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Stephanie Bishop – Der Jahrestag

Menschliche Beziehungen, insbesondere die Ehe, sie können durchaus komplex sein. Stephanie Bishop stellt in ihrem Roman Der Jahrestag eine solche Beziehung in den Mittelpunkt und blickt ganz tief hinein in ein kompliziertes Gefüge aus Nähe und Abstoßung, großer Entwicklungsbogen inklusive.


Es hätte die Gelegenheit sein sollen, um die angespannte Beziehung wieder in sprichwörtlich ruhigeres Fahrwasser zu führen. Zusammen mit ihrem Mann Patrick will die Schriftstellerin Lucie anlässlich des bevorstehenden Hochzeitstags eine Schiffsreise von Australien nach Japan unternehmen. Dabei plant sie als Überraschung einen Zwischenstopp in den USA ein. Denn Lucie, die unter ihrem Zweitnamen Joy-Beth alias J.B. Blackwood publiziert, hat es nach Jahren des unterdurchschnittlichen literarischen Erfolgs mit ihrem neuesten Buch geschafft. Sie ist für einen großen, prestigeträchtigen Preis nominiert und soll diesen in den Staaten erhalten.

Mit diesem Preis und der ganzen Kreuzfahrt sollen die Wogen geglättet werden, die sich in letzter Zeit zwischen den beiden nicht nur in Sachen Alter weit auseinanderliegenden Partnern aufgetürmt haben. Denn während Lucie mit ihrem neuen und so ganz anderen Roman reüssiert, ist ihr Mann Patrick zunehmend ausgebrannt. Als Regisseur und Dozent feiert er immer größere Erfolge, was aber nicht ohne einen Tribut an seine Freizeit und seine Kraftreserven abgeht. Immer eingeengter fühlt er sich, was auch auf die Beziehung zu seiner Frau durchschlägt. Und nun also die Reise nach Japan, ein neuer Start, Zeit für Erholung und Zweisamkeit.

Ehemann über Bord

Stephanie Bishop - Der Jahrestag (Cover)

Doch damit ist es in Stephanie Bishops Roman nicht weit her. Denn während der Überfahrt kommt es zu einem großen Streit zwischen Lucie und Patrick. Inmitten eines Sturms geht ihr Mann über Bord und wird kurze Zeit darauf tot aus dem Meer gefischt. Eine Tragödie, die Lucie völlig aus der Bahn wirft, fällt doch der Moment ihres größten schriftstellerischen Triumphs mit dieser Tragödie zusammen, die aufgrund Patricks Prominenz für viel öffentliche Aufmerksamkeit sorgt.

Um wieder zu sich zu kommen, fliegt die Schriftstellerin zu ihrer Schwester in Australien, wo sie auf Ruhe und Abstand hofft. Während sie den Verlust zu verarbeiten sucht, erinnert sie sich in zunehmend Maße der komplexen Beziehung zu Patrick, die alles andere als leicht war. Der Beginn der Romanze zwischen ihr, der jungen Studentin, und ihm, dem arrivierten Dozenten, die unvergesslichen Momente, aber auch die erlittenen Verletzungen sind Thema der Rückschau, die uns Stephanie Bishop Stück für Stück serviert.

Je weiter Lucie in dieses Gespinst namens Ehe vordringt, umso desillusionierender wird das Ganze, bis sich sogar Fragen am Unfallverlauf Patricks stellen…

Die Sezierung einer Ehe

Ähnlich wie Lauren Groff in Licht und Zorn oder Claire Fuller in Eine englische Ehe ist auch Der Jahrestag ein Roman, der eine Ehe, deren Verlauf und Abgründe mit genauem Blick seziert und dekonstruiert. Stück für Stück zertrümmert die australische Professorin für Kreatives Schreiben die heile Welt von Lucie und Patrick und zeigt zwei facettenreiche Figuren im Ringen miteinander. In den richtigen Momenten nicht ganz konkret, dann wieder sehr detailliert und wenig schmeichelhaft ist diese Porträt Lucies, das Stephanie Bishop in Der Jahrestag zeichnet.

Besonders schön ist die Tatsache, dass Bishop diese genaue Introspektion der Ehe mit einer wirklichen Entwicklung ihrer Heldin zu verknüpfen weiß. So hält der über 450 Seiten lange Roman eine Schlusspointe bereit, der als in puncto Charakterentwicklung und Handlungsbogen die zuvor vielleicht etwas statisch erscheinende Innensicht hinter sich lässt. Souverän hält die Autorin die Fäden in der Hand und serviert ein intensives Ende, das in Verbindung mit der gekonnten Dekonstruktion dieser Ehe dafür sorgt, dass Der Jahrestag neben ähnlich gelagerten Romanen aufs Beste bestehen kann.

Fazit

Die Verzweiflung einer Frau, der Kampf um Abstand von Erlebtem und die Aufrechterhaltung einer wie auch immer gearteten Ordnung, all das sind Themen, mit denen sich dieser von Kathrin Razum aus dem Englischen übersetzten Roman beschäftigt. Ein genauer Blick auf ein kompliziertes Verhältnis, ein großer Handlungsbogen, ein Ehemann über Bord – Der Jahrestag hält psychologisch fein ausgearbeitete Unterhaltung bereit, die für mein Empfinden durchaus etwas mehr Aufmerksamkeit auf dem Buchmarkt verdient hätte. Neben den schon erwähnten Autorinnen Claire Fuller und Lauren Groff reiht sich Stephanie Bishop als souveräne Erzählerin hervorragend ein!


  • Stephanie Bishop – Der Jahrestag
  • Aus dem Englischen von Kathrin Razum
  • ISBN 978-3-423-28346-5 (dtv)
  • 464 Seiten. Preis: 26,00 €
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Hakan Nesser – Die Lebenden und die Toten von Winsford

Verschwunden im englischen Nebel

Eine Frau, ein Hund und viel englischer Nebel – dies sind die Hauptkomponenten in Hakan Nessers neuem Roman „Die Lebenden und die Toten von Winsford“. Nach Himmel über London bleibt der Schwede Nesser nun in England, auch wenn das neue Buch in der englischen Provinz in Cornwall angesiedelt ist.

Eine Frau mit einem Geheimnis

http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Lebenden-und-Toten-von-Winsford-Roman/Hakan-Nesser/e453086.rhdSie nennt sich selbst Maria Andersson und setzt sich im kleinen Dorf Winsford ab. Sie hat einen Hund im Gepäck und einige Geheimnisse, die erst langsam ans Tageslicht drängen. Maria Andersson hat früher beim Fernsehen gearbeitet, nun schützt sie allerdings vor, ein Buch zu schreiben. Sie bezieht ein zugiges Cottage und fasst langsam im Dorf Fuß. Ihre Tage werden von Routine bestimmt. Den Hund ausführen, den lokalen Pub besuchen und darauf hoffen, dass die Dorfbewohner nicht hinter die Geheimnisse kommen, die sie so sorgsam hütet.
Genauso wie den Dorfbewohnern ergeht es auch dem Leser. Überlegt man zunächst noch, was die Schwedin von der Geschäftigkeit Stockholms ins ländliche England verschlägt, so kommt man schon bald den Geheimnissen der geheimnisvollen Fremden auf die Spur.
Ist sie vor jemandem auf der Flucht? Welches Schicksal hat die Schwedin in die Provinz gebracht?
Die Idee, die hinter „Die Lebenden und Toten von Winsford“ stehthat durchaus seinen Reiz: Eine Frau, die ein Geheimnis hütet und dieses erst allmählich ans Licht gezerrt wird – dieses Motiv in den Händen von Hakan Nesser, da kann eigentlich nichts schief gehen.
Leider stellt sich mit Fortschreiten des Buchs ein gewisses Gefühl der Redundanz ein. Ähnlich wie mit der Monotonie und Einöde der englischen Landschaft, in der sich Maria befindet geht es dem Leser auch an einigen Stellen. Zahllose Wiederholungen des Wetters und der Beschreibung der Spaziergänge Marias sind nicht gerade dazu angetan, die Spannung des Buchs zu erhöhen. Um einen Krimi handelt es sich bei Die Lebenden und die Toten von Winsford eh nur im weiteren Sinn. Spannung kommt erst im letzten Drittel des Buches auf, das Buch überzeugt vielmehr durch seine dichte Atmosphäre, die Nesser hervorragend einzufangen weiß.

So ist das neue Buch des Schweden eher die Psychostudie einer getriebenen Frau als ein Spannungsroman. Für alle Liebhaber von England und im Speziellen von Cornwall ist dieser Titel auch auf jeden Fall eine Empfehlung wert!

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