Category Archives: Kriminalroman

Ewan Morrison – Überleben ist alles

Wem kann man noch glauben, wenn eine Pandemie die ganze Welt überzieht? Der Schotte Ewan Morrison lässt in seinem Buch Überleben ist alles ein pubertäres Mädchen zwischen der Weltsicht ihres verschwörungsgläubigen Vater und dem Misstrauen gegenüber ebenjener Perspektive taumeln. Herrscht da draußen wirklich eine allumfassende Pandemie oder hat sich die kleine Gemeinschaft, in die er seine Kinder gebracht hat, in einer eigenen Blase aus Paranoia eingeigelt? Sein Buch ist Familiendrama und Binnenschilderung einer Prepper-Community zugleich.


Die Coronapandemie der vergangenen Jahre hat eine verstärkte Risikovorsorge und ein wachsendes Bewusstsein für die Fragilität unserer Infrastruktur geschaffen. Während hierzulande alte Bunker auf ihren Funktionsgrad überprüft werden und reiche Menschen diese Rückzugsorte für sich entdecken (wovon zuletzt der Spanier Isaac Rosa in seinem Roman erzählte), erfreuen sich auf dem Buchmarkt literarische Illustrationen von Katastrophen wie etwa Marc Elsbergs Blackout großer Beliebtheit. Aufmerksam werden Äußerungen des Bundesamtes für Katastrophenschutz und Bevölkerungsschutz nachverfolgt – was an sich ja eine vernünftige und umsichtige Grundhaltung ist.

Was aber, wenn vernünftige Vorsorge und Risikomanagement ins Übertriebene kippt? Was, wenn die Angst vor einem potentiellen Stromausfall zur dominanten Angst und der Schutz davor zur Obsession wird? Dann ist man schnell im Prepper-Milieu, in dem sich auch der Vater von Haley in Ewan Morrisons Roman Überleben ist alles umtut.

Rückzug in die Berge Schottlands

Ewan Morrison - Überleben ist alles (Cover)

Er hat sich in einem abgelegenen Landstrich in Schottland einen gesicherten Rückzugsort geschaffen, wo er sich mit Mitstreiter*innen auf den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung vorbereitet und vielerlei Maßnahmen ergriffen hat, um überleben zu können, wenn der Rest der Menschheit von einem Virus befallen wird. Denn das die nächste Pandemie nur eine Frage der Zeit ist, das steht für ihn sicher fest, und so will er vorbereitet sein.

Was als sein Spleen durchgehen könnte und niemanden dort im bergigen Hinterland stören würde, wird allerdings schon auf den ersten Seiten des Romans zum Problem. Denn der in Scheidung lebende Mann entführt kurzerhand seine beiden Kinder, wie uns seine Tochter Haley schon auf den ersten Seiten erzählt, dargebracht im ironisierten Tonfall eines Ratgebers.

Plan A

Wie man die eigenen Kinder entführt

Willst du am Tag eins einer vermuteten Pandemie deiner Exfrau die eigenen Kinder entführen, benötigst du Folgendes:

  1. Ein robustes Geländefahrzeug, voll aufgetankt, mit Extra-Kraftstoffkanistern.
  2. Eine gut geplante und vorher getestete Route, auf der man sich schnellstmöglich aus dem Staub machen kann.
  3. Eine ausgefeilte Lügengeschichte, um vom eigentlichen Vorhaben abzulenken.
  4. Superpraktisch ist auch, die Entführung in die Nacht zu legen, in der die Kinder sowieso bei dir sind.

Das alles hatte sich mein Dad ausgedacht, der auch der Autor eines eigenen, recht bombastisch mit ÜBERLEBEN betitelten Survival-Guides zur Pandemie ist.

Ewan Morrison – Überleben ist alles, S. 15

Im in manchen Phasen durchaus anstrengenden Erzählton der Teenagerin sind wir also mit dabei, wenn der Vater sie nun in den Norden der Insel verschleppt und sie dort vor dem Rest der Welt schützen will, die der ehemalige Journalist von einer Pandemie befallen glaubt. Aber könnte es nicht auch sein, schließlich hat sich wenige Jahre zuvor ja auch schon eine Pandemie namens Corona auf der ganzen Erde ausgebreitet, wie es zuvor nur Apokalyptiker für möglich hielten?

Wem und was glauben?

Aus dieser Unsicherheit, die aus der Abgeschiedenheit des Prepper-Compounds resultiert, zieht der Roman seine Spannung. Ist die Pandemie dort draußen nur Fantasie ihres Vaters oder stimmen die Belege, die der Vater im abgeschotteten Versteck seiner Tochter präsentiert? Beständig schwankt Haley in ihrer Beurteilung der Lage, was nicht einfacher wird, als ihre Mutter als realitätsnäherere Gegenpol zusätzlich im Rückzugsort auftaucht. Wem und was ist zu trauen, wem kann man Glauben schenken?

Zu allem Überfluss schlagen in diesem emotionalen und informatorischen Chaos auch noch die Hormone zu und führen vollends zum Overload. Denn der ebenfalls im Compound wohnende Sohn eines Verbündeten ihres Vaters weckt immer stärkere Gefühle in der rebellierenden Teenagertochter, die sich doch vielleicht auch anpassen muss, um in der Gemeinschaft zu überleben.

Fazit

Überleben ist alles ist ein Roman, der den zwiespältigen Geist des Preppertums sehr gut einfängt. Wo hört Vorsorge auf, wo beginnt der Wahn? Was ist noch gesundes Misstrauen, was schon Verschwörungsgläubigkeit und wie funktionieren die Dynamiken in einer von der Außenwelt abgekoppelten Blase? Ewan Morrison erkundet es in seinem Roman, der weniger durch eine handlungsgetriebene Spannung, als vielmehr durch die Schilderung der diffusen (Gefühls)Lage außerhalb des Lagers und innerhalb in der Gemeinschaft, Haleys Familie und ihr selbst überzeugt.

Ein Roman, der hoffen lässt, dass die nächste Pandemie noch auf sich warten lässt. Denn das Überleben in der hier geschilderten Variante, es scheint auch kein sonderlich erstrebenswerter Weg aus der Krise zu sein.


  • Ewan Morrison – Überleben ist alles
  • Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47465-5 (Suhrkamp)
  • 438 Seiten. Preis: 18,00 €
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Louisa Luna – Abgetaucht

In ihrem neuen Fall bekommt es die Privatermittlerin Alice Vega mit einer Bande junger Neonazis im ländlichen Oregon zu tun. Louisa Luna beschert ihrer Heldin mit Abgetaucht einen Fall, in dem sie wieder einmal unter Beweis stellen muss, dass sie hart im Nehmen ist – und dass sie noch härter austeilen kann.


Schon einmal durfte Alice Vega zusammen mit ihrem Partner Max Caplan auf dem deutschen Buchmarkt ermitteln. Tote ohne Namen war er zweite Fall der Reihe, der nun mit Abgetaucht der dritte Fall folgt. Darin bekommt es Vega mit einem kuriosen Fall zu tun. Das betrifft sowohl den Auftraggeber als auch den Fall selbst. Denn am 17.11.1984 wurde der Footballspieler Zeb Williams zum letzten Mal gesehen, als er ein Spiel mit seiner Mannschaft bestritt. Anstelle auf dem Feld in den letzten Sekunden des Spiels wichtige Punkte zu machen, rannte Williams vom Spielfeld und blieb seitdem verschwunden.

Um dieses Verschwinden des vielversprechenden Spielers ranken sich viele Mythen, die sich mit dem zunehmenden Dauer des Verschwindens verselbstständigen. Auch Vega muss sich nun damit auseinandersetzen, denn sie wird heimlich vom jetzigen Gatten der Frau beauftragt, die damals mit Zeb Williams liiert war. Er will endlich Klarheit über das Verschwinden und so begibt sich Vega nun nach Oregon ins kleine Städtchen Ilona, wo sich die Spuren von Zeb Williams verlieren.

Ein verschwundener Footballspieler

Vor Ort stößt sie bei ihren Recherchen auf eine Lehrerin, die Alice Vega bei ihrem Fall nur weiterhelfen will, wenn auch Vega etwas für sie tut. Denn die Lehrerin und der ganze Ort werden von einer Gruppe Jugendlicher terrorisiert, die unter dem Namen Liberty Pure ihren Fantasie einer weißen Übermacht anhängen. Das, was durch die Wahl Donald Trumps und die Verrohung des Diskurses überall in den USA verstärkt zum Vorschein kommt, auch in Ilona ist es inzwischen an der Tagesordnung. Anhänger der Theorie der Übermacht der weißen Bevölkerung, die durch gute Verbindungen zu den Polizeibehörden weitestgehend ungestört ihrer Propaganda und Hetze frönen können.

Louisa Luna - Abgetaucht (Cover)

Doch mit Alice Vega haben sich die Jugendlichen die falsche Gegnerin ausgesucht. Denn wenn sich die Ermittlerin in einen Fall verbissen hat, lässt sie sich auch von Drohungen und Gewalt nicht einschüchtern. Nicht einmal, wenn diese Gewalt auch auf ihren Partner Max Caplan und dessen Tochter übergreift.

Abgetaucht erzählt von neonazistischen Strukturen und dem Gefühl der Überlegenheit, das solche Gruppe wie die im Buch beschriebenen Liberty Pure mit der kruden Mischung aus Libertalismus, Nationalismus und Rassismus inzwischen immer ungehemmter ausleben. Für den Kampf gegen solche Strukturen und Verflechtungen braucht es eine Figur wie Alice Vega, die für die Durchsetzung ihrer Ziele auch nicht vor Gewalt zurückschreckt.

Eine Bestandsaufnahme des ländlichen Amerikas

Neben dieser Eine Frau gegen das System-Erzählung ist Abgetaucht auch eine Bestandsaufnahme des ländlichen Amerikas in der Gegenwart. Eine Betandsaufnahme, die wenig Grund zur Hoffnung gibt. Denn in Lunas Oregon werden wenige Reiche immer reicher, raffen Grundbesitz und Wohlstand, während sich der Rest der Bevölkerung in Trailerparks zurückzieht, Lehrerinnen am System zu verzweifeln drohen und die Polizei korrupt bis überfordert ist.

Nein, wirklich positiv kann man auf die zukünftige Entwicklung Amerikas aufgrund dieser Lektüre nicht schauen – und die politische Realität sieht auch nicht unbedingt vielversprechender aus.

Eine Idee weniger überzeugend als der erste bei Suhrkamp erschienene Roman ist dieser von Karin Diemerling ins Deutsche übertragene Krimi. Denn die Balance zwischen den Ermittlungsfiguren Alice Vega und Max Caplan gerät hier in Schieflage. Während Max in Depressionen und Angst um seine Tochter versunken ist, kämpft Vega weitestgehend alleine gegen das Schweigen über den Verbleib Zeb Williams‘ und die Atmosphäre von Einschüchterung und Angst, die die junge Neonazi-Bande verbreitet. Somit kann von einem Ermittlungsduo hier nur eingeschränkt die Rede sein.

Das ist insgesamt freilich immer noch deutlich besser und überzeugender als das Gros sonstiger amerikanischer Serienkiller-Produktion, die den deutschen Markt überschwemmen. Legt man aber den formidablen ersten, auf Deutsch erschienenen Krimi Tote ohne Namen für einen Vergleich zugrunde, so hat Abgetaucht hier das Nachsehen und fällt etwas gegen jenen Band ab. Dennoch ist auch dieses Buch ein starker Krimi, der im Kleinen der Provinz das findet, was sich im Großen in den USA auch gerade abzeichnet.


  • Louisa Luna – Abgetaucht
  • Aus dem amerikanischen Englisch von Karin Diemerling
  • ISBN 978-3-518-47377-1 (Suhrkamp)
  • 456 Seiten. Preis: 18,95 €
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James Carlos Blake – Red Grass River

Im tiefsten Süden Amerikas, in den Everglades, da leben sie, die Mitglieder der Familie Ashley. James Carlos Blake setzt der kriminellen Bande mit Red Grass River ein ebenso eindringliches wie mitreißendes Denkmal. Ein Epos über Gut und Böse – und die Grenze dazwischen, die sich nicht immer so leicht ziehen lässt.


Falls sich der Teufel je einen Garten angelegt hat, dann die Everglades. Der größte und gemeinste Sumpf, den Sie je zu sehen bekommen – größer als so mancher Staat der USA. All die Kiefernwälder und das Zwergpalmetto-Gestrüpp, die Zypressensümpfe, das ganze Kletterpflanzengewirr. Doch vor allem ist es ein Fluss, ein Fluss, wie es auf der Erde keinen zweiten gibt. Er ist hundert Kilometer breit, fünfzehn Zentimeter tief und verläuft vom Lake Okeechobee bis zum südlichen Ende des Staates über einem Morast ohne festen Boden. Das Ganze ist mit Binsenschneide, einer Art Sauergras, überwuchert, scharf wie ein Rasiermesser. Zwischen diesem schneidend scharfen Gras gibt es weit und breit nichts außer vereinzelten Hammocks – höher gelegene, mit Laubbäumen und Palmen beweachsene Inseln -, die größtenteils noch kein Mensch je betreten hat. Da draußen wirkt die Welt viel größer und der Himmel kennt kein Ende.

James Carlos Blake – Red Grass River, S. 9

So führt uns der sogenannte Liars Club in den Handlungsort des Romans von James Carlos Blake ein. Bei diesem Club handelt es sich um einen amorphen Erzählchor, der sich immer wieder kommentierend in die Geschichte einschaltet, die uns der 1947 in Mexiko geborene Blake erzählt.

Es ist eine Kommentierung, die aus viel Gerüchten und Tratsch besteht. Beim Thema, um das es sich in dem Roman dreht, verwundert das aber nicht. Denn die Familie Ashley, deren schwerkriminelle Mitglieder von Schwarzbrennerei über Alkoholschmuggel bis hin zu Banküberfällen so gut wie alle Schattierungen des Verbrechens im Süden der USA verübten, rief von Bewunderung bis Hass wahrhaftig eine Vielfalt von Gefühlen und Reaktionen hervor. Immer wieder sorgte das Treiben dieser historisch verbürgten Bande für Aufsehen und wurde durch spektakuläre Coups zum Stadtgespräch.

Die Ashley-Gang und ihr kriminelles Treiben

Den Werdegang der Familie, ihr kriminelles Tun und die Rivalität mit der Familie Baker, die als Sheriffs und Deputys auf der gegenüberliegenden Seite des Gesetzes standen, zeichnet James Carlos Blake mit einem sicheren Gespür für Action, Figuren und Lokalkolorit nach.

James Carlos Blake - Red Grass River (Cover)

So vereint Red Grass River Gewalt in Form von Schießereien, Schlägereien und zahlreiche Todesfälle mit Liebe, familiären Zusammenhalt, Momenten der Hingabe und der Lust, Eros und Thanos, Verfolgungsjagden, Gefängnisepisoden bis hin zu unglaublich sinnlichen Schilderungen der Naturlandschaft der Everglades, die als Rückzugsort der Ashleys nicht von ungefähr den Namen The devil’s garden trägt.

Es ist ein intensives Leseerlebnis, das uns James Carlos Blake hier zwischen Galveston und Miami kredenzt. Nicht nur Fans des ausgezeichneten Cowboyspiels Red Dead Redemption 2 kommen hier auf ihre Kosten.

Vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung Floridas zu Beginn des 20. Jahrhunderts schildert Blake Werden und Vergehen, Momente großer Liebe, aber auch Momente ebenso großen Hasses.

Der Reiz von James Carlos Blakes Roman liegt neben dem Erzählbogen mitsamt der meisterhaft geschilderten Szenen von der Flucht per Eisenbahn bis hin zum Schmugglerhandwerk in den Sümpfen auch in der dahinter aufscheinenden Rivalität zwischen Gut und Böse.

Sheriff und Ashley-Gang belauern sich, bekriegen sich – aber wer nun auf welcher Seite von Gut und Böse steht, das ist nicht immer wirklich eindeutig und macht so aus diesem Pageturner auch ein wuchtiges Drama mit Grauschattierungen.

Fazit

Fast meint man die Alkoholausdünstungen, Nebelschwaden und den Pulverdampf während der Lektüre selbst zu riechen. Ein großartiges Gangsterepos in den Sümpfen Floridas zwischen Schwarzbrennern und Fellhändlern, Bankräubern und Sheriffs, Gut und Böse, alter Verbrecherwelt und neuen Betrüger. Das ist ganz große Unterhaltung und wieder mal ein echter Griff, den der Münchner Liebeskind-Verlag hier getan hat!


  • James Carlos Blake – Red Grass River
  • Aus dem Englischen von Stefan Lux
  • ISBN 978-3-95438-087-9 (Liebeskind)
  • 528 Seiten. Preis: 24,00 €
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Tana French – Feuerjagd

Goldrausch im Hinterland von Irland. Davon gehen zumindest ein paar Figuren in Tana Frenchs neuem Roman Feuerjagd aus. Ihr gelingt ein eindrucksvoll ruhiger und dabei stets nervös vibrierender Roman, der sicher auf dem Grat zwischen Krimi und Roman balanciert.


Für ihren neuen Krimi wählt Tana French Figuren, die Leser*innen ihres vorhergenden Romans Der Sucher bekannt vorkommen durften. In jenem Roman erzählte sie die Geschichte des Polizisten Cal, der sich für seinen Ruhestand das kleine Dörfchen Ardnakelty im Westen Irlands aussuchte, wo er trotzdem nicht vor dem Unheil verschont blieb. Denn dieses klopfte in Form der jungen Trey an seine Haustür. Ihr Bruder war verschwunden, wovon die Dorfbevölkerung allerdings seltsam unberührt blieb. Allein seine Schwester Trey wollte die allgemeine Passivität nicht hinnehmen und setzt auf Cal als Retter in der Not, der im Lauf des Romans auch zu einer Art Vaterersatz für Trey wurde und mit Beharrlichkeit und Einfühlsvermögen das Rätsel um das Verschwinden des jungen Manns löste.

Tana French - Feuerjagd (Cover)

Nun, zwei Jahre später, steht Trey wieder vor Cals Haustür. Der Ersatzvater hat nämlich Konkurrenz bekommen. Aus dem Nichts taucht Johnny, der eigentliche Vater von Trey, auf dem heimischen Hof auf. Nach seiner Zeit in England ist er heimgekehrt und zeigt sich in puncto charakterlicher Festigkeit und Vertrauenswürdigkeit wenig geläutert. Mit im Gepäck hat er einen Engländer, dessen Vorfahren ebenfalls aus Ardnakelty zu stammen scheinen. Dieser erzählt von einer Goldader, von der schon seine Vorfahren Kenntnis hatten. Die Ader aus Gold soll das Land und den Fluss durchziehen dort in Ardnakelty durchziehen.

Während sich draußen der Landstrich unter der Sommersonne aufheizt, kommt es auch bald zu einem Wettlauf zwischen der Dorfbevölkerung und dem windigen Duo. Wer nimmt hier wen aus und wer spielt welches Spiel? Ist das wirklich möglich, ein Goldrausch wie einst am Klondyke nun im hügeligen Westen Irlands?

Inmitten der unübersichtlichen Gemengelage findet sich Cal, der feststellen muss, dass neben Dorfbewohner*innen und potentiellen Betrügern auch noch Trey ein eigenes Spiel spielt…

Spannungen im Ardnakelty

Wie schon in ihrem ersten Roman um Cal und Trey balanciert Tana French auch hier wieder traumwandlerisch sicher auf dem Grat zwischen Krimi und Roman. Lange Zeit braucht es, bis es zu einem Toten in ihrem Roman kommt. Spannend ist Feuerjagd aber auch ohne diese genretypische Zutat. Denn die irische Autorin schafft es wieder einmal mit psychologischem Feinsinn, die gefährliche Spannung zu schildern, die nach der Rückkehr von Treys Vater im Dorf Einzug hält.

Die meisten Bewohner*innen des Dorfs haben eine eigene Agenda und lassen sich nicht wirklich in die Karten blicken. Ob im Pub oder im Dorfladen – immer schwingt bei allen vordergründigen Aktionen immer noch eine zweite Ebene mit. Man belauert sich, traut sich nicht über den Weg – und in der Frage, wie das Zusammenleben dieser Menschen den Charakter des Dorfs formt, bekommt Frenchs Roman fast noch eine soziologische Komponente.

Sheila sieht sie an. „Das Dorf kennt keine Gnade“, sagt sie. „Sobald du dich mit denen anlegst, fressen sie dich bei lebendigem Leib. Du wärst verloren gewesen, so oder so.“

Tana French – Feuerjagd, S. 480

Psychologische Spielchen und Tricks

Die psychologischen Spielchen und Tricks, die vibrierende Spannung und dazu noch die gekonnt eingefangene Stimmung der glutheißen Tagen in den Bergen Irlands, das alles macht aus Feuerjagd einen packenden Krimi, der durch seine psychologische Stimmigkeit und die genaue Ausleuchtung der Figuren seinen Reiz entfaltet.

Wie schon im ersten Roman dieser Reihe, die hier im Entstehen begriffen ist, ist auch Feuerjagd wieder ein großartig inszenierter, ruhiger und doch untergründig aufgewühlter und aufwühlender Roman. Möchte man den vollkommenen Lesegenuss dieses Buchs erzielen, empfiehlt sich unter Umständen die vorhergende Lektüre von Der Sucher, nimmt das Buch an einigen Stellen doch Bezug auf die Geschehnisse dieses Bandes und verrät auch einige Details der vorangesetzten Handlung.

Doch auch ohne die Lektüre ist dieses von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann sauber übersetzte Buch mehr als empfehlenswert, steht hier doch das langsame Erzählen mindestens ebenso im Vordergrund wie die Handlung, die mich wie schon im ersten Band rund um Cal und Trey sehr gefangen genommen hat.

Fazit

Wieder mal gelingt Tana French ein spannender Roman, der in die Kategorie Krimi des Jahres fällt und der auch Verächtern dieses ansonsten gerne einmal recht blutrünstigen Genres auf den Geschmack kommen lassen dürfte. Plausibel gestaltete Figuren, Verzicht auf Metzeleien und Krawall, dafür viel untergründige Spannung, Atmosphäre und sozialer Scharfblick, das kennzeichnet Feuerjagd.


  • Tana French – Feuerjagd
  • Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
  • ISBN 978-3-949465-10-9 (S. Fischer)
  • 528 Seiten. Preis: 25,00 €
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Chris Lloyd – Paris Requiem

Zweiter Einsatz für Eddie Giral im von den Nationalsozialisten besetzten Paris. Chris Lloyd gelingt mit Paris Requiem abermals ein souveräner und traumwandlerisch sicher erzählter Kriminalroman mit einem unangepassten Helden, der diesmal nicht nur zu einem Pakt mit dem Teufel gezwungen ist.


Vor zwei Jahren erschien mit Die Toten vom Gare d’Austerlitz der erste Roman des Briten Chris Lloyd, den Herausgeber Thomas Wörtche für seine Krimiedition bei Suhrkamp aufgetan hatte. Gleich zum Einstand gelang Lloyd ein überzeugender Kriminalroman, der seinen Helden Eddie Giral hervorragend einführte. Nicht einmal vom Einmarsch der Nationalsozialisten in Paris ließ sich der bei der Pariser Polizei angestellte ehemalige Jazzclub-Rausschmeißer von der Arbeit abhalten. In einem komplexen Fall rund um eine Gruppe ermordeter Polen bewies er seinen kriminalistischen Riecher und sein Talent für Ironie und Aufrichtigkeit in schweren Zeiten.

Im zweiten historischen Krimi gelingt es Lloyd nun, das Begonnene auf großartige Art und Weise fortzuführen. Denn die Nazis sind noch immer in Paris präsent. Während die Vichy-Regierung unter General Pétain die Kollaboration anstrengt, regt sich in Paris langsam subtiler Widerstand gegen die Abwehr, Gestapo und SD, die die Straßen der Hauptstadt kontrollieren.

Eddie versieht seinen Dienst mit viel Widerwillen gegenüber den neuen Machthabern in der Stadt, allen voran Major Hochstetter von der Abwehr, der ein genaues Auge auf ihn hat. Zwischen Nazis und organisiertem Verbrechen versucht er irgendwie die Ordnung aufrechtzuerhalten und bangt zudem auch noch um seinen Sohn, den er im ersten Band der Reihe zur Flucht aus Paris verholfen hat.

Tod im Jazzclub

Chris Lloyd - Paris Requiem (Cover)

Als er nun an einen Tatort in einem von den Besatzern stillgelegten Jazzclub gerufen wird, ist Giral mehr als irritiert. Denn der Tote, der mit Anglergarn gefesselt auf einem Stuhl sitzt, sollte sich eigentlich nicht in dem Club, sondern hinter Gittern befinden. Schließlich hat Eddie selbst für seine Inhaftierung gesorgt. Doch irgendwie scheint es das Mordopfer aus dem Gefängnis geschafft zu haben, um sich nun mit zugenähten Lippen im Jazzclub wiederzufinden. Wer hatte mit dem Toten noch eine Rechnung offen?

Bei seiner Suche bewegt sich Eddie auf vertrautem Terrain. Halbseidene Gestalteten, Kaschemmen und Jazzclubs, in denen sich Nazis und Unterweltgrößen die Klinke in die Hand geben, sind Stationen seiner Suche, die er immer unter genauer Beobachtung Major Hochstetters vorantreibt. Dabei stößt er auf die Spur anderer Gefangener, die offenbar widerstandslos aus der Haft entlassen wurden und die sich nun zusammengetan haben scheinen – aber mit welchem Ziel? Dass ihm bei seiner Suche in Paris immer wieder der Name „Capeluche“ begegnet, ohne dass er der Lösung des Mordfalls im Jazzclub nennenswert näherkommt, all das macht die Sache nicht unbedingt einfacher.

Eddie Giral vs. Major Hochstetter

Paris Requiem ist ein starkes stück Kriminalliteratur, bei dem die schnodderige und von ironie geprägte Haltung des Ich-Erzählers Eddie mit einem guten Timing, einem ebenso gut entwickelten Plot und einem hochinteressanten Kapitel französischer Geschichte zusammenfallen.

Gekonnt lässt Lloyd, der bereits zur Geschichte der Résistance forschte, sein Wissen in den Roman einfließen, ohne diesen damit zu beschweren. Die Deals der Unterwelt mit den neuen Herren in der Stadt, der Mangel der Stadtbevölkerung und der erstarkende Widerstand gegen die Nationalsozialisten sowie das Kompetenzgerangel zwischen Sicherheitsdienst, Abwehr und Gestapo sind nur einige Punkte, die den Hintergrund zu Paris Requiem ausmachen.

Im Duell Eddies gegen den faszinierend mephistophelischen Hochstetter hat der Roman seine stärksten Szenen. Großartig etwa die Begeisterung des deutschen Majors ausgerechnet für Beethovens Freiheitsoper Fidelio, was ihn in einen Konflikt mit Eddie bringt, der als gebildeter Franzose die Volkserziehung der Deutschen überhaupt nicht schätzt. Dieser Tanz mit dem Teufel, der schon im ersten Band der Reihe begann, er geht hier in eine neue Runde und wird noch einmal ein ganzes Stück komplizierter.

Leben im besetzten Paris

Daneben macht Paris Requiem auch das Leben im besetzten Paris erfahrbar. Lloyd zeigt in starken Szenen den Vernichtungswillen der Deutschen, der sich von jüdischen Bewohnern der Stadt bis hin zu den sogenannten Frontstalags erstreckt. Das mühselige Anstehen für Essensmarken der einfachen Bevölkerung und der im Gegensatz dazu florierende Schmuggel von Whisky oder Pervitin, die kleinen und großen Deals, sie sind stetes Thema in Lloyds Welt.

Während sich Eddie immer wieder seinen Entwachern entzieht, auf eigene Faust sogar bis in die nachtschwarzen Wäldern Compiègnes vordringt, verstrickt er sich immer mehr in Abhängigkeiten und Versprechungen. Eine zusehends komplizierter und gefährlicher werdende Gemengelage, die er französische Ermittler nur durch sein Talent für Ironie erträglich macht (und sich damit in guter Gesellschaft ähnlich angelegter Ermittlungsfiguren wie Adrian McKintys Sean Duffy oder Ben Aaronovitchs Peter Grant befindet).

Fazit

Viele Fronten und Sorgen, ein raffinierter Mörder, eine Stadt im Ausnahmezustand und mittendrin Eddie zwischen Abwehr, Gestapo, Jazzkneipen und alten Versprechungen, das kennzeichnet Paris Requiem. Abermals gelingt Chris Lloyd ein toll gesetzter Krimi, der historische Kulisse und einen Krimiplot vorzüglich zu verbinden weiß. Ebenso wie der erste Band der Reihe ist auch dieser neue Krimi wieder ein hervorragendes Stück historischer Kriminalliteratur, das sich neben französischer Stimmen wie Didier Daenickx vorzüglich ausnimmt!


  • Chris Lloyd – Paris Requiem
  • Aus dem Englischen von Stefan Lux
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN 978-3-518-47373-3 (Suhrkamp)
  • 448 Seiten. Preis: 18,00 €
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