Literaturbegeisterung, Einsamkeit und Holzfällen. In seinem Debüt Dein Wille wohnt in den Wäldern lässt der junge schwedische Autor Mattias Timander seinen Helden und Ich-Erzähler zwischen der Einsamkeit in einer Hütte und dem Dasein als Bohemien in Stockholm mäandern. Aber wo nur ankommen?
Sinkende Absatzzahlen, unabhängige Verlage, die ihr Tun einstellen und dazu Leser, die dem Buchmarkt in Millionenstärke von der Fahne gehen. Wahrlich, um das Lesen und seine Fans ist es nicht allzu gut bestellt. Da sind Nachrichten wie die der Neugründung des Allee Verlags Balsam auf die Seele der geschundenen Literaturseele. Die Übersetzerin und Herausgeberin Veronika Siska will mit ihrem Verlag jenen europäischen Stimmen Sichtbarkeit verschaffen, die im Konzert der üblichen Verdächtigen sonst untergehen.
Der Verlag steht für eine Literatur, die nicht ausgrenzt, sondern einschließt. Für Stimmen, die neue Realitäten zu denken und fühlen geben, vermeintliche Ränder ins Zentrum rücken und Komplexität nicht scheuen. Viele der veröffentlichten Werke wurden national wie international ausgezeichnet, manche fordern sprachlich oder formal heraus.
Der Allee Verlag über seine Programmatik
Verlegerische Monokultur ist Siskas Ding nicht, so hat sie mit dem ersten Programm ihres im vergangenen Jahr gegründeten Verlags gleich einmal zwei ebenso unterschiedliche wie interessante Bäume an den Beginn ihrer Allee gepflanzt.
Ein Roman aus Tornedalen
Neben dem von ihr selbst aus dem Tschechischen übersetzten Roman Die andere Stadt von Michal Ajvaz gibt es mit Mattias Timander Dein Wille wohnt in den Wäldern tatsächlich einen Roman zu entdecken, der von einem vermeintlichen Rand stammt, nämlich dem der Ländergrenze zwischen Finnland und Schweden. Dort ist Mattias Timander zuhause, der der Volksgruppe der Tornedalen angehört, einer Finnlandschwedischen Minderheit.
Timander, der im Alter von 20 Jahren zwei Jahre lang als Bürgermeister die Geschicke der dortigen Kleinstadt Kiruna lenkte, hat sich zumindest geografisch mittlerweile etwas von diesem Randgebiet entfernt und lebt und arbeitet nun in Stockholm.
Dein Wille wohnt in den Wäldern ist sein Debütroman, der im vergangenen Jahr auf Schwedisch erschien und der Timanders Herkunft spiegelt. Der vielfach preisgekrönte und preisnominierte Roman handelt von einem wortkargen und einzelgängerischen Erzähler, der – so viel Schwedenklischees dürfen sein – in einer Hütte in der nordschwedischen Einsamkeit haust. Ein familiäres Netz hat er nicht mehr, ab und an begibt sich der Einzelgänger unter Menschen, aber wirkliche Gesellschaft findet er erst in der Literatur.
Zwischen Waldeinsamkeit und Bohemiens
Passenderweise ist Thomas Bernhards Holzfällen eines der ersten Bücher, das in ihm die Leidenschaft für Literatur entfacht. Immer größer wird seine Leidenschaft für das Lesen, weshalb er sich später sogar in die Großstadt aufmacht, um dort seiner Leseleidenschaft zu frönen und Anschluss an einen Kreis von Bohemiens zu erhalten. Er wird ein manischer Leser, der vor allem in der Literaturwelt Patrick Modianos eine Bebilderung seiner eigenen, inneren Welt erfährt.
Doch dauerhaft ist dieser Rausch aus Literatur, Feiern, intellektuellem Austausch und Drogen auch nicht, weshalb es den Erzähler später wieder auf den Weg Richtung Waldeinsamkeit ziehen wird.
Timanders Roman geht der Frage nach, wo der eigene Platz im Leben ist und wie man Anschluss findet. Müssen es Menschen sein, mit denen man sich austauscht, oder können nicht auch Bücher und Literaten die besseren Begleiter fürs Leben sein? Dein Wille wohnt in den Wäldern ist trotz seiner Kürze voll mit Gedanken und Zitaten die von Beckett über Proust bis zu Rainer Maria Rilke reichen. Aus der Ferne grüßt dabei auch stets Henry David Thoreaus Walden.
Eine übersetzerische Herausforderung
Übertragen hat diesen literarischen wie literaturreichen Hanna Granz ins Deutsche (generell nennt der Allee Verlag seine Übersetzerinnen vorbildlicherweise gleich auf dem Cover), die sich einer schwierigen Aufgabe stellen musste. Denn im Original kennzeichnet Mattias Timanders Text eine Mischung aus nordschwedischem und tornedalischem Dialekt sowie der Minderheitensprache Meänkieli, wie der Verlag mitteilt.
Eine adäquate Nachbildung dieser sprachlichen Collage kann in eine andere Sprache sowieso kaum funktionieren, stattdessen aber hat Hanna Granz den Gedankenstrom von Timanders Erzähler auf eigene Art und Weise ins Deutsche übertragen, irgendwo zwischen Naturbeobachtung und Innerlichkeit.
Ich ging einen anderen Weg zum Dorf runter als an der Storsturga vorbei. Es gibt da eine Lichtung, wenn man Richtung Roger und Mariann geht, und da ist es irgendwie magisch. Vielleicht, weil das Sonnenlicht von den Bäumen gefiltert wird, außerdem sind da oft Elche. Und wie plötzlich alles so besonders war, saß ich eine ganze Weile dort. Als ich wieder hochwollte vom Moos, von dem ich nass geworden war, flog ein Auerhahn auf. Sein plötzlicher Flügelschlag klang brutal.
Mattias Timander – Dein Wille wohnt in den Wäldern, S. 36
Fazit
So entsteht auch im Deutschen ein faszinierender Text, der einen rastlosen Erzähler zwischen der Sehnsucht nach Anschluss und Verständnis und dem Wunsch nach Einsamkeit und literarischer Gesellschaft zeigt. Das macht Dein Wille wohnt in den Wäldern zu einem literarisch wirklich interessanten Text, mit dem dem Allee Verlag ein tolles erstes Ausrufezeichen gelungen ist.
Es bleibt spannend, mit welchen europäischen Stimmen Veronika Siska die Literaturwelt hierzulande als nächstes bereichern wird. Das Schlendern durch diese literarische Allee, es nimmt sich schon jetzt aber sehr verheißungsvoll aus!
- Mattias Timander – Dein Wille wohnt in den Wäldern
- Aus dem Schwedischen von Hanna Granz
- ISBN 978-3-911524-00-1 (Allee Verlag)
- 189 Seiten. Preis: 24,00 €
