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Carl Nixon – Kerbholz

Verschollen in Neuseeland. Spannend montiert schickt uns Carl Nixon in seinem Roman Kerbholz in die Wildnis Neuseelands und zeigt drei Kinder im Überlebenskampf – und eine unbeirrte Suche nach den Vermissten.


Neuseeland, das ist diese grüne Insel, die für viele Urlauber, Student*innen und Weltreisende einen großen Reiz ausübt, befeuert nicht nur durch die Verfilmungen der Romane von J. R. R. Tolkien, die ein Land voller Idylle, weiter und abwechslungsreicher Landschaft zeigen. In Carl Nixons von Jan Karsten ins Deutsche übertragenen Roman Kerbholz ist das allerdings ganz anders. Denn der Neuseeländer zeigt sein Heimatland als ein gefährliches und dunkles, das einige Abgründe bereithält.

Die dunkle Seite Neuseelands

4. April 1978: kurz vor dem Dienstantritt seiner neuen Arbeitsstelle will der aus England stammende John Chamberlain die neue Heimat der Familie besser kennenlernen. Doch eine nächtliche Fahrt auf einem Highway inmitten der menschenleeren Wildnis Neuseelands geht gehörig schief.

Aufgrund des Aquaplanings stürzt das Auto der Familie mit den sechs Insassen von einer Brücke in den darunterliegenden Fluss, ohne dass irgendjemand in der Umgebung davon Kenntnis nimmt. Vater und Mutter sowie die jüngste, gerade neugeborene Tochter sterben. Nur die anderen drei Kinder überleben den Sturz in den Fluss und können sich ans Ufer retten.

Carl Nixon - Kerbholz (cover)

Jede Hoffnung auf Rettung zerschlägt sich allerdings rasch, da der Unfall in der unbelebten Einöde dort nicht registriert wurde. Und so liegt es nun an den Kindern, die für sich schauen müssen, wo sie inmitten dieser Landschaft aus Grün, Wasser und Felsen bleiben. Katherine übernimmt die Führung und versucht ihren Bruder Maurice und Tommy, der beim Unfall schwere Verletzungen an seinem Kopf davongetragen hat, irgendwie durch die neue Situation zu bringen.

Diesen Erzählstrang im Jahr 1978 kombiniert Carl Nixon mit dem Fund einer Leiche im Jahr 2010, der vor allem Suzanne, die Tante der damals verschwundenen Kinder, aufrüttelt. Bei dem Toten handelt es sich um Maurice, der per Zufall in der Nähe von Felsen gefunden wurde. Wäre dieser Fund der Leiche nun Jahrzehnte nach dem Verschwinden nicht schon für sich eine Sensation, findet sich bei ihm zudem auch noch eine ganze Menge Bargeld und ein Stock, der als Kerbholz identifiziert wird.

Verschollen in der Wildnis

Zudem stellt sich bei gerichtsmedizinischen Untersuchungen heraus, dass Maurice keineswegs unmittelbar nach dem Verschwinden der Eltern starb – vielmehr hat er noch einige Jahre gelebt, ehe er dann den Tod auf den Felsen fand. Was aber ist in der Zwischenzeit geschehen?

Das ist nicht nur eine Frage, die die Ermittlungsbehörden in Neuseeland interessiert – auch Suzanne lässt der Fund des toten Jungen nicht mehr los. Was ist damals wirklich passiert und wo sind die Kinder abgeblieben, warum führte Maurice so viel Bargeld mit sich und was hat es mit dem geheimnisvollen Kerbholz auf sich?

Diese Fragen dröselt Carl Nixon im Folgenden auf, wenn er die miteinander verflochtenen Erzählstränge wieder langsam entwirrt und von der unbeirrten Suche Suzannes ebenso wie vom Abenteuer – oder eher Martyrium – der Chamberlain-Kinder erzählt. Wie sich diese anpassen müssen, wie sich die Welt weiterdreht und diese vergessen werden, all das liest sich wirklich spannend.

Carl Nixon gelingt ein packender Roman, der ein Neuseeland fernab von Hobbit-Romantik und Backpackeridylle zeigt. Die Natur hier ist wild und rau, gefährlich und kommt Menschen mit wohlbegründeter Kontaktscheu äußert zupass, ohne an dieser Stelle zu viel von der Handlung vorwegnehmen zu wollen.

Fazit

Schnell liest man sich durch die flott getakteten Seiten, die zwischen Überlebenskampf und Überlebendensuche hin- und herwechseln und damit einen großen Drive entfalten. Nixon schafft es, sowohl das Schicksal der Kinder als auch die Kulisse seines Romans packend zu schildern. Dass dieser Roman im vergangenen Jahr zweimal für die Krimiwelt-Bestenliste nominiert war, ist keine Überraschung.

Kerbholz vermengt Elemente aus Familienroman, Nature-Writing, Survivalthriller und Spurensuche zu einem tollen Roman, der nun nach der Erstausgabe im Culturbooks-Verlag nun auch in einer schön gestalteten Ausgabe der Büchergilde vorliegt.


  • Carl Nixon – Kerbholz
  • Aus dem Englischen von Jan Karsten
  • Artikelnummer 175134 (Büchergilde Gutenberg)
  • 304 Seiten. Preis: 23,00 €
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Transfers im Krimigeschäft

Alan Carter – Marlborough Man

Nicht nur im Fußballbereich gibt es Transfers – auch im Buchgeschäft ist das Ganze gang und gäbe. Schauen wir uns einmal beispielsweise den Suhrkamp-Verlag an. Er hat einige Krimiautor*innen bei uns bekannt gemacht. Halten konnte er sie nicht immer. Bestes Beispiel ist Don Winslow, der mit seinen Surferkrimis um Boone Daniels oder das Drogen-Epos Tage der Toten bekannt wurde und viel Lob vonseiten der Kritiker*innen und Leser*innen einheimste. Irgendwann kam dann der Droemer-Knaur-Verlag, der Winslow zu sich lockte, wo der Amerikaner nun veröffentlicht und seitdem in regelmäßigen Abständen auf der Bestsellerliste zu finden ist.

Nun droht sich dieses Beispiel zu wiederholen. Adrian McKinty, der in meinen Augen beste nordirische Krimischriftsteller unserer Tage, veröffentlicht mit bestechend konstanter Flughöhe seine Krimis um den katholischen Bullen Sean Duffy in Carrickferrgus der 80er und 90er Jahre, die vom IRA-Terror gekennzeichnet waren. Nur, der große Durchbruch blieb dem Iren bislang verwehrt (zumindest in meiner Wahrnehmung). Das könnte sich im Herbst nun ändern, da erscheint dann nämlich mit The Chain ein Thriller von ihm, der deutlich mehr am Mainstream angesiedelt ist, wenn man dem Klappentext und der Bewerbung Glauben schenken darf. Wo erscheint dieses Buch? Auch hier hat Droemer-Knaur wieder zugeschlagen und sich die Rechte gesichert. Auszuschließen ist es nicht, dass damit McKinty der Durchbruch gelingt und er sich fortan größeres Publikum erschließen kann. Ihm ist es natürlich zu gönnen, Suhrkamp wird sich aber verständlicherweise ärgern.

Ein Transfer für den Suhrkampverlag

Dass es auch umgekehrt gehen kann, das zeigt der Fall von Alan Carter. Dieser hat zwei handwerklich brillante Krimis um den australischen Detektive Cato Kwong veröffentlicht. Doch auch hier schlägt das Schicksal der hochklassigen Kriminalliteratur zu: kaum einer hat es mitbekommen. Zwar standen auch diese Krimis oben auf der Krimiweltbestenliste, die breite Masse hat dies aber gekonnt ignoriert. Beispielsweise weist der zweite Krimi eine einzige mittelmäßige Bewertung auf Amazon auf, der erste Krimi bringt es immerhin auf sieben Rezensionen. Das ist schade, da der der kleine Indie-Verlag Nautilus mal wieder den richtigen Riecher für gute Krimis bewiesen hat.

Diesen Riecher hatten aber offenbar auch Thomas Wörtche und der Suhrkamp-Verlag. Denn wurde das Spiel anders herum gespielt und Suhrkamp konnte einem anderen Verlag den Autoren wegschnappen. Mit Marlborough Man veröffentlicht Alan Carter nun seinen ersten Krimi im neuen Haus. Dafür hat er auch das Setting gewechselt.

Ermittlungen in den Marlborough Sounds

Statt in Australien spielt sein Krimi nun in Neuseeland, genauer gesagt in der Küstenlandschaft der Marlborough Sounds. Den Schauplatz des Krimis dürften auch Kinogänger rasch vor Augen haben, wenn man an Peter Jacksons Verfilmung des Hobbits denkt. Die Flüsse, die die Marlborough Sound durchziehen, dienten unter anderem auch für die Inszenierung der Fass-Verfolgung von Bilbo Beutlin und den Zwergen.

Alan Carter - Marlborough Man (Cover)

In dieser beeindruckenden Naturkulisse, die ganz vom Maori-Erbe durchdrungen ist, ermittelt Nick Chester, der eigentlich gar nicht so heißt. Auch aus Neuseeland stammt er ursprünglich nicht. Er ist hier untergetaucht, da in England eine verdeckte Ermittlung schief lieg und er aufflog. Nun ist er also der Polizei in den Marlborough Sounds zu Diensten und lebt mit seiner Familie abgeschieden in der Umgebung der Marlborough Sounds.

Er bekommt es nun mit einem Mörder zu tun, der es auf kleine Jungs abgesehen hat. Die Ermittlungen werden dadurch erschwert, dass Nick eigentlich immer permanent unter dem Radar fliegen muss. Denn die Anzeichen mehren sich, dass auch im fernen England jemand die Spur des Marlborough Man aufgenommen hat, der noch eine Rechnung mit ihm offen hat. Double Trouble also in Neuseeland für Nick Chester und seine Kolleg*innen.

Ein klassischer Reihenauftakt von Alan Carter

Formal bietet der Krimi wenig Neues. Da ist der obligatorische Prolog, der uns den Mörder schon einmal in Aktion zeigt. Und auch ansonsten tritt der Mörder anonym immer wieder in Erscheinung, ehe in einem Showdown die ausgelegten Fährten zusammengeführt werden. Dass der kurz vor Ende präsentierte Verdächtige natürlich nicht der gesuchte Mörder sein kann, das ist jedem einschlägigen Krimileser und jeder Krimileserin schon im Vorfeld klar. Und auch ansonsten setzt Alan Carter eher auf kriminalliterarische Hausmannskost, die er aber sehr gut zubereitet.

Die Dialoge sitzen, die Szenerie in Neuseeland wird toll eingefangen und auch Nick ist ein tragfähiger Charakter. Wenngleich dieses Buch wie eine klassische Einführung dieses Ermittlers gestaltet ist und noch etwas überfrachtet wirkt- spätestens in ein oder zwei Büchern wird Alan Carter mit ihm zu altbekannter Form gefunden haben. Auf weitere Bücher mit dem Marlborough Man bin ich gespannt. In meinen Augen hat sich der Transfer für Suhrkamp durchaus gelohnt!


  • Alan Carter – Marlborough Man
  • Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
  • Herausgegeben von Thomas Wörtche
  • ISBN: 978-3-518-46932-3 (Suhrkamp)
  • 383 Seiten, 14,95 €
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Eleanor Catton – Die Gestirne

Sternenstaub

Es ist ein Bild, das Künstler in Öl hätten malen können: Eines Abends 1866 im Januar betritt Walter Moody im Städtchen Hokitika in Neuseeland das Crown Hotel. Eigentlich möchte er nur Ruhe finden und einen Drink zu sich nehmen, doch als er das Raucherzimmer des Hotels betritt, stört er eine illustre Versammlung, die durch das Auftauchen des Glücksritters im Hinterzimmer beträchtlich in Aufregung gerät.
12 Männer haben sich im Raum versammelt, um mysteriösen Dingen auf den Grund zu gehen. Es geht um verschwundenes Gold, eine bewusstlos aufgefundene Hure, verschwundene Frachtkisten, einen toten Einsiedler, dubiose Dokumente, einen verschwundenen Goldschürfer und dergleichen mehr.
Dies klingt nicht nur kompliziert – es ist es auch. Doch die Versammlung der 12 Männer zieht nach den anfänglichen Irritationen Walter Moody schnell in ins Vertrauen. Einer nach dem anderen enthüllt in seinen Ausführungen, welche Ereignisse dafür gesorgt haben, dass die Männer just an jenem Abend im Crown Hotel zusammenkamen.

Von Sternen und Strängen

Eleanor Cattons Roman (fabelhaft ins Deutsche übertragen von der Dickens-Übersetzerin Melanie Walz) ist ein Buch, das sich schwerlich in Worte packen lässt. Inhaltlich verschränkt die junge Autorin Astronomie, den neuseeländischen Goldrausch, einen Krimi und Astrologie zu einem höchst ungewöhnlichen Gemenge.
Mag man beim Lesen des Klappentextes dieses Romans auch den Eindruck bekommen, es handele sich bei Die Gestirne alleine um einen Krimi oder eine Liebesgeschichte, so stellt man im Lauf der Seiten fest, dass sich das Buch ebenso strikt wie gekonnt einer Einordnung in ein Genre entzieht.
Die so plakativ beworbene Romanze rollt sich nur langsam auf und auch Krimileser dürften zunächst enttäuscht sein. Dabei hat das Buch doch eigentlich alles, was einen Krimi auszeichnet – verschwundene Personen, Mord, Geheimnisse allerorten.
So leicht macht sich es Eleanor Catton dann aber nicht (was man bei einem mit dem Booker-Preis 2013 ausgezeichneten Roman auch nicht erwarten sollte).
Den 12 Männern im Raucherzimmer ordnet sie individuelle Tierkreiszeichen zu, die die Handlung bestimmen. Einzelne Sternzeichen zueinander sind die Kapitelüberschriften und ähnlich einem Experiment stellt sie zunächst immer wieder die einzelnen Protagonisten gegeneinander auf, um ihre Beziehungen und Geheimnisse langsam zu entschlüsseln.

Der goldene Schnitt des Erzählens

Der goldene Schnitt bei einer Schnecke (c) Flickr

Der goldene Schnitt bei einer Schnecke (c) Flickr

Am Anfang liest sich das Ganze unglaublich statisch. Umständlich erläutert jeder Charakter Querverbindungen und Hintergründe. Ähnlich wie Walter Moody muss man erst einmal hinter die einzelnen Geschehnisse, Charaktere und deren Geheimnisse kommen.

Eleanor Catton lässt sich Zeit um die Fäden langsam zu entrollen. Wie bei einer Schnecke folgt Windung auf Windung.
Und die Schnecke ist auch ein perfektes Bild, um die Konstruktion des Romans zu erklären. Die knapp 1050 Seiten von Die Gestirne folgen nämlich einem klaren Muster. 12 Protagonisten gibt es, 12 Tierkreiszeichen beschreiben diese und folglich gliedert sich der Roman auch in 12 Abschnitte auf.
Von diesen ist jeder genau um die Hälfte kürzer als der vorangegangene. Einzelne Kapitel werden mit der antiquierten Technik der vorangestellten Zusammenfassung des Kapitels eingeleitet und kennzeichnen sich durch eine alte, aber nicht altmodische Sprache.
Der erste Teil und damit auch die ersten Kapitel des Buchs sind sehr lang, erst nach 460 sind die Hintergründe des Treffens im Crown Hotel erläutert und die einzelnen Figuren eingeführt,
um dann gegenläufig zu werden. Immer kürzer werden die Kapitel und die Abschnitte, sodass sich das Lesetempo mit dem Voranschreiten des Buchs steigert.
Für mich ist dies der goldene Schnitt des Erzählens, der hier höchst originell umgesetzt wird.

Ein Panoptikum des Goldrausches

Mit Die Gestirne ist Eleanor Catton einer der wohl ambitioniertesten und am sorgfältigsten komponierten Romane der letzten Jahre gelungen, dessen Auszeichnung mit dem Booker-Prize nur konsequent erscheint. Mich unterhielt das Buch nicht immer, gerade zu Beginn hätte ich mir mehr Tempo und weniger Statik gewünscht. Wie sich dann aber zum Ende des Buchs hin alles fügt und sich die Mühe und Akribie zeigt, die Catton der Konstruktion ihres Romans zugrunde legt, dies verdient allerhöchste Anerkennung.
Für mich ist dieses Buch, müsste man es zusammenfassen, ein literarisch ausgefeiltes Panoptikum des neuseeländischen Goldrausches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine Genreeinteilung schlägt für mich genauso fehl wie eine inhaltliche Eingrenzung dieses Mammutwerks. Sicher in seiner Form momentan ein Solitär in der Literatur!

 

Hier spielt „Die Gestirne“: Die Provinz Otago,in Neuseeland, ein Zentrum des Goldrausch               (c) Flickr/Craig Holloway

 

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