Ein Sturm namens Maria sorgt im Roman von George R. Stewart für Verwüstung und Chaos in Kalifornien. Nicht nur angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe ist Sturm ein moderner Roman, dessen Alter von über 80 Jahren man ihm kaum anmerkt. Nun ist das Buch in einer Neuübersetzung von Jürgen Brôcan und Roberta Harms (wieder) zu entdecken.
1941 war es, dass der Amerikaner George R. Stewart seinen Roman Sturm veröffentlichte. Im selben Jahr, als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintreten, erscheint dieses Buch, das zwar vordergründig nichts mit der Zeitgeschichte am Hut hat, das aber trotzdem eine Schlacht zeigt, nämlich die der Natur gegen den Mensch. Lange noch vor Frank Schätzings Der Schwarm oder den Klimathrillern eines Marc Elsbergs oder Wolf Harlanders zeigt Stewart in seinem Roman, was passiert, wenn die Kräfte der Natur demonstrieren, wer die eigentliche Hoheit über den Planeten besitzt.
Dabei beginnt in Stewarts Buch alles noch ganz übersichtlich. Ein junger Meteorologe versieht seinen Dienst, Schiffe schippern über den Ozean, der Aufseher der Straßenverwaltung inspiziert einen Pass zwischen Kalifornien und Nevada. Betriebsamkeit allen Orten – aber noch kein Alarm. Dieser stellt sich erst langsam ein, als sich abzeichnet, dass jenes Tief über dem Pazifik, 300 Meilen vor Yokohama, zu einem stattlichen Sturm heranwächst, den der junge Meteorologe auf den Namen Maria tauft.
Aber der Sturm! Er fühlte, wie ihm ein Kribbeln plötzlich über den Rücken lief. Ein Sturm lebte und wuchs. Keine zwei Stürme glichen einander jemals.
George R. Stewart – Sturm, S. 32
Ein Sturm zieht auf
Zunehmend stärker wird dieser Sturm im Lauf der Tage, der schließlich über Kalifornien herniederfährt und für viel Chaos und Verwüstung sorgt. Das ganze Ausmaß des Schreckens von verschneiten Autos bis hin zu Schiffen und Flugzeugen in Turbulenzen zeichnet Stewart durch die Parallelmontage seines multiperspektivisch erzählten Romans nach. Immer wieder sind wir bei dem jungen Meteorologen, der zusammen mit einem erfahrenen Kollegen Karte um Karte zeichnet und Meldungen vergleicht, um einen Eindruck von der anschwellenden Intensität des Sturms zu bekommen. Schleußen müssen geöffnet werden, ein junges Paar geht im Schneesturm verloren, an einer anderen Stelle befehligt der Inspekteur der Straßenbahnmeisterei derweil Schneepflüge und -fräsen, um die auf dem Pass eingeschneiten Autos zu befreien.
Allein auf menschliche Figuren beschränkt sich der Amerikaner dabei nicht. Auch ein Eber oder eine Schleiereule haben entscheidenden Einfluss auf die Handlung, genauso wie ein Holzbrett und Kuhdung, die in Sturm ebenfalls ihren Platz finden.
Wie Übersetzer Jürgen Brôcan und Roberta Harms in ihrem Nachwort anmerken, wendet Stewart in diesem Roman ein Erzählmuster an, das heute in Katastrophenfilmen und den Klimathrillern der eingangs erwähnten Autoren zur Norm geworden ist. Ein Ensemble ganz unterschiedlicher Figuren ist mit den Auswirkungen der Katastrophe befasst und kämpft an verschiedenen Fronten gegen die Katastrophe, wodurch der Roman Drive und Tempo erhält. Durchbrochen wird das ganze bei George Stewart immer wieder mit etwas faktenhuberischen Diskursen zur Meteorologie und der Entwicklung des Sturms.
Ein zeithistorischer Abdruck des Zweiten Weltkriegs
Apropos Kampf: einen Abdruck der gewalttätigen Ereignisse rund um den Erdball, die zeitgleich zum Erscheinen des Buchs stattfanden, gibt es auch in den gut 380 Seiten des Romans zu entdecken.
Straßen und Markierungsstangen werden hier wie Truppen vor dem Gefecht in Augenschein genommen, manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Natur und Kriegskultur in diesem Roman fast vollständig. Da der General, der über die Isobaren und Konvektionslinien wacht, dort konstatiert der Überwacher des Passes, dass man „die Straße verloren habe“. Telefonistinnen (hier ist eine der wenigen Stellen, die deutlich vom Alter des Romans künden), versuchen unter Hochdruck, Verbindungen herzustellen und Monteure müssen in Schneeschauern ausdrücken, um die Verbindungslinien der Strom- und Telegrafenleitungen wieder zu reparieren.
Der General zuckte mit den Schultern. Als guter Soldat hatte der die Stellung gehalten, bis er sich ehrenvoll zurückziehen konnte. Er gab seine Befehle.
George R. Stewart – Der Sturm, S. 367
Es ist eine Parallele, auf die der Verfasser George R. Stewart auch selbst hinweist, wenn er im Vorwort zu seinem Roman (der sich in den USA laut Verlagsangaben zu einem „Kultroman“ entwickelt habe) schreibt, sein düsterer Roman sei in den ähnlich düsteren Zeiten von Dünkirchen und der Niederlage Frankreichs entstanden.
Ein Roman über die Klimakatastrophe und die Ignoranz
Doch nicht nur zeithistorisch ist Sturm interessant, vor allem in Zeiten, in denen Kalifornien wieder einmal mit Extremwettern zu tun hat, die aktuell Teile von Los Angeles vernichtet haben, in denen sich hierzulande und anderswo Meldungen über Extremwetter – ob im Ahrtal oder in Bayerisch-Schwaben – häufen und in denen die Ausnahme schon zum Normalfall geworden zu sein scheint, hat Sturm eine große Bedeutung.
George R. Stewart zeigt, wie die Natur trotz aller Kenntnisse und technischen Fortschritts über den Mensch triumphiert und wie kurzsichtiges Profithandeln von Farmern und vielen anderen Personen zu den Katastrophen führt, die Sturm eindrücklich bebildert.
Selbst wissenschaftliche Erkenntnisse und Klarsicht über die Kraft der Natur führen nicht zu größerer Einsicht. Am Ende zieht der Sturm von dannen und lässt die Menschen zurück, die sich in Teilen sogar über die Massen an Schnee, Eis und Regen freuen, wie die die fiktive Schlagzeile zeigt, die Stewart in seinen Roman eingebaut hat. Diese Schlagzeile lobpreist angesichts des abklingenden Sturm den Millionen-Dollar-Regen, der über Kalifornien niedergegangen ist und der der Landwirtschaft geholften hat. Das erscheint so grotesk und verzerrt, dass es schon wieder gut in unsere Zeit passt.
Angesichts der Klimakatastrophe scheint hier jener Fatalismus auf, den zuletzt etwa auch T. C. Boyle in Blue Skies zeigte und der auch in den Äußerungen des von Stewart ersonnenen Bürgermeisters aufblitzt. Dieser erzählt nach dem Schneefall launig, dass er früher Schneegestöber durchaus vergnüglich gefunden habe, nur heute mache er sich Sorgen, wie sich die Schneebeseitigung auf sein Budget auswirke. Es ist ein kurzsichtiges Denken, wie man es dieser Tage aus den USA kennt, wo der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist und mehr Öl und Gas fördern will.
Fazit
Vielleicht ist es das, was am Ende bleibt und was auch Sturm zeigt: die Fragilität unserer Infrastruktur angesichts des Wetters – und die menschliche Ignoranz, mit dem wir alle tieferen Erkenntnisse und daraus folgenden Konsequenzen verdrängen. So wie es zum Schluss des Romans ein Leitartikler in seinem Fazit zu den zwölf Tagen der wütenden Maria formuliert:
Es gab zumindest keine Todesfälle durch Erfrierungen. Der Sturm war aus dem Südwesten gekommen und hatte nur Sturmwinde und Pappschnee gebracht. „Diesen Schnee“, erläuterte ein gebildeter Verfasser von Leitartikeln, „verdanken wir allein der Tatsache dass unsere Ahnen diese Stadt in einem schneereichen Gebiet im schneereichsten alle[r] Kontinente errichtet habe.“
George R. Stewart – Sturm, S. 363
- George R. Stewart – Sturm
- Aus dem Englischen von Jürgen Brôcan und Roberta Harms
- ISBN 978-3-455-01872-1 (Hoffmann und Campe)
- 382 Seiten. Preis: 26,00 €