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Philipp Schwenke – Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste

Mythos Karl May: Philipp Schwenke erzählt in seinem Debüt vom Leben des Schöpfers von Old Shatterhand, Winnetou und Co.

Erreichte May mit seinen Erzählungen tausende von Leser*innen und berichtete farbig aus der ganzen Welt, so schaffte er es selbst nur einmal aus Radebeul, seiner sächsischen Heimat, hinaus. Von dieser Reise erzählt Schwenke in Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste.


„Hühnelchen, jetzt hör aber einmal auf!“, rief Emma

„Du musst das jetzt begreifen“, sagte Karl

„Natürlich stimmt es. Es geht hier um eine tiefere Wahrheit.“

(Schwenke, Philipp: Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste, S. 367)

Die Wahrheit ist es, die Karl May in seinem Schaffen anstrebt, zumindest erklärt er das immer wieder seinen Zuhörer*innen, egal ob es sie gerade interessiert oder auch nicht. Dass es May dabei selbst mit der Wahrheit alles andere als genau nimmt, das zeigt Philipp Schwenke in seinem 600 Seiten starken Roman eindrücklich.

Lügner, Phantast, Bestsellerautor

Philipp Schwenke - Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste (Cover)

Denn schon als jugendlicher Lehrer kam May mit dem Gesetz in Konflikt, wovon Schwenkes Prolog Zeugnis ablegt. Über 35 Jahre später begegnen wir ihm im Jahr 1899 wieder, diesmal als gealtertem Mann. Geläutert ist dieser allerdings nicht. Denn bald zeigt Schwenke in seinem Buch in der ganzen Bandbreite , welch ein Fantast dieser Karl May war und blieb.

Keines seiner Abenteuer erlebte der Sachse wirklich, seine Bücher waren alles große Phantasmen, bei denen für May die Grenzen zwischen Realität und Erdachtem fließend waren. So imaginierte er sich selbst als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi und verkaufte die Illusionen seinen Leser*innen, die ihm fleißig glaubten und die Bücher verschlangen. Dass May bei seinen Abenteuern eigentlich immer auf eines Pferdesattel statt vor seinem Schreibtisch saß, hielt man zunächst eigentlich für kaum möglich.

Zwischen Fantasie und Wirklichkeit

Doch was passiert, wenn ein solcher Schreibtischtäter mit seinen gedanklichen Kapriolen und Träumereien plötzlich mit der Realität konfrontiert wird? Das beleuchtet Schwenke in seinem Roman in allen Schattierungen. Diese reichen von komischen Szenen bis hin zu gefährlicher Scharlatanerie. Denn Schwenke verklärt May nicht, sondern zeigt seine Widersprüche und Abgründe. Dass dieser Mann heute noch trotz seiner Dreistigkeit verehrt wird, das verwundert. Denn eigentlich kann man May nichts anderes als einen Hochstapler nennen, der schon fast wahnhaft in seiner eigenen Welt lebte. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Bei Mays Trip durch Orient und Okzident verschwimmen die Grenzen.

Alles andere als ein wüstentrockener Text

Dass aus Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste dabei kein wüstentrockener Text geworden ist, verdankt das Buch einigen schlauen Entscheidungen von Philipp Schwenke. Da ist zunächst die Konstruktion des Buchs, die auf viele Kapitel setzt, die zeitlich hin- und herspringen. So wird die Haupterzählung von den Abenteuern Mays bei seiner Reise immer wieder durch Einschübe unterbrochen.

Seine Schilderungen erzählt Schwenke mithilfe der Erzähltechnik des auktorialen Erzählers, der immer wieder Bezüge herstellt und die Szenerien beschreibt, in denen wir gleich Karl May wiederfinden. Der dabei verwendete leicht historisierende Ton, der zugleich Karl Mays eigene Prosa mit Augenzwinkern karikiert, ist gut gelungen.

Karl May mit Humor

Auch setzt Schwenke ganz bewusst Humor als Stilmittel ein. Manches Mal desavouiert er seinen Großschriftsteller bei seinen Abenteuern. Dabei scheut er auch nicht vor der krachend-deftigen Inszenierung zurück. So zeigt er schon einmal Karl May mit heruntergelassener Hose oder lässt ihn als reumütigen Sünder unter einem Bett hervorkrabbeln. Diesen Humor muss man nicht teilen – aber viele von Schwenkes Einfällen haben mir durchaus ein Schmunzeln oder Lachen entlocken können.  Bei all den bleischweren und an ihrer eigenen Ernstheit tragenden Texten in letzter Zeit eine willkommene Abwechslung.

Wer so wie ich zu den Nachgeborenen zählt, denen sich der Mythos des sächsischen Autors nicht mehr wirklich erschließt, dem sei an dieser Stelle auch das Karl-May-Wiki ans Herz gelegt, das eventuell bei oder nach der Lektüre aufkommende Fragen umfassend beantwortet.

Fazit

Philipp Schwenkes Debüt ist eine gelungene Annäherung an den Mythos Karl May und dabei ein humorvoller und bisweilen wirklich witziger Unterhaltungsroman. Gerne gelesen und gerne empfohlen!


  • Philipp Schwenke – Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste
  • ISBN 978-3-462-05107-0 (Kiepenheuer Witsch)
  • 608 Seiten. Preis: 23,00 €
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Steffen Kopetzky – Risiko

Was für ein Buch: zur See, am Land, von der Adria bis nach Afghanistan – überall dort spielt die Geschichte von Risiko, dem neuen Großroman von Steffen Kopetzy. Mit seiner neuen historischen Erzählung wandelt er mal auf den Spuren Karl Mays, dann schimmert wieder etwas Thomas Mann durch die Zeilen – und stets weiß das Buch glänzend zu unterhalten


Filmreif steigt Kopetzky mit einem Prolog ein, der die Hauptfigur des Romans vorstellt. Sebastian Stichnote, Funker der Kaiserlichen Marine, befindet sich in Afghanistan auf einer tödlichen Mission. Bis der Leser dann versteht, wie es so weit kommen konnte, vergehen mehr als 700 Seiten bester Unterhaltung.

Das große Spiel

Ausgehend von den angespannten Verhältnissen in Europa im Jahr 1914 erzählt Kopetzky von Stichnote, der auf einem Schiff der kaiserlichen Marine seinen Dienst versieht. Ihn verbindet eine Freundschaft mit dem Kommandeur des Schiffs, Karl von Dönitz.

Während sich die kaiserlichen Befehlshaber zunächst noch auf dem Spielfeld des Großen Spiels mit dem Krieg befassen, kommt dieser schneller als erwartet.

Von der Adria nach Konstantinopel führt der Weg von Stichnote zunächst, ehe ihn der Nahostkenner und Diplomat Max von Oppenheim mit einem größenwahnsinnigen Auftrag betraut. Eine Expedition, an der Stichnote teilnimmt, die einen deutschen Dschihad bei den Bewohnern des Iran, Afghanistans und weiterer angrenzender Länder bewirken soll.

Gemeinsam gegen die englischen Besatzer könnte man so das Zünglein an der Waage sein und den Weltkrieg entscheidend beeinflussen. Doch der Weg dorthin ist weit und mit Fährnissen gepflastert. Eine Himmelfahrtsmission beginnt.

Der Deutsche Dschihad

Steffen Kopetzky hat mit seinem ambitionierten Buch viel gewagt – und gewonnen. Der Bilderbogen, den der Autor vom doch recht beschaulichen Durazzo bis hin zum glühend heißen Afghanistan schlägt, ist höchst beeindruckend. Gekonnt schafft es der bayerische Autor, die Stimmungen, die in den unterschiedlichen Settings herrschen, einzufangen und aufs Papier zu bannen. Die Offenheit Istanbuls wird genauso wie die Enge auf den Schiffen Goeben und Breslau hervorragend literarisch ins Buch gebannt und löst großes Kopfkino aus.

Nach langer Zeit gibt es mit Risiko nun endlich mal wieder einen farbenprächtigen Abenteuerroman, der die Konkurrenz von Ken Follett und Co. wie blasse Sepia-Fotografien erscheinen lässt. Mit großer Sprachmacht entfesselt der Autor ein nahezu fantastisch anmutendes Kapitel deutscher Geschichte, das mir in dieser Form völlig neu war. Seine Geschichte bietet zahlreiche Charaktere, Stränge und Motive.

Ein Motiv, das hierbei das komplette Buch durchzieht ist das des Großen Spiels, auch unter dem Namen Risiko bekannt. Immer wieder webt Kopetzky das Spiel, welches schon bald ernst wird, in seine Geschichte ein, genauso wie er einige Charaktere, darunter unter anderem den Vater von Albert Camus auftauchen lässt oder interessante Randbemerkungen einflechtet.

Fazit

Wenn ich meine Top-Drei des Lesejahres bestimmen müsste, dieses Buch ist auf jeden Fall auf der Liste vertreten. Die stilistische Brillanz, der große Bilderbogen, die Atmosphäre – Risiko sticht unter all den Neuerscheinungen dieses Jahres definitiv heraus.


  • Steffen Kopetzky – Risiko
  • ISBN 978-3-608-93991-0 (Klett-Cotta)
  • 731 Seiten. Preis: 24,95 €
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