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Michael Kröchert – Wasserläufer

Walden auf dem Fluss. In Michael Kröcherts Roman Wasserläufer wird ein selbstgebautes Floß auf den Gewässern der Havel zu einem Rückzugsort für einen Fotoreporter. Doch die Idylle und Erfüllung seiner Wünsche erwartet ihn dort nicht. Vielmehr gewinnt Kröcherts Buch, indem er das romantische Vorhaben des Mannes mit der politischen Gegenwart vor Ort kreuzt.


Wasserläufer ist ein Roman, der seine eigenen ideellen Bezugspunkte selbst zitiert. Denn als Rio, der Ich-Erzähler in Michael Kröcherts Roman, in einem Anfall von Marie-Kondo-hafter Entrümpelungswut sein Floß von allem überflüssigen Ballast zu säubern beginnt, sind es auch die Bücher, die ihm dabei in die Hände geraten und derer sich der Fotoreporter in diesem Anfall entledigen möchte. Da findet sich Gehen oder Die Kunst, ein poetisches Leben zu führen von Tomas Espedal, Die Schiffbrüchigen von F. E. Raynal neben Pilger am Tinker Creek von Annie Dillard natürlich neben dem Vater aller Fluchtfantasien, nämlich Henry David Thoreaus Walden oder Vom Leben im Wald. Allesamt Lektüre, die von Rückzug, Einsamkeit und Kontemplation erzählt und der eigentlich auch Rio nacheifern wollte.

Walden auf der Havel

So hat er sich selbst ein Floß gezimmert, mithilfe dessen er die Flüsse und Seen rund um die Havel einen Sommer lang bereisen möchte. Das Leben auf dem Boot als Rückzug vom täglichen Leben, das ihn sehr in Beschlag genommen hat. Als Fotoreporter war er ständig mit Bilderfluten, Leid und Newsdruck belastet, eine Corona-Erkrankung hat ihn des Geruchs- und Geschmackssinns beraubt und auch mit seiner Partnerin ist vieles wie etwa die mögliche Familienplanung noch nicht geklärt.

Ich hatte mir vorgenommen, zum Baum mit dem Stuhl zu schwimmen und den Abend dort zu verbringen, doch die Strecke erschien mir zu weit , und ich watete zum Schilf. Dort lauschte ich dem Knistern der Blätter und dem wilden Geraschel, beobachtete auch Wasserläufer, die hin- und herhuschten. Meine Gedanken waren in Aufruhr. Es war im Grund genommen derselbe Aufruhr, der mich auch in Berlin permanent begleitet hatte.

Michael Kröchert – Wasserläufer, S. 125

Nun als Kontrastprogramm also das Leben auf den Flüssen und Seitenarmen der Havel in Brandenburg. Ankern auf Seen, Schwimmen und Tauchen im Wasser. Viel Einsamkeit und Ruhe, um zu sich zu finden und der eigenen Mitte nachzuspüren. Zwar blieb sein Ersuchen um eine Genehmigung seines Floßes ohne Antwort des Wasserwirtschaftsamtes, aber davon lässt sich Rio nun nicht mehr nicht aufhalten.

Ein dezidiert politischer Roman

Michael Kröchert - Wasserläufer (Cover)

Doch kein Mensch ist keine Insel, und so macht auch Rio schon bald dort zwischen den fiktiven Soliner und Fernower Seen die Bekanntschaft mit ganz unterschiedlichen Menschen. Da ist Birk, der Rio gastfreundlich aushilft, ihm Essen und Reparaturmaterial für sein Boot zur Verfügung stellt. Da gibt es aber auch den Gegenentwurf zum dem Linksradikalismus zuneigenden, naturverbundenen Birk. Er trägt den Namen Jost und lebt zusammen mit seiner Freundin Magda auf dem luxuriösen Boot namens Ponceau, das ebenfalls auf dem Fluss ankert. Sein Geld hat er gemacht, nun investiert er in eine Kaffeekooperative in Honduras und versucht in Gesprächen und Treffen, sich mit Menschen jenseits seines Standes zu verbünden.

Es ist eine Vielzahl an Figuren, denen Rio trotz seiner geplanten Einsamkeit während seines Sommers auf dem Floß begegnen wird.

Dabei beschränkt sich Michael Kröchert nicht allein auf eine Beschreibung des Lebens und der Erfahrung dort auf See. Wasserläufer ist auch ein dezidiert politischer Roman. Denn Rio begegnet Menschen, die ganz unterschiedlich auf die Gesellschaft blicken und die sich auf diametral auseinandergesetzten Positionen des politischen Spektrums wiederfinden und die das in einigen der Gespräche auch umfassend darlegen.

Während Jost bei der Durchsetzung seiner linken Weltsicht auch auf Gewalt setzt, schimpft sein Vater Ludger über Polen als pars pro toto für das Fremde. Rio begegnet dem MotorMän, einem Besitzer eines Sportboots, dessen rowdyhafte Auftritte auf dem Wasser Mensch und Natur in Schrecken versetzen. Er erinnert an neurechte Kräfte und Agitatoren, die es in Landestrichen wie Brandenburg zuhauf gibt und deren Werben auf fruchtbaren Boden fällt.

Fazit

So gelingt es Kröchert in seinem Roman, Rios Rückzug auf das Floß in der Tradition der Naturerfahrung der Romantik und der Innerlichkeit der Biedermeier-Ära die mit der harten politischen Gegenwart zu kreuzen, wodurch Wasserläufer an Tiefe und Kraft gewinnt. Sein Buch ist konsequent und begeht nicht den Fehler, irgendeinen Aspekt des Lebens dort auf dem Wasser zu verklären. Von Containern bis zu Dorffesten der neuen Rechten ist Wasserläufer ein Buch, das mit wachem Blick auf die Zustände des Landes blickt und das auch den Mut hat, den Rückzug in die Natur zu de-romantisieren. Das macht aus Wasserläufer einen starken Gegenwartsroman, der mit seiner Form und literarischen Spielereien wie kleinen Schnitten und einem gesellschaftlichen Gegenwartsbild im Kleinen überzeugen kann.


  • Michael Kröchert – Wasserläufer
  • ISBN 978-3-608-50016-5 (Tropen)
  • 368 Seiten. Preis: 25,00 €
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Norbert Scheuer – Mutabor

Der Eifel-Schreiber ist wieder da. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Autor schreibt Norbert Scheuer mit seinen Romanen eine Geschichte des Urftlandes in der Eifel – und widmet sich insbesondere dem Städtchen Kall, in dem Scheuer auch selbst wohnt. Mit Mutabor führt er seine Chronik des Urftlandes fort. Nur schade, dass er diesmal seine Geschichte unter allzu viel Erzählfragmenten verbuddelt.


Mit seinem letzten, vor ziemlich genau drei Jahren erschienenen Roman Winterbienen gelang Norbert Scheuer der Durchbruch. Hatte es schon zuvor ab und an Preise und Nominierungen für sein Schreiben gegeben, wurde ihm nun für seinen Roman über einen Imker, der zugleich als Fluchthelfer im Zweiten Weltkrieg arbeitete, der Wilhelm Raabe-Literaturpreis zugesprochen. Auch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises schaffte es Scheuer mit seinem Roman. Wie schon zehn Jahre zuvor mit Überm Rauschen gelang ihm auch mit diesem Buch der Sprung auf die Shortlist, wenngleich Saša Stanišić dann das Rennen machen sollte.

Zurück im Urftland

Nun, drei Jahre später, gibt es einen neuen Roman von Norbert Scheuer, der den Erzählzyklus des Urftlandes fortsetzt und erweitert.

Mitten im verschwundenen urzeitlichen Meer, in den längst versickerten Flüssen und ausgetrockneten Seen liegt das Urftland und in ihm Kall wie eine verlassene, öde Insel im Ozean der Zeit.

Vielleicht ist auch Mutter in diesem unendlichen Ozean für immer verschwunden. Die Grauköpfe wissen möglicherweise darüber Bescheid und wollen es mir nur nicht sagen.

Norbert Scheuer – Mutabor, S. 52 f.

Das Geheimnis ihrer Herkunft, es beschäftigt die Ich-Erzählerin Nina Plisson beständig. Ihre Mutter ist verschwunden, ihren Vater kennt sie ebenfalls nicht. Minderjährig ist sie der Aufsicht durch eine Betreuungsperson unterstellt, die sich aber als missbräuchlich erweist.

Norbert Scheuer - Mutabor (Cover)

Feste Fixpunkte in ihrem Leben sind eigentlich nur ihre Schildkröte, die als Referenz zu Virginia Woolf auf den Namen Orlando getauft wurde, und ihre Tätigkeit bei Evros, dem griechischen Kneipenwirt, der seine Gedanken auf Bierdeckel stempelt und der in Nina die diffuse Liebe zu Byzanz und den Störchen weckt.

Das Kreisen um die Fragen ihrer eigenen Identität wird das ganze Buch über bleiben, wenngleich Norbert Scheuer auch noch anderes Personal wie die ehemalige Lehrerin Sophia oder die männlichen Kneipenbesucher Striegl, Vincentini oder Hillarius kurz porträtiert und zu Wort kommen lässt.

Hier beginnen aber schon die Probleme, die ich mit Scheuers neuem Roman hatte, ist die Kürze hier doch wirklich ein Schwachpunkt der Erzählung.

Leider zu kurz und zu knapp

Es sind nicht einmal knapp 190 Seiten, die Mutabor aufweist. Von diesen 190 Seiten entfallen aber schon 33 auf Bierdeckel – das sind die Seiten, die kurze Sentenzen und Fantasien des Kneipenwirts Evros nebst an Rorschachtests erinnernden Kritzeleien und Spritzzeichnungen aufweisen (die schön gestaltet auch auf dem inneren Buchumschlag fortgeführt werden).

Bleiben als noch 160 Seiten für eine wirkliche Handlung, die sich hier leider in Fragmenten erschöpft. Zwar lässt sich eine Grundgeschichte der Identitätssuche Ninas aus dem Buch herauslesen, darum herum sind aber viele wenig zielführende, teilweise assoziative Motive und Andeutungen gruppiert, die die Entwicklung einer konsistenten Geschichte immer wieder unterbrechen. So lässt sich das folgende Bild auch auf das Erzählen im Buch selbst übersetzen.

„Ach, es geht um Nina. Sie behauptet, ihre Betreuerin habe ihr den Rucksack weggenommen, da seien all ihre Schätze drin gewesen. Ich kenne die Sachen, es sind verstörende Bilder, mit Skizzen vollgekritzelte Hefte, in denen es einzig und allein um die Frage geht, was aus ihrer Mutter geworden ist.“

Norbert Scheuer – Mutabor, S. 119 f.

Mit Skizzen vollgekritzelte Hefte, das ist ein passendes Bild für die erzählerische Gestaltung des Buch. So tauchen die Störche vom Cover ab und an als Leitmotive auf, griechische Mythen spielen eine Rollen, genauso wie die archaische und kraftvolle Flusslandschaft der Urft immer wieder in Szene gesetzt wird. Daneben geht es aber auch um gefangene Marder, Missbrauch , Armbänder, Demenz, Liebe der Kategorien vergeblich und hoffnungsvoll (zwischen Nina und dem Afghanistan-Heimkehrer Paul, den Scheuer-Leser unter anderem aus Die Sprache der Vögel kennen dürften, entspinnt sich langsam eine Romanze).

All das ist für meinen Geschmack etwas zu abgehackt und eben in der Sprache des Buchs skizzenhaft erzählt, als dass sich ein wirklicher Lesefluss einstellt und man in Scheuers Erzählwelt gezogen wird (wie mir das bei den Winterbienen passierte, die ganz so ganz anders sind und den erzählerischen Sog haben, der Mutabor fehlt).

Stilistisch klar erkennbar

Der enge Lokalbezug, die Verknüpfung der Figuren über die Bücher hinweg, die Vermengung von Fiktion und Realität im Nachwort, das bekannte Personal des grauköpfigen, kommentierenden Chores, die Sprachkraft, all das bildet ja die unverwechselbare stilistische Signatur des Eifeler Schriftstellers Norbert Scheuer und ist auch in diesem Buch wieder vorhanden – nur leider viel zu verhalten, als dass sich bei mir Begeisterung eingestellt hätte.

Das Gefühl eines Mangels an Plot setzt sich so leider auch auf der stilistischen Ebene fort, unter der auch die Entwicklung der Figuren leidet.

Scheuer war schon einmal stärker, was die Wahl seiner Figuren betraf. So hat mich die Erzählperspektive der jungen Nina nicht überzeugt und hinterließ einen etwas schalen Eindruck. Und auch die übrigen Figuren bleiben hier etwas diffus und bekommen wenig Tiefe oder gar Entwicklungsmöglichkeiten zugesprochen, was bei den gerade einmal 150 Normseiten auch wenig überraschen sollte.

Fazit

Wer Norbert scheuer durch den fantastischen Roman der Winterbienen kennengelernt hat, dürfte sich hier die Augen reiben, so anders ist doch dieses Buch. Zwar bleibt sich Scheuer mit Themen und Stil treu, doch gibt er hier den Verschachtelung und den Assoziationen vor der Entwicklung einer stringenten und klar deutbaren Geschichte den Vorzug. Damit steht er zwar in einer Reihe ganz ähnlich erzählter Bücher in diesem Frühjahr, doch wirklich mitreißen konnte er mich nicht. Vielleicht bedarf es noch einer sorgfältigen zweiten oder dritten Lektüre damit Mutabor sich im Wortsinn wirklich wandelt und zugänglich wird. Ich hätte aber überhaupt nichts dagegen gehabt, mich schon im ersten Anlauf überzeugen zu lassen und einmal mehr in die Welt des Urftlandes gezogen zu werden.

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Leander Fischer – Die Forelle

Was für ein Debüt! Knappe 800 Seiten dichtesten Textgewebes umfasst Leander Fischers Debüt Die Forelle. Es sind Seiten voller Sprachmacht, die die Kunst der Abschweifung und der Konzentration auf das Kleine feiern. Dem jungen Österreicher ist ein mehr als außergewöhnliches Buch gelungen. Nicht ohne Fehl und Tadel, aber von einer Gewagtheit und einem geradezu inkommensurablen sprachlichen und stilistischen Willen, der das Buch zu einem der außergewöhnlichsten in der deutschen Sprache macht, das dieses Jahr zu entdecken ist.


Bereits der Sturm und Drang-Dichter Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart wusste um die Tücke, die das Forellenfischen bereithalten kann. In seinem, durch die Vertonung von Franz Schubert später zu Weltruhm gelangten Gedicht Die Forelle heißt es da:

Ein Fischer mit der Ruthe
Wol an dem Ufer stand,
Und sah’s mit kaltem Blute,
Wie sich das Fischlein wand.
So lang dem Wasser Helle,
So dacht’ ich, nicht gebricht,
So fängt er die Forelle
Mit seiner Angel nicht.

Schubart, Christian Friedrich Daniel: Die Forelle, Strophe 2

Die hohe Kunst des Forellenfischens ist es, die auch Ich-Erzähler Siegi Heehrmann in Fischers Buch erlernen möchte. Nachdem er einst im Mozarteum die Erste Geige spielen durfte, so hat es ihn nun mitsamt seiner Frau Lena und den beiden Kindern in die Provinz des Salzkammerguts verschlagen. Dort verdingt er sich mehr schlecht als Musiklehrer für die Saiteninstrumente. Die Dörfler schicken ihre Kinder zu ihm, damit sie das Spielen der Instrumente erlernen.

Siegi selbst möchte auch etwas erlernen, nämlich die Kunst des Fliegenfischens. Dort im Salzkammergut gibt es jede Menge fischreiche Seen und Flüsse, allen voran die Traun, die das Gebiet durchzieht. Und am wichtigsten: dort im Salzkammergut wohnt Ernstl, ein Nestor des Fliegenfischens. Menschen aus aller Welt suchten seine Nähe, um sich von ihm in diese hohe Kunst einführen zu lassen. Nun fristet Ernstl seinen Lebensabend dort im Salzkammergut und Siegi wird zu seinem Meisterschüler.

Die hohe Kunst des Fliegenfischens

In der Traun und ihren zahlreichen Nebenflüssen tummeln sich die Forellen, die aber ein äußert gerissener Gegner sind. Um sie zu überlisten, braucht es einen kunstvoll gebundenen Köder. Langsam lernt Siegi die Kunst der perfekten Fliege. Egal ob Ritz D, Red Tac oder Charly Fly – will man die Forellen in den Flüssen erlegen, muss man sich der Kunst des Fliegebindens widmen. Und Siegi ist gewillt, sich ganz dieser Kunst hinzugeben. Wenn es ihn auch von allen anderen Dorfbewohnern, den schlagenden Mitgliedern des Fischereivereins oder von seiner eigenen Frau entfremdet. Die Jagd nach der Forelle erfordert völlige Hingabe – und Siegi Heehrmann ist bereit, diese Hingabe zu erbringen.

Wo fängt man bei der Besprechung eines solchen Kalibers von Buch an, wo hört man auf? Am besten mit einer Eingrenzung der Zielgruppe, die dieses Buch goutieren dürfte. Und damit verbunden auch mit einer Ausgrenzung.

Denn ziemlich klar ist, für wen sich dieses Buch nicht eignet. Menschen, die gerne auf den Punkt kommen, es kurz und bündig mögen, die Struktur und klar verfolgbare Erzählstränge schätzen. All sie sollten an dieser Stelle lieber die Lektüre dieser Rezension abbrechen und den soeben geöffneten Tab besser schließen. Denn an Die Forelle dürften sie keine Freude finden.

Dieses Buch ist nicht nur aufgrund seiner Laufzeit von knapp 800 Seiten geradezu maßlos. Barock, überbordend, vor Einfällen und stilistischen Inventionen sprudelnd ist die Prosa Fischers. Einen klaren Handlungsbogen konnte ich, von einigen wenigen äußeren Begebenheiten abgesehen nicht erkennen. Zwar tragen seine Kapitel sprechende Überschriften wie Siegi findet sich langsam mit dem Attentat auf sein Auto ab oder Nina findet sich in der ernstllosen Zeit gut zurecht. Damit ist dann aber auch oftmals der wirklichen Handlung Genüge getan und Fischer verfolgt unbeirrt sein abschweifendes Erzählen, das eines der Hauptmerkmale des Buchs ist.

Magischer Realismus im Salzkammergut

Leander Fischer beherrscht die hohe Kunst der Abschweifung virtuos. Da kann es schon einmal sein, dass Siegi beim Fischen mit einem Freund von einer Forelle unter Wasser gezogen wird und dann seitenweise durch das Wasser geschleift wird. Der kleine Wassermann trifft auf die Gewässer der Traun.

Oder Fischer verfolgt sprachmächtig den Flug eines Schleimklumpens, der beim Sprechen invertiert wird und in der Folge durch die Luft fliegt. Er erzählt von Fischern, Ködern, Schlachtern und Fischereiaufsichtsorganen und verliert sich dabei immer wieder in seinen Schilderungen.

Aus der normalen Handlung heraus verkettet er verschiedene Ereignisse, die er hingebungsvoll verfolgt und so seine eigentliche Geschichte immer mehr ad absurdum führt. Der 1992 geborene Österreicher kommt so erzählerisch vom Hölzchen aufs Stöckchen. Bestes Beispiel ist eine wilde Räuberpistole, die Siegi von einem fischenden Grafen erzählt wird.

Dieser befindet sich in Kanada auf einer Angeltour, als ihm ein Lachs vor die Angel schwimmt. Dieser Lachs wird dann allerdings von einem hungrigen Bären verspeist, ehe der Graf den Salmoniden für sich in Anspruch nehmen kann. Und so jagt der Graf dann den Bären, der den Lachs im Magen hat, der wiederum die Fliege des Grafen zwischen den Kiemen hat. Eine aberwitzige Geschichte, die sinnbildlich für das Erzählen Fischers steht.

Wer Freude an solchen barocken Fantastereien und Abschweifungen hat, der ist mit diesem Buch gut beraten. An vielen Stellen findet auch magischer Realismus in die Erzählung, etwa wenn die Perspektiven zwischen Fischer und Fisch verschwimmen. Auch springt Leander Fischer immer wieder in seiner erzählten Zeit (die nur an wenig Stellen wirklich konkret und klar wird) zurück bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Die Verflechtungen der Vergangenheit mit der Gegenwart werden an vielen Stellen von Die Forelle herausgearbeitet.

Ein Heimatroman 2.0

So erschafft Fischer ein Werk, das ich als Heimatroman 2.0 bezeichnen würde. Er stellt sich den Abgründen der Vergangenheit und erzählt auch von den weniger pittoresken Seiten des Salzkammerguts. Innovativ bricht er tradierte Formen der Heimaterzählung auf, bedient diese dann an anderen Stellen aber auch wieder ungebrochen.

Ergebnis ist ein Buch, das sich einer klaren thematischen Einordnung ebenso bewusst entzieht wie einer genauen zeitlichen Einordnung oder einer Genrezuteilung. Dieser Text zieht gerade aus seiner Wandelbarkeit, seinem Verwischen der verschiedenen Srachen- und Handlungsbenen seinen Reiz. Ein Merkmal, das auch die Jury des Bachmannpreises 2019 beschäftigte, der Fischer einen Auszug aus dem Anfang seines Romans präsentierte und damit auch den Publikumspreis beim Wettlesen gewann.

Sprachmächtig fabuliert Fischer, zeigt sich unglaublich wenig und benennungsstark, weiß von Ködern wie Ritz D oder Red Tac, Vorfach, fängigen Stellen, Gumpen und Katarakten zu erzählen. Die Varianz, die seine Prosa besitzt, ist mehr als bewundernswert und zählt zu dem Beeindruckendsten, das ich dieses Jahr lesen durfte. Von endlosen Bandwurmsätzen über reine Monologe oder Austriazismen bis hin zu Ein-Wort-Sätzen, Neologismen und Passagen, die eine ganz eigene Syntax und Orthografie entwickeln – es ist alles drin in dieser Forelle.

Ein unangepasstes und unberechenbares Buch

Das ist äußerst beeindruckend, manchmal auch etwas manieriert und zu viel des Guten. Manchmal wäre zweifelsohne etwas weniger mehr gewesen. Weniger Abschweifung, weniger Sprachfuchserei, mehr Orientierungspunkte, Straffungen, klarere Personenzeichnungen oder gar Handlung. Perfekt ist das alles sicherlich noch nicht. Aber vor seiner ganzen Ambition, dem zur Schau gestellten Talent, der Unangepasstheit und der rauschenden Sprachmacht muss man doch den Hut ziehen. Diese Forelle ist ein wirkliches Meisterstück. Hier betritt ein Autor nicht zaghaft die literarische Bühne, nein, er tritt eine Tür mit lautem Getöse ein.

Freilich: auf dem Buchmarkt mit seinen Konventionen und passgenau zugeschnittenen Angeboten für die Zielgruppen dürfte es dieses unberechenbare Buch schwer haben. Umso schöner allerdings, dass auch die Jury des Österreichischen Buchpreises die Qualität dieses außergewöhnlichen Buchs erkannt hat und Leander Fischer den Preis für das beste Debüt des Jahres zugesprochen hat. Das ist mehr als verdient. Und wer den Mut aufbringt, in diesen wilden Erzählstrudel hineinzutauchen, der kann auch nicht anders als der Jury zuzustimmen.

Weitere Meinungen zu Fischers Debüt gibt es bei Neues Deutschland, dem Standard und der FAZ.


  • Leander Fischer – Die Forelle
  • ISBN 978-3-8353-3730-5 (Wallstein)
  • 782 Seiten. Preis: 28,00 €

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Victor Pouchet – Warum die Vögel sterben

Also dieser Victor Pouchet erlaubt sich etwas. Er will in seinem Debüt erklären Warum die Vögel sterben – und bleibt am Ende doch alle Antworten schuldig. Ein Erstling, der mit Erwartungshaltungen bricht (übersetzt von Yvonne Eglinger).


Der Inhalt von Pouchets Buch wird eigentlich schon auf den ersten Seiten recht konkret umrissen. In der Normandie hat es mehrfach tote Vögel vom Himmel geregnet. So sind auch in Bonsecours, der Heimat des Ich-Erzählers, zahllose Vögel vom Himmel gestürzt. Diese Ereignisse beunruhigen den Erzähler so sehr, dass er beschließt, in die Heimat aufzubrechen. Für seine Reise wählt er ein etwas anachronistisches Fortbewegungsmittel. Mit einem Schiff geht es die von Paris aus die Seine hinunter. Mit an Bord des Schiffs sind auch andere, deutlich ältere Passagier*innen, die ebenfalls zur Flusskreuzfahrt angetreten sind. Auf der Reise mehren sich bedrohliche Vorzeichen – sind die toten Vögel etwa Vorboten eines ganz anderen Ereignisses?

In der Konstruktion orientiert sich Victor Pouchet tatsächlich an einem Fluss. Sein Erzählfluss mäandert mindestens ebenso wie die Seine im Gebiet der Normandie. So steht im Hintergrund der mysteriöse Tod der Vögel, doch diese Frage beschäftigt den Ich-Erzähler nicht immer. So verliert er sich in Gesprächen an Bord, geht eine kleine amouröse Bekanntschaft ein, forscht über viele Seiten hinweg in einer Bibliothek. Dort stößt er nämlich auf die Spur Félix Archimède Pouchets, einem Forscher des 19. Jahrhunderts, der den Nachnamen mit dem Ich-Erzähler teilt.

Hier zeigt sich auch exemplarisch, welches Spiel Victor Pouchet mit dem Leser treibt, den er gerne rätseln lässt. In welchem Verhältnis steht der Autor zu dem Ich-Erzähler mit dem Nachnamen Pouchet? Warum tritt nun just der Tod der Vögel auf? Wo liegen die Verbindungen? Gibt es überhaupt welche?

Viele bleibt in Warum die Vögel sterben im Ungefähren. Warum der Erzähler beispielsweise just per Schiff in die Region reisen will? Es wird nie ganz offenbar. Vieles wird angedeutet, nicht zu Ende erzählt. Auch wenn das formidable Cover den Eindruck nahelegt, dass Pouchet in die Richtung Nature Writing abbiegt – genau das tut er nicht. So wenig wie eine konkrete Handlung des Buchs über die nicht einmal 200 Seiten des Romans ersichtlich wird. Eher schauen wir einem Slacker dabei zu, wie er sich, seiner Familie und dem Geheimnis der Vögel annähert. Ob ihm das gelingt, das muss wohl jede Leserin und jeder Leser für sich entscheiden. Eher ein ruhiger Roman, der so einige in die Irre führen wird.


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Richard Flanagan – Tod auf dem Fluss

Der Fluss ohne Wiederkehr

Der Franklin River ist eine Urgewalt. Er durchmisst den Süden Tasmaniens von der Westküste bis nach Hobart an der Ostküste und führt dabei durch eine einzigartige Landschaft. Mit voller Kraft bahnt sich der Fluss seinen Weg durch die unwegsame und zerklüftete Natur und reißt dabei alles mit, was sich ihm in den Weg stellt. Unter anderem auch Aljaz Cosini, der nun in einer Felsspalte unter Wasser feststeckt und zu ertrinken droht. Wie es dazu kam, das schildert der tasmanische Autor Richard Flanagan in dem Roman Tod auf dem Fluss in unnachahmlicher Art und Weise.

Flanagan Fluss

Wie durch ein Prisma bricht der Erzähler die aktuelle Situation Cosinis mit Visionen, Rückblenden und Exkursen und erschafft so ein ganz besonderes Stück Literatur. Ausgangspunkt für den Überlebenskampf des Mannes ist eine Wildwasser-Rafting Tour auf dem Franklin River, die er als Guide begleitete. Der Fluss schwillt im Laufe der Tour immer mehr an und wird unberechenbarer. Und dann passiert die Katastrophe – bei der Rettung eines Crewmitglieds geht Aljaz über Bord. Und folglich setzt ein Strom der Erinnerungen und Visionen ein, die bis ins 19. Jahrhundert und damit tief in die Geschichte Tasmaniens zurückreicht. Wie ein Fluss mänandern die Perspektiven und Ebenen, während Cosini zu sterben droht. Je weiter man im Buch voranschreitet, umso füllender und klarer wird das Bild des Menschen Aljaz Cosinis und seiner Familie. Wie das Richard Flanagan auf nur 355 Seiten schafft und wie er Bilder im Kopf des Lesers erzeugt, das ist nur meisterlich zu nennen.

Nach Goulds Buch der Fische und Der schmale Pfad durchs Hinterland ist Tod auf dem Fluss das dritte Buch des tasmanischen Schriftstellers, das ich verschlungen und genossen habe. Genauso wie bei den vorherigen Meisterwerken des Autors habe ich mir auch hier vorgenommen, dieses Buch unbedingt noch das ein um das andere Mal zu studieren. Immer wieder kann man Neues entdecken und sich betören lassen von der Formulierungsfreude und der barocken Sprachgewalt des Autors. Eine wirkliche Empfehlung und ein starkes Debüt, dessen Neuauflage viele Leser zu wünschen sind!

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