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Gina Schad – Nach einem Traum

Wird das was oder wird es nichts? Die junge Marie verliebt sich in Simon, doch der hat eine Familie und macht ihr nicht wirklich Hoffnung auf mehr. In der Folge entspinnt sich in Gina Schads Debütroman Nach einem Traum ein ambivalentes Verhältnis der beiden, das sich auch im Digitalen fortsetzt.


Zu den auffälligen Trends auf dem Literaturmarkt in diesem Frühjahr zählt die Häufung junger Debütautorinnen, die mit ihren Romanen die Lebenswelt der Millenials ausleuchten und vom Ver- und Entlieben aus weiblicher Perspektive bisweilen auch radikal erzählen.

Esther Schüttpelz wäre zu nennen, die in ihrem Debüt Ohne mich die Geschichte einer jungen Frau beschreibt, die jung heiratete und nun nach der Trennung ihr erstes Jahr als Single erlebt. Caroline Schmitt erzählt in ihrem Debüt Liebewesen von der jungen Mariam, deren Liebe von einem Tinder-Date ausgehend über ein Date in der Badewanne bis hin zu einer Abtreibung alle Facetten einer Liebesgeschichte und Trennung reicht.

Caroline Wahl nimmt in 22 Bahnen die junge Tilda in den Blick, die für ihre Mutter und ihre Schwester verantwortlich ist und für die eine mögliche Promotion in Berlin und die Begegnung mit einem jungen Mann im Schwimmbad Aufbruch aus dem bisherigen Leben verheißt. Und auch Gina Schad fügt sich mit ihrem Debüt Nach einem Traum in diese Riege junger Debütantinnen ein.

Schad ist studierte Medienwissenschaftlerin und beschäftigt sich mit Netzkultur. Das zeigt sich nicht nur auch auf dem Umschlag des Buchs, auf dem Marcus Beckedahl, der Gründer von netzpolitik.org, mit einem Blurb abgedruckt ist. Auch im Inneren des Buchs spielen Chats und eine App eine zentrale Rolle.

Ein Date im Café nahe der Charité

Doch zunächst beginnt auch in ihrem Roman alles eigentlich recht klassisch. Marie trifft sich mit Simon in einem Café unweit der Berliner Charité. Dort ist er als Belegarzt tätig und hat eine eigene Hausarztpraxis. Nach einem kurzen Abtasten und Smalltalk stellen sie fest, dass sie gut miteinander harmonieren und da durchaus mehr entstehen könnte. Zwar schreckt sie die Mitteilung, dass Simon Zwillinge hat und in einer festen Verbindung steckt etwas ab, aber dennoch beschließen sie, in Kontakt zu bleiben.

Das verstehst du doch hoffentlich, fährt er fort. Wir können uns nicht mehr treffen. Das ist zu gefährlich. Eine kleine Unachtsamkeit in deiner Nähe reicht schon aus, um meine Familie zu zerstören. Aber ich will auf jeden Fall weiter mit dir schreiben! Und darf ich dir noch eine App auf dein Handy laden? Lass uns doch bitte darüber kommunizieren. Das ist sicherer.

Gina Schad – Nach einem Traum, S. 27

Nach dem Date dort in der Charité beginnen die beiden mit ihrer Konversation. Marie teilt ihre Gedanken aus dem Alltag – Schwierigkeiten mit ihrer Mutter, ausstehende Abschlusskonzerte für die Beendigung des Cello-Studiums -, er erzählt von seinem Alltag mit Frau und Kindern. Beide schleichen umeinander herum, man möchte sich wieder sehen, doch das geht nur unter Schwierigkeiten. Marie möchte mehr als nur Küsse – doch Simon kann und will ihr das nicht geben.

Annäherungen und Abstoßungen, digital und manchmal real

In den Chats nähern sie sich an, suchen nach Pausen, stoßen sich wechselseitig an und ab, treffen sich wieder mal kurz real in Berlin oder am Flughafen – eine wirkliche Entwicklung hin zu einem klaren Verhältnis der beiden ist aber nicht absehbar. Marie möchte unbedingt mehr, kreist in ihren Gedanken und ihrem Verlangen um Simon bis hin zu Fantasien, in das Haus von Simons Familie einzusteigen.

Gina Schad - Nach einem Traum (Cover)

Er lockt, macht dann aber auch wieder schmerzhaft klar, dass sie weiter nichts von ihm erwarten kann und die Turteleien enden müssen. Das ambivalente Verhalten der beiden arbeitet Gina Schad im Laufe des Romans sehr gut heraus. Sehnsucht, Begehren an der Grenze zum Stalking, dann aber auch wieder der Versuch der Ablenkung und der Besinnung. Das Überinterpretieren von Bildern, ausbleibenden Nachrichten oder unachtsamen Sätzen, die jeweils passend zur Gemütslage ausgelegt werden oder schlimmste Befürchtungen wecken können. Davon erzählt Nach einem Traum und zeigt dazu in Ansätzen, wie uns die digitalen Medien selbst zu Stalkern light gemacht haben.

Da kann man schon einmal die Gattin des Angebeteten recherchieren, ihre Werke und das im Digitalen abgebildete Familienleben studieren, intime Wünsche via App austauschen oder mit Likes von Bildern dem Gegenüber seine Aufmerksamkeit und dessen Sichtbarkeit demonstrieren. Nach einem Traum zeigt, welche neuen Möglichkeiten uns die digitalen Welten eröffnen, wie das Ganze aber auch in Überwachung und Spionage kippen kann und man aus einem Stalker light schnell zu einem „richtigen“ Stalker werden kann.

Ein ambivalentes Verhältnis

Hier wie auch in der Darstellunge des ambivalenten Verhältnisses der beiden Protagonist*innen hätte Schads Debütroman in meinen Augen noch etwas Tiefe verdient. So fliegt man dank der schnellen Chat-Einsprengsel und kurzen Kapitel rasch durch den Roman – ein wenig mehr Widerhaken in Form von krasserem Verhalten der Beteiligten oder der Mut, die anfängliche Liebesgeschichte noch etwas mehr abgleiten zu lassen hätten dem Text vielleicht gut getan und ihm ein paar mehr erinnerungswürdigere Momente beschert.

Abgesehen davon ist Nach einem Traum ein Roman, der das Hoffen und Bangen, Recherchemöglichkeiten, die uns der digitale Raum ermöglicht, sowie das Abgleiten von unerfüllten Sehnsüchten in übergriffiges Verhalten beschreibt. Viele Leser*innen dürften sich und ihr Datingverhalten in Gina Schads Beschreibungen widergespiegelt sehen – und auch ich kann das nicht verneinen.

Fazit

Vom Daten im Digitalen, von enttäuschten Hoffnungen und Selbsttäuschung, vom Warten auf den nächsten Chat oder ein Like, davon erzählt Nach einem Traum, was ihn zu einem sehr aktuellen und zeitgeistigen Buch der Generation Y macht. Damit schreibt sich Gina Schad in die eingangs erwähnte Riege junger Debütantinnen ein und legt ein schwebendes Buch vor, das viele Sichtweisen und Interpretationen zulässt.


  • Gina Schad – Nach einem Traum
  • ISBN 978-3-8337-4612-3 (Goya Lit)
  • 226 Seiten. Preis: 22,00 €

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Michael Robotham – Erlöse mich

Der Stalker

Zum nunmehr neunten Mal lässt der gebürtige Australier Michael Robotham den Ex-Cop Vincent Ruiz und den Psychologen Joe O’Loughlin auf Londons Straßen ermitteln.
Erlöse mich heißt der neue Fall, der die beiden gegensätzlichen Charaktere über Gebühr beschäftigt.

Eine geheimnisvolle Patientin

Erloese mich - Michael Robotham

Erloese mich – Michael Robotham

Der Parkinson-geschwächte Psychologe Joe O’Loughlin hat eine ganz besondere Patientin in Behandlung, deren Schicksal ihn nicht loslässt. Marnies Gatte verschwand vor einem Jahr spurlos und seitdem befindet sich Marnie in Behandlung bei Joe.

Der Verlust ihres Gatten beschäftigt sie schwer. Für ihre Kinder muss sie eine gute Mutter sein und ihnen einen normalen Alltag bieten.
Doch durch das Fehlen ihres Ehemanns ist Marnie schwer traumatisiert und hat manchmal das Gefühl, als würde sie jemand beobachten. Doch wie real ist das Gefühl eines Verfolgers im Leben der jungen Mutter? Joe O’Loughlin muss mit seinen Zweifeln kämpfen – gibt es den Verfolger in Marnies Leben wirklich?
Zusammen mit dem alten Haudegen Vincent Ruiz ermittelt Joe und kann seinem eigenen Urteil manchmal gar nicht so richtig trauen.
Schon bald sollen alle Beteiligten erfahren, was Realität und was Fiktion ist.

Ein gelungenes Verwirrspiel

Die Reihe rund um Joe O’Loughlin und Vincent Ruiz finde ich deshalb so spannend, weil man nie so richtig weiß, was man bekommt. Mal schreibt Robotham einen astreinen Psychothriller (wie etwa das großartige Dein Wille geschehe oder eben auch Erlöse mich), dann gibt es wieder einen Verschwörungsthriller á la „Auf der Flucht“ (z.B. Bis du stirbst oder Der Insider). Stets schnürt Robotham eine Wundertüte, bei der das Geschehen mal aus der Warte von Vincent Ruiz geschildert wird, um dann im nächsten Buch wieder von Joe O’Loughlings Warte das Geschehen zu betrachten.
Im vorliegenden Band spielt neben Marnie ganz klar Joe O’Loughlin die Hauptrolle, der klären muss, ob es den mysteriösen Stalker wirklich gibt.  Der besondere Reiz, den Erlöse mich ausmacht ist das permanente Schwanken zwischen Glaube und Unglaube, was Marnies Verfolger angeht. Wie real ist die Bedrohung, die sie empfindet?
Michael Robotham weiß gekonnt mit seinen Lesern zu spielen. Besonders bis zum fiesen Cliffhanger hin dreht er unerbittlich an der Spannungsschraube und sorgt so dafür, dass der Leser unbedingt wissen will, welche Auflösung der Autor bereit hält.

Die Klasse, die „Dein Wille geschehe“ besaß, erreicht das Buch leider nicht, in der Reihe aber einer der definitiv stärkeren Titel. Deshalb sei an dieser Stelle eine große Leseempfehlung ausgesprochen!

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