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J. Todd Scott – Die weite Leere

Garrison lehnte sich zurück. „Tja, was denken Sie?“. Er schaute ebenfalls zum Fenster. „Haben Sie eine Ahnung“, wie viele Menschen da drüben noch vor Kurzem in einem Jahr ermordet wurden? Über dreitausend. Macht neun pro Tag. Ein Jahr später waren es zweitausend mehr. Meistens Killer, die sich gegenseitig umbringen, die ihren eigenen schmutzigen kleinen Krieg führen, aber trotzdem sind das eine Menge Tote. Darunter auch sehr viele Unschuldige, Unbeteiligte … Frauen, Mütter. Ganz zu schweigen von den Verbrechern, die das Blutbad nutzen und ein eigenes Schlachtfeld aufmachen. Die vielen Lichter da hinten, wo Sie gerade hingucken? Das ist Ciudad Juaréz. Eine Zeit lang war es, abgesehen von echten Kriegsgebieten, die gefährlichste Stadt der Welt.“

J. Todd Scott – Die weite Leere, S. 345

Verlorene Menschen in einer unbehausten Umgebung. Menschen, die sich nach Anerkennung und Liebe sehnen. Und Gewalt und Korruption, die mit diesem Wunsch einhergeht. Davon erzählt J. Todd Scott in seinem Debüt Die weite Leere.


Dabei stellt J. Todd Scott gut ein halbes Dutzend Figuren in den Mittelpunkt seines Romans, deren Beziehungen und Entwicklungen er beobachtet. Hauptfigur ist der Sheriff der fiktiven Kleinstadt Murfee irgendwo im Nirgendwo zwischen Mexiko und Texas, genannt der „Judge“. Er kontrolliert die öffentliche Ordnung und ist in der Kleinstadt hoch angesehen. Ganz anders als die Bewohner*innen Murfees beurteilt allerdings sein Sohn Caleb den Charakter und das Tun des Sheriffs. Dieser hat den Sheriff nämlich im Verdacht, seine eigene Mutter sowie zwei ihrer Vorgängerinnen getötet zu haben.

Misstrauen in Murfee

Um diese Figuren gruppieren sich weitere Bewohner Murfees, allen voran der Deputy Chris Cherry. Einst ruhten die sportlichen Hoffnungen der Stadt auf ihm, doch eine Knieverletzung brachte den vielversprechenden Quarterback um seine Karriere. Und so versieht er nun in Murfee unter Sheriff Ross seinen Dienst. Als ein Farmer Knochen in der Wüste findet, läuft Cherry zu großer Form auf. Schließlich verschwand vor einiger Zeit ein Ermittler spurlos. Geben die Knochen nun Auskunft über sein Schicksal?

Eine Lehrerin, neu in der Stadt und mit einem traurigen Geheimnis versehen, ein Crystal Meth-abhängiger Deputy, ein mexikanischer Sicario und eine Freundin Calebs vervollständigen das Ensemble.

J. Todd Scott - Die weite Leere (Cover)

All diese Figuren und ihre Beziehungen untereinander bilden den Motor dieses Romans. Denn statt einfach linear eine Handlung zu präsentieren und diese mithilfe gerade geeigneter Perspektiven zu schildern und voranzutreiben, wählt der schreibende DEA-Agent einen anderen Ansatz. Er blickt in das Seelenleben der Figuren, die allesamt die räumliche Leere des Handlungsortes auch in ihrer Seele verspüren. Caleb vermisst seine Mutter. Die Freundin von Deputy Cherry ist in der Beziehung unglücklich, beide gehen sich aus dem Weg. Die Lehrerin erfährt die Leere in Folge des Schicksalsschlags, der sie nach Murfee geführt hat. Manche Figuren betäuben sich mit Drogen, andere suchen im Flirt Erfüllung. Dass diese seelische Unbehaustheit tödliche Konsequenzen zur Folge haben wird, das führt Scott konsequent zu Ende. Dabei nimmt er sich aber Zeit, die Konsequenzen zu entwickeln und investiert viel Zeit in die Anlage der Figuren und ihrer Spannungsfelder.

Gut ausbalanciertes Erzählgewicht

Dabei fließt die Expertise des DEA-Agenten angenehm zurückhaltend ein. Denn neben den Schilderungen von Crystal Meth-Abhängigkeit, verdeckten Ermittlungen und täglicher Ermittlungsarbeit nimmt sich Scott eben auch ausreichend Zeit für die Psychologisierung seiner Figuren. Ihre Wünsche und Sorgen, die ihr Handeln motivieren, zeichnet er glaubwürdig und plausibel nach. Das ist alles gut ausbalanciert und hat weder auf psychologischer noch auf handlungstechnischer Ebene Schlagseite.

Nach und nach durch die Figuren das Porträt einer typischen amerikanischen Kleinstadt, in der das Unrecht und die Kriminalität vor allem bedingt durch die eigentliche Vertreter von Recht und Ordnung wie ein Krebsgeschwür wuchert. Das ist beeindruckend und verschafft dem Buch in der ganzen Fülle an ähnlich gelagerten Krimis und Thrillern in letzter Zeit eine eigene Nische und macht es lesenwert.

Fazit

Mit Die weite Leere gelingt J. Todd Scott ein wirklich beachtenswertes Debüt, das Erwartungen weckt auf das, was da noch folgen mag. Erneut gelingt dem Polar-Verlag eine Entdeckung eines ungewöhnlichen Erzähltalents, die durch die Übersetzung von Harriet Fricke und das Nachwort von Carsten Germis abgerundet wird.


  • J. Todd Scott – Die weite Leere
  • Aus dem Englischen von Harriet Fricke
  • Mit einem Nachwort von Carsten Germis
  • 448 Seiten. Preis: 22,00 €
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James Lee Burke – Regengötter

Ein staubiger Western

Diesen Ziegelstein von einem Buch muss man vorsichtig absetzen – wenn man zu heftig auf eine Tischoberfläche oder Ähnliches wirft wäre es nicht unwahrscheinlich, dass Staub und Sand aus diesem Buch herausrieseln. In Regengötter verleiht der Krimigroßmeister James Lee Burke dem staubigen Grenzland zwischen Mexiko und Amerika nämlich eine großartige literarische Würdigung.
Im deutschen Sprachraum nahezu vergessen zählt James Lee Burke eigentlich mit seinen diversen Krimiserien zu einem der größten lebenden Spannungsautoren aus dem anglophonen Bereich. Mit Regengötter (übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Daniel Müller) scheint es jetzt, als gelänge dem Autoren im reifen Alter von 79 Jahren noch einmal so etwas wie ein Comeback.

Im Staub zwischen Mexiko und Amerika

Mit dem Krimi Regengötter gelang es Burke den Krimipreis des Jahres 2014 zu erringen. Darin erzählt er vom 80-jährigen Sheriff Hackberry Holland, einem sturen und schmerzgeplagten Cowboy, dessen Gerechtigkeitsempfinden und dessen dicker Schädel ihn oftmals in Bedrängnis bringen.
Hinter einer alten Kirche wurden in Grenzland nämlich neun mit einem Bulldozer verscharrte Leichen von asiatischen Frauen gefunden – obwohl das FBI und das ICE den Fall zu gerne an sich reißen würden, gibt Holland nicht nach und klemmt sich zusammen mit seiner Mitarbeiterin Pam Tibbs hinter die Fährte der Leichen. Schnell führen seine Ermittlungen ihn in gefährliche Verbrecherkreise und nicht nur Hackberry muss um sein Leben fürchten. Denn ein skrupelloser Psychopath steht dem Sheriff entgegen und die Begegnung mit ihm könnte seine letzte sein …
Stellenweise erinnerte mich die Erzählweise James Lee Burkes stark an seinen Kollegen Cormac MacCarthy und seinen Meilenstein Kein Land für alte Männer. Stoische Charaktere, eine dräuende Stimmung – was braucht es mehr für einen Neo-Western?
Regengötter ist ein mächtiges Buch, sowohl in inhaltlicher als auch umfangstechnischer Sicht. Auf über 670 Seiten entfesselt der Großautor sein staubiges Panorama, lässt Killer, Crystal-Meth-Dealer und Biker durch die ungastliche Landschaft hetzen und vergisst darüberhinaus nie die Spannung.
Wer Sheriff Hackberry Holland nun liebgewonnen hat, der darf sich schon auf die Fortsetzung Glut und Asche freuen, die im Herbst diesen Jahres erneut bei Heyne Hardcore publiziert werden wird.

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