Ein Verlagshaus in der Lehrter Straße in Berlin. Darin ein Konferenzraum, besetzt mit grübelnden Menschen.
Vor einem Jahr hat man von der Konkurrenz die Programmmacherin eines hippen Imprints abgeworben. Die Idee – sie soll nun beim eigenen Verlag ein hippes Imprint machen. Man möchte sich als Verlag breit aufstellen und dafür auch mal Nischen besetzen. Man kennt die Floskeln. Für die Findung eines Verlagsnamens wurde ein eigens modifiziertes Glücksrad bemüht. Darauf alle möglichen Begriffe aus dem Farbspektrum. Der Pinökel zeigte auf Blau – et voilá: „Hanser blau“ war geboren.
Bliebe nur noch die Frage des Inhalts, damit man das neue Label auch mit genügend Leben füllen kann.
Verlagsmitarbeiterin 1: Schön, dass wir uns zum Brainstorming hier eingefunden haben. „Hanser Blau“ soll uns neue Schichten erschließen und dafür braucht es Content, Content, Content. Lasst uns mal überlegen. Was könnten die Leute wollen?
Verlagsmitarbeiterin 2: Ich hätte da eine Idee. Heinz Strunk war doch bei Rowohlt unglaublich erfolgreich mit diesem „Der goldene Handschuh“. Hamburg, Kiez, schmuddelige Kneipen, schmuddelige Leute. Der Strunk, der ist doch bei „Studio Braun“, und da ist doch auch dieser Rocko Schamoni dabei. Der schreibt ja sonst für Piper. Wollen wir den nicht einfach abwerben, damit er für uns einen Hamburg-Roman schreibt? So mit St. Pauli, Kiez, Unterweltgröße, Antiheld? Können wir einfach „Große Freiheit“ nennen. Fällt gar nicht auf.
Verlagsmitarbeiterin 1: Das ist ja mal eine spritzige Idee. Machen wir! Ist gekauft. Sonst noch Ideen?
Verlagsmitarbeiterin 3: Das ist ja ganz schön und gut mit diesem schmuddeligen Hamburg. Wir brauchen aber auch was mit gutem Wetter, so bisschen Sommer zwischen den Buchdeckeln. Bisschen Familie, ein wenig Sonne, Meer, Strand, aber jetzt nicht St. Peter Ording, wenn Ihr wisst was ich meine. Vielleicht mal was mit Spanien?
Verlagsmitarbeiterin 1: Klingt ja prima, das kriegen wir gut verkauft. Die Leute LIEBEN Spanien! Pappen wir noch ein paar bunte Blumen vorne drauf. Zack feddich – verkauft sich sicher super. Weitere Ideen? Wir schaffen hier richtig was, das hab ich im Gefühl.
Verlagsmitarbeiterin 2: So Familienerzählungen mit großen Bögen boomen. Macht doch gerade jeder – warum nicht auch wir? So ein bisschen Jeffrey Archer, Lucinda Riley oder Carmen Korn-mäßig? Reißen uns die Leute sicher aus den Händen.
Verlagsmitarbeiterin 1: Gute Idee! Was schlagen Sie vor?
Verlagsmitarbeiteterin 2: Wir wäre es mit drei Generationen Frauen, einem Geheimnis und verschiedenen Kontinenten? Wenn das schon 134 mal geklappt hat, warum sollte es nicht dann auch ein 135. Mal in Buchform klappen?
Verlagsmitarbeiterin 1: Nachvollziehbar. Machen wir! Sonstige Ideen?
Verlagsmitarbeiterin 4 und 5: Wir haben uns da auch was überlegt. Momentan boomt doch das Thema Wald seit Peter Wohlleben. Deutsche Seele, Erholung, Naturschutz und so. Und warum sollten wir da nicht auch was machen? So was Abgefahrenes wie Waldbaden? Und dann haben wir zusammengesessen und uns überlegt, was immer geht: wir sind zum Schluss gekommen: Erziehungsratgeber und Fußball. Warum nicht ein Buch, das erklärt, was Kinder vom Fußball lernen können?
Verlagsmitarbeiterin 1: Meint ihr nicht, dass das doch etwas durchsichtig und fadenscheinig ist? Auch diese ganzen Coverentwürfe – das hat doch alles weder Hand noch Fuß. Habt ihr auch was, was nicht alles schon zu oft dagewesen und ausgelutscht ist, irgendwas, das unsere Kernkompetenz sein könnte? Irgendwas Unverwechselbares? Eine eigene Stimme?
Verlagsmitarbeiterin 2, 3, 4 und 5: …
Nach angestrengtem minutenlangen Starren in die Luft der Beteiligten…
Verlagsmitarbeiterin 1: Ach komm, egal, das machen wir jetzt einfach. Wird schon nicht auffallen. Gerade für ein erstes Programm, da sind die Erwartungen nicht so hoch.
Hanser Blau oder – Die Reste von gestern
So oder so ähnlich muss es abgelaufen sein in Berlin zur Zeit der Programmfindung. Anders lässt sich dieses mit viel Hype angekündigt, aber völlig belanglose und austauschbare Programm von Hanser Blau nicht erklären. Bücher die wirken, als hätte man zusammengefegt, was bei den Vertretersitzungen anderer Verlag vom Tisch fiel, oder wie es Matthias Warkus in einer Diskussion auf Facebook treffend nannte: die Parodie eines deutschen Verlagsprogramms.
So etwas wie eine eigene Handschrift, ein eigenständiges verlegerisches Profil lässt sich aus diesen Titeln wirklich nicht ableiten, weder inhaltlich noch optisch. Natürlich kann sich das alles über mehrere Programme hinweg entwickeln, das sei eingestanden. Aber ein Programm, das einfach wie von allen momentan Trends und erfolgsversprechenden Titeln abgekupfert wirkt, das ist Hanser in meinen Augen nicht würdig.
Warum man ein Imprint gründet, das ja spezielle Bedürfnisse befriedigen soll, dann aber doch wieder nur die selbe thematische Breite bedient, ohne Tiefe zu bieten, das erschließt sich mir nicht ganz. Braucht man wirklich innerhalb eines Imprints schon wieder Sachbücher und Romane, die von Trennung bis zum Wald und von Hamburg bis Galicien alles bedienen wollen? Warum nicht einfach mal mit einem Imprint einfach eine Nische suchen und mit klarer Ausrichtung besetzen, statt alles für alle zu wollen? Diese hätte man das ja auch im normalen Hanser-Programm irgendwo unterbringen können.
Um dann nicht auch noch von den unsäglich lieblosen und völlig wahllos wirkenden Autor*innenvorstellungen zu reden:
Beatrix Kramlovsky, geboren 1954 in Oberösterreich, lebt als Künstlerin und Autorin in Niederösterreich. Sie liebt ausgedehnte Reisen und die Arbeit in ihrem Garten.
Marlene Fleißig, geboren 1992, wuchs in Bayern auf. Sie studierte Übersetzen und Dolmetschen in Leipzig. Die Idee zu ihrem Debütroman kam ihr bei einem Studienaufenthalt in Galicien.
Anne Cathrine Bomann, geboren 1983, arbeitet als Psychologin. Sie lebt in Kopenhagen mit ihrem Freund, einem Philosophen, und dem Hund Camus. Eine Saison lang spielte sie Tischtennis in Fontenay-sous-Bois, einem Vorort von Paris. Dort lebte sie in der 9, rue des rosettes, genau wie die Hauptfigur aus Agathe.
Es muss ja nicht immer die überkandidelte Vorstellung sein, die Vorstellung, die sich vor lauter Superlativen selbst vergisst. Aber ein bisschen mehr Liebe für die Biographien und die Produkte, die das Programm verkaufen will, das hätte ich schon erwartet. Die meisten Infos von Büchern und Autor*innen klingen, als hätte eher Krake Paul oder ein anderes Orakel die Texte zusammengestellt anstelle eines Verlagsteams.
Oder um es freiheraus zu sagen: ich bin wirklich enttäuscht, was diesen Start von Hanser Blau angeht. Beliebiger als dieses Programm geht es kaum. Vor allem wenn man sieht, was Ulrike von Stenglin zuvor für Ullstein fünf an den Start gebracht und geleistet hat. Für Hanser Blau sehe ich beim jetztigen Stand erst einmal leider schwarz.