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Kim Koplin – Die Guten und die Toten

Waffenhändler, Staatssekretäre auf Abwegen, eine toughe angehende Polizistin und mittendrin ein Parkwächter, der allen Grund hat, sich zu verstecken. Wie in einem Flipperautomaten lässt Kim Koplin in Die Guten und die Toten diese Figuren aufeinander los und erschafft einen hochtourigen Berlinthriller á la Johannes Groschupf.


Kim Koplin - Die Lebenden und die Toten (Cover).

Ein Parkhaus, irgendwo auf der Knesebeckstraße kurz hinter dem Savignyplatz in Berlin Charlottenburg. Hier schiebt der Parkwächter Saad Dienst. Das einzige, das in diesem heruntergekommenen Parkhaus funktioniert ist die Hanfplantage, die Saads Kumpel Mohammed auf dem uneinsehbaren Dach des Parkhauses pflegt. Ansonsten gibt es hier nicht viel Gründe, sein Auto abzustellen. Zwei Feuerlöscher, einer davon komplett kaputt, der andere „abgelaufen, als Deutschland zum letzten Mal Weltmeister wurde“, flackernde Röhren, schon seit Ewigkeiten herumstehende Limousinen und kaum Kundschaft. Saad kommt das Ganze zupass, schließlich meidet er das Licht der Öffentlichkeit.

Zusammen mit seiner Tochter Leila lebt er in einem winzigen Appartement im dritten Hinterhof irgendwo auf der Drontheimer Straße und verbringt die meiste Zeit in seiner Pförtnerkabine, wo ihm Leila tagsüber Gesellschaft leistet, wenn sie nicht im Kindergarten ist.

Saad, Leila, Nihal

Schon auf den ersten Seiten dieses unter Pseudonym verfassten Thriller machen Saad und Leila die Bekanntschaft mit Nihal. Sie ist eine angehende Polizistin, deren mangelnde Affektkontrolle sie des Öfteren in Schwierigkeiten bringt. So auch bei der ersten Begegnung mit Saad, der gerade von zwei Männern bedroht wird. Sie steht Saad bei – oder vielleicht auch eher er ihr. Am Ende gibt es auf alle Fälle gebrochene Rippen, auf eine Anzeige will Saad aber verzichten.

Zu dem Vater sagt sie: – Sie wollen keine Anzeige machen?

Statt zu antworten, macht er ein Lieber-nicht-Gesicht. Da ist etwas in seinem Blick. Bedauern.

-Seid ihr illegal?

Entfernt hört Nihal, wie über ihr die S-Bahn einfährt. Der Typ hebt die Hand, und dann gehe er und seine Tochter an Nihal vorbei.

-Tschüss, du, sagt das Mädchen.

Und Nihal fällt nichts Besseres ein, als zu sagen: -Tschüss.

Kim Koplin – Die Guten und die Toten, S. 18

So verläuft die erste Begegnung zwischen den Dreien, die nicht die letzte bleiben wird. Neben diesen Figuren führt Kim Koplin noch eine angehende Nachwuchsjournalistin, einen profitorientierten Waffenhändler und den Staatssekretär Phillipp Brasch (zwei I, zwei L, zwei P – wir nehmen, was wir kriegen können, so die Maxime des Vaters, obwohl es doch eigentlich drei P sind, aber sei’s drum) als Figuren ein. Sie alle verstricken sich gegenseitig in Abhängigkeiten und beeinflussen das Handeln der Anderen, und das kommt so.

Zwischen Waffenhandel und Hanfplantage

Waffenhändler Müller will einen Waffenhandel mit Saudis abschließen, Brasch soll für die Ausfuhrgenehmigung des fraglichen Containers sorgen. Die Journalistin Maja recherchiert in diesem Fall – und plötzlich wird Brasch aufgegriffen, als er Saads Parkhaus verlassen hat – mit einer Leiche im Kofferraum, von der er nicht wusste. Wie die Zusammenhänge sind, das macht Koplin recht schnell deutlich.

Was ihn oder sie interessiert, das ist vor allem die Interaktion, die in Die Guten und die Toten einem Flipper gleicht. Beständig wirken sich die Taten und das Agieren der Beteiligten auf die anderen Figuren aus. Saad versucht unbedingt, in Deckung zu bleiben (warum, das erklärt Koplin erst später), Nihal wittert, dass es eine Verbindung zwischen Brasch und dem Parkhaus und Parkwächter Saad geben könnte, im Hintergrund machen die Saudis Druck – was dann zu einem Showdown auf dem Dach des Parkhauses inmitten der Hanfplantage führen wird, bei der sogar eine Kettensäge eine Rolle spielt.

Koplin entwickelt seine Stränge souverän, führt seine Figuren unerbittlich zu dem Showdown und schafft es gelungen, den Figuren trotz des hohen Tempos und der permanent wechselnden Erzählperspektiven mit routiniert aus dem Ärmel geschüttelten Erzähltricks Tiefe und Plausibilität zu verleihen. Daneben überzeugt auch die Fähigkeit des Autors oder der Autorin, Dialoge zu gestalten und diese zur Charakterisierung seiner Figuren heranzuziehen. Eine große Kunst, auf die man im deutschsprachigen Krimi nicht allzu häufig stößt.

Fazit

Die Guten und die Toten ist ein wirklich schneller und hochtouriger Roman, der Gewalt, Sehnsucht, die große Politik, schmutzige Geschäfte und Hanfplantage mit Parkhaus verbindet, ebenso wie Koplin ganz unterschiedliche Figuren aus unterschiedlichen Milieus miteinander zusammenbringt. Die reduzierte und wohlgesetzte Schreibe Kim Koplins erinnert an andere Autor*innen aus der ersten Reihe dieses Genres, allen voran Jakob Arjouni, Simone Buchholz oder Johannes Groschupf, mit dem Koplin das Fach des Berlin Noir-Thrillers teilt (obschon das Ende des Romans eine Fortführung als Hamburg-Noir nahelegt). Eine echte Entdeckung, die Herausgeber Thomas Wörtche hier gemacht hat. Gerne mehr davon!

Auch Marcus Münterfering auf Spiegel Online ist begeistert, ebenso wie Dietmar Jacobsen auf Literaturkritik.de.


  • Kim Koplin – Die Guten und die Toten
  • ISBN 978-3-518-47312-2 (Suhrkamp)
  • 254 Seiten. Preis: 16,00 €
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Scott Thornley – Der gute Cop

In meiner Vorbereitung auf das diesjährige (beziehungsweise nun eher nächstjährige) Buchmesse-Gastland Kanada beschäftige ich mich etwas mit der literarischen Landschaft dieses Landes. Was mir bei meinen bisherigen Sichtungen ins Auge fielen, waren zahlreiche Krimis.

Die Verlage publizieren auffallend viel Spannungsliteratur und finden in den Vorschauen viele Superlative für ihre Bücher. So auch der Suhrkamp-Verlag im Falle von Der gute Cop von Scott Thornley. Die Zeitschrift Vancouver Sun behauptet auf dem Klappentext des Buchs gar:

Ein großartiger Neuzugang im Pantheon der literarischen Detektive.

Grund genug, für mich etwas genauer hin zu sehen. Was kann dieser kanadische Krimi? Und sind die Lobeshymnen gerechtfertigt? Ein neuer Beitrag in der Reihe #kanadaerlesen.

Im Bezirk Ontario liegt die Stadt Dundurn. Dort, an der Grenze zu den USA, in der Nähe der Niagarafälle, versieht Der gute Cop MacNeice seinen Dienst. Er ist ein angesehener Polizist, hat einen guten Draht zu Kollegen, Mitmenschen und zur Politik. Der erste auf Deutsch vorliegende und von Andrea O’Brien und Karl-Heinz Ebnet übersetzte Fall hat es nun aber in sich. Denn dieser fordert den Detective Superintendent gleich an mehreren Fronten.

So beginnt alles mit einem blutigen Überfall auf ein Rockerheim in Cayuga. Mehrere professionell ermordete Rocker, zahllose Patronen und wenig Wissen über den Tathergang beschäftigten MacNeices Kolleg*innen. Doch viel Unterstützung kann der DS hier erst einmal nicht leisten. Denn ein Anruf des Bürgermeisters beordert ihn zurück nach Dundurn.

Dort möchte dieser sein großes Prestigeprojekt vorantreiben. Ein gigantisches Museum und Mahnmal soll im Hafen der Stadt entstehen. Doch als man die Bauarbeiten beginnt, entdeckt man dort im Hafen ein versenktes Auto mit Toten im Kofferraum. Daneben finden sich Betonsteelen, in die ebenfalls Leichen eingemauert sind. MacNeice soll diesen Fall diskret lösen – denn öffentliches Aufsehen für den Vorfall bei seinem Prestigeprojekt, das möchte der Bürgermeister doch vermeiden.

Rockerkrieg, versenkte Leichen und ein Serienkiller

Und als wäre dem nicht genug, tritt plötzlich auch noch ein Serienkiller auf den Plan. Dieser ermordet junge Frauen mit Migrationshintergrund. Viel zu tun also für MacNeice, der schon bald erste Querverbindungen zwischen diesen scheinbar singulären Ereignissen herstellt.

Tatsächlich ist es angenehm, in der Fülle an exaltierten Ermittler*innen, deren Privatleben und exaltierten Ticks in vielen zeitgenössischen Krimis manchmal der eigentliche Schwerpunkt zu sein scheinen, diesem Ermittler zuzusehen. Zwar hat auch MacNeice eine verstorbene Frau, deren Absenz ihn beschäftigt. Und auch mit Marotten wie der Vogelbeobachtung oder dem häufigen Genuss von Grappa wurde dieser MacNeice von Scott Thornley ausgestattet. Das stört aber bei diesem Buch nicht. Alles, was um die Ermittlungen selbst garniert ist, ist ausnehmend dezent gestaltet. Eine wirkliche wohltuende Ausnahme im Krimi-Einerlei.

Scott Thornley - Der gute Cop (Cover)

Leider stehen dem auch kleine Kritikpunkte gegenüber. So hätten die Figuren auf Polizeiseite und auch ihre Gegenspieler deutlich mehr an Tiefe vertragen können. Die Rocker sind brutal, der Serienkiller mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung ausgestattet, die Veteranen sitzen Jack-Daniels-trinkend den ganzen Tag in der Kneipe und dergleichen mehr.

Hätte Scott Thornley beispielsweise den Serienkillerstrang im Roman zugunsten einer umfassendere Charakterisierung seines Personals gekürzt, hätte mich der Roman noch mehr überzeugt.

Und auch wenn das Buch im Original 2012 und damit vor den aktuellen Debatten um Polizeigewalt erschien: mag sich Scott Thornley Mühe geben, um MacNeice als guten Cop und positiven Kerl darstellen. Am Ende (Achtung Spoiler!) entscheiden sich er und sein Team letztendlich dazu, Geld zu veruntreuen und auch zu übermäßiger Gewalt zu greifen. Das mag alles aus verständlichen Motiven oder gutem Willen geschehen. Aber in Zeiten, in denen die Gesellschaft über gesetzeskonformes Verhalten und willkürliche Gewalt bei der Polizei debattiert, sendet dieses hier geschilderte Verhalten doch fragwürdige Signale.

Ein Zugangskandidat für das Pantheon literarischer Detektive?

Und nun zur großen, abschließenden Frage: ist MacNeice ein weiterer Zugang im Pantheon der literarischen Detektive, wie die Vancouver Sun insinuiert? Ich würde sagen: noch nicht. Der gute Cop hat zwar als Potential. Dieser Band als Eintrittskarte für dieses Pantheon funktioniert allerdings noch nicht. Denn dazu bedürfte MacNeice noch mehr Profil in seiner Geschichte und seinem Wirken. Das Ganze erklärt sich auch durch die merkwürdige Veröffentlichungspolitik vonseiten des Suhrkamp-Verlags. So ist dieser Band nämlich nicht der Reihenauftakt, sondern eigentlich der zweite Band der Reihe. Warum man sich zu dieser Art der unchronologischen Veröffentlichung entschieden hat, erschließt sich mir nicht ganz.

Auch die Sprache ist nicht unbedingt das, das ich als „literarisch hochwertig“ bezeichnen würde. Hier ist noch eindeutig Luft nach oben. Aber als unterhaltsamer Krimi mit leichten Schwächen funktioniert Scott Thornleys Buch doch ganz gut. Weitere Bände der Reihe sind ebenfalls in Planung. Dass dann auch der erste Band veröffentlich wird, das wäre im Sinne der Reihe wünschenswert.


  • Scott Thornley – Der gute Cop
  • Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet und Andrea O’Brien
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN: 978-3-518-47081-7 (Suhrkamp)
  • 523 Seiten, 16,00 €
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Die andere Seite der Geschichte

Petina Gappah – Aus der Dunkelheit strahlendes Licht

Der Name David Livingstone besitzt auch heute noch einen Klang. Afrika, Entdecker, Stanley, so die Schlagwörter, die einem unwillkürlich in den Sinn kommen, wenn man den Namen des schottischen Forschers hört. Doch wie es mit der Geschichte der Kolonialisation ist, so ist es auch bei der Geschichte der Entdeckung Afrikas: die weiße Sicht der Dinge dominiert. Livingstones Taten und Forschungsreisen sind durch seine und die Bücher Henry Morton Stanleys wohldokumentiert. Doch ein wichtiger Aspekt fehlt: der der einheimischen Bevölkerung. Wie ging es den „Entdeckten“, welche Wirkung hatten die Forschungsreisenden auf die einheimische Bevölkerung?

Mit dem Mittel der literarischen Fiktion gelingt es Petina Gappah nun, der weißen Entdeckererzählung eine längst überfällige schwarze Perspektive (beziehungsweise eigentlich gleich zwei) gegenüberzusetzen und zu ergänzen. In ihrem Buch zeigt sich exemplarisch einmal mehr, zu was gute Literatur im Stande ist: die andere Seite der Geschichte zu beleuchten und einen ungewohnten Blick auf wohlbekannte Dinge zu werfen, um der Geschichte neue Aspekte abzuringen.

Randnotizen der Geschichte als Held*innen

Über 21 Jahre arbeitete Petina Gappah an ihrem Werk, zu dem sie eine beeindruckende Anzahl an Quellen heranzog, wie das Nachwort zeigt. So dienten die Erinnerungen Livingstones (denen auch das Titelbild entnommen ist) sowie die von Henry Morton Stanleys als Ausgangsmaterial. Literarisch denkbar weit entfernt sich Gappah dann aber von diesen bekanntem Stoff. Denn sie erweckt zwei Figuren zu literarischen Leben, die in den Erinnerungen Livingstones allerhöchstens eine Randnotiz waren: die Köchin Halima, die den Schotten auf den Erkundungstouren bekochte. Und dann gibt es noch Jacob Wainwright, ein Absolventen der sogenannten Nassicker-Schule. Dieser begleitete als geistiger Beistand und Missionar die Expeditionen.

Diese beiden erzählen ihre Geschichte, die sich hinter der Grabinschrift der letzten Ruhestätte Livingstones in Westminster Abbey verbirgt.

Hergebracht von treuen Händen über Land und Meer ruht hier David Livingstone, Missionar, Reisender, Philanthrop, geboren am 19. März 1813 in Blantyre, Lanarkshire, gestorben am 1. Mai 1873 in Chitambo, Ulala. 

Grabinschrift des Grabes von David Livingstone

Denn der Ausgangspunkt von Aus der Dunkelheit strahlendes Licht ist der Tod David Livingstones. Körperlich schwer angegriffen verschied der Forscher 1873 in der Nähe des Bangweulu, im Herzen des heutigen Sambia. Doch einfach vor Ort wollte man den Forscher nicht begraben. Auf die geschickte Initiative der äußerst scharfzüngigen Halima hin setzte sich ein Tross in Bewegung, der die Leiche Livingstones an die Ostküste Afrikas vor Sansibar bringen wollte. Von dort aus sollte der Forscher dann die letzte Reise in seine Heimat antreten.

Eine Köchin erzählt

Ihm wird stets gedacht: Büste Livingstones

Von jener Reise erzählt Petina Gappah nun auf ebenso informative wie unterhaltsame Art und Weise. Sie tut dies zum Einen, indem sie die Köchin Halima von ihren Erlebnissen im Stil der Oral History berichten lässt. Ein wunderbarer erzählerischer Kniff, denn in der Geschichtsschreibung bleibt diese Perspektive ja zumeist außen vor. Eine schwarze Köchin, ein kleines Rad im Getriebe der Forschungsexpeditionen – hier erhält sie ihren großen Auftritt, den Halima durchaus zu nutzen weiß. Ebenso resolut wie goschert (wie man bei mir zuhause sagen würde) wie gewitzt wächst sie beim Lesen sekundenschnell ans Herz. Petina Gappah erschafft hier eine ganz besondere Heldin, die mit den Mitteln einer Frau ein Himmelfahrtskommanda auf Spur bringt. Denn die Überführung der Leiche des schottischen Entdeckers bedeutet auch einen mehrere hundert Kilometer langen Gewaltmarsch, bei dem Sklavenhändler, wilder Tiere und nicht auch die eigenen Mitmenschen eine erhebliche Gefahr darstellen.

Ein Missionar erzählt

Bewunderswert ist, dass es Gappah gelingt, neben der so eindrücklichen Figur Halima noch eine zweite Erzählerfigur zu installieren, die in Sachen Figurengestaltung mit der resoluten Köchin mithalten kann. Den Mittelteil des Buchs bestreitet nämlich jener eingangs erwähnte Jacob Wainwright, der in Form eines Tagebuchs berichtet. Als Kind der Sklaverei entkommen, wurde er in der sogenannten Nassicker-Schule in Indien ausgebildet. Als Missionar soll er eigentlich in Afrika den christlichen Glauben verbreiten – doch dass das alles nicht so leicht ist, davon zeugen seine Tagebucheinträge. In diesen beschreibt er den gefahrvollen Marsch, den die Köchin Halima angestoßen hat. Doch das in meinen Augen tollste an diesen Tagebuchpassagen ist die dahinterstehende Tiefe, die Petina Gappah zwischen den Zeilen einwebt. Ihr gelingt es hier, die Widersprüche eines Menschen auf ganz und gar großartige Weise auf Papier zu bannen.

Aus den Büchern Livingstones: ein Zulu-Ritual

So entsteht durch die gegensätzlichen Figuren Halima und Jacob Wainwright eine Dichotomie, die symbolisch auch für die Zerissenheit Afrikas steht. Dass diese Zerissenheit Afrikas auch entscheidend durch Männer wie David Livingstone geprägt wurde, das ist auch in der Logik des Buchs nur konsequent.

Der Humor der Petina Gappah

Neben diesem oft marginalisierten schwarzen Blick auf die Kolonisation Afrikas gibt es auch einen Punkt, der mich zuletzt auch noch sehr für das Buch eingenommen hat. Das ist der Humor, den Petina Gappah als Instrument ihrer Geschichte großartig einsetzt. Dieser kommt nicht mit dem Holzhammer daher, sondern entsteht ganz fein schon in der Psychologisierung der Figuren und setzt sich in den Handlungen und Eindrücken der Protagonist*innen fort. Unvergesslich etwa die Schilderung eines Afrikaners, der bei der ungewohnten Haarpflege bei Stanley feststellt, dass dessen Gehirn wärend der Massage der Kopfhaut zutage tritt. Dabei wurde er hier nur das erste Mal in seinem Leben der Wirkung eines Shampoos ansichtig. Von skurril bis trocken reicht die Humorpalette, die dieses Buch endgültig zu etwas Besonderem macht.

Eigentlich war ja Livingstone mit dem im Titel paraphrasierten Ausspruch gemeint, der Licht ins dunkle und unerforschte Afrika bringe. Doch mindestens genauso gut lässt sich der Titel auf Gappahs Buch selbst anwenden. Ihr Buch bringt Licht in die kaum erzählte Geschichte der afrikanischen Helfer*innen und Held*innen, die Livingstone wieder nachhause brachten. Sie erzählt die andere Seite der Geschichte und unterhält dabei grandios. Eine ganz, ganz große Buchempfehlung!

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Vea Kaiser – Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger

Zu Besuch in der literarischen Apotheke

Vea Kaiser muss vor der Arbeit an Rückwärtswalzer eine literarische Apotheke besucht haben. In dieser Apotheke gibt es Schubladen und Regale vom Boden bis zur Decke. In diesen Schubladen, so stelle ich es mir vor, schlummern alle möglichen Ingredenzien, die man zum Verfassen eines Buchs brauchen könnte. Hinter einigen Türchen verbergen sich Plotzutaten wie Spannungsbögen, überraschende Wendungen oder für Krimischreiber*innen der ein oder andere Whodunnit. In anderen Ablagen hingegen befinden sich widersprüchliche Figuren, Schicksalsschläge oder Verwechslungen, die Bücher anreichern können.

Für Genres gibt es wieder eine ganze Abteilung mit Schubladen wie etwa Familienroman, Krimi, Entwicklungsroman oder Schmonzette. Fläschchen beinhalten Stimmungen wie Traurigkeit, Melancholie oder Lebensfreude, die über die Bücher gesprüht werden können.

Alles ist da, man kann zugreifen und sich seine Bücher nach Herzenslaune zusammenbauen. Es gibt Autor*innen, die diese literarische Apotheke eher selten benutzen und wenn dann höchsten ein oder zweimal verschämt in Schubladen greifen. Dann gibt es aber auch Schreiber*innen wie Vea Kaiser, die vor jedem Buch ein paar Mal in der Apotheke vorbeischauen und die Zutaten in Massen nach Hause schleppen, um daraus dann ihre Romane zu basteln.

Diesmal muss sich die österreichische Autorin besonders lang in der Genre- und Figurenabteilung aufgehalten haben. Sie hat bei den Familienromanen und der Gattung Road Novel zugeschlagen, Slapstick, Traurigkeit, Humor und besonders viele skurrile Figuren in ihre Tüten eingepackt. Und all diese Zutaten finden sich nun in ihrem neuen Roman Rückwärtswalzer .

Hedi, Wetti, Mirl, der Lorenz – und eine tiefgekühlte Leiche

So ist der Roman zuvorderst auf seinem skurrilen Personal aufgebaut. Da gibt es den glücklosen und ziemlich bankrotten Schauspieler Lorenz, der von seiner Freundin verlassen Halt bei der Familie sucht. Dann gibt es die drei Tanten namens Hedi, Wetti und Mirl, die alle ganz eigene Vergangenheiten haben, und die mit ihrer Kochbegeisterung und dem omnipräsenten Speiseangebot auch ganze Kompanien des österreichischen Bundesheers versorgen könnten. Und da ist Onkel Willi, der mit seiner Verehrung des Diktators Tito, für dessen Meisterspion er sich selbst hält, auf die Nerven fällt.

Doch dann ist plötzlich der Onkel Willi tot, was die Tanten auf einen skurrilen Plan ruft: Onkel Willi stammt aus Montenegro, wo er auch unbedingt seine letzte Ruhe finden wollte. Doch das Geld für eine Überführung ist weg, und so werden die Tanten und Lorenz aktiv. Der Großvater wird in der Kühlkammer des benachbarten Fleischhauers tiefgekühlt, ehe es dann mit der schockgefrosteten Leiche, den drei Tanten auf der Rückbank und Lorenz am Steuer gen Montenegro geht.

Wenn man nach drei Büchern ein Thema im Schreiben Vea Kaisers ausgemacht haben kann, dann ist es wohl die Familie und die Frage des sozialen Verbunds. In Blasmusikpop war es ein ganzes Dorf, das im Fokus stand. In Makarionissi war Vea Kaiser dann auf die Generationen einer chaotischen griechischen Familie konzentriert. Und nun geht es eben um die Familie Prischinger und die Frage, was die Familie im Innersten zusammenhält.

Hierfür variiert die Österreicherin ihre Schreibweise, indem sie diesmal keinen ganz chronologischen Ansatz verfolgt. Ging es doch in den ersten beiden Büchern in immer kleiner werdenden Schritten von der Vergangenheit in die Gegenwart, operiert sie diesmal mit zwei Erzählsträngen. Der eine ist der oben geschilderte Erzählstrang, der das Verscheiden Onkel Willis und die Reise nach Montenegro beschreibt.

In diesen Strang hinein schneidet Kaiser immer wieder Episoden aus dem Leben der Beteiligten durch die Jahrzehnte hindurch. Eine spannende Montagetechnik, für den Kaiser den Begriff des Rückwärtswalzers erfunden hat.

So bekommen die Tanten alle unterschiedliche Schicksale verpasst, Willis Geschichte wird klarer und auch Lorenz bekommt ein bisschen eine Entwicklung zugestanden. Vom trägen Waschlappen bis zum Leichenchauffeur – muss man ja auch erst einmal schaffen.

Ein österreichischer Roman im besten Sinne

Rückwärtswalzer ist ein österreichischer Roman im besten Sinne. Stets ist die Faszination des Morbiden und des Jenseitigen präsent, egal ob in Form der tiefgefrorene Leiche oder als Tod durch Silagegase. Dies geht dann aber auch wieder mit einer großen Portion Humor einher, der manchmal auch fast etwas in kalauerhafte und Peter-Steiners-Theaterstadelhafte kippt. Doch insgesamt balanciert Vea Kaiser ihre Geschichte dann schon immer wieder gut aus, sodass es vom Lachen bis zur Traurigkeit oder Melancholie nur ein kurzer Sprung ist. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Die Mischung aus der literarischen Apotheke ist ganz gut abgewogen.

Eine Hymne auf den Familienverbund, ein Gruß an John Irving (der Bär lässt grüßen) und Shakespeare (die drei Tanten weckten bei mir manchmal Erinnerungen an Macbeth), ein facettenreiches Buch, das ich ohne Bedenken weiterempfehlen kann, egal ob hier in der Bibliothek oder als Geschenk für Bekannte.

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Lisa McInerney – Glorreiche Ketzereien

Rabenschwarzes Irland

Irland – die grüne Insel. Beim Debüt von Lisa McInerney ist davon nicht mehr viel übrig. Vielmehr verpasst sie ihrem Heimatland einen sehr dunklen Anstrich. Sie erzählt von jugendlichen Drogendealern, Frömmelei und kriminellen Familienvätern. Das tut sie im Gewand einer tiefschwarzen Komödie, deren Beginn eigentlich wie aus einem Sketch von Monty Python klingt.

Maureen, die Mutter Jimmy Phelan, überrascht nächtens einen Einbrecher in ihrem Zuhause. Kurzerhand erschlägt sie diesen mit einer religiösen Devotionalie, einem „Heiligen Stein“. Um das Problem des Toten in ihrer Wohnung soll sich aber ihr Sohn Jimmy kümmern – wozu hat man schließlich Familie? Doch dieser hat auch nicht so wirklich Lust auf diesen Job der Leichenbeseitigung – und so delegiert er diesen Job weiter an Tony Cusack, einen Vasallen in seinem kriminellen Imperium. Dieser kümmert sich schließlich um den mit dem Heiligen Stein Erschlagenen – doch damit kommt die Sache dann erst richtig ins Rollen.

Denn neben diesen hier erwähnten Charakteren gibt es noch ein paar weitere zentrale Figuren, die Lisa McInerney auf ihr Personenkarusell setzt und dann kräftig anschubst. Unter anderem spielen noch Tonys Sohn, ein sehr aktiver Drogendealer, und eine Prostituierte eine Rolle, die ihr Heil dann allerdings im Glauben sucht. Ein Zweifel bleibt bei ihr allerdings bestehen: vor einiger Zeit ist ihr Freund verschwunden – und sie möchte unbedingt wissen, wo dieser abgeblieben ist.

Dies ist die Ausgangskonstellation, deren Dynamiken die Irin McInerney im folgenden über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren beobachtet. Geschickt schafft sie es, mit ihrem überschaubaren Personal einen verwinkelten und bösen bis bitterschwarzen Plot so zu erzählen, dass man ihr als Leser gerne über die 448 Seiten folgt. Wie bei jeder guten Komödie sind es die Wechselbeziehungen, die den Fortgang der Handlung bestimmen, auf eine Aktion folgt meist die Gegenreaktion – wie bei einer Kette spult sich dieser Plot ab.

Man könnte das Ganze auch einfach mit einem prägenden Zitat aus dem Buch zusammenfassen:

„Es war ein Schlamassel allererster Ordnung.“ (McInerney, Lisa: Glorreiche Ketzereien, S. 215)

Haupthandlungsort dabei ist das im Süden Irlands gelegene Städtchen Cork, dass es im Jahr 2005 gar zur Kulturhauptstadt Europas geschafft hat. Doch Kultur ist in Lisa McInerneys Version dieses Ortes Fehlanzeige. Stattdessen dominieren Drogen, halbseidene bis kriminelle Strippenzieher und viel Düsternis. Väter schlagen ihre Kinder, Drogen werden fleißig konsumiert und selbst bei einer christlichen Gruppierung dominieren Janusköpfigkeit und Hypokrisie. Doch McInerney hält die Balance zwischen Abgründen, Tempo und Handlung, sodass Glorreiche Ketzereien nie kippt.

Für einen Erstling ist dieses Buch wirklich beachtlich. Vom Kollegen Kevin Barry (Dunkle Stadt Bohane) zum Romanschreiben angestiftet zeigt sie hier, dass ihre literarische Stimme Irland bereichert. Inmitten eines Heers von tollen aktuellen Schriftstellern (John Boyne, Adrian McKinty oder etwa Claire-Louise Bennett) von der Insel zeigt hier eine weitere tolle Schriftstellerin ihr Können.

Auch wenn es keine wirklich profunde literaturtheoretische Analyse ist: dieser Roman macht Spaß. Er ist temporeich erzählt, schwarzhumorig und rundet sich zum Ende hin ganz wunderbar. Auch wenn die deutsche Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence etwas mehr Grip vertragen hätte – diese Glorreichen Ketzereien liest man gerne!

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