Tag Archives: Beziehung

Stephanie Bishop – Der Jahrestag

Menschliche Beziehungen, insbesondere die Ehe, sie können durchaus komplex sein. Stephanie Bishop stellt in ihrem Roman Der Jahrestag eine solche Beziehung in den Mittelpunkt und blickt ganz tief hinein in ein kompliziertes Gefüge aus Nähe und Abstoßung, großer Entwicklungsbogen inklusive.


Es hätte die Gelegenheit sein sollen, um die angespannte Beziehung wieder in sprichwörtlich ruhigeres Fahrwasser zu führen. Zusammen mit ihrem Mann Patrick will die Schriftstellerin Lucie anlässlich des bevorstehenden Hochzeitstags eine Schiffsreise von Australien nach Japan unternehmen. Dabei plant sie als Überraschung einen Zwischenstopp in den USA ein. Denn Lucie, die unter ihrem Zweitnamen Joy-Beth alias J.B. Blackwood publiziert, hat es nach Jahren des unterdurchschnittlichen literarischen Erfolgs mit ihrem neuesten Buch geschafft. Sie ist für einen großen, prestigeträchtigen Preis nominiert und soll diesen in den Staaten erhalten.

Mit diesem Preis und der ganzen Kreuzfahrt sollen die Wogen geglättet werden, die sich in letzter Zeit zwischen den beiden nicht nur in Sachen Alter weit auseinanderliegenden Partnern aufgetürmt haben. Denn während Lucie mit ihrem neuen und so ganz anderen Roman reüssiert, ist ihr Mann Patrick zunehmend ausgebrannt. Als Regisseur und Dozent feiert er immer größere Erfolge, was aber nicht ohne einen Tribut an seine Freizeit und seine Kraftreserven abgeht. Immer eingeengter fühlt er sich, was auch auf die Beziehung zu seiner Frau durchschlägt. Und nun also die Reise nach Japan, ein neuer Start, Zeit für Erholung und Zweisamkeit.

Ehemann über Bord

Stephanie Bishop - Der Jahrestag (Cover)

Doch damit ist es in Stephanie Bishops Roman nicht weit her. Denn während der Überfahrt kommt es zu einem großen Streit zwischen Lucie und Patrick. Inmitten eines Sturms geht ihr Mann über Bord und wird kurze Zeit darauf tot aus dem Meer gefischt. Eine Tragödie, die Lucie völlig aus der Bahn wirft, fällt doch der Moment ihres größten schriftstellerischen Triumphs mit dieser Tragödie zusammen, die aufgrund Patricks Prominenz für viel öffentliche Aufmerksamkeit sorgt.

Um wieder zu sich zu kommen, fliegt die Schriftstellerin zu ihrer Schwester in Australien, wo sie auf Ruhe und Abstand hofft. Während sie den Verlust zu verarbeiten sucht, erinnert sie sich in zunehmend Maße der komplexen Beziehung zu Patrick, die alles andere als leicht war. Der Beginn der Romanze zwischen ihr, der jungen Studentin, und ihm, dem arrivierten Dozenten, die unvergesslichen Momente, aber auch die erlittenen Verletzungen sind Thema der Rückschau, die uns Stephanie Bishop Stück für Stück serviert.

Je weiter Lucie in dieses Gespinst namens Ehe vordringt, umso desillusionierender wird das Ganze, bis sich sogar Fragen am Unfallverlauf Patricks stellen…

Die Sezierung einer Ehe

Ähnlich wie Lauren Groff in Licht und Zorn oder Claire Fuller in Eine englische Ehe ist auch Der Jahrestag ein Roman, der eine Ehe, deren Verlauf und Abgründe mit genauem Blick seziert und dekonstruiert. Stück für Stück zertrümmert die australische Professorin für Kreatives Schreiben die heile Welt von Lucie und Patrick und zeigt zwei facettenreiche Figuren im Ringen miteinander. In den richtigen Momenten nicht ganz konkret, dann wieder sehr detailliert und wenig schmeichelhaft ist diese Porträt Lucies, das Stephanie Bishop in Der Jahrestag zeichnet.

Besonders schön ist die Tatsache, dass Bishop diese genaue Introspektion der Ehe mit einer wirklichen Entwicklung ihrer Heldin zu verknüpfen weiß. So hält der über 450 Seiten lange Roman eine Schlusspointe bereit, der als in puncto Charakterentwicklung und Handlungsbogen die zuvor vielleicht etwas statisch erscheinende Innensicht hinter sich lässt. Souverän hält die Autorin die Fäden in der Hand und serviert ein intensives Ende, das in Verbindung mit der gekonnten Dekonstruktion dieser Ehe dafür sorgt, dass Der Jahrestag neben ähnlich gelagerten Romanen aufs Beste bestehen kann.

Fazit

Die Verzweiflung einer Frau, der Kampf um Abstand von Erlebtem und die Aufrechterhaltung einer wie auch immer gearteten Ordnung, all das sind Themen, mit denen sich dieser von Kathrin Razum aus dem Englischen übersetzten Roman beschäftigt. Ein genauer Blick auf ein kompliziertes Verhältnis, ein großer Handlungsbogen, ein Ehemann über Bord – Der Jahrestag hält psychologisch fein ausgearbeitete Unterhaltung bereit, die für mein Empfinden durchaus etwas mehr Aufmerksamkeit auf dem Buchmarkt verdient hätte. Neben den schon erwähnten Autorinnen Claire Fuller und Lauren Groff reiht sich Stephanie Bishop als souveräne Erzählerin hervorragend ein!


  • Stephanie Bishop – Der Jahrestag
  • Aus dem Englischen von Kathrin Razum
  • ISBN 978-3-423-28346-5 (dtv)
  • 464 Seiten. Preis: 26,00 €
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Terézia Mora – Muna oder Die Hälfte des Lebens

Was kannst du anderes sein, wenn es doch nichts gibt, wohin du zurückkehren kannst?

Terézia Mora – Muna

In ihrem neuen Roman seziert Terézia Mora die eine Hälfte einer toxischen Liebe – und die Hälfte des Lebens ihrer Heldin. Beeindruckende Lektüre, die ganz tief hineingeht in ein Beziehungsgefüge und einer Anziehung nachspürt, für die es keine rationale Erklärung gibt.


M. Otto, so ist ein Foto signiert, das der Schülerin Muna bei ihrer ersten Redaktionssitzung eines kleinen Untergrundmagazins ins Auge fällt. Sie, die sie eigentlich Redakteurin werden möchte, findet nach einem absolvierten Praktikum bei der Zeitung ihres Heimatstädtchens Jüris Aufnahme beim Dreimannbetrieb des Magazins, wo sie Texte beisteuern soll und zum ersten Mal der Fotografien des mysteriösen M.Otto ansichtig wird. Hinter dem Pseudonym des Fotografen verbirgt sich Magnus Otto, der als Lehrer am Französischen Gymnasiums arbeitet.

Eine Faszination namens Magnus

Schon diese ersten Fotos lösen in Muna eine große Neugier und Faszination aus. Die Statuen, die auf den Fotos zu sehen sind, befinden sich an versteckten Plätze ihrer ostdeutschen Heimatstadt Jüris – und Muna beschließt, die Orte aufzusuchen, um dem Fotografen so näherzukommen. Doch nicht nur die Kunst Magnus Ottos fasziniert sie – auch die Person selbst ist es, die vom ersten Moment an im Fokus ihrer Aufmerksamkeit steht.

Terézia Mora - Muna oder Die Hälfte des Lebens (Cover)

Muna, die als Tochter einer stark dem Alkohol zuneigenden Schauspielerin mit Engagement am Theater Jüris ohne Vater aufwächst, sucht in Magnus einen Seelenverwandten, dem sie in der Folge immer wieder begegnen wird. Nach einem Suizidversuch ihrer Mutter so gut wie alleine auf der Welt, projiziert sie ihren Wunsch nach Bindung auf Magnus.

Während sie der Schule entwächst und später zum Studium nach Berlin aufbricht, nach dem Mauerfall dort und in vielen weiteren Städten, darunter London, Wien und später auch in Basel leben wird, ist Magnus stets präsent, ob anwesend oder abwesend.

So beginnen die beiden eine Beziehung – oder vielleicht sollte man besser von einer Affäre sprechen. Magnus verschwindet aus ihrem Leben, um Muna dann wieder bei einer anstrengenden Theateraufführung in Berlin zufällig zu begegnen, wo er ebenfalls im Publikum sitzt. Sie probieren, an ihre Beziehung/Affäre anzuknüpfen, doch die Zeichen stehen dafür nicht gut. So antwortet Magnus auf das Begehren Munas mit Rückzug und Flucht – entzieht sich ihr immer wieder – und begegnet ihrem Wunsch nach Nähe auch mit Gewalt, was Muna in ihrem Wunsch aber nicht abschreckt.

Liebe, Gewalt, Anziehung und Abstoßung

Um ihrem akademischen Freund auf Augenhöhe zu begegnen, strebt Muna derweil ebenfalls eine akademische Karriere an, studiert, arbeitet in einem Verlag in Wien für die Wiederentdeckung vergessener Autorinnen, versucht eine Dissertation voranzutreiben – und doch ist die Beziehung von Magnus und Muna eine, die nie auf Augenhöhe stattfinden wird.

Das seziert Terézia Mora in ihrem Roman ganz deutlich. Eng ist man dran an der Erzählerin Muna, die sich nach Magnus verzehrt, ihn an sich binden möchte und so auch nie wirklich von ihm loskommt – er ist eine Hälfte ihres Lebens, dem sie auch eine ganze Hälfte ihres ganzen Lebens schenken wird.

Immer wieder beherrschen Gedanken an ihn ihre Überlegungen, lenken sie von ihrem eigenen Vorankommen ab und verheißen ihr die Illusion einer Zukunft, die es so nicht geben wird.

Schläge, Aggression, schließlich sogar körperlicher Abbau und ein gefährlich naher Schritt an den Abgrund des Wahnsinns – all das löst dieser Magnus in Muna aus, womit man eigentlich alle Anzeichen einer toxischen Beziehung beisammen hat. Es ist eine gefährliche Beziehung, die Muna zwar nicht guttut, von Terézia Mora aber absolut nachvollziehbar und plausibel geschildert wird.

Eine toxische Beziehung

Wie kommt es zu einer solchen Beziehung, in der man selber nicht mehr für sein Glück entscheidend ist, sondern der Gegenüber? Was bleibt, wenn man sein Leben auf ein Gegenüber ausgerichtet hat, das den eigenen Erwartungen und Hoffnungen immer wieder zuwiderläuft? Das sind Überlegungen, die hinter Terézia Moras Muna oder Die Hälfte des Lebens aufscheinen.

Die Welt Munas mitsamt dem Aufwachsen im kleinbürgerlichen Jüris hinter dem Eisernen Vorhang, der Aufbruch nach Berlin und das gemeinschaftliche Leben in einer Villa, der akademische und literarische Betrieb, all das ist treffend und sehr genau gezeichnet. Der zentrale Punkt des Romans aber – also die Motivation der Anziehung Munas hin zu Magnus – bleibt dabei leer.

Das ist die große Stärke dieses Romans, der auf einfache Antworten und Charakterisierungen verzichtet. Der sich entziehende Magnus, der Gewaltexzess in der Beziehung der beiden, Muna, deren Verehrung von Magnus‘ und deren Hinterherlaufen geradezu an eine hündische Verehrung grenzt, das alles wird durch Munas Erzählperspektive ungefiltert erzählt und lässt manchmal einen möglichen korrigierenden Eingriff durch die Leser*innen notwendig erscheinen, der freilich ausbleiben muss. Es ist ein Roman, der all der weiblichen Selbstermächtigung, die in letzter Zeit verstärkt auf dem Buchmarkt präsent war, entgegenläuft und so einen ganz eigenen Ton entwickelt.

All das macht aus Muna oder Die Hälfte des Lebens eine wirklich eindrückliche Angelegenheit, was auch die Nominierung für die Shortlist des Deutschen Buchpreises folgerichtig erscheinen lässt.


  • Terézia Mora – Muna oder Die Hälfte des Lebens
  • ISBN 978-3-630-87496-8 (Luchterhand)
  • 448 Seiten. Preis: 25,00 €
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Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts

Mit Das Liebespaar des Jahrhunderts treibt Julia Schoch ihre autofiktionale Trilogie weiter voran. Sie blickt auf den Anfang und das Ende einer Beziehung – und die Höhen und Tiefen dazwischen. Platz 1 der SWR-Bestsellerliste, Jubel im Feuilleton und allerorten – nur ich schere wieder einmal etwas in Sachen Lobpreisungen aus.


Schochs neuer Roman fällt in die Gattung der Beziehungsdeklination. Diese Romane blicken auf Beziehungen, die den Bogen vom anfänglichen Liebestaumel bis zur Entwöhnung, Scheidung oder Trennung beschreiben. Jüngst tat das etwa Caroline Schmitt in ihrem Debüt Liebewesen, auch der Spanier Isaac Rosa erzählte davon, gewann dem bekannten Topos aber durch seine invertierte Erzählform vom Ende her interessante Facetten ab.

Die Grande Dame der englischen Literatur, Jane Gardam, spürte den Entwicklungen einer Beziehung in gleich dreifacher Ausfertigung nach, indem sie dem Beziehungsleben von Frau (Eine treue Frau), Mann (Ein untadeliger Mann) und Liebhaber (Letzte Freunde) jeweils einen ganzen Roman widmete, die auf anachronistische Erzählkonzepte setzten.

Ästhetisch ordnet sich Julia Schochs Roman nun zwischen den Polen Gardam/Rosa und Schmitt ein. Nicht so schnodderig wie die junge Debütantin, nicht so komplex und raffiniert wie Gardam oder Rosa ist Das Liebespaar des Jahrhundert ein Buch, das schon mit den ersten Zeilen seinen Handlungsrahmen aufspannt.

Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich.

Drei Wörter, die jeder Mensch begreift. Es genügen drei Wörter, und alles ist getan. Man muss sie bloß aussprechen. Ich bin erstaunt, dass es so einfach ist. Und noch etwas erstaunt mich: Der Satz ist genauso kurz wie der, den ich am Anfang unserer Geschichte gesagt habe.

Drei Wörter am Anfang, drei Wörter am Ende. Wie es aussieht, lässt sich das Wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen.

Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts, S. 7

Eine Liebe vom Anfang bis zum Ende

Julia Schoch - Das Liebespaar des Jahrhunderts (Cover)

Nach diesen Worten spürt die Erzählerin ihrer Beziehung nach, an deren Ende beeindruckende Zahlen stehen. 173.500 Fotos, 42 Reisen, vier Küchen, 8667 geschmierte Schulbrote und 41 Geburtstagstorten stehen für eine Beziehung, die schleichend ihren Ausgang genommen hat, ehe nun die finalen Worte zwischen den beiden Liebenden gesprochen wurden.

Die zunächst so evidente Logik, nach der die beiden jungen Leute zusammenkamen, das Studium, Aufenthalte in Paris oder Russland, das Zusammenziehen, Entfremdung nach dem ersten Kind, das schleichende Auseinanderleben bis zur Erkenntnis, mehr gegeneinander als miteinander zu leben. Das alles zeichnet Julia Schoch in ihrem mit 190 Seiten recht kurzen Roman in chronologischer Reihung nach.

In sehr sachlichem, kurzgehaltenen Ton blickt sie auf die Beziehung, in der beide Protagonisten namenlos und die Kinder so gut wie ausgespart bleiben. Auch die Beziehung selbst macht sie frei von großen Realien, wie die Erzählerin im Text hervorhebt.

Ich bin mir nicht sicher, ob Jahreszahlen unserer Geschichte etwas Wesentliches hinzufügen würden. Ob unsere Geschichte davon abhängt. Sollte man die Liebe nicht besser beschreiben, ohne sie einer bestimmten Zeit zuzuordnen? Oder braucht es ein Anfangsjahr? Würde es also etwas ändern, wenn ich sagte: Wir lernten uns 1991, 1994 oder im Jahr 2000 kennen? Solche Angaben würden mir das Gefühl vermitteln, wir wären nur das Produkt einer bestimmten Epoche, die Folge gewisser historischer Umstände. Als hätte alles so kommen müssen, wie es gekommen ist. Es käme mir so vor, als wäre ich eine Gefangene der Zeit.

Andererseits ist alles so gekommen, wie es gekommen ist. Es gibt keine Variante unserer Geschichte.

Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts, S. 14

Frei von den Zwängen von Raum und Zeit kann aus dem jungen Paar eben auch das Liebespaar des Jahrhunderts werden. Denn während sich alle andere Paare trennen und entlieben, scheint die Liebe zwischen ihr und ihm immer weiter zu wachsen. Offensichtlich ist die Liebe des Paars eine grundlegend andere, als sie andere Menschen um sie herum erfahren. Das rechtfertigt dann auch die großen zeitlichen Anspruch, den Titel und Erzählerin im Buch erheben, obschon auch dieser Liebe eine Ende beschieden ist, wie man schon gleich zu Beginn von Schochs Buch weiß.

Mittelteil von Schochs Trilogie

Das Liebespaar des Jahrhunderts verfugt sich selbst mit Schochs erstem Teil ihrer Autofiktionstrilogie Trilogie Das Vorkommnis:

Wir verfolgten die Sache nicht weiter. Kurz darauf reiste ich zusammen mit den Kindern in die USA, genauer gesagt nach Ohio, wo ich an einer Universität unterrichten sollte. Im Trubel der Reisevorbereitungen und während der Monate im Ausland verlief unsere Diskussion im Sande. Das ganze Vorkommnis, die Frau, meine Halbschwester, und vielleicht auch deine wurden zu Episoden, die in eine andere Zeit gehörten. Sie störten die Gegenwart, und ich verbannte sie in die hintere Region meines Gedächtnisses, wo sie sich erst viele Jahre später bemerkbar machten.

Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts, S. 138 f.

Ähnlich wie im Vorgängerband kann ich auch diesmal in das einhellige Kritikerlob von Schochs Erzählen nicht wirklich einstimmen, obschon sich die Gründe für meine Probleme mit dem Roman durchaus subjektiv motiviert sind.

Die Sprache zu kunstlos und nüchtern und die Figuren bleiben bloße Schemen, obgleich man eigentlich ja nicht näher an Figuren heranrücken kann, als Schoch das mit ihrer introspektiven Ich-Erzählerin tut. Und doch bleiben sie und ihr Mann für mich profillos, ist alles zu austauschbar und schon dutzendfach gelesen. Alles kommt mir hier wie eine glatte Wand vor, in die ich keine persönlichen Identifikationshaken schlagen kann und an der ich immer wieder abrutsche beim Versuch, die Faszination nachzuvollziehen und das Besondere in diesem Buch zu sehen.

Fazit

Das ist Prosa, die in fast allen Lesenden wahrscheinlich etwas auslösen wird. Nur in mir leider nicht, zu unterkühlt und zu buchhalterisch war für mich trotz einiger Bonmots diese Nachzeichnung einer Liebe, die Julia Schoch hier in den Mittelpunkt ihres Erzählens rückt. Somit für mich wie schon der erste Band leider kein Highlight.

Weitere Meinungen zu Julia Schochs Roman gibt es bei Kommunikatives Lesen, auf DLF Kultur sowie Seesternsbücher.


  • Julia Schoch – Das Liebespaar des Jahrhunderts
  • ISBN 978-3-423-28333-5 (dtv)
  • 192 Seiten. Preis: 22,00 €
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Sarah Winman – Lichte Tage

Vincent van Goghs Leben und Werk als Inspiration für ganz unterschiedliche Menschen im Oxford zu Beginn der 90er Jahre. Davon erzählt Sarah Winman in ihrem Roman Lichte Tage auf berührende Art und Weise.


Es ist ein Zufallsfund, den Dora bei einer kleinen Tombola in Oxford zu Beginn 50er Jahren macht. Denn nach dem Ziehen ihrer Losnummer entscheidet sie sich kurzerhand statt des von ihrem Mann präferierten Scotches, einem Radio oder einer Packung Butterkekse für ein Ölgemälde. Ein Fall für „Bares für Rares“ ist das Gemälde allerdings kaum, vielmehr handelt es sich um eine unbedeutende Kopie eines der wohl berühmtesten Gemälde der Kunstgeschichte, nämlich den Sonnenblumen von Vincent van Gogh, die dieser in einigen Variationen in der Provence anfertigte.

Sinnstiftende Sonnenblumen

Für die von Schwangerschaftsübelkeit gepeinigte Dora wird das Bild zu einem Rettungsanker in ihrer wenig freudvollen Ehe. Und auch für ihren Sohn Ellis wird das Bild zu einem Ankerpunkt, den er mit dem kargen und wenig liebevollen Zuhause auch über den Tod seiner Mutter hinaus verbindet.

Sarah Winman - Lichte Tage (Cover)

Er arbeitet als sogenannter Tin Man in der Lackiererei der örtlichen Autofabrik im Schichtbetrieb. Virtuos erkennt er Dellen und schadhafte Stellen in Autokarosserien, die er mit viel Feingefühl und Geschick ausklopft und repariert. 45 Jahre ist er alt, als der Hauptteil des Buchs im Jahr 1996 einsetzt. Ihn umweht ein Gefühl der Melancholie und Einsamkeit, deren Gründe Sarah Winman im Folgenden behutsam erklärt.

Denn Ellis hat nicht nur bereits seine Mutter verloren, auch seine Frau Annie ist bereits vor fünf Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Mit an Bord des Unfallwagens befand sich auch Michael, ein ganz besonderer Freund für Ellis. Ihre Liebe und die besondere Beziehung zwischen Ellis, Annie und Michael erzählt Lichte Tage, wofür Winman für die Perspektive von Michael die Form eines Tagebuchs wählt, das im November 1989 einsetzt.

Eine besondere Beziehung

So gelingt ihr die Gegenperspektive auf eine besondere Beziehung, die von queerer Liebe, Sehnsucht, nicht erfüllten Begehren und dem Verpassen der richtigen Momente geprägt ist. Man sollte an dieser Stelle nicht viel von der Handlung und ihren sich langsam öffnenden Beziehungsebenen preisgeben, um den Leküregenuss dieses großartigen und emotional eindringlich geschilderten Roman zu schmälern. Aber dennoch lässt sich über das ungewöhnliche Dreiergespann und ihre Geschichte sagen, dass in dieser bittersüßen Erzählung über das Miteinander viel um Nicht-Ausgesprochenes kreist.

Obwohl sich Michael und Ellis schon so lange kennen und dieser als Best Man, also Trauzeuge für die Ehe von Ellis und Annie fungiert, verschwindet er doch wieder spurlos für viele Jahre aus dem Leben der zwei Partner. Was er in dieser Zeit gemacht hat, welche Erfahrungen ihn prägen und was ihn damit mit dem Schöpfer der berühmten Sonnenblumen, Vincent van Gogh, verbindet, das fügt sich mit dem Schicksal von Ellies und Annie zu einem runden Buch, das vom Anfang bis zum Zirkelschluss des Buchs in sich stimmig ist und bleibt.

Nicht zuletzt schafft es Sarah Winman, unkitschig von Liebe, queerem Begehren und Männlichkeitsbildern der verschiedenen Generationen zu erzählen, etwa in den Passagen, die im Oxforder Arbeiterviertel spielen und die das monotone täglichen Tun am Fließband der Autofabrik einfangen (womit Sarah Winman auch an Douglas Stuarts Beschreibung der hypermaskulinen und homophoben Arbeiterwelt Glasgows erinnert). Wie sie Worte findet, mal sonnendurchflutete, mal oxofordgraue Stimmungsbilder malt und drei so unterschiedliche Leben in gar nicht einmal vielen Seiten einfängt, das ist beeindruckend.

Damit ordnet sich Lichte Tage in meinen Augen irgendwo zwischen Polly Samsons Der Sommer der Träumer, John Boynes Cyril Avery und Rebecca Makkais Die Optimisten ein.

Fazit

Auch wenn ich mich persönlich mit Floskeln wie „eindringlich“ und „emotional berührend“ schwertue, da sie gerade durch ihre salzstreuerhafte Verwendung in der Buchwerbung zu Schlagworten geworden sind, die abgenutzt und ungriffig erscheinen, so möchte ich sie im vorliegenden Fall doch ganz bewusst verwenden. Denn das was Sarah Winman mit Lichte Tage schafft, ist dass sie ganz unkitschig von verpassten Chancen, ungelebten Leben und unausgesprochener Liebe erzählt, für die so kein wirklicher Platz vorgesehen ist.

Ein Buch, das zu Herzen geht, das aufgrund seiner Kompositionsstruktur auch bei einer wiederholten Lektüre neue Blicke eröffnet und das in meinen Augen als wirklich gelungen zu bezeichnen ist. Eine große Empfehlung!


  • Sarah Winman – Lichte Tage
  • Aus dem Englischen von Elina Baumbach
  • ISBN 978-3-608-12034-9
  • 232 Seiten. Preis: 22,00 €
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Caroline Schmitt – Liebewesen

Liebewesen zählt zu jener Sorte Geschichten, die mit ihrem Beginn etwas in die Irre führen. Denn Caroline Schmitt lässt in ihrem Debüt zwei junge Menschen der Generation Y nach einem Tindermatch aufeinander los. Die Beziehung und das Kennenlernen offenbart dann aber deutlich mehr Abgründe, als es zunächst den Anschein hatte.


Das Kennenlernen hat sich nicht erst seit der Corona-Pandemie zum großen Teil in den digitalen Raum verlagert. Bumble, Lovoo, Parship oder auch Tinder ermöglichen ohne viel Aufwand eine Vorselektion potentieller Partner*innen, was die Apps auch zum geeigneten Mittel der Kontaktanbahnung für Mariam macht. Für ihre Freundin und Mitbewohnerin Lio sichtet diese Tinder hinsichtlich spannender Männer und matcht dabei mit Max, mit dem sich Lio wenig später tatsächlich für ein unkonventionelles Date in der Badewanne trifft.

Von der Badewanne bis in die gemeinsame Wohnung

Die Dialoge fliegen nur so hin und her, man ist ironisch, neckt sich und man ist sich irgendwie auch sympathisch. Eine typische Liebesgeschichte der Jetztzeit nimmt ihren Ausgang. Ein gemeinsamer Urlaub wird folgen – und wenig später steht sogar der Umzug in ein gemeinsames Zuhause an. Alles erscheint ganz zypisch für die Generation Y.

Caroline Schmitt - Liebewesen (Cover)

Max hat Soziologie studiert und moderiert mit einer aufgedrehten Co-Moderation Morningshows im Radio. Lio ist Biologin und untersucht im Labor Pflanzen hinsichtlich ihrer genetischen Resistenz unter erhöhter CO²-Belastung oder im Weltraum. Zusammen lebt man in einer Wohnung mit einem aus Europaletten zusammengeschraubten Bett und hat sich gut miteinander arrangiert. Die Depression von Max erscheint ebenso gut unter Kontrolle wie die Erinnerungen an ihr eigenes Zuhause, die Lio sorgsam in sich weggesperrt hat. Man stürzt sich ins Leben und hat es nett miteinander, irgendwie ist man auch glücklich und genießt das Leben auf seine beziehungsweise ihre Art und Weise.

Es war vier Uhr morgens, jemand hatte LSD verteilt und Max als Einziger eine ganze Pappe genommen, obwohl die empfohlene Tagesration bei einer halben lag. Sein Abiturjahrgang feierte alle zwei Jahre im Frühherbst eine rauschende Ehemaligen-Party, die drei Tage andauerte, oder so lange, wie der Letzte brauchte, um sich und allen anderen zu beweisen, dass man inzwischen zwar verheiratet war und in einem Reihenhaus wohnte, der Wille zur Selbstzerstörung aber noch ganz der alte war.

Corline Schmitt – Liebewesen, S. 66

Hier lauern Abgründe

Aber schon in dieser ersten Hälfte des schnell geschriebenen und schnell zu lesenden Textes von Caroline Schmitt lauern die Abgründe. Die Familie Lios wirkt nur auf den ersten Blick durchschnittlich, Gewalt, Alkoholismus und ein Auszug von Zuhause sind nur eine Facette im Charakter Lios, auch andere traumatisierende Erlebnisse kommen in Liebewesen zur Sprache.

Führten all diese Hintergrundgeschichten schon weg von einer vielleicht zu Beginn noch oberflächlichen Tinder-Romanze zweier dauerironischer Menschen (deren Ton auch etwas an Paula Irmschlers Superbusen erinnert), so kollabiert im zweiten Teil des Romans schließlich alle noch in Resten vorhandene Romantik und Leichtigkeit endgültig. Denn Lio ist schwanger von Max und fortan werden die einzelnen Kapitel mit Beschreibungen der fortschreitenden Schwangerschaftswochen eingeleitet.

Wie soll man ein Kind bekommen, wenn man sich alles andere als bereit für Kinder fühlt und mit der Traumatisierung des eigenen Körpers und des eigenen Ichs schon genug zu kämpfen hat? Das erkundet Caroline Schmitt hier in einer schnodderigen Sprache, die manchmal die manchmal die Abgründe im Lios Selbst zu überkleistern versucht, so manches mal aber auch erst so richtig offenlegt.

Vor drei Monaten war ich sicher, dass meine fruchtbare Phase vorbei war und ich nicht schwanger werden konnte. Dann war ich sicher, dass der Abbruch erfolgreich gewesen und ich in meinem Körper wieder alleine war.

Ich lag in beiden Fällen daneben.

Caroline Schmitt – Liebewesen, S. 207

So erzählt Caroline Schmitt eine moderne Liebesgeschichte, die voller unterschiedlicher Themen steckt, die die 1992 geborene Autorin hier verhandelt. Freundschaft, das Verhältnis zum eigenen Körper, Traumatisierung, Bindungsunfähigkeit, Schwangerschaftsabbruch und die Verheimlichung der eigenen Gefühle sind Themen, um die Liebewesen kreist.

Fazit

Vom ersten Tindermatch bis zum Schwangerschaftsabbruch dekliniert Caroline Schmitt in Liebewesen eine Liebesgeschichte der Generation Y durch. Im Laufe der Beziehung bricht sich allerlei Verdrängtes Bahn, bei der auch die schnodderige Sprache und die lakonische Grundeinstellung der Heldin Lio nicht kaschieren kann, wie tief doch die Narben sind, die sie in ihrem Leben bislang davongetragen hat. All das erzählt Schmitt in einer schnellen, bisweilen trügerisch ironischen Dialogen und einer kantigen Sprache, die Liebewesen zu einer ebenso heftigen wie lohnenswerten Lektüre über Liebe, Körper und Traumatisierung macht.


  • Caroline Schmitt – Liebewesen
  • ISBN 978-3-8479-0130-3 (Eichborn)
  • 221 Seiten. Preis: 20,00 €
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