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Amy Waldman – Der amerikanische Architekt

Ein amerikanischer Zwist

In ihrem Debüt hat die Journalistin Amy Waldman einen mehr als reizvollen Plot gesponnen, der die Fragen der Toleranz, der Religionen und des respektvollen Miteinanders auslotet.

In der Zeit nach den Anschlägen auf die Türme des World Trade Centers soll auf dem zerstörten Gelände eine Gedenkstätte entstehen. Ein offizieller Architektenwettbewerb wird ausgeschrieben und eine Jury aus Politik, Kunst und Hinterbliebenen tagt. In der geheimen Wahl wird das Modell eines Gartens zum Sieger gekürt. Doch beim Öffnen des Umschlags tritt der Schock ein: ein Muslim ist der Urheber dieses Plans. Eine unerhörte Provokation, wenn es nach den Hinterbliebenen und Lobbyisten geht. Schnell bricht eine öffentliche Debatte aus, wie man mit dem geplanten Garten umgehen sollte.

Einige sehen in dem Garten und in der Identität seines Schöpfers den Plan, ein Paradies für alle Märtyrer im Herzen New Yorks zu bauen. Muslimische Einwanderer hingegen wollen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Auch sie sollen in Form des Mahnmals in der Gesellschaft anerkannt werden. Der Architekt Mohammad Khan wird genauso schnell wie seine Gegner zu einem Spielball bei einem dynamischen Kampf um die Deutungshoheit der Gedenkstätte und der amerikanischen Gesellschaft und ihrer Werte.

Von der Toleranz

Das Mittel, mit dem Waldman ihre Erzählung darbringt ist das eines multiperspektivischen Romans. Vom Anfang an schildert sie ein ganzes Personenensemble, dessen Meinungen und Einflüsse immer wieder wechseln. Von der jungen Witwe Claire über den Architekten Mo bis hin zur „illegalen“ muslimischen Witwe Asma bildet Waldman ein ganzes Spektrum an unterschiedlichen Personen ab. Archetypisch auch einige weitere Personen wie der konservative Radiomoderator und Hetzer Lou Sarge (der nicht von Ungefähr an Rush Limbaugh und Fox-News-Konsorten erinnert) oder diverse Lobbyisten.

Amy Waldman - Der amerikanische Architekt (Cover)

Ihr Roman setzt aus zahlreichen Dialogen zusammen, in denen verschiedene Positionen verhandelt werden und die präzise die Befindlichkeiten der Charaktere ausloten. Immer wieder schwanken die Charaktere in ihrem Verhalten und zeigen die Kämpfe, die Amerika auch Jahre nach der schwärenden Wunde des 11. September noch beschäftigen. Wie brutal ist der Islam? Wer darf auf dem Monument der Gedenkstätte erwähnt werden? Wie sieht der richtige Umgang mit den Geschehnissen aus und welche Konsequenzen muss man aus den Geschehnissen ziehen?

Aufgeteilt ist das Ganze in vier Großkapitel sowie einen zeitlich nachgeordneten Epilog, der einen distanzierten Blick auf die Geschehnisse wirft.

Keine einfachen Antworten

Die Qualität, die dem amerikanische Architekt innewohnt, ist die, dass Waldman keine einfachen Antworten liefert. Durch die Dialoge und die Dialektik des Buches ist der Leser selbst aufgefordert, sich Gedanken zu machen. Wie weit soll und muss Toleranz gehen? Wie würde man selber handeln? Das Buch regt zum Nachdenken an und ist dazu angetan, den Leser über die letzten Seiten des 500 Seiten starken Romans hinaus zu beschäftigen.

The Submission, so der englische Originaltitel ist eine echte Ergänzung zu Houellebecqs Unterwerfung oder Karine Tuils Die Gierigen. Phasenweise brillant geschrieben fordert das Buch den Leser und regt zum Nachdenken an. Mehr als lesenswert, gerade in den aktuellen Zeiten, in der die Angst vor dem Fremden nicht nur in Form von Pegida um sich greift.


Informationen zum Buch

  • Amy Waldman – Der amerikanische Architekt
  • Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
  • ISBN: 978-3-453-41762-5 (Heyne)
  • 512 Seiten. Preis: 9,99 €
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Don Winslow – Das Kartell

Der war on drugs

Für diesen Roman braucht man einen stabilen Magen – einen sehr stabilen Magen. Die Leichendichte und Fülle an Tötungsarten ist im Buch Das Kartell wohl wirklich herausstechend – unzählige Tote pflastern den Weg, den Art Keller und Adán Barrera diesmal bis zum blutigen Ende gehen.
Nachdem die beiden Protagonisten im Krimipreis-gekrönten Epos Tage der Toten von den 70ern bis in die 90er bereits eine blutige Fehde ausfochten, hat sich Winslow nun entschlossen, noch einen Nachfolger des Buches für die Gegenwart zu schreiben. Unbarmherzig zeigt der amerikanische Schriftsteller, dass sich seit den 70er Jahren im Kampf gegen die Drogen kaum etwas geändert hat – im Gegenteil. Immer brutaler wird der Kampf um die Vorherrschaft im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet – und ein Ende der Gewaltspirale scheint nicht in Sicht.

Die Wiederauferstehung des Adán Barrera

Nachdem Art Keller ihn am Ende der Tage der Toten festsetzen konnte, befindet sich der Kartellchef  Adán Barrera nun in Haft. In einem amerikanischen Gefängnis harrt er der Dinge die da mit aller Macht kommen sollen. Mithilfe seiner Kartellmitglieder gelingt ihm nämlich die Flucht und in der Folge setzt er auf seinen Häscher Art Keller ein Kopfgeld aus. Dieser taucht als erfahrener DEA-Agent zunächst unter, um dann mit mächtigen Verbündeten eine neue Runde im Kampf gegen die Drogen einzuläuten.
Währenddessen erstarkt Barrera zusehends und drängt mit aller Macht zurück an die Spitze seines Kartells, wobei er sprichwörtlich über Leichen geht. Doch die Zeit ist nicht spurlos an allen Beteiligten vorbeigegangen. Die Umstände haben sich geändert und so balgen sich immer skrupelloser und blutiger auch die anderen Kartelle in der Golfregion um ihre Anteile. Ein jahrelanger Kleinkrieg um die Drogen beginnt mit noch nie dagewesener Härte.

Nur die Realität ist grausamer

Don Winslow (c) Susie Knoll

Don Winslow (c) Susie Knoll

Bereits das Vorwort zu Winslows Sequel Das Kartell macht deutlich, dass die meiste Handlung weniger der Fantasie des Autors als vielmehr der Realität entspringt. Die unzähligen mexikanischen Journalisten, die Winslow eingangs aufzählt, starben in nicht einmal einem Jahr in Mexiko beim Versuch, kritischen Journalismus zu betreiben – eine Grundsäule einer funktionierenden Demokratie.

Sein Buch fußt auf Beobachtungen, Gesprächen und Recherchen im mexikanisch-kalifornischen Grenzland und mehrmals weist der Amerikaner fast verzweifelt darauf hin, dass es sich beim mexikanischen Drogenproblem vielmehr um ein reines amerikanisches Problem handelt. Was unsere westliche Gier nach Opiaten und Rauschmitteln für blutige Konsequenzen hat, dies schildert Winslow auf über 850 Seiten.
Teilweise sind die Szenen schon nicht mehr erträglich, was durch Winslows genauen und schon fast stakkatohaften Schreibstil zusätzlich verstärkt wird. Allerdings zeigen Nachrichten wie die der verschwundenen mexikanischen Studenten oder immer wieder von Brücken baumelnden Leichen wie beunruhigen aktuell und nah an der Realität Das Kartell operiert.
Nach all den mediokren Büchern von Don Winslow in letzter Zeit mehr als ein Hoffnungsschimmer, dass der Starautor wieder an alte Stärken anknüpft. Es wäre zu wünschen!

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Kevin Barry – Dunkle Stadt Bohane

Die Stadt des Wahnsinns

Ein Buch, bei dem der Übersetzer im Nachwort seine Übertragung erklärt und dem Leser nahebringt, dass das Buch in der Übersetzung für den deutschen Leser leichter verständlich ist als für den Leser, der das englische Original vor sich hat – das gibt’s nicht? Doch das gibt’s. Das Buch heißt Dunkle Stadt Bohane und geschrieben hat es Kevin Barry

Die schmutzige Stadt

Worum geht es in „Dunkle Stadt Bohane“? Bei dem Versuch das 300 Seiten starke Buch zu subsumieren stößt man bereits auf erhebliche Schwierigkeiten – zu divers und vielfältig sind die Plots und Erzählstränge, die Kevin Barry in seinem Debütroman verwebt.
Das Grundkonstrukt allerdings macht jedem Western alle Ehre – ein Gangster namens Logan Hartnett herrscht im Jahre 2053 über Bohane, die auf einer Halbinsel gelegene zersiedelte Stadt, die dem Fluss Bohane ihren Namen verdankt. Die korrupte, schmutzige und zutiefst verkommene Stadt vegetiert vor sich hin, bis ein alter Bekannter – der Gant – wieder in seine Heimat zurückkehrt. Die Liebe zu Logans Gattin Macu und der Wunsch nach Rache treiben ihn zurück nach Bohane.
Derweil sinnen die verfeindeten Stadtteile Bohanes auf eine große Fehde, Verräter schleichen durch die Gassen, die Polizei schaut weg, wenn das organisierte Verbrechen zuschlägt und einige Protagonisten wollen aus dem Schlamassel ihren ganz eigenen Vorteil ziehen.

Eine einzigartige Sprache

Wenn man „Dunkle Stadt Bohane“ liest, dann scheint es, als hätte Kevin Barry diverse Dystopien, „West Side Story“, „Mad Max“, ein paar Western-Klassiker, Scorseses „The Departed“, die Bücher Mario Puzos und dergleichen mehr zusammen verquickt, durch den literarischen Fleischwolf gedreht und das Ergebnis im irischen Literaturinstitut unter Leitung von James Joye zum Redigieren abgegeben. Ein kaum in Worte zu fassendes (und manchmal auch arg anstrengendes) Konglomerat aus Bezügen, Anspielungen und Referenzen ist „Dunkle Stadt Bohane“ geworden.
Kevin Barry                                                        (c) The Guardian
Der mit reichlich Preisen ausgezeichnete Debütroman (unter anderem der IMPAC Dublin Literary Award, der Rooney Prize for Irish Literature, der Authors’ Club Best First Novel Award und der European Union Prize for Literature wurden dem Buch zugesprochen) zeichnet sich neben seiner inhaltlichen Fülle und Variation vor allem durch seine Sprache aus.

Die unterschiedlichen Bewohner der Stadtteile sprechen verschiedenste Slangs, von der Hochsprache bis hin zum Gossensprech ist alles mit dabei. Dies macht „Dunkle Stadt Bohane“ manchmal unglaublich schwer zu lesen, fasziniert muss man aber auch die Übersetzungsleistung von Bernhard Robben (er übertrug u.a. John Williams‘ Stoner und Ian McEwans Abbitte) anerkennen.

Er schafft es, im Deutschen die Dialekte und Sprachvariationen mit einer ganz eigenen Sprachenkreation zu würdigen.
Erhellend auch das Nachwort des Autoren und des Übersetzers, die dazu animieren, sich mit dem Gelesenen noch einmal zu beschäftigen, Bezüge und Referenzen zu suchen. Auch erklärt hier Bernhard Robben seine Schwierigkeiten bei der Übertragung der Sprache von Kevin Barry, da es für das vom Autoren verwendete Irisch kaum eine Möglichkeit gibt, mit der die Sprachfülle des Originals abgebildet werden kann. Somit verschlanken sich im Deutschen die Ausdrücke und die Sprachen, die die Protagonisten sprechen, was wiederum dazu führt, dass man das Buch in seiner  deutschen Übersetzung eher versteht. Kurios aber durchaus plausibel.
Wer Freude an experimenteller Literatur, besonderen Übersetzungen und Soziolekt hat, der sollte „Dunkle Stadt Bohane“ oben auf seine Leseliste packen. Alle anderen, die sich einen klar strukturierten Thriller erhoffen, der sie abschalten lässt, sollten lieber zu einem anderem Buch im Krimiregal greifen.

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Phil Klay – Wir erschossen auch Hunde

Geschichten aus dem Krieg

Wir erschossen auch Hunde von Phil Klay ist das Debüt eines ehemaligen US-Marines, der in seinem Buch Kurzgeschichten aus dem  war on terror  schildert, dem Krieg also, den Amerika gegen den Terror weltweit führt.

Ein kaputtes Amerika

Die Flagge auf dem Cover hängt zerfasert und verblasst im Wind – ein Sinnbild für das Amerika, das Klay in seiner Monographie schildert.

Der mit Stories untertitelte Band versammelt insgesamt 12 Kurzgeschichten, die in ihrer Länge variieren. Von vier Seiten bis hin zu dutzenden von Seiten reichen die Stories, die vielstimmig ein Bild vom Krieg zeichnen.

Die Geschichten werden aus den unterschiedlichsten Perspektiven geschildert, Kriegsveteranen, die an der Bar ihre Stories erzählen kommen genauso zu Wort wie etwa ein Pfarrer an der Front, der von seinen Glaubenszweifeln und seinen persönlichen Kämpfen berichtet.

Egal ob von Kämpfen im Irak oder einem Einsatz in Afghanistan berichtet wird, oder ob eine zivile Aufbaumission beschrieben wird, stets vermag es Klay dem Leser ein Gefühl davon zu geben, was Krieg bedeutet. Seine Erzählungen bekräftigen die Weisheit, dass man wohl seine Leute aus dem Krieg bekommt, den Krieg aber nicht aus den Leuten.

Der Ton der Erzählungen schwankt deutlich, vom derben Straßenslang bis hin zum gebildeten Oberschichtenton spielt Klay mühelos auf dem Klaviatur der Sprache und Diktion.

„Wir erschossen auch Hunde“ verfügt übrigens auch über ein mehrseitiges Register mit jeder Menge militärischer und taktischer Abkürzungen, dies ist auch sehr nötig, da viele Begriffe ohne das nötige Hintergrundwissen schwierig zu verstehen sind.

Manchmal sind Klays Stories nämlich wirklich sehr codiert und sehr chiffrenhaft, was den Zugang erschwert. Hier leistet das Register gute Hilfe.

 

Schreiben als Therapie

Nachdem er frisch aus dem Irakkrieg zurückkehrte, begann Phil Klay mit der Niederschrift seiner ersten Stories. Das Aufarbeiten seiner Eindrücke findet auch in einer Kurzgeschichte wieder Erwähnung. Mithilfe des Veteranen-Schreibprogramms gelang es ihm, sowohl seine Eindrücke aus dem Kriegsgeschehen zu verarbeiten als auch Literatur daraus zu destillieren. Eine Win-Win-Situation gewissermaßen.

Mit seiner Geschichtensammlung ist es Phil Klay inzwischen auch gelungen, den National Book Award 2014 zu erringen.

Ähnlich wie Remarques Klassiker „Im Westen nichts Neues“ gelingt es auch Klay im Leser ein Bewusstsein für die Absurdität des Kriegs und die einzelnen Tragödien zu wecken, die sich hinter dem Begriff „Krieg“ verbergen.

Insgesamt ein starker Titel, der neu sensibilisiert und hinter die Frontlinien von Kriegen gegen den Terror führt und ein Titel, der zeigt, wie kaputt das System Amerika eigentlich ist, das diese Kriege immer wieder neu als Universalantwort auf Terror und Tyrannei gibt.

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