Schon mit ihrem ersten Buch Pixeltänzer hat sich Berit Glanz als Expertin für Spurensuchen im analog-digitalen Raum und die Überführung des Digitalen in die Welt der analogen Literatur erwiesen. Das führt die 1982 geborene Autorin nun in ihrem zweiten Roman Automaton fort und erzählt von trister Klickarbeit und einer Spurensuche in der technisch globalisierten Welt.
Wohl schon jeder hat sie einmal gesehen, wenn man sich häufiger im Netz bewegt und bestimmte Suchaufträge oder Webseiten konsultiert: die Rede ist von Captchas. Es handelt sich um mehrere kleinformatige Bildkacheln, die hinsichtlich bestimmter Kriterien angeklickt werden sollen, damit ausgeschlossen werden kann, dass ein Computer anstelle einer Maschine eine Anfrage gestellt hat. Meist muss man alle Bildkacheln, auf denen Autos oder Palmen oder Ähnliches zu sehen sind, markieren, um dem Abfragetool zu versichern, dass hier kein Roboter am Werk ist.
Früher nutzte Google solche Captchas, um die User*innen neben der Überprüfung ihrer Abfrage noch unauffällig weitere Arbeit erledigen zu lassen. So trainierten die Nutzer*innen nebenbei auch den Suchalgorithmus, indem sie lesbare Buchstaben oder andere Miniaufgaben erledigten und so die Suchmaschinen optimierten, deren Bild- und Texterkennung durch die Mitarbeit immer besser und leistungsfähiger wurden. Eine ziemlich schlaue Art, um neben der primären Authentifizierung Arbeit auf Nutzerinnen und Nutzer zu übertragen.
Neue Arbeit im Internet
Generell zeigt sich, dass durch das Internet ganz neue Tätigkeitsfelder und Arbeitsprozesse entstanden sind. Berit Glanz untermauert das in Automaton, indem sie Tiffany, genannt Tiff, in den Mittelpunkt des Buchs stellt. Früher sichtete sie von Unser*innen gemeldete Videoausschnitte und Bilder, allerdings traumatisierte die Arbeit die junge Frau zunehmend, sodass sie auf ein neues Tätigkeitsumfeld ausgewichen ist.
Für die gesichtslose Firma Automa erledigt sie sogenannte „Autobs“, als Miniaufträge, wie das Sichten von Bildstrecken hinsichtlich bestimmter Kriterien. Diese Mini- oder besser Microjobs ermöglichen ihr einerseits die Versorgung ihres Sohnes, andererseits verheißt die Arbeit für die Internetfirma aber auch ein Einkommen, wenngleich man es kaum so nennen kann. Denn „schlecht bezahlt“ ist eigentlich ein Euphemismus für das, was Tiff für ihre Arbeit erhält. Oftmals sind es nur wenige Dollar und Cents, mit denen die genauen Sichtungen und Verschlagwortungen von Bildstrecken oder Videos dotiert sind.
Tiff kann so als Alleinerziehende zwar ihre Arbeitszeit um die Betreuung ihres Sohnes herum gruppieren. Zum Lebensunterhalt reicht das allerdings kaum aus und ist in aller Monotonie und Einsamkeit wenig sinnstiftend.
Ein Auftrag für den Subunternehmer ExtraEye verheißt in der ganzen Tristesse der Klickarbeit da etwas Sicherheit. Tiffany soll Überwachungsvideos hinsichtlich des Auftauchens von Menschen oder Tieren sichten. Mal sind es Videos aus Häfen, mal aus Warenlagern oder Firmenfluren. 6 Dollar gibt es für die Sichtung von 30 Filmminuten. Geld, auf das Tiff dringend angewiesen ist und das im Vergleich zu den anderen Microjobs wie ein echter Jackpot wirkt.
Und so beginnt sie mit der Sichtung der Videos und tauscht sich trotz unterzeichneter Geheimhaltungserklärung nebenbei mit Gleichgesinnten aus, die ebenfalls an Aufträgen für ExtraEye arbeiten. Als dann aber ein Obdachloser verschwindet, der sonst regelmäßig in den Videos auftauchte, schließen sich die Klickarbeiter*innen zusammen, um den Verbleib des Mannes zu klären.
Arbeit im Maschinenraum des Internets
Automaton erzählt von der Trostlosigkeit und Grausamkeit der Arbeit, die Menschen im Maschinenraum des Internets verrichten müssen. Wohl jeder von uns hat schon einmal anstößige oder diskriminierende Inhalte auf Webseiten oder sozialen Netzwerken gemeldet. Doch welchen Weg diese markierten Inhalte gehen, das beleuchtet Berit Glanz in ihrem Roman auf eindrucksvolle Art und Weise.
Es sind Menschen, die für viel zu geringes Geld diese abstoßenden, diskriminierenden und kriminellen Videos und Bilder sichten und sortieren müssen. Menschen, die angesichts des beständigen Stroms an verstörenden Inhalten schnell Schaden an ihrer Seele nehmen. Glanz muss nicht alles ausbuchstabieren, um durch das Schicksal von Tiffany zu zeigen, was die dunkle Seite des Internets und der Kontakt mit ebenjener Seite zur Folge haben kann.
Auch zeigt sie, wie durch die technische Globalisierung alles eins geworden ist. Distanzen zwischen Ländern und Menschen bedeuten nichts mehr, seitdem es das Internet mit seinen Möglichkeiten gibt.
Eine Suche in der technisch globalisierten Welt
Die Suche nach dem Obdachlosen verknüpft Glanz mit der Geschichte einer Frau in Kalifornien und zeigt, wie die Suche nach Menschen durch das Internet eine ganz neue Dynamik gewonnen hätte. Früher wäre es unmöglich gewesen, von Deutschland aus den Verbleib eines Obdachlosen in Amerika und den dessen Hundes zu klären. Was früher wohl eine personal- und ressourcenintensive Arbeit von bisweilen Jahren gewesen wäre, funktioniert in Zeiten des Internets mithilfe einiger Verbündeter und passender Suchstrategien in wenigen Stunden bis Tagen. Welche Chancen, aber auch Risiken in diesem Datennetz namens Internet stecken, das beweist Automaton auf eindrucksvolle Art und Weise.
Es gelingt Berit Glanz dabei aber auch wieder hervorragend, die Welt des Digitalen und des Internets mit ihrer ganz eigenen Syntax aus Twitterfeeds, Chats und Begrifflichkeiten in einen überzeugenden Roman zu überführen. Die technische Welt der Klickarbeit wird bei ihr spürbar, Chats ergänzen und beschleunigen die Handlung sinnig – und auch die Verschmelzung der über weite Strecken recht disparat wirkenden beiden Erzählstränge um Tiff und eine Frau in Kalifornien verbinden sich in Automaton zum Ende hin sinnstiftend.
Fazit
So ist Automaton ein eindrucksvoller Roman, der von der Arbeit im Maschinenraum des Internets erzählt, von prekären Beschäftigungsverhältnissen, Einsamkeit, Ausgrenzung, aber eben auch von dem potentiell Guten, das im Internet und ins uns allen steckt. Ein Buch, das angenehm vielschichtig und ambivalent an sein Thema herantritt und das Berit Glanz‘ Rang als Spezialistin für analog-digitale Literaturräume und Spurensuchen untermauert.
Weitere kluge Analysen zum Buch gibt es unter anderem bei Kulturgeschwätz und Bookster HRO.
- Berit Glanz – Automaton
- ISBN: 978-3-8270-1438-2 (Berlin Verlag)
- 28 Seiten. Preis: 22,00 €