Joachim Meyerhoff – Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

Lücken des Lebens

Meyerhoff No. 3

Meyerhoff No. 3

Mit Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke stellt Joachim Meyerhoff sein Faible für ungewöhnliche und sperrige Buchtitel nun bereits zum dritten Mal unter Beweis. Dieser dritte Teil seines autobiographischen Romanzyklus‘ Alle Toten fliegen hoch verhandelt nun nach dem seinem Schüleraustausch in Amerika und seiner Kindheit auf dem Gelände einer Psychiatrie in Norddeutschland (Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war) seinen Werdegang als Schauspieler.

Im Alter von 19 Jahren beschließt Meyerhoff aus seiner norddeutschen Existenz auszubrechen und sein Glück am anderen Ende der Bundesrepublik zu suchen. Nachdem er an der Otto-Falckenberg-Schauspielschule seine Aufnahmeprüfung besteht, zieht er bei seinen Großeltern in deren Villa in Nymphenburg ein. Fortan ist sein Leben bestimmt vom Drill der Schauspielerausbildung und den präzisen alkoholischen Ritualen bei seinen Großeltern – oder wie Meyerhoff es formuliert:

„Alkohol spielte im Leben meiner mondänen Großeltern eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle.“ (S. 98)

Genau getaktet sprechen seine Großeltern dem Hochprozentigen zu, während der junge Joachim derweil versucht, in die Fußstapfen seiner schauspielerisch begabten Großmutter zu steigen.

Lücken, wohin man blickt

Meyerhoff No. 2

Meyerhoff No. 2

Lücken gibt es in Meyerhoffs neuen Erinnerungen wieder jede Menge – gottseidank jedoch keine dramaturgischen oder stilistischen.

Die titelgebende Lücke stammt als Zitat aus Goethes Die Leiden des jungen Werther, einem Stück, mit dem Meyerhoff nach viel Warten seine Schauspielkarriere etwas in Schwung brachte. Die größte Lücke von allen ist sicherlich der Verlust seiner Großeltern, eine Lücke, die sich so nie wieder schließen wird.
Auch schwingt der Verlust seines Vaters und seines Bruders, die in den beiden Vorgängerbüchern behandelt wurden, hier wieder mit. Dass dies jedoch bei aller Melancholie nicht ins Traurige kippt, ist dem schriftstellerischen Geschick Meyerhoffs zu verdanken, der zwischen Heiterem und Traurigem gekonnt die Balance zu wahren weiß.
Meyerhoff beherrscht das Spiel zwischen Dur und Moll meisterlich, stets liegt über allem Lachen auch ein wenig Wehmut oder Traurigkeit über das unwiderbringlich Vergangene. So oft wie bei Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke musste ich in letzter Zeit selten lachen. Die bizarren Verhaltensweisen und Dialoge seiner Großeltern sind wirklich geschriebene Slapstickkomöde. Zum Ende hin muss man aber auch das ein um das andere Mal stark schlucken und wird an eigene Verluste und Lücke erinnert, gerade wenn Meyerhoff zärtlich den Abschied seiner Großeltern in Worte fasst.
In dieser Ambivalenz liegt für mich auch eine große Stärke dieses Titels.

Der deutsche Karl-Ove Knausgard

Meyerhoff No. 2

Meyerhoff No. 1

Für mich ist Joachim Meyerhoff mit diesem Buch endgültig zur deutschen Antwort auf Karl-Ove Knausgard avanciert. Wo bei Letzterem Gedankenströme und Empfindungen fast ungefiltert auf den Leser einprasseln, herrscht bei Meyerhoff Struktur und Rhythmus. Nach der Exposition der Trinkrituale seiner Großeltern wechselt er dann von Erinnerungen an das Zusammenleben mit seinen Großeltern zu Schauspielschule-Episoden und zurück.

Das ist handwerklich gut gemacht und man folgt dem Autoren sehr gerne. Die vergnüglichen Kapitel lassen das Buch wirklich wie im Flug vergehen und man sehnt nach der Begehung von Meyerhoffs Lücken den nächsten Band herbei, der aber wahrscheinlich wieder ein paar Jahre auf sich warten lassen wird.
Es ist ein viel verwendeter und schon fast überreizter Allgemeinplatz, hier will ich ihn aber noch einmal bemühen: mit jedem Titel seiner Erinnerungen wird Meyerhoff besser und reift. Wer einmal in Meyerhoffs Kosmos der Erinnerungen eingetaucht ist, möchte diesen nicht so schnell wieder verlassen. Wie der Schauspieler mit seinen Augen für die Skurrilitäten des Lebens schreibt, das ist große Kunst. Ein großartiges Geschenk an Großeltern, Eltern und an sich selbst!
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Wolfgang Klußmann
Wolfgang Klußmann
2 Jahre zuvor

Lieber Herr Müller,

Minuten zuvor schrieb ich einer Freundin, daß ich dank meiner melancholischen Art zwar selten lache, Meyerhoffs „Lücke“ mich aber vielfach dazu genötigt habe – da lese ich in Ihrer Rezension, daß auch Sie lange nicht mehr so viel gelacht hätten, was mich wiederum amüsiert.
Abgesehen von der von Ihnen beschriebenen Balance haben mir auch Meyerhoffs subtile Formulierungen viel Freude bereitet.
Danke für diese kluge Rezension!

Herzlichen Gruß
Wolfgang Klußmann

trackback

[…] in diesem Jahr den Namen Joachim Meyerhoff, worüber ich mich zweifach freute. Erstens, da seine Bücher toll auf dem Abgrund zwischen Komik und Trauer wandeln. Und zweitens, da relativ sicher war, dass […]

trackback

[…] nominierten Titel hatte ich genau einen bereits gelesen und besprochen, und zwar Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. Der Rest ist Schweigen. Das Namen wie Sibylle Lewitscharoff oder Peter Stamm auf der Liste […]