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Herbert Clyde Lewis – Gentleman über Bord

35 Jahre ist eigentlich noch kein Alter für eine Midlifecrisis. Und doch fühlt Henry Preston Standish in sich den Drang, aus seinem geregelten Leben mit Job, Frau und Kind auszubrechen. Und so findet sich der distinguierte Gentleman an Bord der S. S. Arabella wieder, wo es in Herbert Clyde Lewis‚ Roman Gentleman über Bord zu einem verhängnisvollen Zwischenfall kommt.


Als Henry Preston Standish kopfüber in den Pazifischen Ozean fiel, ging am östlichen Horizont gerade die Sonne auf. Das Meer war so still wie eine Lagune, das Wetter so mild und die Brise so sanft, dass man nicht umhinkam, sich auf wunderbare Art traurig zu fühlen. In diesem Teil des Pazifiks vollzog sich der Sonnenaufgang ohne großes Tamtam: Die Sonne setzte lediglich ihre orangefarbene Kuppel auf den fernen Saum des großen Kreises und schob sich langsam, aber beständig nach oben, bis die matten Sterne mehr als genug Zeit hatten, mit der Nacht zu verblassen.

Tatsächlich dachte Standish gerade über den gewaltigen Unterschied zwischen dem Sonnenaufgang und dem Sonnenuntergang nach, als er den unglücklich Schritt machte, der ihn in die See beförderte.

Was für ein Auftakt für diesen Roman, der nach seinem Erscheinen 1937 nun erstmals auf Deutsch zu entdecken ist. Von Honolulu auf Hawai bis nach Panama soll die Reise führen, zu der sich Henry Preston Standish berufen fühlt.

Herbert Clyde Lewis – Gentleman über Bord, S. 13

Ein Mann in der Midlifecrises – und im Pazifik

Herbert Clyde Lewis - Gentleman über Bord (Cover)

Eigentlich führt er eine Bilderbuchexistenz, wie sie sich viele andere Menschen nicht nur in den Dreißiger Jahren in Amerika erträumten. Als Eigner einer Börsenmaklerfirma muss er sich um sein Auskommen keinerlei Gedanken machen. Seine Frau Olivia hat er drei Monate nach dem Kennenlernen geheiratet und zusammen mit ihr zwei Kinder. Man lebt in einer Vierzimmerwohnung am Central Park und hat sich sehr komfortabel eingerichtet im begüterten Leben dort in New York.

Und doch ist da diese Leere in ihm, die er nun nach sieben Jahren Ehe mit der Schiffsreise von Hawai bis zum Panamakanal füllen möchte.

Viele Tage an Bord der Arabella, in Gesellschaft einer kleinen Reisegruppe und einer ebenso handverlesenen Besatzung, so sieht es der Plan eigentlich vor. Doch dann ist dann ist es ausgerechnet ein Ölfleck, der das Unglück auslöst, das Standish mitten hinein in den Pazifik befördert. In einer schon fast slapstickhaften Nummer rutscht Standish in dieser Öllache aus, als wäre es eine Bananenschale. Er fasst nicht mehr Tritt und so heißt es schon auf den ersten Seiten des Buchs Gentleman über Bord.

Gentleman über Bord

Männer vom Schlage Henry Preston Standishs stürzten nicht einfach so von einem Schiff mitten in den Ozean. So etwas machte man schlichtweg nicht, das war alles. Es war eine blöde, kindische, ungezogene Tat, und wenn Standish jemanden hätte um Verzeihung bitten können, dann hätte er es getan. Die Leute daheim in New York wussten, dass Standish ein ausgeglichener Typ war. Seine Erziehung und Ausbildung hatten die Ausgeglichenheit hervorgehoben. Selbst als Heranwachsender hatte Standish immer das Richtige getan. Weit entfernt davon, blasiert zu sein oder einen Kult mit Umgangsformen zu treiben, war Standish wahrhaft ein Gentleman von der guten, unaufdringlichen Sorte.

Herbert Clyde Lewis – Gentleman über Bord, S. 29

Eigentlich ist er geneigt, sich für die Umstände entschuldigen zu wollen und wagt es zunächst beschämt gar nicht, laut nach Hilfe zu rufen, allzu unschicklich ist dieser Vorfall für ihn. Doch als sich das Schiff unaufhaltsam vom wassertretenden Standish entfernt, muss er doch nach Hilfe rufen.

Diese bleibt allerdings aus, denn außer Standish befand sich zum Zeitpunkt des Unglücks niemand an Deck. Und auch in der Folge wird der Gang über Bord nicht bemerkt werden, wie Herbert Clyde Lewis ausführlich zu schildern weiß. Es kommt zu einer unglücklichen Verkettung von Umständen, durch die weder beim Frühstück noch im Laufe des Tages das Fernbleiben des Gentleman auffällt. Verwechslungen, unglückliches Timing und schlichtes Pech sorgt dafür, dass die Arabella weiterhin Kurs auf Panama hält, während Standish im Wasser des Ozeans tritt.

Dies entwickelt sich für den Börsenmakler erst langsam zum Problem. Denn eigentlich ist das Wasser von einer angenehmen Temperatur, Haie gibt es in diesen Breiten nicht – und so schaukelt Standish auf den Wellen und sinnt über sein Leben und das Unglück an Bord der Arabella nach. Doch je weiter der Roman voranschreitet, umso prekärer wird die Lage. Ob man auf dem Schiff die Abwesenheit des Mannes noch rechtzeitig bemerkt?

Viele Gefühle auf kleinstem Raum

Herbert Clyde Lewis hat mit Gentleman über Bord einen Roman geschrieben, der auf allerkleinstem Raum spielt. Es sind gerade einmal zehn Kapitel, die die etwas mehr als hundertfünfzig Seiten gliedern, die außer dem Schiff Arabella und dem im Meer treibendenden Standish keinen Schauplatz bieten. Den minimalen Raum weiß Lewis aber zu nutzen, indem er seinen Protagonisten und mit ihm auch uns alle Gefühlsregungen durchlaufen lässt. Melancholie, Trauer, Komik, Verlustängste – all das steckt in den Seiten von Gentleman über Bord.

Jochen Schimmang zeichnet in seinem Nachwort das Leben von Herbert Clyde Lewis nach, der 1909 als Sohn russisch-jüdischer Migranten in Brooklyn zur Welt kam und dem zeitlebens ein ähnliches Pech als Schriftsteller wie seinem Gentleman im Pazifik beschieden war. Er musste sich abstrampeln und von Job zu Job hangeln, Drehbücher verfassen – und geblieben ist ihm ebenso wenig, wie von Standish dort in den Weiten des Ozeans. Mit gerade einmal 41 Jahren starb Herbert Clyde Lewis. Umso schöner, dass ihm nun 73 Jahre nach seinem Tod im Jahr 1950 postum die Ehre einer Wiederentdeckung zuteil wird.

Fazit

Ein großartiges Büchlein, in dem man gerne versinkt wie Standish in den Weiten des Pazifiks. Das ist Literatur, mit der man keinesfalls Schiffbruch erleidet!


  • Herbert Clyde Lewis – Gentleman über Bord
  • Aus dem Englischen von Klaus Bonn
  • Mit einem Nachwort von Jochen Schimmang
  • ISBN 978-3-86648-696-6 (Mare)
  • 176 Seiten. Preis: 28,00 €
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Simone Buchholz – Unsterblich sind nur die anderen

Befinden wir uns an Bord des Fliegenden Holländers oder doch eher im Inneren eines Buddelschiffs? Simone Buchholz wagt in Unsterblich sind nur die anderen die Abkehr von ihren Chastity Riley-Krimis und schickt ihre Figuren auf einen ebenso skurrilen wie verwirrende Reise an Bord der MS Rjúkandi, einer Art schwimmendes Hotel California.


Eines vorweg: wer eine Literatur der Eindeutigkeit schätzt, der dürfte an diesem Buch wenig Freude haben. Denn wo sich Chastity Riley bei ihren Ermittlungen, Flirts und Abstürzen noch auf dem festen Boden des Hamburger Hafens und drumherum bewegte, so ist der Untergrund dieser Geschichte mehr als schwankend.

Von Aalborg bis nach Island

Alles beginnt mit zwei Frauen namens Malin und Iva, die an Bord der Fähre MS Rjúkandi einchecken, um eine Überfahrt mit der Nordseefähre von Aalborg bis nach Island anzutreten. Schon die Unterkunft in einem Hotel ganz ohne Bewertungen setzt den Ton für die folgenden Ereignisse.

Die blaue Leuchtreklame des Hotels war exakt genauso hoch wie der zweistöckige Bau, dem sie aus dem Kopf wuchs. Das Teil schüttete kaltes Licht über den Strand und über die erste Reihe der Wellen. Der Nebel hatte sich verzogen, die Luft war klar und knisterte auf den Lippen.

Desperate Rooms„. Iva zog an ihrer Zigarette und tippte mit dem Mittelfinger an Malins Stirn. „Ernsthaft?“

Simone Buchholz – Unsterblich sind nur die anderen, S. 14 f.

Das Motiv der Einsamkeit und der leichten Verrückung der Realität ist ein Markenzeichen des ganzen Buchs, dessen Geschehen sich dann an Bord der MS Rjúkandi verlagert. Dort wollen die beiden Frauen den Spuren ihrer Freunde Tarik, Mo und Flavio nachgehen, die mit ebenjener Fähre vor einigen Wochen reisten, deren Spur sich aber im Nichts verliert.

Irgendetwas an Bord stimmt nicht

Simone Buchholz - Unsterblich sind nur die anderen (Cover)

Und so begeben sich die Frauen an Bord und lernen neben dem Schiffsmusiker Ola die Besatzung des Schiffs kennen, bei der sich das Gefühl der Entrücktheit von der Realität fortsetzt. Die Crew an Bord besticht durch unfassbar gutes Aussehen, besonders der Kapitän namens Richard William Jones hat es Iva mit seiner Attraktivität und Aura angetan.

Je länger sich der Aufenthalt an Bord der Rjúkandi hinzieht, umso deutlicher werden die Zeichen, dass hier an Bord etwas nicht stimmen kann. Nicht nur, dass nach dem Ablegen der Fähre das Hotels mitsamt seiner Desperate Rooms verschwunden zu sein scheint, auch mit der Besatzung des Schiffs stimmt etwas nicht. Und als Iva dann den Versuch eines Abgangs von Bord unternehmen möchte, muss sie feststellen, dass die Weisheit des alten Eagles-Klassikers Hotel California einmal mehr zutrifft: „You can check out any time you like, but you can never leave“.

Meeresgöttinnen, der Fliegende Holländer und knackige Dialoge

Unsterblich sind nur die anderen ist ein Buch, das mit vielen ganz unterschiedlichen Motiven und Stilen spielt. Denn neben den gewohnt knackigen Buchholz-Dialogen und pointierten Beschreibungen sind es auch Tagebucheinträge und lyrische Zwischenpassagen, die das Geschehen ergänzen. Hier sprechen Meeresgöttinnen wie die Nereiden oder werden Legenden wie die der keltischen Meerjungfrau Lí Ban neu interpretiert.

Das Ganze verschränkt Buchholz mit einer teils kafkaesken, teils fantasy-haften Erzählung von Bord der MS Rjúkandi, in der die 1972 geborene Autoren alle möglichen Seemythen zitiert. Das reicht vom Fliegenden Holländer über die Titanic bis hin zu traurigen Legenden wie der des Schiffes St. Louis oder einer Neuinterpretation des Bermudadreiecks, das sich bei Buchholz zwischen Aalborg, Torshavn auf den Färöern und Seydisfjördur auf Island erstreckt.

Insgesamt ist Unsterblich sind nur die anderen ebenso anspielungsreich wie auch rätselhaft. Die Schilderungen der (Irr)Fahrten der MS Rjúkandi ergeben gerade in Zusammenhang mit dem vorgeschalteten Buddelschiff-Prolog viele Interpretationsmöglichkeiten, bei denen sich für mich keine eindeutige Lesart angeboten hat. Vielmehr glich mein Leseerlebnis dem Lauschen von Sprechen oder Singen unter Wasser. Vieles von der Sprache bis hin zu den Motiven wirkt vertraut – und dennoch ist dieses modern interpretierte Seemannsgarn letzten Endes zumindest für mich nicht ganz aufzulösen.

Frappant auch, wie sich das Meermotiv in diesem literarischen Herbst durch die Neuerscheinungen vieler weiterer Autor*innen zieht. So interpretiert etwa Monique Roffey in Die Meerjungfrau von Black Conch den Meerjungfrauen-Mythos neu, Theresia Enzensberger schickt eine junge Frau auf eine rätselhafte schwimmende Seestatt in der Ostsee oder Mariette Navarro beschert ihrer Kapitänin eines Frachters bei ihrer Fahrt Über die See einige mysteriöse Erlebnisse. Gerade mit letzterem Werk weist Unsterblich sind nur die anderen in meinen Augen durchaus einige Berührungspunkte auf, ist es doch ebenso rätselhaft und eindringlich wie Buchholz‘ Prosa.

Fazit

Unsterbliche Kapitäne, eine segelnde Schiffsbesatzung, ungewöhnliche Meerjungfrauen und ein Schiff, das kein Entkommen bietet. Das sind nur einige der Einfälle, die Simone Buchholz in Unsterblich sind nur die anderen aufbietet und so mit ihrem modernen Seemannsgarn ein ebenso rätselhaftes wie luzides Leseerlebnis schafft.

Weitere Meinungen zum Buch gibt es auch beim WDR und im NDR.


  • Simone Buchholz – Unsterblich sind nur die anderen
  • ISBN 978-3-518-47276-7 (Suhrkamp)
  • 265 Seiten. Preis: 18,00 €
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Cay Rademacher – Die Passage nach Maskat

Wenn es ein Motiv in der Kriminalliteratur gibt, das nicht aus der Mode zu kommen scheint, dann ist es wohl das des Mords auf einem Schiff. Agatha Christie popularisierte es mit ihrem Tod auf dem Nil (immer wieder verfilmt, etwa jüngst von Kenneth Branagh), Sebastian Fitzek gelang mit Passagier 23 ein (ebenfalls verfilmter) Bestseller, im letzten Jahr war es Stuart Turton, der die hermetische Enge des Schiffs für einen historischen Krimi nutzte. Und nun hat auch Cay Rademacher das Schiff als Schauplatz eines Krimis für sich entdeckt. In Die Passage nach Maskat schickt er Ende der 20er Jahre einen Pressefotografen an Bord eines Ozeanliners auf die Suche nach seiner eigenen Frau.


Rademacher, der bislang mit historischen Stücken (Der Trümmermörder) und Frankreich-Krimis (Gefährliche Côte Bleu) in Erscheinung trat und damit gleich zwei boomende Themen im Kriminalroman besetzte, spendiert nun im Jahr 1929 dem für die Berliner Illustrirte arbeitenden Pressefotografen Theodor Jung eine Reise an Bord des Ozeanliners Champollion.

Von Marseille bis Maskat

Cay Rademacher - Die Passage nach Maskat (Cover)

Von Marseille aus soll die Reise über den Suezkanal bis nach Maskat, die Hauptstadt des Oman, führen. Doch Jung reist nicht alleine. Ihn begleitet seine Frau Dora – wobei man eigentlich eher davon sprechen müsste, dass Jung seine Frau Dora begleiten darf. Denn diese entstammt der reichen Gewürzhandelsdynastie Rosterg, die in Form des Patriarchen Hugo Rosterg, dessen Gattin und Sohn sowie des Prokuristen Lüttgen mit an Bord ist. Im Oman hofft man auf ertragbringende Geschäfte für das Gewürzhaus – und Lüttgen auf das Ende der Beziehung von Dora und Theodor, möchte er doch selbst in der Familie aufsteigen und die Tochter des Patriarchen ehelichen.

Und so schippert man vom Hafen von Marseille aus über Port Said, parliert an Bord, während Theodor Fotos von seiner Reise knipst – schließlich hofft die Berliner Illustrirte auch auf exotische Fotos aus Afrika, die bei der Reise abfallen sollen. Doch plötzlich bekommt die Reise eine unerwartete Wendung. Eines Abends fehlt ein Stuhl am Tisch der Familie Rosterg – und Dora ist verschwunden. Als jeder der Familie behauptet, dass Dora nie an Bord gewesen sei, beginnt Jung an seinem Verstand zu verzweifeln. Nirgendwo auf dem Schiff finden sich Spuren seiner Frau – hat er sich alles nur eingebildet? Oder treibt die Familie ein doppeltes Spiel mit ihm, um Geheimnisse zu kaschieren?

Das Schiff als nimmermüdes Kriegsmotiv

Das Schiff als Schauplatz, es hat seine Vorzüge, was es für Krimis zum immer wieder beliebten Motiv werden lässt. Ein abgeschlossener Raum auf dem Meer, keine Fluchtmöglichkeiten, ein überschaubares Personenensemble und damit auch viele Möglichkeiten für die Leserinnen und Leser, mitzuraten. Wer ist verdächtig? Was könnte hinter dem Verschwinden von Dora stecken? Stellvertretend für uns Leser*innen tappt Theodor über das Schiff, an seiner Seite die Stwardess Fanny, die dem durch seine Erlebnisse als U-Boot Besatzungsmitglied im Ersten Weltkrieg traumatisierten Fotografen beisteht. Zusammen ermitteln sie sich durch das Schiff, begegnen gefallenen Tanzstars, kriminellen Schlägern und der (scheinbar) feinen Gesellschaft an Bord der Champollion.

Dabei braucht Cay Rademachers Schiff dann allerdings einige Zeit, ehe es in kriminellen Gefilde kommt. Die ersten hundert Seiten vergehen doch eher wie auf dem Traumschiff, statt durch atemlose Spannung zu bestechen. So gibt es zwar eine Drohung durch den Prokuristen der Familie Rosterg, die gegen Jung ausgesprochen wird. Aber bis der versprochene Krimi wirklich losgeht, dauert es einige Zeit.

Man schlendert durch Marseille, Theodor Jungs traumatisierende U-Boot-Erfahrungen und sein Job bei der Berliner Illustrirten wird vorgestellt, das Personenensemble an Bord gemächlich eingeführt (dass dann aber größtenteils doch blass und rein funktional bleibt).

Häufig ist auch viel Kulissenschieberei dabei, etwa wenn man extra zu den Ausgrabungen von Howard Carter in der Wüste Ägyptens aufbricht, um so die zur selben Zeit staffindenden historischen Ausgrabungen auf dem Schauplatzzettel abhaken zu können. Oftmals kaschieren diese Schauwerte den geringen kriminalliterarischen Gehalt des Buchs. Das ist doch alles recht brav und bieder gehalten und weiß weder als Krimi noch als historischer Roman so recht zu überzeugen. Etwas mehr Schwung und neue Ideen fernab der bekannten Ermittlungstropen und Motive, das hätte hier Not getan.

Fazit

So ist Cay Rademachers Buch in meinen Augen dann bisweilen dann doch eher kriminalliterarisches Traumschiff als wirklich mitreißend erzähltes Spannungswerk, das auch mit seiner Auflösung nicht ganz überzeuen kann. Als solide Spannungsware ohne viel Gemetzel oder Blutfontänen taugt Die Passage nach Maskat allemal, aber leider verzichtet das Buch auf Überraschendes oder wirklich mitreißende Spannungsmomente.


  • Cay Rademacher – Die Passage nach Maskat
  • ISBN 978-3-8321-8197-0 (DuMont)
  • 368 Seiten. Preis: 22,00 €
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Stuart Turton – Der Tod und das dunkle Meer

Stuart Turton hat ein Faible für ungewöhntliche Kriminalromane. So machte er mit seinem Debüt Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle alle Leser*innen glücklich, die an den Gedanken der Wiedergeburt glauben. Seinen Ermittler ließ er immer wieder den gleichen Tag auf einem englischen Herrenhaus durchleben, nur damit dieser einen Mord aufklären konnte. Wie am Murmeltiertag musst er Tag für Tag das gleiche Szenario durchleben, allerdings immer wieder in einem anderen Körper, um so schließlich dem oder der Mörderin auf die Spur zu kommen. Vom klassischen Landhaus-Krimi mit Twist hat er sich nun verabschiedet. Diesmal sind wir in Der Tod und das dunkle Meer zu Gast auf einem Schiff namens Saardam.

Von Batavia nach Amsterdam

Dieses Schiff segelt im Jahr 1634 im Auftrag der Niederländischen Ostindienkompanie von Batavia nach Amsterdam. Eine Reise mit einer Dauer von über acht Monaten, die von Beginn an unter einem schlechten Stern steht. Schon vor Auslaufen der Flotte wird das Schiff von einem Aussätzigen verflucht, der danach spektakulär in Flammen aufgeht und eigentlich gar keinen Fluch über das Schiff aussprechen hätte dürfen, war ihm doch die Zunge war ihm zuvor herausgeschnitten worden.

Solche Begebenheiten häufen sich nach Auslaufen des Schiffs. Auf dem Segel taucht das Symbol des Alten Tom auf. Hierbei handelt es sich der Legende nach um einen schrecklichen Dämon, der offensichtlich unter der Schiffsbesatzung umgeht. Immer wieder finden sich an unterschiedlichen Orten des Schiffs solche Zeichen des Bösen. Es kommt zu grausamen Morden und es scheint, als hätte der Alte Tom schon bald sein Ziel erreicht, das Schiff untergehen zu lassen.

Stuart Turton - Der Tod und das dunkle Meer (Cover)

Für den Kampf gegen das Böse wäre eigentlich Samuel Pipps prädestiniert, eine Art Vorgänger von Sherlock Holmes von kleinem Wuchs, aber bestechenden Intellekt. Er befindet sich an Bord des Schiffs – allerdings in Ketten gelegt, denn ihn erwartet in Amsterdam seine Hinrichtung. Wessen man ihn beschuldigt, das weiß er selbst nicht. Aber so bleibt ihm nur die kriminalistische Unterstützung durch seinen Freund Arent Hayes, der Pipps an Bord begleitet und der selbst schon einmal die Bekanntschaft mit dem Alten Tom gemacht hat.

Während das Schiff nun Amsterdam entgegensegelt, spitzt sich die Lage an Bord immer mehr zu. Es scheint, als könnte das Vorhaben des Alten Tom tatsächlich gelingen, die verfluchtet Saardam in ihren Untergang zu lenken.

Der Alte Tom an Bord

Der Tod und das dunkle Meer liest sich wie eine wilde Melange aus Robert-Louis Stevensons Die Schatzinsel, etwas Horror, Anleihen an den Viktorianischen Kriminalroman und Patrick O’Briens Master and Commander. Dabei erklärt Stuart Turton selbst im Nachwort seines Romans, dass er bewusst keinen akkuraten historischen Roman schaffen wollte, sondern es vielmehr vermeiden wollte, sein Buch in das „Korsett eines Genres“ zu zwängen.

Das merkt man dem Krimi auch an, der auf über 600 Seiten auffährt, was Turtons Kreativität so hergibt. Immer mehr Mysterien und Rätsel häufen sich an Bord. Ein Aussätziger erscheint und verschwindet nach Belieben an Bord und kann sogar aus dem Wasser an Bord des Schiffs gelangen. Im Gefolge des Flottenverbands taucht immer wieder minutiös getaktet ein achtes Boot auf, Morde geschehen ohne Spuren und es scheint, als könne der Alte Tom an Bord des Schiffs beliebig umhergehen.

Da fehlen eigentlich nur noch ein paar Klabautermänner und Captain Jack Sparrow, und die Piraten-Nostalgie wäre perfekt.

Etwas zu viel Mysterien an Bord

Stuart Turton greift hier abermals in die Vollen, um Schauder und Nachdenken zu erzeugen. Dabei übertreibt er es allerdings etwas mit den unerklärlichen Rätseln und Ereignissen an Bord, sodass er diese in der Auflösung des Ganzen dann nicht wirklich plausibel und befriedigend zuende bringen kann.

Es waren zumindest meinem Eindruck nach ein paar Rätsel und Volten zu viel, als dass man Turton die vorgebrachte Auflösung dann rundherum abnimmt. Auch die völlige Verwandlung einiger Figuren, die zuvor über viele hundert Seiten völlig gegenläufig dargestellt wurden, überzeugt nicht.

Gerade auf den letzten Seiten stellt sich ein Eindruck einer gewissen Gehetztheit ein, mit der Turton seinen außergewöhnlichen Krimi abschließen wollte (oder vielleicht abschließen musste, da eventuell eine Deadline drohte). Ein paar weniger Unerklärlichkeiten zuvor und die Plausibilität des Ganzen hätte gewonnen. So aber wirkt der Krimi an sich leider nicht ganz rund und zuende gedacht.

Fazit

Mit Der Tod und das dunkle Meer untermauert Stuart Turton abermals seinen Ruf als ungewöhnlicher und wahrlicher kreativer Krimischriftsteller, der seine tollen Ideen und Fülle an Budenzauber dann aber nicht ganz ins Ziel retten kann. Die Auflösung fällt hinter den Großteil der spannenden gut 600 Seiten zurück und befriedigt nicht ganz. Da er zuvor allerdings mit seiner Fülle an Plotideen und Beschreibungskraft (Deutsch abermals von Dorothee Merkel) überzeugen konnte, fällt dies für mich nicht dramatisch ins Gewicht. Abzuwarten bleibt, mit welchem ungewöhnlich Krimi uns der Brite als nächstes überrascht!


  • Stuart Turton – Der Tod und das dunkle Meer
  • Aus dem Englischen von Dorothee Merkel
  • ISBN 978-3-608-50491-0 (Tropen)
  • 608 Seiten. Preis: 25,00 €
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Mirko Bonné – Seeland, Schneeland

Vor fünfzehn Jahren erschien der Roman Der eiskalte Himmel von Mirko Bonné. Er erzählte darin von der Expedition Ernest Shackletons, den diesen und seine Mannschaft ins ewige Eis und an den Rand des Todes führte. Mit an Bord der Endurance damals: ein blinder Passagier. Der Name des damals 17-Jährigen: Merce Blackboro. Wie ging es für ihn nach der Rückkehr aus dem Eis weiter? Davon erzählt Bonné nun in Seeland, Schneeland.

Es ist ein trauriges Leben, das Merce in seiner walisischen Heimat fristet. Sieben Jahre sind seit der Shackleton-Expedition vergangen. Seine Geschwister haben ihren Platz im Leben gefunden, Merce sucht ihn immer noch. Eigentlich wartet auf ihn die Fortführung des Familienbetriebs, die traditionelle Zimmerei, die seit Jahrhunderten Schiffe ausstattet. Doch es ist die Liebe zu Ennid Muldoon, die Merce wirklich umtreibt und ihn nicht loslässt. Nur eine kurze Zeit war ihm mit der jungen Frau vergönnt, sie hat sich ihm aber unauslöschlich eingebrannt.

Während Merce von seinen Erinnerungen wie gelähmt ist, will Ennid Muldoon derweil ein neues Leben beginnnen. Hinaus aus der walisischen Enge, die sie an den Tod ihres Mannes erinnert, hinaus ins Weite. Amerika ist ihr Ziel, weshalb sie eine Passage auf dem Auswandererschiff Orion gebucht hat. Ein weiterer Gast auf diesem Schiff: der Millionär, Erbe und Trinker Diver Robey, der in Wales Flugzeuge inspiziert hat und der sich nichts lieber als von seinem familiären Erbe emanzipieren möchte.

Eis auf dem Schiff, Eis auf der Seele

Mirko Bonné - Seeland, Schneeland (Cover)

Diese drei Figuren beobachtet Mirko Bonné in Seeland, Schneeland. Aufgrund des Klappentextes und der Beschreiung könnte man einen wuchtigen Abenteuerroman alter Schule erwarten. Ein im Schneesturm festsitzendes Schiff. Ein Mann auf Rettungsmission, getrieben von Liebe und Sehnsucht. Die Erinnerungen an die Shackleton-Expedition ins ewige Eis. Die Motive für eine solche Gattung von Literatur sind allesamt vorhanden. Und ja, Bonné bedient diese Erwartungen auch und findet große Bilder für die Actionszenen.

Allerdings handelt Seeland, Schneeland noch viel mehr vom Blick ins Innere der Menschen. Er zeigt Figuren, deren Seelenleben wie hinter dicken Schichten aus Eis verborge ist. Die sich nicht wohl in ihrem Leben fühlen, die nach Tiefe, Wahrhaftigkeit und dem Echten streben. Figuren, die das Trinken oder das selbstversunkene Grübeln als Bewältigungsstrategien für ihre Leben gewählt haben. Im Falle von Merce Blackboro müsste man in meinen Augen hier schon von einer ausgewachsenen Depression sprechen.

Im Schildern dieser Seelenzustände ist Mirko Bonné sehr stark. Eis auf dem Schiff vor der Küste Schottlands, Eis auf den Seelen seiner Figuren. Damit dürfte er reine Abenteuerpuristen ein Stück weit verschrecken. Immer wieder versinkt Merce im Trübsinn und taumelt durch die Straßen Newports, während sich der Regen auf die Gassen der Stadt am Severn erießt. Ebenso verzweifelt versucht sich Ennid Muldoon auf der Orion in die Lektüre von Tolstois Anna Karenina zu stürzen. Besonders das Schneekapitel hat es ihr angetan. Aber auch in der Lyrik Keats und Yeats sucht sie Ablenkung.

Es lohnt sich aber, mit Bonné in die Abgründe der Seelen seiner Figuren hinabzusteigen. Glaubhaft vermittelt der Hamburger Autor das Zaudern und die Flucht vor den eigenen Bedürfnissen. Seine Sprache ist fein beobachtend, zurückhaltend, von großer Kraft und Ausdrucksfähigkeit. Bonnés zweite Passion als Lyriker und Übersetzer kann diese genaue und variantenreiche Prosa nicht verhehlen – und sie will es zum Glück auch nicht.

Am Ende doch noch ein Abenteueroman

Eine etwas austariertere Balance zwischen der Introspektive und der Handlung hätte ich mir an manchen Stellen des Buchs gewünscht. Gerade zum Ende des Buchs hin löst Bonné dann aber auch viele Versprechen ein, die die Beschreibung des Buchs bei mir weckte. Das sich beschleunigende Geschehen auf dem Schiff und die Reise Merce Blackboros geben dem Roman sichtlich Schwung. Immer wieder wechselt Bonné die Perspektive und lässt seinen Blick durch die Gänge des Schiffs und die verschiedenen Kabinen gleiten. Irgendwo zwischen Titanic, Jack London und Herman Melville kommt Seeland, Schneeland zum Ende.

Abenteuerfans, die bis hierhin durchgehalten haben, werden auf den letzten Metern doch noch belohnt. Aber auch ohne solche Erwartungen lohnt dieses Buch, da Bonné der Spagat aus Abenteuerroman alter Schule und genauer Beschreibungen von Erwartungen, Depressionen und Ängsten überzeugt. Dass die Sprache zudem sehr stark ist, kommt Seeland, Schneeland sehr zupass.


  • Mirko Bonné – Seeland, Schneeland
  • ISBN 978-3-89561-410-1 (Schöffling)
  • 448Seiten. Preis: 24,00 €
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