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T. C. Boyle – Blue Skies

Erst gibt es Häppchen und Hochzeit, dann kommt die Apokalypse. T.C. Boyle exerziert in Blue Skies die Auswirkungen der Klimakatastrophe im Privaten durch – und erzählt so auch von der großen gesellschaftlichen Ignoranz, mit der wir diesem Thema nur zu gerne begegnen.


Es ist ein Gefühl, das der Filmemacher Adam McKay im vergangenen Jahr mit seinem vielbesprochenen Werk Don’t look up adressierte. Da nähert sich ein Asteroid mit zerstörerischer Kraft unaufhaltsam der Erde – doch die Menschen ignorieren die Warnungen der Wissenschaftler, flüchten sich in Ignoranz, lassen sich von der Politik in trügerische Sicherheit wiegen und stecken den Kopf in den Sand. McKays Werk wurde vielfach als Allegorie auf den Klimawandel gelesen – und unseren Umgang mit der Katastrophe, in die wir sehenden Auges steuern und doch unser Verhalten nicht ändern wollen.

Auch der amerikanische Bestsellerautor T.C. Boyle widmet sich in seinem neuesten Roman Blue Skies diesem Thema, obschon der Beginn seines Roman noch nicht wirklich in diese Richtung weist.

Influencerinnen und Insektenmehl

T. C. Boyle - Blue Skies (Cover)

Da ist die junge Cat, die sich aus Langeweile und einem spontanen Impuls heraus eine Schlange zulegt. 300 Dollar bezahlt sie für ein Python, dazu noch ein Terrarium und „Flauschies“ genannte tiefgefrorene Mäuse als Nahrung. Wirkliche Erfahrung hat sie mit Tieren bislang noch nicht gesammelt und doch erscheint ihr die Schlange als adäquater Gefährte, die sie auch ihrem Karriereziel als Influencerin näherbringen könnte. Zusammen mit ihrem Freund Todd lebt sie in Florida. Dieser scheint sich mehr für sein Auto als für Cat zu interessieren und ist als Markenbotschafter eines Rumherstellers immer unterwegs, um Partys zu schmeißen und für einen florierenden Absatz der Marke zu sorgen.

Zwei weitere Figuren stellt T. C. Boyle neben diesen recht oberflächlichen Millenials in den Mittelpunkt von Blue Skies, deren familiäre Verknüpfungen erst langsam zutage treten. Da ist Cooper, der als Entomologe arbeitet und sich der Erforschung der Insekten und der klimawandelbedingten Veränderungen untersucht. Er hat seine Mutter Ottilie für eine nachhaltige Lebensweise sensibilisiert – und so hat sich diese nun ein Grillenfarm bestellt und versucht im Stil einer aufgeklärten und naturbewussten Arztgattin, die sie tatsächlich ist, ihr gesamtes Umfeld missionarisch vom Verzehr von Insekten zu überzeugen. Während sowohl Mutter als auch Sohn in Kalifornien zahlreiche Rückschläge im Kampf für Naturschutz und den Arterhalt hinnehmen müssen, beharrt die Tochter Cat stoisch auf einem Verbleib im Hochrisikogebiet Florida.

Hochzeit und Klimakatastrophe

Als sich alle Familienmitglieder nun zur Hochzeit von Cat und Todd im elterlichen Haus in Kalifornien versammeln, wird die vorher nur punktuell angedeutete Klimakatastrophe dann aber in ihrer ganzen Wucht erfahrbar. Denn der eigentlich als Traumhochzeit geplante Termin entwickelt sich schnell zum veritablen Desaster.

Sie standen dicht gedrängt im Flur, in der Küche und in den drei Zimmern im Erdgeschoss, umklammerten Sektflöten und Cocktailgläser, fragten sich, wo das Essen war, und versuchten, sich einzureden, dass sie eine großartige Hochzeit erlebten. Die Leute saßen auf Sofa- und Sessellehnen und auf der Treppe in den ersten Stock, umarmten ihre Knie oder hatten die Beine sittsam untergeschlagen. Der Wind war allgegenwärtig und fegte zischend und brausend wie eine einfahrende U-Bahn über das Haus hinweg.

Ein Hagel aus kleinen Partikeln prasselte gegen die Fenster, und hin und wieder schlug etwas Schweres mit einem dumpfen Poltern auf das Dach. Cat war aufgelöst, verzweifelt, drei viertel betrunken und der zerflossene Mittelpunkt des Ganzen. Sie sagte immer wieder, es sei wie ein Hurrikan, dabei hatte sie, soviel er wusste, noch nie einen erlebt – noch nicht jedenfalls. Die Fenster erbebten. Alle schwitzten.

T. C. Boyle – Blue Skies, S. 143

Der Räucherlachs fliegt von den knusprigen Kartoffelküchlein, die Caterin weigert sich „in einem Windkanal“ Essen zu servieren und dann drohen auch noch Buschfeuer das elterliche Haus zu vernichten. Es bleibt nicht die einzige Katastrophe, die T. C. Boyle in Blue Skies inszeniert.

Grün ist die Hoffnung nicht mehr

Später wird Ottilie der kurz vor ihrer Niederkunft stehenden Cat zur Seite eilen, wobei dieser Kampf gegen Zeit und Naturkräfte fast dem in Friedrich Schillers Ballade Die Bürgschaft gleicht. Überschwemmung, Unwetter mit Flugzeugturbulenzen, Insekten die zur lebensbedrohlichen Gefahr werden – die Gefahren für alle Beteiligten nehmen immer mehr zu. Und doch ändern die Figuren ihr Verhalten nicht. Das Wegschauen und ein wenig grünes Bewusstsein, damit wird man auch durch diese Krise kommen, so das Gefühl, das über Blue Skies schwebt und mit dem die reihum oberflächlichen Figuren der Katastrophe eben auch in aller Oberflächlichkeit begegnen, denn Klima wandelt sich halt irgendwie immer, so scheint die schulterzuckende Antwort der Figuren auf die Katastrophen zwischen den Zeilen auf.

Damit trifft T. C. Boyle sehr gut einen aktuellen Zeitgeist, der trotz klarer Datenlage und spürbarer Auswirkungen des Klimawandels auch hierzulande lieber auf Bequemlichkeit und ein Weiter so statt auf notwendiges und schnelles Umsteuern setzt. Im Gewand eines Familienromans macht Boyle die bevorstehenden Veränderungen spürbar – und doch setzen ihm seine Figuren nichts entgegen. Allen voran die Möchtegern-Influencerin Cat und ihr „Rumtreiber“ Todd sind Figuren, die man am liebsten einmal kräftig schütteln möchte und die man in dieser charakterlichen Anlage von anderen Werken T. C. Boyles wie etwa Grün ist die Hoffnung kennt.

Nur gibt es knapp 40 Jahre seit diesem Werk Boyles nun eben keine große Hoffnung mehr, weder fürs Grün noch für Grüne. Denn ein bisschen Grillenmehl oder ein Bienenvolk im eigenen Garten werden die Katastrophe so nicht aufhalten – auch wenn es sich gut anfühlt, das vermeintlich Richtige zu tun. Ohne mehr Radikalität wird das alles nichts. Das zeigt T. C. Boyle in Blue Skies sehr deutlich, besonders da er durch die Form des Familienromans seine (ökologische) Botschaft besonders deutlich hervortreten lässt, in dem er durch das Private zum gesellschaftlichen großen Ganzen vorstößt. Climate Fiction ohne viel Hoffnung oder: Apokalypse ahoi!


  • T. C. Boyle – Blue Skies
  • Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
  • ISBN 978-3-446-27689-5 (Hanser)
  • 400 Seiten. Preis: 28,00 €
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Mark Billingham – Die Lügen der Anderen

Die Luegen der Anderen von Mark Billingham

Die Lügen der Anderen von Mark Billingham

Drei Pärchen aus England, ein Mord in Florida und einer der sechs Menschen, der nicht ist, was er zu sein scheint. Dies ist die Grundidee hinter dem neuen Roman des britischen Krimischriftstellers Mark Billingham. Dieser schrieb bislang Krimis mit dem Ermittler Tom Thorne, ehe er nun inhaltlich und formal etwas Neues ausprobierte.

Die Lügen der Anderen erzählt von drei durchschnittlichen englischen Mittelstandspärchen, die es sich zwischen Hauskauf, Kindern und täglichem Job bequem eingerichtet haben. In einem Urlaub in Florida lernen sich die drei Pärchen per Zufall kennen und verstehen sich auf Anhieb recht gut. Doch inmitten dieser ganzen Idylle passiert am letzten Tag ihres Aufenthalts in Florida dort ein Mord. Ein behindertes Mädchen verschwindet zunächst und wird dann tot aufgefunden. Schnell wird klar, dass einer der sechs Engländer hinter dem Mord stecken muss, doch die Frage ist nur –  wer? Welcher der britischen Bürger wahrt eine trügerische Fassade, hinter der sich ein kaltblütiger Mörder versteckt? Continue reading

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Dennis Lehane – Am Ende einer Welt

In der Hitze des Südens

Joe Coughlin ist wieder da. Nach dem Herzschlag-Finale des großartigen und nicht hoch genug zu lobenden Buchs In der Nacht zeigt uns Dennis Lehane, wie es dem Alkoholschmuggler und Mafia-Lenker in Tampa, Florida, ergangen ist.

Mittlerweile hat Joe den Verlust seiner Frau Graciela einigermaßen überwunden und versucht seinem inzwischen 10-jährigen Sohn Thomas ein guter Vater zu sein. Er steht nicht mehr an der Front der Alkoholschmuggler sondern hat sich in der Rolle des Consigliere der ehrenwerten Gesellschaft einen Platz in der Gesellschaft Floridas erobert. Als Ratgeber ist er immer noch hochgeachtet und ein wichtiger Teil des Gesellschaftsleben. Vom Bürgermeister bis zum Mafiagangster suchen alle gerne die Nähe Joes, gerade da der Krieg in Europa tobt. Die Mafia-Unternehmen stehen durch Joes Weitsicht gut da und er verspricht finanzielle Sicherheit. Ein wichtiger Aspekt, der ihn unverzichtbar für die sämtliche Strippenzieher macht.

Da platzt eine Nachricht in Joes Leben, die alles auf den Kopf zu stellen droht. Angeblich wurde eine Auftragskiller auf ihn angesetzt, der Joe ins Jenseits befördern soll. Doch wer hat ein Interesse daran, den Consigliere des Bartolo-Syndikats tot zu sehen? Joe beginnt nachzuforschen, erkennt aber beinahe zu spät, wer in seinem Umfeld ein falsches Spiel spielt. Kann er seinen Feinden noch rechtzeitig zuvorkommen oder ist für Joe diesmal alles verloren?

Eine unerwartete Fortsetzung

Eigentlich dachte ich, dass Dennis Lehane mit Joes Schicksal abgeschlossen hatte. Umso mehr erfreute mich die Ankündigung des Diogenes-Verlags, dass es mit Joe und seinem Sohn Thomas weitergehen würde. Nun, da ich beide Romane gelesen habe, muss ich aber konstatieren, dass In der Nacht die bessere Wahl bei beiden Romanen ist.

http://buch-haltung.blogspot.de/2015/06/dennis-lehane-in-der-nacht.html

Der neue Roman krankt etwas an dem üblichen Problem, dass Fortsetzungen nicht immer die Dichte und Originalität des ersten Teils erreichen.
Für meinen Geschmack reißt Lehane ein paar zu viele Personen an, die für den eigentlichen Verlauf der Geschichte nicht unbedingt relevant sind und führt die Fäden nicht immer weiter oder erzählt diese Stränge aus.


Wo bei In der Nacht der klar strukturierte Erzählfluss einen unwiderstehlichen Sog ausübte, springt Lehane hier eher hektisch von Kapitel zu Kapitel, von manchen kurzen Einschüben geht es wieder zu längeren Betrachtungen. So wirkt die Fortsetzung unruhiger als der erste Teil, da Lehane auch mit einem größeren Personaltableau operiert, sich dafür aber mit weniger Seiten als zuletzt zufrieden gibt.

Dies soll – auch wenn die Kritik an dieser Stelle den Eindruck erwecken mag – nicht bedeuten, dass das Buch schlecht wäre, im Gegenteil. Ein durchschnittliches Buch von Dennis Lehane ist immer noch besser als vielerlei andere Spitzenkrimis. Aber die Klasse des Erstlings erreicht das Buch leider nicht. So oder so sollte aber jeder, der sich für die amerikanische Mafia, die Prohibitionszeit und gute Bücher interessiert, zu diesen beiden Titeln greifen!

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Dennis Lehane – In der Nacht

Ein Prohibitionsmeisterwerk

Es gibt Schriftsteller, da passt jedes Wort. Da ist keine Zeile zu viel, da klingt kein Dialog gekünstelt und da ist jede Szene sauber gebaut und lässt im Kopf des Lesers einen ganz eigenen Film entstehen. Einer jener Schriftsteller, der zu meinen absoluten Favoriten zählt, schafft genau dies – die Rede ist von Dennis Lehane. Immer noch kommt ihm in Deutschland nicht die Aufmerksamkeit zu, die er eigentlich verdient hätte (man denke nur an die Adaptionen seiner Bücher Shutter Island oder Gone Baby gone). Immerhin hat sein Verlagswechsel hin zu Diogenes nun zur Folge, dass auch das schon etwas länger erschienene Mystic River neu aufgelegt wurde und eine langsame Etablierung des Autors einzutreten scheint. Mehr als zu gönnen ist es dem Autor auf jeden Fall.

Ein weiterer Titel aus dem facettenreichen Schaffen des Amerikaners liegt nun im Taschenbuch vor – übersetzt von Sky Nonhoff. Es handelt sich um das Prohibitionsdrama In der Nacht, der Lebensgeschichte des Gangsters und Alkoholschmugglers Joseph „Joe“ Coughlin.

Von Boston nach Tampa

Dieser wächst in Boston auf, um zwischen irischen und italienischen Einwanderern dann schnell die kriminelle Laufbahn einzuschlagen. Ein Überfall auf ein Hinterzimmer bringt ihn und seinen Vater, einen hohen Polizeibeamten, zunächst nur in Bedrängnis und Joe wenig später ins Gefängnis. Dort macht er die Bekanntschaft mit hohen Unterweltgrößen um in der Folge selbst zu einem mächtigen Mobster zu werden.

Der Unterweltboss Maso Pescatore verfügt nämlich, dass Joe in den Süden Amerikas, genauer gesagt nach Tampa gehen soll. Dort steigt er im Spannungsfeld zwischen Kuba und Amerika rasch zum mächtigsten Alkoholschmuggler der Gegend auf. Er übernimmt die Kontrolle über wichtige Vertriebswege und versorgt den ganzen Süden mit erstklassigem Rum – durch die herrschende Prohibition ist ihm ein einträglicher Verdienst sicher. Doch wie es so ist mit Imperien – schon bald drohen Widersacher und Staat dem prosperierenden Geschäft Joes gefährlich zu werden. Doch dieser weiß sich zu wehren.

Ganz ganz große Kunst

Immer wieder gibt es Bücher, die den Leser mit den ersten Sätzen schon derart ins Geschehen hineinziehen, dass Widerstand absolut sinnlos und verfehlt wäre. Der Beginn von In der Nacht zählt hierzu. Wie es Lehane gelingt, den Bogen vom todgeweihten Joe Coughlin hin zu seinen Jugendjahre zu spannen, wie er prägnante Szenen einzufangen weiß und wie er die Noir-Stimmung und Chandler-würdigen Dialoge kreiert – das ist große Kunst, punktum.

Ein Buch, das während der Lektüre nach einem guten Glas Rum in der Hand gebietet und dazu angetan ist, in einem Rausch gelesen zu werden. Joes Kampf um die Vorherrschaft im Schmugglergeschäft ist nicht nur für Fans der Fernsehserie Boardwalk Empire höchst interessant. Jeder, der nur halbwegs am Kapitel der Prohibition oder der Mafia in Amerika interessiert ist, der kommt nicht um diesen Titel herum.

Und die beste Nachricht noch zum Ende: die Geschichte Joes ist noch nicht auserzählt – im Herbst kehrt er im Buch Am Ende einer Welt wieder zum Leser zurück. Ein definitiver Pflichttitel dieses Bücherherbstes!

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