör, das Willem Storm unaufhörlich vorantreibt. Er sammelt und konserviert die Eindrücke und Erfahrungen seiner Mitmenschen um ein möglichst umfassendes Bild der Fieberepidemie und dem Überlebenskampf der Menschen zu gewinnen.

Das alles ist wunderbar gemacht und fließt beständig in die Erzählung Meyers ein, was für Abwechslung und einen nie reißenden Spannungsbogen sorgt. Man beobachtet gespannt den Kampf ums Überleben der Amanzi-Gemeinde und die Spannungen, die sich innerhalb der Mikro-Gesellschaft abzeichnen. Dabei kann man Fever als einen spannenden und packenden Roman lesen, der vom Sterben genauso wie vom Überleben erzählt und der sich trotz seines Volumens wunderbar verschlingen lässt.

Man kann in Fever allerdings noch eine weitere, faszinierende Ebene entdecken, wenn man denn möchte. Denn Fever ist von einem großen Humanismus durchwirkt, der sich vor allem in der Figur des Willem Storm ausdrückt. Wie er zusammen mit seinem Sohn um das eigene Überleben und das der Menschheit kämpft, das gestaltet Deon Meyer eindringlich. Storm glaubt unverrückbar an das Gute im Menschen und die Fortschritte, die die Zivilisation bewirkt hat, auch wenn viele Geschehnisse in Amanzi dieser Hoffnung spotten. Seinem Sohn (und damit auch dem Leser) vermittelt Willem Storm eine nachahmenswerte Philosophie und viel Wissen, das sich wunderbar in den Gesamtkontext einfügt. Denker wie Baruch Spinoza, Yuval Noah Harari oder John Bowlby und deren Theorien sind Antriebsfedern, die Willem Storm und damit auch Amanzi am Laufen halten. Hier zeigt sich, wie Denken und Wissen Zivilisationen voranbringen kann, auch wenn häufig der Nutzen von Philosophie und Ethik in utilitaristischen Kreisen in Abrede gestellt wird. Meyer sieht das allerdings nicht so und bietet dabei am Ende einen interessanten Denkansatz: Ist es vielleicht am Ende eher jene die Philosophie und Ethik, die unsere Gesellschaften bewahren kann, als das technische Wissen und Know-How, das so leicht verlorengehen kann?

Man könnte Deon Meyers Fever fast als eine Art Versuchsanordnung betrachten. Da ist ein Dorf, das im Lauf des Buches wächst, es gibt verschiedene Einflussfaktoren, die das Vorankommen der Gesellschaft mal behindern und mal fördern. Geradezu analytisch ist man als Leser dabei, wenn man beobachtet, wie es sein könnte, nach einem Zusammenbruch den Resest einer Gemeinschaft oder im größeren gedacht, den Neuanfang einer Zivilisation zu versuchen. Dabei ergeben sich viele Fragen, deren Beantwortung nicht Ziel des Buchs ist, sondern nur der Denkanstoß. Wer möchte, kann unzählige dieser Fragen und Dilemmata entdecken: Was macht eine Gesellschaft aus? Was lässt Zivilisationen wachsen, welche Faktoren können die Entwicklung ausbremsen oder zurückwerfen?

Auch wenn ich die Mehr-als-Phrase eigentlich verabscheue (Mehr als ein Krimi oder Mehr als eine Dystopie …), da sie so unspezifisch wie (meist) unzutreffend ist. Hier möchte ich sie trotzdem zur Anwendung bringen. Fever ist mehr als ein Endzeitroman, mehr als ein Thriller. Der Verlag hat dies auch dankenswerterweise erkannt, schlicht prangt das Label Roman auf dem Cover. Natürlich bietet Fever viel Action und Spannung, all das ist unzweifelhaft vorhanden und gut gemacht, allerdings eben auch weit mehr als das. Eine wirkliche Empfehlung und ein wunderbarer Buchtipp für das kommende Weihnachtsfest.

P.S.: Gute Nachrichten gibt es an dieser Stelle auch für alle Bennie-Griessel-Fans. Der neue Band der Reihe mit dem Titel Die Amerikanerin erschient schon im März des kommenden Jahres. Ich bin gespannt, wie es mit Bennie nach dessen Absturz in Icarus weitergeht.

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[…] für 12 Euro? Das passt doch wenig zu den bisherigen Benny-Griessel-Romanen oder seinem Opus-Magnum Fever, das immerhin stolze 700 Seiten umfasst. Nun also dieses schmale Büchlein, das völlig aus dem […]