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Simone Buchholz – Unsterblich sind nur die anderen

Befinden wir uns an Bord des Fliegenden Holländers oder doch eher im Inneren eines Buddelschiffs? Simone Buchholz wagt in Unsterblich sind nur die anderen die Abkehr von ihren Chastity Riley-Krimis und schickt ihre Figuren auf einen ebenso skurrilen wie verwirrende Reise an Bord der MS Rjúkandi, einer Art schwimmendes Hotel California.


Eines vorweg: wer eine Literatur der Eindeutigkeit schätzt, der dürfte an diesem Buch wenig Freude haben. Denn wo sich Chastity Riley bei ihren Ermittlungen, Flirts und Abstürzen noch auf dem festen Boden des Hamburger Hafens und drumherum bewegte, so ist der Untergrund dieser Geschichte mehr als schwankend.

Von Aalborg bis nach Island

Alles beginnt mit zwei Frauen namens Malin und Iva, die an Bord der Fähre MS Rjúkandi einchecken, um eine Überfahrt mit der Nordseefähre von Aalborg bis nach Island anzutreten. Schon die Unterkunft in einem Hotel ganz ohne Bewertungen setzt den Ton für die folgenden Ereignisse.

Die blaue Leuchtreklame des Hotels war exakt genauso hoch wie der zweistöckige Bau, dem sie aus dem Kopf wuchs. Das Teil schüttete kaltes Licht über den Strand und über die erste Reihe der Wellen. Der Nebel hatte sich verzogen, die Luft war klar und knisterte auf den Lippen.

Desperate Rooms„. Iva zog an ihrer Zigarette und tippte mit dem Mittelfinger an Malins Stirn. „Ernsthaft?“

Simone Buchholz – Unsterblich sind nur die anderen, S. 14 f.

Das Motiv der Einsamkeit und der leichten Verrückung der Realität ist ein Markenzeichen des ganzen Buchs, dessen Geschehen sich dann an Bord der MS Rjúkandi verlagert. Dort wollen die beiden Frauen den Spuren ihrer Freunde Tarik, Mo und Flavio nachgehen, die mit ebenjener Fähre vor einigen Wochen reisten, deren Spur sich aber im Nichts verliert.

Irgendetwas an Bord stimmt nicht

Simone Buchholz - Unsterblich sind nur die anderen (Cover)

Und so begeben sich die Frauen an Bord und lernen neben dem Schiffsmusiker Ola die Besatzung des Schiffs kennen, bei der sich das Gefühl der Entrücktheit von der Realität fortsetzt. Die Crew an Bord besticht durch unfassbar gutes Aussehen, besonders der Kapitän namens Richard William Jones hat es Iva mit seiner Attraktivität und Aura angetan.

Je länger sich der Aufenthalt an Bord der Rjúkandi hinzieht, umso deutlicher werden die Zeichen, dass hier an Bord etwas nicht stimmen kann. Nicht nur, dass nach dem Ablegen der Fähre das Hotels mitsamt seiner Desperate Rooms verschwunden zu sein scheint, auch mit der Besatzung des Schiffs stimmt etwas nicht. Und als Iva dann den Versuch eines Abgangs von Bord unternehmen möchte, muss sie feststellen, dass die Weisheit des alten Eagles-Klassikers Hotel California einmal mehr zutrifft: „You can check out any time you like, but you can never leave“.

Meeresgöttinnen, der Fliegende Holländer und knackige Dialoge

Unsterblich sind nur die anderen ist ein Buch, das mit vielen ganz unterschiedlichen Motiven und Stilen spielt. Denn neben den gewohnt knackigen Buchholz-Dialogen und pointierten Beschreibungen sind es auch Tagebucheinträge und lyrische Zwischenpassagen, die das Geschehen ergänzen. Hier sprechen Meeresgöttinnen wie die Nereiden oder werden Legenden wie die der keltischen Meerjungfrau Lí Ban neu interpretiert.

Das Ganze verschränkt Buchholz mit einer teils kafkaesken, teils fantasy-haften Erzählung von Bord der MS Rjúkandi, in der die 1972 geborene Autoren alle möglichen Seemythen zitiert. Das reicht vom Fliegenden Holländer über die Titanic bis hin zu traurigen Legenden wie der des Schiffes St. Louis oder einer Neuinterpretation des Bermudadreiecks, das sich bei Buchholz zwischen Aalborg, Torshavn auf den Färöern und Seydisfjördur auf Island erstreckt.

Insgesamt ist Unsterblich sind nur die anderen ebenso anspielungsreich wie auch rätselhaft. Die Schilderungen der (Irr)Fahrten der MS Rjúkandi ergeben gerade in Zusammenhang mit dem vorgeschalteten Buddelschiff-Prolog viele Interpretationsmöglichkeiten, bei denen sich für mich keine eindeutige Lesart angeboten hat. Vielmehr glich mein Leseerlebnis dem Lauschen von Sprechen oder Singen unter Wasser. Vieles von der Sprache bis hin zu den Motiven wirkt vertraut – und dennoch ist dieses modern interpretierte Seemannsgarn letzten Endes zumindest für mich nicht ganz aufzulösen.

Frappant auch, wie sich das Meermotiv in diesem literarischen Herbst durch die Neuerscheinungen vieler weiterer Autor*innen zieht. So interpretiert etwa Monique Roffey in Die Meerjungfrau von Black Conch den Meerjungfrauen-Mythos neu, Theresia Enzensberger schickt eine junge Frau auf eine rätselhafte schwimmende Seestatt in der Ostsee oder Mariette Navarro beschert ihrer Kapitänin eines Frachters bei ihrer Fahrt Über die See einige mysteriöse Erlebnisse. Gerade mit letzterem Werk weist Unsterblich sind nur die anderen in meinen Augen durchaus einige Berührungspunkte auf, ist es doch ebenso rätselhaft und eindringlich wie Buchholz‘ Prosa.

Fazit

Unsterbliche Kapitäne, eine segelnde Schiffsbesatzung, ungewöhnliche Meerjungfrauen und ein Schiff, das kein Entkommen bietet. Das sind nur einige der Einfälle, die Simone Buchholz in Unsterblich sind nur die anderen aufbietet und so mit ihrem modernen Seemannsgarn ein ebenso rätselhaftes wie luzides Leseerlebnis schafft.

Weitere Meinungen zum Buch gibt es auch beim WDR und im NDR.


  • Simone Buchholz – Unsterblich sind nur die anderen
  • ISBN 978-3-518-47276-7 (Suhrkamp)
  • 265 Seiten. Preis: 18,00 €
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Drei Kurze (Kritiken)

Schon länger gab es in dieser Kategorie keinen neuen Beitrag mehr. Nun also Nachschub mit drei Büchern, die mich in völlig unterschiedliche Regionen der Welt führten. Durch den Klick auf die Cover gelangt man wie immer zur den Verlagspräsenzen der Bücher.

Chigozie Obioma – Das Weinen der Vögel

Chigozie Obioma - Das Weinen der Vögel (Cover)

Einen ganz besonderen Erzähler präsentiert der Nigerianer Chigozie Obioma in seinem Roman Das Weinen der Vögel. Hier erzählt kein Mensch, sondern ein Schutzgeist, ein Chi. Dieser hält vor dem Gericht der Geister sein Plädoyer für die Unschuld seines Klienten. Denn dieser hat schwere Schuld auf sich geladen, wie wir schon zu Beginn des Romans erfahren. Allmählich erzählt der redegewandte Schutzgeist die Lebengeschichte des nigerianischen Hühnerzüchters Chinonso. Einst in Liebe zu einer gesellschaftlich höherstehenden Frau entbrannt, setzte diese Liebe eine verhängnisvolle Ereigniskette in Gang.

Der Wunsch nach Bildung und sozialem Aufstieg trieb Chinsonso um, der seiner Angebeteten auf Augenhöhe begegnen wollte. Sozial ausgegrenzt warf er sein gesamtes Vermögen in die Wagschale, um auf Zypern zu studieren. Doch ohne zu viel vorweg nehmen zu wollen – sein Streben nach sozialem Aufstieg nahm kein gutes Ende. Und so sind wir dabei, wie der Chi sein Plädoyer hält, eng verwurzelt in der mündlichen Erzähltradition Nigerias und der Theologie der Igbu.

Ein Buch, das durch seine außergewöhnliche Erzählinstanz besticht und das von einem Schicksal erzählt, das exemplarisch für viele andere steht. Erzählkunst, die für den Booker Prize 2019 nominiert und jüngst mit dem Internationalen Literaturpreis 2020 ausgezeichnet wurde (übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner)

Agnete Friis – Der Sommer mit Ellen

Alles andere als ein typischer Sommerroman ist das Buch Der Sommer mit Ellen von Agnete Friis. 2018 als bester dänischer Roman des Jahres nominiert kann man das spannende Buch nun in der deutschen Übersetzung von Thorsten Alms entdecken.

Sommer in der Provinz von Jütland 2018. Da entstehen Bilder in Kopf, von wogendem Weizen, Fahrradfahrten durch die heißen Nachmittage zum nächsten See. Wache Nächte, strahlender Himmel und Tage, die nie zu enden scheinen. Eben ganz so, wie es das Cover dieses Romans suggeriert. Aber dem ist hier mitnichten so. Vielmehr gleicht dieser Sommer, den Agnete Friis in ihrem Roman schildert, der drückenden Schwüle kurz vor einem Gewitter. Vor vierzig Jahren verlebte Jakob Errbo einen Sommer in der jütländischen Provinz, der ein prägender werden sollte. Er lernte Ellen kennen, die zunächst in einer benachbarten Kommune und dann auf dem Bauernhof seiner Familie lebte. Die Schwester seines Freundes verschwand. Ein Mord ereignete sich. Und nun ist Jakob auf Bitten seiner Onkel vierzig Jahre später zurück auf dem Hof. Die Onkel wollen wissen – was mit Ellen passiert ist. Und Jakob macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, die Jahrzehnte verborgen blieb.

Düster, dräuend, hypnotisch, machmal etwas zu gewollt, aber insgesamt wirklich gekonnt. Agnete Friis liefert in Der Sommer mit Ellen einen Anti-Sommerroman ab, der die Brüchigkeit der eigenen Erinnerung thematisiert.

Sasha Filipenko – Rote Kreuze

Diogenes wagt den Blick nach Osten. Nachdem früher die russischsprachige Belletristik fester Bestandteil des Verlags war, geriet sie in letzter Zeit etwas aus dem Fokus. Nun hat man mit Sasha Filipenko wieder einen jungen weißrussischen Autor unter Vertrag genommen. Dieser erzählt in Rote Kreuze zwei sich – kreuzende – Lebensgeschichten (übersetzt von Ruth Altenhofer).

Da ist zum Einen die des jungen Vaters Alexander, der eine Wohnung in einem weitestgehend leerstehenden Haus bezieht. Nachdem im Treppenhaus und an anderen Stellen rote Kreuze auftauchen, macht Alexander zum Anderen die Bekanntschaft mit der Frau, die für die Kreuze verantwortlich ist. Es handelt sich um Tatjana Alexejewna. Die Erinnerungen der hochbetagten Dame drohen dem Vergessen anheim zu fallen. Die Demenz greift um sich – und so erzählt dem zunächst noch recht widerwilligen Alexander ihre Lebensgeschichte. Und diese ist nicht anders als spektakulär zu nennen. Schließlich hat Tatjana einen Großteil des vergangenen Jahrhunderts erlebt.

Leider ist diese Fülle an Erlebtem auch ein Problem dieses Textes. Denn um sich sorgfältig diesem Jahrhundertleben mit all seinen Bildern und Schrecken zu widmen, ist mehr als nur eine oberflächliche Erzählung über gerade einmal 288 Seiten notwendig. Alle Wegmarken ihres Lebens touchiert Filipenko nur, ohne ihnen den gebührenden Raum zum Wirken zu geben. So bleibt am Ende leider ein etwas gehetztes und eben auch – oberflächliches – Buch, von dem ich mir mehr Tiefe gewünscht hätte. Gewiss, keine schlechte Lektüre – aber eben auch kein Buch, das mir länger im Gedächtnis bleiben wird.

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Jan Christophersen – Ein anständiger Mensch

Anstand, was heißt das schon? In diesen Tagen, in denen Unwahrheiten, Poltereien und Verächtlichmachung der Gegner schon politisch vorgelebt werden, hat es eine vermeintlich altmodische Tugend schwer. Doch Steen Friis hält die Fahne des Anstandes hoch. Wie eine Mischung aus Axel Hacke, Asfa Wossen-Asserate und Richard David Precht wirkt dieser Friis, der mit Büchern und Talkshowauftritten sein Geld gemacht hat. Längst hat er große Berühmtheit erlangt und ist vielgefragter Gast in den Medien. Sein Lebensthema dabei stets: Der Anstand und das, was sich gehört. Beziehungsweise das, was sich nicht gehört.

Unzählige Sachbücher und Ratgeber hat er zu diesem Thema verfasst. Entstanden sind sie alle auf einer kleinen dänischen Insel, auf die sich Friis zum Schreiben zurückzieht. Ein ausgebautes Ferienhaus als Schreibklause, das Meer gleich vor der Haustür und kein Internetanschluss. Mehr braucht Friis nicht, um produktiv zu sein.

Mit der Idylle auf der Insel ist es aber schon zu Beginn des Buchs nicht weit her. Denn Gäste haben sich angekündigt. Ein befreundetes Paar kommt Friis und seine Ehefrau besuchen. Er IT-Administrator, sie Friis‘ Agentin. Zusammen wollen die beiden Paare ein paar schöne Tage auf der Insel verbringen. Natur und hyggelige frokost, da seufzen Skandinavien-Liebhaber*innen beglückt auf. Doch so idyllisch, wie sich die Szenerie anfangs ausnimmt, ist es dann natürlich nicht. Denn Friis Frau offenbart ihm, dass sie sich zum anderen Mann hingezogen fühlt. Und auch Friis‘ Agentin und er pflegen ein Verhältnis, das nicht unbedingt anständig zu nennen ist. Bei einem abendlichen Pilz-Essen eskaliert dann die Lage – und zwar gehörig.

Die Frage nach Anstand und Moral

Jan Christophersens Roman erinnerte mich von der Anlage stark an Ian McEwans Kindeswohl. Hier wie da steht ein Mensch im mittleren Lebensalter im Mittelpunkt, den der offen ausgesprochene Wunsch des Ehepartners nach amouröser Abwechslung mit einem anderen Partner völlig aus der Bahn wirft. Ein weiterer Berührungspunkt ist die Frage nach Moral und Ethik, die beiden Büchern zugrunde liegt. Was darf man, was ist gerechtfertigt? Wo sind die Grenzen des Anstands erreicht? Wo McEwans Roman eine tiefenscharfe Auslotung der moralischen Fragen, die im Laufe der Handlung aufgeworfen werden, gelingt, schafft dies Christophersen in seinem Buch nur bedingt. Zwar wird die Frage nach Anstand und dessen Grenzen angeschnitten, wirklich angegangen wird sie nicht. Stattdessen legt Christophersen Wert auf das Vorantreiben der Handlung.

Man freut sich auf einen Abend bei Essen, der Yasmina-Reza-haft eskaliert, doch dann bricht diese Schilderung wieder recht hastig ab, um dann einige Zeit später in Hamburg fortgesetzt zu werden. Gerade von dieser Konfrontation der Paare hätte ich mir viel erhofft. Einsichten in die emotionale Seelenlage der Protagonist*innen, überraschende Geheimnisse, die sich offenbaren, umschwingende Sympathien und Antipathien. Stattdessen flüchtet sich Steen nach der finalen Konfrontation wie ein pubertärer Trotzkopf ins Bettchen und verrammelt die Türe seines Schlafgemachs.

Nicht ganz ausgeschöpftes Potential

Dieser Abend und der gesamte Aufenthalt auf der Insel hätte in meinen Augen deutlich mehr Potential zu dramatischer und philosophischer Ausgestaltung besessen. Stattdessen spielt das letzte Drittel des Romans wieder in Hamburg und bricht damit die Einheit von Zeit und Ort, die Christophersen vorher aufgebaut hat. Auch die Möglichkeiten des unzuverlässigen Erzählers, die Christophersen ab und an aufblitzen lässt, schöpft er nicht wirklich aus. Um sich wirklich nachhaltig in meinem Kopf zu verankern fehlt diesem Buch in meinen Augen die Tiefe. Statt die ethischen Fragen und die Hintergründe der vier beteiligten Personen facettenreich zu beleuchten, verlegt er sich auf die Schilderung von Äußerlichkeiten. Diese gelingen ihm auch besonders in Bezug auf die Schilderung der Natur auf der dänischen Insel ganz hervorragend. Aber mehr bietet dieses sprachlich solide Roman in meinen Augen nicht. Kann man auf alle Fälle lesen, gelungener ist in meinen Augen nach wie vor Ian McEwans Kindeswohl.


Weitere Besprechungen des Buchs findet sich beim Kulturjournal von Fräulein Julia und bei Hauke Harder vom Leseschatz.

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Peter Høeg – Der Susan Effekt

The Great Danish Family

Susan Svendsen ist eine mehr als ungewöhnliche Frau: sie ist Experimental-Physikerin, hat eine Vorliebe für das physikalisch korrekte Kochen und Backen und spielt die Hauptrolle in Peter Høegs neuem Roman Der Susan-Effekt.
http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/der-susan-effekt/978-3-446-24904-2/
Nach seinem Welterfolg Fräulein Smillas Gespür für Schnee handelt es sich nun bei seinem neuen Roman wieder um eine Mischung aus Thriller und philosophischem Roman, der eine starke Frauenfigur in den Fokus stellt. Der titelgebende Susan-Effekt wurde dabei von Susans wissenschaftlicher Ziehmutter Andrea Fink entdeckt, die erstmals ein Phänomen klassifizierte, das Susan umgibt: sämtliche Menschen in Susans Umgebung geben im Gespräch mit ihr nämlich das Innerste preis, ähnlich wie bei einem Wahrheitsserum. Und dieser Effekt ist es auch, der die Dänische Regierung brennend interessiert, da er Susan für eine ganz bestimmte Mission prädestiniert. Sie soll sich auf die Suche nach verschwundenen Dokumenten der sogenannten Zukunftskommission machen. Wie Susan langsam herauszufinden beginnt, hat diese Kommission nämlich vor Jahrzehnten zahllose Prognosen und Vorhersagen gemacht, die nahezu komplett so eintraten. Doch während Susan mit Hilfe ihrer hochkriminellen Great Danish Familiy den Dokumenten und Mitgliedern auf die Spur zu kommen versucht, sterben die Mitglieder der Zukunftskommission hintereinander.
Peter Høeg hat einen Roman geschrieben, der Elemente eines Thrillers mit physikalischen Erklärungen und philosophischen Betrachtungen paart. Seine Heldin Susan Svendsen ist dabei eine Alleskönnerin, die mit dem Kuhfuß in ihrer Tasche genauso umzugehen weiß wie mit Männern oder kalibrierten Herden.
Diese fast übermenschlich anmutendende Heldin strapaziert mit ihren ellelangen Ausführungen zu physikalischen Phänomenen und Ähnlichem die Geduld des Leser das ein um das andere Mal. Dann gibt es aber auch wieder Passagen, die zum Nachdenken anregen oder innehalten lassen.
Realismus ist Peter Høegs Sache aber nicht: was Susan angeht, das gelingt ihr. Sie entgeht professionellen Killern, schafft es, im Getriebe der Macht zu bestehen und sogar die Croissants im Backofen gehen bei ihr auf. Glaubwürdig ist an Der Susan-Effekt nahezu nichts.
Das Showdown-Ende in bester James-Bond-Manier lässt den Roman, der Potential zu etwas Ungewöhnlichem gehabt hätte, leider dann doch sehr konventional und fast ein wenig enttäuschend enden.
Generell liegt das Problem des Buchs in seinem Bogen, den Høeg zunächst sehr groß anlegt (die Zukunftskommission, Morde an den Mitgliedern, die Lebensgeschichte von Susans Familie, die Leichen im Keller der dänischen Politik, etc.), dann aber nicht konsequent auserzählt. Stränge laufen ins Leere und für den Budenzauber, den er betreibt, endet das Ganze dann höchst profan.
Ein Lob an dieser Stelle gebührt der Lesung durch Sandra Schwittau. Die ungekürzte Lesung wird von der Schauspielerin mit Nüchternheit, manchmal auch sanfter Ironie oder knallharter Strenge vorgetragen. Sie verleiht Susan Svendsen eine schroffe, markante Stimme. Eine gute Wahl für das neun CDs und über elf Stunden umfassende Werk des dänischen Starautoren!

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Anna Grue – Die guten Frauen von Christianssund

Der kahlköpfige Detektiv

Der dänische Krimi scheint in diesem Herbst Hochkonjunktur zu haben: Das neue Werk von Jussi Adler-Olsen erschien, Jesper Stein startete mit seinem Ermittler eine neue Krimireihe und auch Anna Grue lässt einen Ermittler auf das kleine Land los (übersetzt von Ulrich Sonnenberg).

In der von ihr ersonnenen Stadt Christianssund lebt und arbeitet der kahlköpfige Kreative Dan in einer Werbefirma. In eine depressiven Phase, die er gerade durchlebt, platzt die Info eines Leichenfundes just in Dans Firma. Als Insider hilft er seinem guten Freund, dem Kommissar Flemming Torp, bei den Ermittlungen und wird so zum Detektiv wider Willen.

Obwohl die Erzählung von Anna Grue nicht mit unangenehmen Details geizt, gelingt es der Autorin, das Flair einer hellen und typisch skandinavischen IKEA/Midsommmer-Atmosphäre über ihren Roman zu legen. In Die guten Frauen von Christianssund erzählt sie in der Tradition der skandinavischen Krimiliteratur nicht nur vom Verbrechen, sondern verknüpft das Ganze mit einer großen Prise Sozialkritik.

Mit Dan Sommerdahl steht ein Ermittler im Mittelpunkt, der trotz seiner Depression eigentlich durch das Raster des typischen skandinavischen Ermittlers rasselt: intaktes Sozialleben, attraktives Aussehen und eine Portion Humor – eher ungewöhnlich in einer Welt voller geschiedener und alkoholabhängiger Ermittler. Und so ist Die guten Frauen von Christianssund der Auftakt einer mehrbändigen Reihe (der zweite Band Der Judaskuss erscheint schon bald), der auch für Leser von Donna Leon oder Martin Walker geeignet sein dürfte!

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