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Jo Nesbø – Durst

Vier Jahre hat sich Jo Nesbø gelassen, ehe er Harry Hole einen neuen Fall servierte. Nun liegt Durst in der deutschen Übersetzung durch Günther Frauenlob vor – wie ist der inzwischen elfte Fall des norwegischen Ermittlers geraten?

Mit seinem zehnten Fall Koma schien Jo Nesbø mehr oder minder am Ende seiner Reihe angekommen zu sein. Die Luft war für mein Empfinden aus der einst  Maßstäbe setzenden Krimireihe entwichen: Motive wiederholten sich, die Plots waren irgendwie vorhersehbar, Harry schien die Kollegen und Leser nicht mehr so begeistern zu können wie in den den frühreren Tagen.

Nesbø wandte sich anderen Werken zu, der Standalone-Thriller Der Sohn erschien genauso wie die zwei kurzen (und recht mediokren) Blood on Snow-Krimis Der Auftrag und Das Versteck. Auch die in wenigen Wochen startende Verfilmung des achten Harry Hole-Falls Der Schneemann mit Michael Fassbender und Rebecca Ferguson band Kapazitäten – und Harry musste erst einmal ruhen. Diese Pause hat Harry und dem neuen Fall merklich gutgetan!

In Oslo sterben mehrere jungen Frauen, nachdem sie sich über die populäre Tinder-App verabredet haben. Der Täter entwischt der Polizei ein ums andere Mal und lässt an den Tatorten blutige Spuren zurück. Da ein solcher Serientäter in Norwegens Hauptstadt schlechte Presse für die Polizei bedeutet, sieht der ambitionierte Polizeipräsident Mikael Bellmann Handlungsbedarf und erpresst Harry Hole, die im Dunkeln tappende Ermittlungsgruppe um Harrys Vertraute Katrine Bratt inoffiziell zu unterstützen. So lässt Harry seine Lehrtätigkeit an der Polizeihochschule ruhen, um einmal mehr die Spuren an den Tatorten so zu interpretieren, wie nur er es kann. Unterstützung erhält er dabei schon bald von einem neuen Polizeimitarbeiter und einem Psychologen. Denn es scheint, als habe der Serientäter großen Durst …

Mit Durst gelingt es Nesbø endlich wieder, ein raffiniert konstruiertes, bis zum Ende hin unvorhersehbares und trotz einer Länge von 620 eng bedruckten Seiten stets spannendes Buch vorzulegen. Abgesehen von kleinen Redundanzen und stilistischen Ausrutschern trägt die raffinierte Konstruktion über die gesamte Länge des Buchs, vor allem da Nesbø hier wieder ein paar schöne Kniffe einfallen.

Nach zwei Dritteln des Buchs könnte der Fall eigentlich gelöst sein (der erfahrene Krimileser weiß hier natürlich schon, dass nichts ist, wie es scheint), bevor Nesbø noch einmal ein paar Finten schlägt und dem Leser dann erst die wahren Verwicklungen preisgibt. Auch das ist schön gemacht und erinnert an die „klassischen“ zumeist aus britischer Feder stammenden Krimis, bei denen alle Verdächtigen versammelt werden, um dann dem Ermittler Raum zu geben, der alle Anwesenden mit seinen Schlussfolgerungen überrascht und seine Deduktionen darlegt – und den Täter einem Kaninchen gleich aus dem Hut zaubert.

Ein warnendes Wort sollte an dieser Stelle aber an alle Neulinge im Harry Hole-Kosmos gerichtet werden: als Einstieg in die Buchreihe empfiehlt sich dieser elfte Band auf keinen Fall. Ein chronologisches Lesen der Reihe ist von großem Nutzen, besonders der Vorgängerfall Koma sollte gelesen sein, ehe man sich an Durst macht. In meinen Augen ist jener elfte Fall nämlich mehr oder minder nahtlos die Fortsetzung von Koma und sollte zügig im Anschluss gelesen werden, um die Kontinuität nicht außer acht zu lassen. Wichtige Personen und Stränge aus Fall Zehn setzen sich im Fall Elf fort und erleichtern bei Kenntnis des Vorgängers das Verständnis allgemein.

Fazit: Durst ist endlich wieder ein echter Nesbø’scher Pageturner, der alles hat, was die Fans an der Reihe schätzen, Twists, Serientäter, raffinierte Morde und ein Harry Hole in Bestform inklusive. Die Reifezeit von vier Jahren hat dem Buch merklich gutgetan und wenn es Nesbø gelingt, wieder Thriller auf ähnlich hohem Niveau abzuliefern, bin ich gerne bereit, längere Durst-Strecken in Kauf zu nehmen (der obligatorische Cliffhanger am Ende deutet ja schon etwas in die Richtung an).

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Jo Nesbø – Blood on snow – Der Auftrag

Nesbøs Noir-Pulp

Jo Nesbø hat die Seiten gewechselt. Stand er bei seiner Harry-Hole-Reihe immer auf der Seite der Polizei, so hat er mit seinen anderen Romanen schon mal die Abweichung vom Pfad der Tugend gewagt. Nun ist er auf der komplett anderen Seite des rechtlichen Spektrums angekommen und widmet sich einem Killer.

http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/buch/details/blood-on-snow-der-auftrag-9783550080777.htmlDieser heißt Olav und ist starker Analphabet. Er hat kein Problem damit, sich unterzuordnen und die zweite Geige zu spielen. Dies tut er allerdings mehr als gut, denn als Auftragskiller ist er in den 70er Jahren für den Osloer Drogendealer Hoffmann tätig und expediert in dessen Auftrag lästige Konkurrenz.
Nun bekommt es Olav allerdings mit einem folgenschweren Auftrag zu tun. Er soll die Frau seines Bosses liquidieren – allerdings entwickelt er Gefühle für sie. Stattdessen tötet ihr ihren Liebhaber, der sich als Hoffmanns Sohn entpuppt. Fortan steht Olav damit auf der Abschussliste von Hoffmann selbst. Kann ihn das Überlaufen zur Konkurrenz retten?

Die Story hinter Blood on snow – Der Auftrag ist wahrlich nicht sonderlich neu. Der pulpige Plot ist schon mehr als genug ausgewalzt worden. Was das Buch in meinen Augen allerdings von dem Durchschnitt abhebt, ist die Technik des unzuverlässigen Erzählers, bei dem man sich nicht sicher sein kann, was nun stimmt und was nun der Fantasie des Erzählenden entsprungen ist. Gerade nach dem Ende des Buches blieben für mich noch Fragen übrigen, die das Geschehen noch einmal neu überdenken und interpretieren lassen.

Die Schreibe Jo Nesbøs ist gewohnt knackig und präzise. Auch an der Übertragung von Günther Frauenlob ins Deutsche lässt sich nicht viel bekritteln. Das Buch mit seinen lediglich 186 Seiten ist gut gestaltet, der schwarze Buchschnitt passt sich gut in die gesamte Erscheinungsweise des Buchs ein.

Interessant bleibt auch, was Nesbø im zweiten Roman aus dem Blood-on-Snow-Universum zaubert. Dieses Buch soll im Februar 2016 unter dem Titel Blood on Snow – Das Versteck erscheinen und richtet seinen Fokus auf Ulf, der als Geldeintreiber für den Fischer arbeitet, der auch im vorliegenden Buch eine zentrale Rolle spielt.

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