Selbstgespräche mit dem Drucker, Kontemplation im Kämmerlein. In ihrem Roman Xerox erkundet Fien Veldman die moderne Arbeitswelt und erzählt von einer anonymen Arbeiterin, die beim Höher – Schneller – Weiter der modernen Arbeitswelt nicht mitmachen möchte und sich stattdessen ihre eigene Arbeitsnische sucht. Ein Büroroman im Geiste von Herman Melvilles Bartleby der Schreiber.
Mit seiner Ankündigung sorgte Mark Zuckerberg Anfang des Jahres für Schlagzeilen. Nicht nur, dass er im Geiste Elon Musks Faktenchecks und Moderationen bei Facebook abschaffen möchte, auch sollen fünf Prozent der Mitarbeiter beim Digitalkonzern entlassen werden. Treffen werde es leistungsschwache Arbeitnehmer, mit deren Performance man nicht zufrieden sei, so die Ankündigung des Multimilliardärs.
Damit reiht sich Zuckerberg ein in die Riege des Höher – Schneller – Weiter, das von den Mitarbeitenden mehr Effizienz und Leistung einfordert und damit ganz im Trend der Hochleistungsgesellschaft liegt. Wie es aber aussehen kann, wenn man gar nicht zu den Highperformern zählen möchte, sondern sich lieber mit seinem kleinen Arbeitsplatz und einem überschaubaren Arbeitsanspruch begnügen möchte, das erkundet Fien Veldman in ihrem Roman Xerox.
Einöde im Startup
Sie erzählt von einer anonymen Angestellten, die in einem Startup in einer Stadt mit Grachten ihren Dienst tut. In einem kleinen Kämmerlein sitzt sie, Gesellschaft leistet ihr der Xerox-Drucker, den sie mit Hingabe bedient und der ihr auch als Gesprächspartner dient. Die meiste Zeit verbringt die Angestellte für sich und hat eine Virtuosität in Sachen Erkennung von Papierqualität und Vermeidung von Papierstau entwickelt.
Ab und an soll sie aber auch die Betreuung des Kunden-Postfachs übernehmen und die Anliegen der Schreibenden beantworten – und das alles für den Mindestlohn, von dem auch noch Geld für das Mittagessen einbehalten wird. Motivation sieht anders aus, auch wenn ihr Chef ihr zu verstehen gibt, dass sie und ihre Arbeit gesehen werden.
Die größte Spannung in diesem recht einförmigen (Büro)Alltag bildet da schon ein Paket, das falsch adressiert wurde und dem sie nun neben dem Job durch die Straßen und Häuser in der Stadt hinterherjagt.
Doch dann zeigt sich, dass eines ihrer Selbstgespräche mit dem Drucker eines zu viel war – der Chef wittert Fremdbeschäftigtung und stellt seine Arbeitnehmerin frei, die in Gesprächen mit einem Therapeuten ihr Verhalten aufarbeiten soll. Dabei will sie ja eigentlich nur eines – wieder zurück in ihr Kämmerlein und zurück zum Xerox-Drucker.
Ich möchte einfach meine Briefe ausdrucken und verschicken und dann und wann die Tonerkartuschen austauschen. Ich möchte an meinem Papier fühlen können, ob es für den jeweiligen Tag geeignet ist, wie ich es immer tue. Ich möchte jeden Tag in mein kleines Kämmerlein gehen und dort in Ruhe gelassen werden. Ich möchte morgens meinen Drucker anmachen und seinen Aufwärmgeräuschen lauschen, während in den ersten Schluck Kaffee trinke aus der Tasse, die ich immer benutze und die ich selbst abwaschen, wenn nötig. Ich möchte den Tag mit meinem Gerät verbringen, die Stapel gedruckter Briefe wachsen sehen, ich möchte die Umschläge zählen, sie kategorisieren und in kleinere Stapel aufteilen, Adressetiketten ausdrucken und aufkleben.
Fien Weldman – Xerox, S. 115
Fien Veldman auf den Spuren Herman Melvilles
Xerox erzählt von der Sinnlosigkeit mancher Jobs, die im Kosmos eines Büros aber trotzdem verrichtet werden sollen. Wie die junge Arbeitnehmerin, die es in die Stadt mit den Grachten geschafft hat, jetzt an der Eintönigkeit im Start-Up leidet, sie aber auch sucht, das erinnert schon fast an Franz Kafka und seine Tätigkeit im Versicherungsbüro in Prag.
Doch statt großer Literatur entstehen bei der Arbeitnehmerin Gedanken, die sich zurückbewegen in ihre Kindheit, die wild assoziieren und die sich der Drucker ergeben anhört, ehe dieser zur großen Überraschung auch selbst zu Wort kommt (womit Fien Veldman nebenbei bemerkt auch die literarisch eigenwilligste und herausragendste Annäherung an das Phänomen Papierstau aus ungewöhnlicher Perspektive gelingt).
Vor allem aber erinnert Xerox auch an den Urvater aller Büroromane, nämlich Herman Melvilles Erzählung von Bartleby, dem Schreiber. Dieser versah in einer New Yorker Kanzlei seinen Dienst, ehe er mit der ikonischen Verweigerung I prefer not to sämtliche an ihn herangetragene Arbeit ablehnte und damit sein Umfeld in Verzweiflung und Ratlosigkeit stürzte.
Auf diesen Spuren wandelt Veldman und zeigt ihre Arbeitnehmerin als Rädchen im Getriebe, das gar nicht primär funktionieren, sondern leben will. Damit hätte sie es natürlich auch schwer, würde das Startup Facebook heißen und ihr Chef auf den Namen Mark Zuckerberg hören.
„Ich meine: es gibt Menschen, die sich mit ihrer Umgebung mitbewegen, Menschen die etwas tun. Und es gibt Menschen wie dich. Du kannst ruhig darauf warten, dass sich etwas von sich aus verändert, aber das wird schlichtweg nicht passieren, die Welt wird sich nicht an dich anpassen.“
Fien Veldman – Xerox, S. 135
Fazit
Mit ihrem Debüt Xerox reiht sich Fien Veldman ein in die Reihe von Büroromanen aus niederländischer Feder, wie sie Willem Elsschot oder J. J. Voskuil schrieben. Aber steht Veldmans Buch in der Tradition von Melville und Kafka. Ihr gelingt ein literarisch interessant gestaltetes Porträt einer namenlosen Arbeiterin und deren sanftes Opponieren gegen die anonyme Leistungsgesellschaft.
- Fien Veldman – Xerox
- Aus dem Niederländischen von Christina Brunnenkamp
- ISBN 978-3-446-27952-0 (Hanser)
- 224 Seiten. Preis: 23,00 €