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Auf Schmugglerpfaden

Matteo Righetto – Die Seele des Monte Pavione

Italien und der Anbau von Tabak. Zwei Dinge, die man nicht automatisch in Verbindung miteinander setzt. Ich assoziiere Tabak stets mit Südamerika und erfuhr erst durch Matteo Righettos Buch von der Geschichte des Tabakanbaus in Italien. Und tatsächlich ist es so, dass auch heute noch in verschiedenen europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, Tabak angebaut wird. Der Anbau wird sogar von der EU subventioniert, allerdings gilt die Aufzucht der Tabakpflanze als kaum rentabel.

Matteo Righetto - Die Seele des Monte Pavione (Cover)

Wie aufwändig das Geschäft mit dem Tabak ist, das erfährt man auch in Die Seele des Monte Pavione. In diesem Roman schildert Righetto das Leben einer Familie von Tabakpflanzern, die im Norden Italiens an der Grenze zu Südtirol leben. Man schreibt das Ende des 19. Jahrhunderts. Obwohl die Industrialisierung auch in dieser Region langsam Einzug hält, geht in Nevada alles noch einen anderen Takt. Augusto de Boer pflegt zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern die Tabakpflanzungen, die nur einen kümmerlichen Profit abwerfen. Genau von Behörden kontrolliert obliegt dem Mann die Aufzucht und Trocknung der begehrten Blätter.

Doch das Auskommen aus dem Verkauf der Tabakblätter reicht hinten und vorne nicht. Und so bedient sich Augusto kreativer Möglichkeiten, um das Einkommen der Familie zu verbessern. Wie andere Bauern in der bergigen Grenzregion verdient er sich beim Schmuggel von heimlich abgezweigter Tabakgüter etwas dazu. Nur so kann er sicherstellen, dass seine Familie genug zu essen hat, wenn saisonal bedingt keine Aufzucht der Tabakpflanzen möglich ist. Doch dann passiert es: von einem seiner Schmuggelgänge nach Österreich kommt er nicht wieder. Und so obliegt es nun seiner ältesten Tochter Jole, die Schmuggeltätigkeit des Vater aufzunehmen.

Righettos Schilderungen der Natur

Von diesem Schmuggelgang erzählt Righetto in seinem Buch in einer romantischen, manchmal fast märchenhaft anmutenden Sprache. Ein ums andere Mal auch knapp an der Grenze zum Kitsch entlanggeschrammt.

Der Himmel füllte sich mit Sternen, leuchtend hell, schön und frei. So schön und erhaben dieser Augenblick war, fühlte Jole doch mit plötzlicher Bitterkeit ihre Einsamkeit und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Und es kam ihr so vor, als weine das Firmament über ihr ebenfalls.

Righetto, Matteo: Die Seele des Monte Pavione, S. 184

Gewiss, man sollte eine gewisse Toleranz für Pathos, klopfende Spechte, wisperndes Gras und einfach gezeichnete Figuren mitbringen. Aber wer zu einem Buch mit dem Titel Die Seele des Monte Pavione greift, bringt diese Toleranz wahrscheinlich auch mit. Wie schon vor ein paar Jahren, als Paolo Cognetti mit Acht Berge ein Überraschungserfolg und veritabler Longseller gelang, rückt auch hier sein Landsmann Righetto die innere Reifung und die Naturerfahrung in unwirtlicher Umgebung in den Mittelpunkt. Durch die gefährliche Schmuggeltour, auf die sich Jole notgedrungen begibt, reift die junge Frau und lernt auch sich im Kampf der Bergwelt Südtirols kennen. Den Monte Pavione, der die Wegscheide auf dieser Tour darstellt, inszeniert Righetto mit geisterhaft brausenden Winden als eine Art italienischen Untersberg. Und auch sonst ist die unberührte Natur der zweite große Hauptdarsteller neben Jole.

Zwar hört man von drunten im Tal schon die Bauarbeiten der Eisenbahn heraufklingen. Aber von Jole und ihrem Pferd, die sich oben am Berg auf den Schmugglerpfaden bewegen, ist dies alles denkbar weit entfernt. Eine Szene mit Aussagekraft. Hier lässt jemand noch einmal die Naturidylle aufleben und taucht in die archaische Bergwelt Südtirols ein.

Dieses Buch trifft einen Nerv der Zeit – auch bei mir. Die entschleunigte Lektüre, die trotzdem nicht vergisst, die Handlung voranzutreiben und die bildreichen Naturbeschreibungen – sie gelingen Righetto sehr gut. Oder um es mit der Bergmetaphorik auszusprechen: Righetto ist ein erzählerischer Wanderer, der für seine Tour das richtige Tempo anschlägt und nur wenige Mal neben seinen Pfad in die Abgründe des Kitsches tritt.


  • Matteo Righetto – Die Seele des Monte Pavione
  • Aus dem Italienischen von Bruno Genzler
  • ISBN: 978-3-89667-616-0 (Blessing)
  • 240 Seiten, 20,00 €
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John Meade Falkner – Moonfleet

Der Dezember wird immer mehr zu meinem Klassikermonat. Nach di Lampedusas Der Leopard und Kästners Drei Männer im Schnee gibt es nun einen britischen Klassiker. John Meade Falkners Roman Moonfleet entführt in ein kleines Dorf an der südenglischen Küste. Darin beschwört er eine Zeit herauf, als noch Schoner und Schmuggler vor der Küste kreuzten. Ein Buch, das auch nach über 120 Jahren seit Erscheinen nichts an Tempo, Action und Abenteuer eingebüßt hat. Genau das Richtige für die Weihnachtsfeiertage, um sich auf eine nostalgische Reise ins 19. Jahrhundert zu begeben.


Ursprünglich erschien Falkners Buch im Jahr 1898. Es ist das mittlere von insgesamt drei Werken, die John Meade Falkner zeitlebens verfasste. Neben den zwei anderen Romanen schrieb er um die Jahrhundertwende auch Handbücher über die Landschaften in Oxfordshire und Berkshire sowie Gedichte, die posthum veröffentlicht wurden. Sein berühmtestes Buch ist aber zweifelsohne Moonfleet, das als Klassiker der Abenteuerliteratur gilt. Dass die Popularität und Faszination ungebrochen ist, das zeigt nicht zuletzt auch eine Verfilmung als Miniserie, die im Jahr 2013 ausgestrahlt wurde.

Im Deutschen existieren auch zahlreiche Ausgaben dieses Werks. Unter anderem erschien 1995 das Buch in der ungekürzten Neuübersetzung durch Oliver Koch in der Reihe Bibliothek der klassischen Abenteuerromane. Andere Autoren, die in dieser vergriffenen Bibliothek versammelt wurden, waren beispielsweise Wilkie Collins und Alexandre Dumas.

Auch der Münchner Kleinverlag Liebeskind nahm sich (zum Glück!) dieses Buchs an. In der Übersetzung von Michael Kleeberg erschien Moonfleet hier im Jahr 2016 und ist auch noch im Buchhandel lieferbar. Ein Glücksfall, wie ich finde, denn das Buch bietet jede Menge nostalgischer Unterhaltung, die an Klassiker des Genres wie etwa Robert Louis Stevensons Die Schatzinsel erinnert.

Auf der Jagd nach Blackbeards Schatz

Ausgangspunkt der Geschichte ist das Dörfchen Moonfleet, in dem der junge John Trenchard lebt. Dieser erzählt uns als Leser*innen aus der Ich-Perspektive seine unglaubliche Geschichte.

Dort in Moonfleet wächst Trenchard bei seiner Tante auf, der er mit seinem verträumten Wesen ein Dorn im Auge ist. Am liebsten verbringt er die Tage mit dem Beobachten des Meeres. Doch nicht nur er interessiert sich sehr für das maritime Leben vor der Küste Dorsets. Auch der Großteil der übrigen Bevölkerung schaut genau hinaus auf Meer – denn Moonfleet ist ein Schmugglernest. Von der anderen Seite des Ärmelkanals bringen die Schmuggler in Nacht-und-Nebel-Aktionen Güter wie etwa Fässer voller Alkohol in die Verstecke auf der englischen Seite. Dabei ist sehr viel Vorsicht geboten – denn nicht nur die Obrigkeit versucht, die Schmuggler festzusetzen. Auch die Strömungen vor der Küste sind höchst tückisch. Immer wieder erleiden Schoner dort Schiffbruch und werden dann von der lokalen Bevölkerung geplündert.

Dabei ist dieses kriminelle Verhalten schon fast eingeschrieben in die DNA der Bevölkerung von Moonfleet. Denn einer der Vorfahren der lokalen Lehnsherren soll der legendäre Freibeuter Blackbeard gewesen sein. Jener Blackbeard versteckte vor seinem Ableben einen Diamanten irgendwo in der Gegend. Diese Legende beschäftigt nach wie vor die Einwohner*innen – allen voran natürlich John mit seiner lebhaften Fantasie. Er will den sagenumwobenen Diamanten unbedingt aufspüren. Dass auf dem Edelstein der Legende nach ein Fluch liegen soll, hindert den jungen Mann nicht.

Seine Suche nach dem Diamanten löst ein turbulentes Abenteuer aus, das zu einer gefahrenvollen Schatzsuche wird – Überfälle, Flucht, Verstecke etc. inklusive. Falkner bietet in seinem Buch alles auf und schickt John Trenchard und seinen Ziehvater, den Schmuggler Elzevir Block, auf eine ebenso temporeiche wie turbulente Reise.

Maritime Schatzsuche wie aus dem Bilderbuch

Ein Diamant, auf dem ein Fluch lastet. Ein Versteck, das noch niemand gefunden hat. Das gefährliche Schmugglerleben. Ein mit allen Wassern gewaschener Schmuggler, der John unter seine Fittiche nimmt. Verrauchte Dorfgasthäuser, in denen der Gin und die Legenden zirkulieren. All das sind natürlich Zutaten für eine Abenteuergeschichte wie aus dem Bilderbuch. Falkner erzählt sie in einem gelungenen Ton aus jugendlich-naiver Schilderung und Rückblenden eines erwachsenen Mannes. Die Kapitel tragen dabei sprechende Namen (Die Springflut, Die Flucht etc.).

Auch nach über 120 Jahren besitzt dieses Buch einen Drive und eine Erzählkraft, die zeitlos ist. Falkner treibt seine Handlung immer wieder voran, hält mit erzählerischen Kniffen das Tempo hoch und schildert plastisch das Treiben in Moonfleet. Dass dabei das Rollenbild natürlich auch ebenso historisch ist, sollte niemanden verwundern.

Frauen existieren in dieser Welt kaum, es sind im Buch eigentlich nur zwei relevante Figuren, die Johns Welt bevölkern. Die eine Frau ist seine Angebetete (und natürlich schutzbedürftig und dem Helden erlegen), die andere ein wahrer Hausdrachen, die als Ziehtante John mit frömmelnden Traktaten und Vorwürfen überzieht.

Die wirkliche Mutter findet er vielmehr in der Gestalt des Schmugglers Elzevir, der sich des Jungen annimmt. Diese Beziehung schildert Falkner auch sehr emotional und fürsorglich. Ein Kontrast zu der sonstigen Handlung, bei der John schon einmal in bester Rambo-Manier durch einen Fensterladen eines Hauses bricht.

Fazit

Insgesamt ist Moonfleet ein absolut stimmiges Buch, das einen in seine Kindheit zurückversetzt, in der man gerne noch Pirat war und mit Jim Hawkins und Konsorten durch Bücher wie die Schatzinsel jagte. Ein in meinen Augen zeitloser Klassiker, dessen Neuauflage im Liebeskind-Verlag auf alle Fälle sinnvoll ist. Hier ist ein echter Abenteuer-Klassiker (wieder) zu entdecken!

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Mike Nicol – Power Play

Wer oder was sind Seeohren? Diese potentielle 125.000 €-Frage kann der Leser von Mike Nicols neuem Roman nach der Lektüre spielend leicht beantworten. Denn diese unter Wasser lebenden Schnecken sind eine Art Muscheln, die vor der Küste Südafrikas leben und als Delikatesse gelten. Der Schmuggel mit ihnen blüht – und so wollen verschiedene Parteien aus dem Geschäft mit den Seeohren ihren Profit schlagen.

Power Play von Mike Nicol

Power Play von Mike Nicol

Eine unübersichtliche Gemengelage durchzieht den neuen Roman des südafrikanischen Krimiautors Mike Nicol, der neben Schreibern wie Deon Meyer, Paul Mendelson oder Malla Nunn zu den Vertretern einer boomenden Kimiregion zählt. Die babylonische Verwirrung, die am Anfang des Buchs herrscht, dauert auch einige dutzend Seiten an, ehe man zunächst die groben Zusammenhänge und Abhängigkeiten überblickt (da hilft es auch wenig, wenn sich der Klappentext in lobpreisenden Stimmen über den Autor ergeht. Wirklich schlauer wird man daraus nicht, deshalb hier nun ein paar wenige Worte zum Geschehen) Continue reading

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Dennis Lehane – In der Nacht

Ein Prohibitionsmeisterwerk

Es gibt Schriftsteller, da passt jedes Wort. Da ist keine Zeile zu viel, da klingt kein Dialog gekünstelt und da ist jede Szene sauber gebaut und lässt im Kopf des Lesers einen ganz eigenen Film entstehen. Einer jener Schriftsteller, der zu meinen absoluten Favoriten zählt, schafft genau dies – die Rede ist von Dennis Lehane. Immer noch kommt ihm in Deutschland nicht die Aufmerksamkeit zu, die er eigentlich verdient hätte (man denke nur an die Adaptionen seiner Bücher Shutter Island oder Gone Baby gone). Immerhin hat sein Verlagswechsel hin zu Diogenes nun zur Folge, dass auch das schon etwas länger erschienene Mystic River neu aufgelegt wurde und eine langsame Etablierung des Autors einzutreten scheint. Mehr als zu gönnen ist es dem Autor auf jeden Fall.

Ein weiterer Titel aus dem facettenreichen Schaffen des Amerikaners liegt nun im Taschenbuch vor – übersetzt von Sky Nonhoff. Es handelt sich um das Prohibitionsdrama In der Nacht, der Lebensgeschichte des Gangsters und Alkoholschmugglers Joseph „Joe“ Coughlin.

Von Boston nach Tampa

Dieser wächst in Boston auf, um zwischen irischen und italienischen Einwanderern dann schnell die kriminelle Laufbahn einzuschlagen. Ein Überfall auf ein Hinterzimmer bringt ihn und seinen Vater, einen hohen Polizeibeamten, zunächst nur in Bedrängnis und Joe wenig später ins Gefängnis. Dort macht er die Bekanntschaft mit hohen Unterweltgrößen um in der Folge selbst zu einem mächtigen Mobster zu werden.

Der Unterweltboss Maso Pescatore verfügt nämlich, dass Joe in den Süden Amerikas, genauer gesagt nach Tampa gehen soll. Dort steigt er im Spannungsfeld zwischen Kuba und Amerika rasch zum mächtigsten Alkoholschmuggler der Gegend auf. Er übernimmt die Kontrolle über wichtige Vertriebswege und versorgt den ganzen Süden mit erstklassigem Rum – durch die herrschende Prohibition ist ihm ein einträglicher Verdienst sicher. Doch wie es so ist mit Imperien – schon bald drohen Widersacher und Staat dem prosperierenden Geschäft Joes gefährlich zu werden. Doch dieser weiß sich zu wehren.

Ganz ganz große Kunst

Immer wieder gibt es Bücher, die den Leser mit den ersten Sätzen schon derart ins Geschehen hineinziehen, dass Widerstand absolut sinnlos und verfehlt wäre. Der Beginn von In der Nacht zählt hierzu. Wie es Lehane gelingt, den Bogen vom todgeweihten Joe Coughlin hin zu seinen Jugendjahre zu spannen, wie er prägnante Szenen einzufangen weiß und wie er die Noir-Stimmung und Chandler-würdigen Dialoge kreiert – das ist große Kunst, punktum.

Ein Buch, das während der Lektüre nach einem guten Glas Rum in der Hand gebietet und dazu angetan ist, in einem Rausch gelesen zu werden. Joes Kampf um die Vorherrschaft im Schmugglergeschäft ist nicht nur für Fans der Fernsehserie Boardwalk Empire höchst interessant. Jeder, der nur halbwegs am Kapitel der Prohibition oder der Mafia in Amerika interessiert ist, der kommt nicht um diesen Titel herum.

Und die beste Nachricht noch zum Ende: die Geschichte Joes ist noch nicht auserzählt – im Herbst kehrt er im Buch Am Ende einer Welt wieder zum Leser zurück. Ein definitiver Pflichttitel dieses Bücherherbstes!

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