Samuel W. Gailey – Die Schuld

Wie lange geht das gut, vor einer Schuld davonzulaufen – oder geht das überhaupt? Die junge Alice O’Farrell probiert es in Samuel W. Gaileys Krimi Die Schuld, muss auf ihrem Weg von Pennsylvania nach Wilmington aber feststellen, dass man dem Schicksal nicht wirklich entkommen kann.


Einst war sie eine verheißungsvolle Schwimmerin und lebte zusammen mit ihrer Familie ein recht durchschnittliches, aber zufriedenstellendes Leben. Nun, sechs Jahre später muss die inzwischen 21-jährige Alice feststellen, dass all das Geschichte ist. Denn nachdem ihr kleiner Bruder trotz der ihr aufgetragenen Betreuung einen tragischen Tod fand, geriet Alice‘ Leben aus den Fugen.

Sie floh aus ihrem Zuhause, lebte auf der Straße und ist nun im Jahr 2011, in dem der Hauptteil von Gaileys Krimi spielt, vollkommen abgestürzt. Sie verdingt sich in einem heruntergekommenen Strip-Etablissement hinter dem Tresen, gibt sich dem Alkohol hin, wobei regelmäßig Abstürze und Blackouts an der Tagesordnung sind – sogar ein eigenes Bewertungssystem für die Heftigkeit der Abstürze hat sie bereits entwickelt.

Sie traf meist bemerkenswert schlechte Entscheidungen, wenn sie sich betrank, was oft der Fall war, also jeden Tag. Anders gesagt, sie konnte sich an keinen einzigen nüchternen Abend in den letzten Jahren erinnern. Es war ein Teil von ihre geworden. Nicht dass sie stolz drauf war, aber sie hatte sich damit abgefunden. Wer konnte schon aus seiner Haut?

Samuel W. Gailey – Die Schuld, S. 19

Nach einem solchen Absturz erwacht Alice zu Beginn des Buchs – nur um ihren Chef neben sich vorzufinden. Dieser befindet sich allerdings noch in einem erheblich prekäreren Zustand als Alice selbst – er ist nämlich tot.

Alice auf der Flucht

Neben seiner Leiche in seinem Zuhause findet sich eine Tasche mit tausenden von Dollars sowie jeder Menge Betäubungsmittel. Nachdem sie nach einem Zögern die Polizei über den Tod ihres Chefs informiert hat, tauchen schon nach kurzer Zeit zwei Gangster auf, die den Besitz des Verstorbenen an sich nehmen möchten. Nach einem Shootout mit der Polizei und vielen Toten beschließt Alice, die Tasche mit dem Geld an sich zu nehmen und zu fliehen. Ein folgenschwerer Fehler, denn nun haftet sich der kleingewachsene Sinclair in Begleitung des tumben Phillip an die Fersen der Flüchtigen, die sie zusammen auf ihrer Flucht verfolgen.

Samuel W. Gailey - Die Schuld (Cover)

Es ist ein recht klassischer Krimiplot, den Samuel W. Gailey in Die Schuld kredenzt. Da das gefallene Mädchen, das die Tasche mit Geld an sich nimmt und fliegt, da die Gangster, die sie verfolgen, um wieder in den Besitz des gestohlenen Geldes zu gelangen. Auch ist der Krimi in vielen Passagen oftmals eher ein solides B-Movie denn ein wirklich origineller Plot, etwa wenn die beiden Gangster den zitternden Motelverwalter „interviewen“, um an weiterer Infos über den Verbleib von Alice zu gelangen.

Hier hat man das Gefühl, ähnliches schon dutzendfach gelesen und gesehen zu haben. Dennoch aber gibt es auch Punkte, die Die Schuld über eine platte Wiedererzählung des Bekannten hinausheben.

Das ist die Frage des Umgangs mit eigener Schuld, die hier vielfach gespiegelt wird. So läuft Alice ja gleich vor einer zweifachen Schuld davon. Da ist natürlich die Tasche mit dem Geld, das ihr nicht gehört und das für viel Ärger sorgt. Genauso läuft Alice ja aber auch bereits seit ihren Teenagertagen vor dem Tod ihres Bruders davon, den sie hätte eigentlich beaufsichtigen sollen.

Ein Absturz und die Verdrängung von Schuld

Ihren Absturz, ihre Flucht und den Alkohol und die Menschlichkeit, die ihr während dieses Absturzes in Form des Kammerjägers Elton begegnet, das zählt zu den interessanten Aspekten dieses Krimis, der immer wieder zwischen den initialen Ereignissen im Jahr 2015 und der Gegenwart sowie zwischen der Perspektive der Jäger Sinclair und Phillip sowie der Gejagten auf ihrer Flucht durch die halbe USA hin und herwechselt.

Die Welt, in der der Samuel W. Gailey die Geschichte ansiedelt, ist dabei eine dunkle und vor allem dreckige Welt. Trailerparks, schäbige Motels ohne Zimmerservice, viel Düsternis und Schmutz wohnt diesem Erzählen inne. Zudem ist Die Schuld auch kein wirkliches Plädoyer für den amerikanischen Nah- und Fernverkehr, denn selbst das Reise mit der Bahn oder dem Bus ist hier schmutzig und wenig einladend.

In der Logik der Geschichte selbst ist das aber höchst stimmig und zeigt die ganze Tristesse, die Alice Lebensbahn seit dem Tod ihres kleinen Bruders genommen hat.

Nun bleibt nur noch die Frage bestehen, ob es gelingen kann, vor dem eigenen Schicksal und den unverarbeiteten Traumata zu fliehen oder diese zu verdrängen. Die Antwort darauf liefert Samuel W. Gailey auf eigene Art und Weise – lesen muss man sie allerdings schon selbst!


  • Samuel W. Gailey – Die Schuld
  • Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf
  • ISBN 978-3-948392-96-3 (Polar-Verlag)
  • 312 Seiten. Preis: 26,00 €
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