David Szalay – Was nicht gesagt werden kann

Vom Mörder zum Baulöwen in der englischen High-Society, von der Einsamkeit in die Arme einer Geliebten: In seinem Roman Was nicht gesagt werden kann schickt David Szalay seinen Protagonisten István auf einen Weg zwischen tiefen Tälern und steilen Höhen des Lebens. Nur das mit dem Ankommen, es will zu keinem Zeitpunkt so recht klappen.


Liest man den neuen Roman des 1974 in Kanada geborenen David Szalay, ist man doch verwundert, schaut man auf die bislang erschienen Romane. In diesen erhob er das episodische Erzählen zur Kunstform, etwa in seinem letzten, von Hennig Ahrens ins Deutsche übertragenen Roman Turbulenzen. Dort schüttelte er in den titelgebenden Turbulenzen eines Flugzeugs die Leben mehrerer Passagiere auf einem Linienflug durcheinander und erzeugte dadurch einen Reigen von Leben und Schicksalen.

Schon in seinem ersten, ebenfalls von Henning Ahrens übersetzten Roman Was ein Mann ist, wandte Szalay dieses Erzählprinzip eines Reigens an, um von mehreren Männern in ganz verschiedenen Altersstufen und Lebensstadien zu erzählen – und dabei nicht nur einen Blick auf Männlichkeit in der Gegenwart zu werfen, sondern auch für einen englischsprachigen Erzähler reichlich ungewöhnliche Schauplätze wie etwa den oberfränkischen Pilgerort Vierzehnheiligen aufzusuchen.

Ein biografischer Roman anstelle von Reigen

David Szalay - Was nicht gesagt werden kann (Cover)

Liest man nun diesen dritten, wieder von Ahrens ins Deutsche übertragenen Roman, ist eine völlige Abkehr von diesem multipersonellen Erzählkonzept zu beobachten. Stattdessen nimmt sich David Szalay diesmal einen ganz konventionellen biografischen Rahmen vor, um wie etwa Robert Seethaler das Schicksal eines Mannes chronologisch von der Kindheit bis zum Tod durchzuerzählen.

Sein Held heißt István. Er wächst in einem ungarischen Plattenbau auf, wo er bei seiner alleinerziehenden Mutter wohnt. Schon bald folgt er der Lust des Fleischs (das im englischsprachigen Original den Titel bildet), die sich ihm im Zuge der Offerte einer verheirateten Nachbarin bietet. Diese übernimmt die sexuelle Initiation des deutlich jüngeren Mannes, was von ihr aber deutlicher ernst genommen wird als von István.

Dieser verfällt der Nachbarin immer mehr und wird in seinem fleischlichen Begehren sogar zum Mörder. Eine Gefängnisstrafe und ein Abstecher zum Militär folgen, ehe István später in einer Art Pygmalion-Moment zu einem Personenschützer in London aufsteigt.

Die Lust des Fleisches

Dort wird er zum Aufpasser des absurd reichen Oligarchenpaares Nyman, das unter umgekehrten Vorzeichen eine ähnlich hohe Altersdifferenz aufweist, wie es damals bei István und seiner Nachbarin der Fall wird. Auch hier erscheinen sie wieder, die Verlockungen des Fleisches – und wieder folgt eine Affäre, die István – so viel Klischee darf sein – zum Liebhaber seines eigentlichen Schutzobjekts macht. Diese Affäre ist es auch, die ihm den Aufstieg in die höchsten Kreise der englischen High Society ermöglicht, wo István zu einer Art Baulöwe, oder im Businesssprech zum Projektentwickler wird. Doch wie es schon Ikarus erging, so muss auch István feststellen, dass auf einen Höhenflug auch ein tiefer Absturz folgen kann.

Tatsächlich sind es hohe Gipfel des Erfolgs wie auch tiefe Täler, die István in Form von Gefängnis oder Traumata durchwandert. Gemein ist allen Stationen dieses Lebenswegs, dass er sie stoisch erträgt. Selbst der Mord am Nachbar wird bei ihm zu einer recht kühlen Angelegenheit, die er ebenso wie Traumata oder den Abstieg nach seinem Aufstieg in die englische Oberschicht durchmisst, ohne davon tiefer ergriffen zu sein, und das obschon David Szalay als Erzähler ja ganz nah dran ist an seiner Figur.

Ein moderner Mann ohne Eigenschaften

Mit István erschafft Szalay einen modernen Mann ohne Eigenschaften, der erkennbar aus Fleisch und Blut geformt ist, dessen Seele und inneren Kämpfen man aber überhaupt nicht nahekommt. In den Dialogen recht minimalistisch und zurückhaltend agierend erfüllt David Szalays Held so auch den völlig anderen, aber ebenso zutreffenden Titel Was nicht gesagt werden kann.

Hieraus zieht Szalays Roman seinen Reiz: intime Momente, Gefühle, eine enorme Spanne von Berufen, Emotionen und Bindungen und doch stehts das Gefühl, dass sie István nicht tiefer gehend berühren, dieser Mann keine tiefere Verbindung zu sich selbst hat und stattdessen dieses Leben eher als Zuschauer des eigenen Lebens denn als gestaltender Protagonist erlebt.

Fazit

Damit greift Szalay trotz der völlig anderen Erzählform ein Stück weit auch seine Männlichkeitsvermessung aus Was ein Mann ist auf und zeigt uns hier ein wenig greifbares Exemplar dieser Spezies, bei dessen Schicksal man als Zuschauer deutlich mehr mitfiebert, als es das beobachtete Objekt selbst tut.

Erkennbar tat das im Übrigen auch die Jury des renommierten britischen Booker-Prizes, die in diesem Jahr David Szalay den Preis für den Roman zusprach, nachdem er es mit Was ein Mann ist bereits zehn Jahre zuvor in die engere Auswahl für den Preis geschafft hatte.


  • David Szalay – Was nicht gesagt werden kann
  • Aus dem Englischen von Henning Ahrens
  • ISBN 978-3-54610150-9 (Claassen)
  • 384 Seiten. Preis: 25,00 €
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