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Lot Vekemans – Der Verschwundene

Lost in den Rockys. Die niederländische Dramatikerin Lot Vekemans lässt in ihrem Roman Der Verschwundene einen jungen Mann in den Rocky Mountains in Kanada verlorengehen – und blickt auf seine Angehörigen, die der Verlust auseinanderbringt.


Die Rockys, dieses Ziel hat der junge Daan klar vor Augen, als er seinen Onkel Simon in Calgary besuchen kommt. Besuchen ist für den Hintergrund seiner Reise allerdings glatt das falsche Wort. Denn vielmehr gleicht der Besuch dem Versuch einer Abschiebung oder Resozialisierung, der Daans Mutter mit der Reise zu seinem Onkel nach Calgary vorschwebt. Denn Daans Eltern kommen mit ihrem sechzehnjährigen Jungen nicht mehr zurecht und sehen nun in Simon einen rettenden Ausweg, um den Jungen wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.

Aus den Niederlanden nach Kanada

Dabei gibt es allerdings ein kleines Problem: Simon und seine Schwestern haben sich schon lange nicht mehr gesprochen. Simon floh einst vor seiner Familie in den Niederlanden nach Kanada, wo er sich verwirklichen wollte. Seitdem herrscht nun Funkstille zwischen den Parteien, ehe Simons Schwester der verlorene Sohn in Calgary wieder in den Sinn kommt, der damals mit der Familie brach und über den Atlantik nach Kanada aufbrach, um dort Karriere zu machen.

Von einer Erfolgsgeschichte dort in Kanada kann aber wahrlich nicht die Rede sein. Körperlich malade schlägt sich Simon mit Aushilfsjobs und kleineren Tätigkeiten durchs Leben und werkelt in seiner kleinen Wohnung vor sich hin. Mit der Ankunft seines Neffen kommt dieses fragile Gleichgewicht seiner Existenz aber gehörig ins Wanken. Denn wo er sich einigermaßen mit sich und seinem Lebensstil arrangiert hat, bricht nun der Junge unverhofft ins Leben, daddelt den ganzen Tag am Handy und strapaziert die Nerven des an seine Einsamkeit gewöhnten Simon, den er zudem mit seiner Forderung nach einem Besuch der Rocky Mountains malträtiert.

Verloren in den Rockys

Lot Vekemans - Der Verschwundene (Cover)

Nachdem Vekemans die Störung und Neufindung der Balance zwischen Simon und seinem jungen Neffen schildert, gibt sie die Drängen des Jungen nach und schickt diese auf der halben Strecke des Romans dann tatsächlich in die Rockys. Aber auch dort finden die beiden Männer nicht wirklich zu einem Miteinander, im Gegenteil. Trotz der Erfüllung seiner Forderung erweist sich Daan als unnachgiebig und es kommt zu einem Streit und Handgreiflichkeiten. Am nächsten Morgen ist der Junge verschwunden und eine Zeit der Suche und der Unsicherheit beginnt.

Hängt das Verschwinden mit einem anderen Vater/Sohn-Duo zusammen, das Simon und Daan vor kurzem auf ihrer Wanderung in den Bergen kennenlernten? Oder ist Daan etwas zugestoßen, hat er seine Flucht gar geplant? Simon beschließt, neben einer Kontaktierung der örtlichen Polizeibehörde auch Daans Eltern zu kontaktieren, die schnell Richtung Kanada aufbrechen.

In der Folge beobachtet Lot Vekemans das Auseinanderdriften der verschiedenen Parteien. So brechen die alten Gräben zwischen Simon und seiner Schwester wieder auf, die ihm schwere Vorwürfe angesichts des Verschwinden ihres Sohns macht. Für die Polizei rückt zunehmend Simon in den Verdächtigenkreis, nachdem sich die Spuren um das andere Vater/Sohn-Gespann nicht wirklich gut verfolgen lassen. Eine kostenintensive Suche nach dem Jungen im Berggebiet setzt ein – und alle misstrauen sich gegenseitig.

Lot Vekemans zweiter Roman

Lot Vekemans ist niederländische Dramatikerin und erfolgreiche Theaterautorin, deren Stücke auch auf hiesigen Spielplänen stehen. Nach Ein Brautkleid aus Warschau handelt es sich bei Der Verschwundene um den zweiten Roman der Autorin, der von Andrea Kluitmann aus dem Niederländischen ins Deutsche übertragen wurde und der abermals bei Wallstein erscheint.

Es ist ein Buch, das sich sehr schnell wegliest. Der Beginn mit der atmosphärischen Störung in Simons Leben, der zunächst durch den Kontakt mit seiner Schwester und dann durch die Ankunft des Jungen verursacht wird,

Alle Figuren verharren in ihrem Roman etwas statisch. Die Affäre, die sich aus der Suche nach dem Jungen heraus entwickelt, die Hintergründe zum Verschwinden, alles bleibt ein bisschen behauptet und erzählerisch nicht unbedingt sauber herausgearbeitet und begründet. Es ist mehr der Drift der Figuren, der Lot Vekemans interessiert. Die Geschichte selbst löst sich am Ende in sich selbst auf, es bleibt nichts zurück – und auch die Figuren sind als Funktionsträger an die Geschichte gebunden, ohne ein vertieftes Eigenleben zu entwickeln, das über das Buchende hinaus beschäftigen würde.

Es ist wahrlich kein schlechtes Buch, lässt Vekemans Talent zum Spiel mit ihren Figuren immer wieder durchscheinen. Und doch ist es auch ein Buch, das neben seinem letzten Endes banalen Fall des verschwundenen Jungen zu keinen weiteren Themen findet. Man geht auseinander, kommt nach der Ausnahmesituation wieder bei sich an, der Junge fliegt zurück in die Niederlande und Simon kann sich wieder entspannen. Hier fehlt es an einem bemerkenswerten Momentum, an einer Idee, die über die Beschreibung der Ausnahmesituation und der anschließenden Auflösung in Wohlgefallen hinausweist.

Fazit

Von daher ein Buch, das sich gut weglesen lässt, das genau auf soziale Dynamiken eines Duos wider Willen und später auf die Schuldzuweisungen infolge des Verschwindens des Jungen blickt. All das das ist wahrlich nicht schlecht gemacht – von dem Ganzen bleibt aber zumindest bei mir nicht allzu viel Bemerkenswertes zurück.


  • Lot Vekemans – Der Verschwundene
  • Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
  • ISBN 978-3-8353-5534-7 (Wallstein)
  • 266 Seiten. Preis: 22,00 €
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Eberhard Rathgeb – Cooper

Eberhard Rathgeb hat ein verrätseltes, bedrohliches und sehr dünnes Büchlein vorgelegt (lediglich 124 Seiten zählt die Monographie), das vom Eindringen des Irrationalen ins ganz normale Leben berichtet. Seine Novelle dreht sich um eine durchschnittliche vierköpfige Familie, die eigentlich nur in einem Ferienhaus auf dem Land ein paar Tage Urlaub verbringen möchte – doch dann kommt alles ganz anders als geplant.

Rathgeb_Cooper_MR.inddDie Familie begegnet schon auf der Hinfahrt an einer nahezu verlassenen Tankstelle einem Jungen und – der gute alte Aberglauben funktioniert immer noch – einer schwarzen Katze. Diese taucht auch nach der Weiterfahrt gleich wieder am Ferienhaus auf und kündet damit von bald nahendem Unglück. Und dieses lässt nicht lange auf sich warten, denn während der Vater und seine beiden Töchter sich auf den Weg zu einem Badesee im Wald machen, sucht die Mutter im Ferienhaus etwas heim, das sie auch Jahre später nicht loslassen wird.

Immer wieder unterbricht Rathgeb seine Geschichte und vollzieht Zeitsprünge. Mit seiner Affinität zu verschachtelten Sätzen und indirekter Rede reichert er seine eigentlich recht kompakte Geschichte an. Er setzt mehrere Zäsuren, ändert die Erzählperspektive – all das unterbricht natürlich den linearen Erzählfluss und sorgt dafür, dass der Leser immer wieder das Geschehene überdenken und neu bewerten muss. Dabei deutet Rathgeb nur an, nie wird er ganz explizit, was die Verrätselung des Buchs noch einmal erhöht. Diese unruhige und beunruhigende Novelle raunt viel und löst dennoch nichts auf. Unbequem!

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