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Walter Tevis – Der Mann, der vom Himmel fiel

Der deutsche Buchmarkt ist immer wieder für ein Comeback gut. Wiederentdeckungen großer Namen gab es in letzter Zeit häufig zu lesen. Auch der Schweizer Diogenes-Verlag kümmert sich um die Pflege und Entdeckung fast vergessener Autorinnen und Autorinnen. Das klappt mal besser, wie im Falle von Kent Haruf, mal mag es nicht so funktionieren, wie im Fall von Marianne Philipps (Die Beichte einer Nacht). Zu ersterer Kategorie kann man eigentlich schon jetzt Walter Tevis zählen.


Bereits 1984 gestorben war Tevis als Schriftsteller recht schnell vergessen, auch wenn seine Bücher vielfach die Grundlage legendärer Filme waren. So stammt etwa die Vorlage zu Die Farbe des Geldes aus der Feder des amerikanischen Autors.

Das öffentliche Interesse richtete sich nun wieder auf Walter Tevis, als Netflix die Miniserie Das Damengambit über die hochtalentierte Schachspielerin Beth Harmon veröffentlichte. In der Folge waren an manchen Orten nicht nur die Schachbretter ausverkauft, auch der Schöpfer von Beth Harmon erfuhr großes Interesse. Und so veröffentlichte Diogenes das ursprünglich 1983 erschienene Buch im vergangenen Jahr noch einmal – mit großem Erfolg.

Das Comeback von Walter Tevis

So großem Erfolg, dass nun ein weiteres Werk von Walter Tevis in Neuübersetzung durch pociao und Roberto de Hollanda im Diogenes-Verlag erscheint. Auch dieser Titel weckt gleich wieder Erinnerungen an einen Film, in dem David Bowie die Hauptrolle spielte. Der Mann, der vom Himmel fiel erzählt die Geschichte des Fremden Thomas Jerome Newton, der vom Planeten Anthea stammt. Er findet sich in Amerika wieder, wo er einen gigantischen Plan umsetzt.

Walter Tevis - Der Mann, der vom Himmel fiel (Cover)

Denn wie sein berühmter britischer Namensvetter hat sich auch Der Mann, der vom Himmel fiel mit Technik auseinandergesetzt. Er ist im Besitz des Wissen von außerirdischen Technologie, die unserer irdischen Technologie klar überlegen ist. Mithilfe dieses Wissen möchte er riesige Mengen an Geld generieren, um einen kühn Plan in die Tat umzusetzen. Er will ein Raumschiff bauen, um mit diesem zurück zu seinem Planeten zu gelangen, der kurz vor der Auslöschung steht. Hilfe erhofft sich Newton von Professor Bryce, dessen Interesse durch innovative Erfindungen wie die eines bestechend scharfen Films oder ungewöhnlicher Zündhütchen geweckt wurde, die ihn auf die Spur des Mannes brachten, der vom Himmel fiel.

Doch schon aus der Bibel weiß man, wie es meist mit Menschen geht, die auf die Erde kommen, um Heil zu bringen und die Erlösung aller zu propagieren. Auch der Weg des Antheaners droht an Machtfragen und Politik zu scheitern.

Eine etwas angestaubte Themenwahl

Hat Das Damengambit mit dem Thema Schach im Mittelpunkt des Bildungsromans ein zeitloses Thema, so merkt man Der Mann, der vom Himmel fiel sein Alter doch etwas stärker an, da sich Tevis recht stark auf die Technologie konzentriert, die für Newton der Weg zurück zu den Sternen sein soll.

Ist im Roman Professor Bryce über die Fähigkeiten eines Selbstentwicklungsfilms bass erstaunt, so entlockt uns das in Zeiten von Smartphones, Livestreams und Echtzeit-Übertragung eigentlich nur noch ein müdes Lächeln. Auch das revolutionäre Abspielen von Schallplatten, deren Inhalt nun auf Kugeln gepresst wird, um sie dann wiederzugeben, ist im Zeitalter von Spotify eher ein alter Hut.

Mögen Tevis‘ Ideen für die damalige Zeit der 60er Jahre revolutionär und gerade Science-Fiction-artig gewesen sein, so ist doch das meiste, was in diesem Roman verhandelt wird, schon längst überholt. Das lässt das Buch heute stark veraltet wirken, auch wenn die Themen der Politik und des Agierens von Geheimdiensten gerade in Bezug auf den Entstehungszeitraum inmitten des Kalten Kriegs interessante Aspekte verheißen. Auch die christliche Parabel mit einer starken Analogie zur Passionsgeschichte lässt Raum für Interpretationen:

Newton rief erneut dem Barkeeper etwas zu. „Wissen Sie, warum ich auf diese Welt gekommen bin, Mr. Elbert?“

Diesmal blickte der Barkeeper nicht mal mehr auf. „Nein, Dad“, gab er zurück. „Davon habe ich nichts gehört“.

„Tja, ich bin gekommen, um euch zu retten.“ Newtons Stimme war präzise, spöttisch, enthielt aber auch eine Spur von Hysterie. „Ich bin hier, um euch alle zu retten.“

Walter Tevis – Der Mann, der vom Himmel fiel, S. 258

Fazit

Auf lange Sicht gesehen funktioniert das Buch für mich leider nicht mehr wirklich. Ebenso veraltet wie die Dialoge, in denen man sich schon mal „Mich laust der Affe!“ zuwirft, wirkt die ganze Thematik der Rettung der Menschheit und das Vertrauen auf Technologie zur Rettung der Planeten.

Eine Thematik, die ja eigentlich aufgrund der Klimakrise und den damit einhergehenden Rettungsansätzen durchaus zeitgemäß wäre und – ein bisschen uneindeutiger und offener geschrieben durchaus auch als Meditation in diesen Tagen gelesen werden könnte. So wirklich öffnen sich diese Assoziationsräume nicht, vielleicht auch aufgrund der etwas holprigen Erzählweise und den Lücken, die immer wieder bleiben. Es wirkt an manchen Stellen, als sei Tevis selbst nicht wirklich klargewesen, was er nun erzählen oder welchen Punkt seiner Geschichte er insbesondere unter die Lupe nehmen möchte.

So kann man Der Mann, der vom Himmel fiel als Zeitdokument der Vorstellungswelt der 60er Jahre lesen, heute hat das Buch aber eher nur noch einen historischen Wert. Literarisch kann es zumindest mich nicht wirklich überzeugen.

Konträr dazu steht Gérard Otremba, der dem er Buch eine hohe Güte bescheinigt. Für ihn ist das Buch wunderbar und hochaktuell – seine Meinung lässt sich hier nachlesen.


  • Walter Tevis – Der Mann, der vom Himmel fiel
  • Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda
  • ISBN 978-3-257-07197-9
  • 267 Seiten. Preis: 23,00 €
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Tom Hillenbrand – Hologrammatica

Mehr Schein als Sein

Die Welt im Jahr 2088: alles ist zusammengewachsen, Strecken über Kontinente können innerhalb von Stunden zurückgelegt werden, auch das Weltall dient als Rohstoffquelle und Refugium. Kaum ein Auto hat mehr ein Lenkrad, die Technologie übernimmt. Und die dunklen Seiten des Fortschritts werden einfach mit jeder Menge Hologrammatica überdeckt, einer Art Tünche, die alle Flächen überzieht und verschönert. Straßenschilder, Werbung, Häuserfassaden, Animationen – alles übernehmen nun die Hologramme und bieten damit eine perfekte Illusion.

Hinter die Abgründe hinter der Hologrammatica schaut Tom Hillenbrand in seinem zweiten futuristischen Krimi nach Drohnenland. Denn auch wenn das Buch einem Sci-Fi-Auto mit Hollogrammtica-Lack gleicht – der Motorblock dieses Gefährts ist immer noch ein Noir-Krimi, wie er klassischer nicht gebaut sein könnte. Schon auf den ersten Seiten geht es damit los: eine Dame betraut den Ich-Erzähler und Quästor (Anfang des 21. Jahrhunderts hätte man wohl auch noch Privatdetektiv oder Kopfgeldjäger gesagt) Galahad Singh mit einem Auftrag. Die Programmiererin und Entwicklerin Julien Perrotte ist verschwunden. Für ihren Arbeitgeber arbeitete sie an der Verschlüsselung digitaler Gehirne, die dazu dienen, einfach seinen Geist in einen Körper, genannt Hülle importieren zu können. Dinge wie Geschlechts- oder Ethniengrenzen gehören damit ein für alle Mal der Vergangenheit an, denn der Wechsel in eine andere Hülle funktioniert in Sekundenschnelle. Sogar Quantencomputer ersetzen 2088 bereits teilweise die althergebrachten Gehirne. Ein großes Spannungsfeld also, in dem sich Perrotte bewegte. Galahad Singh macht sich von Paris ausgehend daran, den Spuren der verschwundenen Computerexpertin zu folgen. Wer hätte ein Interesse daran, Perrotte zu entführen? Oder führt die Programmiererin gar selbst etwas im Schilde?

Hologrammatica bietet ganz großes Kino. Neben dem klassischen, an Autoren wie Raymond Chandler oder Dashiell Hammett geschulten Krimi überzeugt auch die unglaublich detailverliebte und in ihrer erdachten Größe schier überbordende Welt des Jahres 2088. Hillenbrands Einfälle und Kreationen sind teilweise erschreckend nahe, mal wünscht man, sie würden nie Realität. Begriffe wie Knossos-Anomalie, Google-Stripper, Deather, Milchtüten, Turing-Zwischenfall oder Brain-Crash begegnen dem Leser beinahe auf alle Seiten – worauf man sich natürlich auch einlassen muss. Hilfe bietet da das Register im Anhang, das bei kurzzeitigem Informations-Overload des Cogits Abhilfe schafft. Detailgesättigt ist sie, diese Welt der Hologrammatica. Allerdings wirft Hillenbrand seine Leser nicht zu abrupt ins kalte Wasser, seine Vision entfaltet er Stück für Stück, auch führt er die einzelnen Erzählelemente gut ein und verbindet sie dann zu einem stimmigen Ganzen.

Am stärksten ist Hologrammatica immer dann, wenn der Autor unsere gesellschaftlichen Konventionen weiterentwickelt und damit Reflektionspotential bietet: welchen Sinn hat beispielsweise eine Orientierung an Geschlechtern und Äußerlichkeiten, wenn man sich sein Äußeres einfach selber aussuchen kann und nach Lust und Laune seinen Verstand in einen beliebigen Körper pressen kann? Wozu führt diese neue Unverbindlichkeit, wie entwickeln sich Gesellschaften weiter, gerade auch wenn äußere Einflüsse wie etwa die dramatischen Folgen des Klimawandels immer mehr an Bedeutung gewinnen?

Auch ist es erfrischend zu lesen, einmal mit den Augen eines homosexuellen, an Depression leidenden Privatdetektivs durch eine Ermittlung geführt zu werden. Angesichts der Hologramm-Hochglanzoptik allenorten bietet dieser Kniff einen schönen Bruch. Dass Galahad Singh mit Fortschreiten des Buchs etwas an Kontur verliert und dagegen der immer größer werdende Plot in den Vordergrund tritt, verzeiht man angesichts dessen Ambition und Komplexität gerne.

Man muss Tom Hillenbrand größten Respekt zollen für seine Akribie und Fantasie, mit der er eine Welt an der Schwelle zum 22. Jahrhundert gezeichnet hat. Dass das Buch in manchmal leicht überladen wirkt und kleinere Schwächen in der Figurenzeichnung aufweist – geschenkt. Hier schreibt ein höchst innovativer Autor, auf dessen nächste literarische Erfindungen man mehr als gespannt sein darf!

 

[Beitragsbild: Pixabay]

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