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Verlagsvorstellung | Verlag das kulturelle Gedächtnis

Bei meinem Besuch der Frankfurter Buchmesse verbrachte ich viel Zeit in der Halle 4.1. Neben den an den Katzentisch verbannten rechten Verlagen, Big Playern wie Suhrkamp oder Dumont  waren in dieser Halle auch die kleinen, unabhängigen Verlagen – auch Indie-Verlage genannt, beheimatet.

Eine echte Entdeckung förderte mein Besuch am Stand E40 in der Halle zutage. Dort waren nämlich die Bücher des Verlags Das kulturelle Gedächtnis ausgestellt. Schande über mich – aber bislang kannte ich diesen Verlag überhaupt nicht.

Grund genug, mit den Machern des Verlags ein Gespräch über ihre Arbeit, die verlegten Bücher und noch vieles mehr zu führen. Tobias Roth stand mir Rede und Antwort. Viel Spaß mit dem Gespräch!


Erzählt doch mal für alle die euch nicht kennen- was ist der Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“?

Wir sind ein neuer, unabhängiger Verlag aus vier Kuratoren oder Gesellschaftern, wir machen gemeinsam Bücher, die wir nötig finden. Die Grundidee ist einfach, aber nicht ohne: alte Texte aus dem Gedächtnis schöpfen, die heute für uns brauchbar sind, die Themen berühren und behandeln, die uns heute auch umtreiben. Wir sind alle in der Buchbranche tätig, verschiedentlich, und im Verlag Das Kulturelle Gedächtnis auch insofern unabhängig, als wir uns keine Honorare zahlen, möglichst wenige Kosten verursachen und unsere Arbeit offen halten für spontane Teilhabe; Gewinne bleiben im Verlag, ein Programm (nie mehr als vier Titel) soll das nächste tragen. Da diese Idee natürlich in der Bücherliebe wurzelt, bemühen wir uns zudem um die Schönheit unserer Titel. Der Verlag ist in diesem Sinne eine Machenschaft der Begeisterung und Liebe, die professionell geführt wird, und von gebündelter Erfahrung zehren kann.

Gab es ein auslösendes Moment oder eine bestimmte Fragestellung, die zur Verlagsgründung geführt hat?

Der Verlag ist buchstäblich am Küchentisch entstanden, und wenn man so will, spielt er sich auch nach wie vor an einem Küchentisch ab. Geselligkeit ist ein wichtiger Teil unsrer Vorgehensweise, auch unseres Zugriffs auf die Vergangenheit, wie ich finde. Es denkt sich schöner, wenn man gemeinsam denkt.

Nun befindet ihr euch auf der Auswahlliste für den neugegründeten Berliner Verlagspreis. Was bedeutet euch diese Nominierung?

Das war eine unglaublich freudvolle Überraschung! Es bedeutet uns sehr viel, dass der Zuspruch, den diese Nominierung darstellt, uns so prompt zuteil wird und unsere Arbeit bemerkt wird. Ich war total baff, als mich die Nachricht erreichte. Es ist wundervoll.

Wie findet ihr eure Bücher und Themen? Oder finden die Bücher am Ende euch?

Das kann ich kaum unterscheiden. Wir sind alle große Kreuzundquerleser, wir stehen mit Lesern im Austausch, und alle Vorschläge werden auf den Küchentisch geworfen und gemeinsam diskutiert, erkundet, befragt. Manchmal sucht man vom Thema her, manchmal ist der Titel da und offenbart im Gespräch sein Thema, seinen Blickwinkel auf das Heute. Und es ist ja das Wesen der Entdeckungsreise, dass man sich keinen Plan machen kann. Nach Kräften versuchen wir durchaus auch festzustellen, ob eine bestimmte Buchidee nur uns begeistert oder auch andere Leser begeistern kann.

Aktuelle Projekte des Verlags

Was ist euer aktuelles Projekt?

Gerade ist unser Herbstprogamm zur Frankfurter Messe erschienen, Günter Birkenfelds Roman Wolke, Orkan und Staub (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/birkenfeld/) und John Keats Versroman Endymion in der Erstübersetzung von Mirko Bonné (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/keats/). Etwas vor der Messe ist bereit die Menu-Sammlung Wohl bekam’s erschienen, die Moritz Rauchhaus und ich zusammengetragen und herausgegeben haben (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/wohlbekams/). Es ist eine Sammlung von einhundert Menus aus der Geschichte, vom Mittelalter bis in den Sommer 2018, die Speisefolgen, die zu bestimmten Anlässen verspeist wurden. Also keine Rezepte. Zu diesen hundert Menus haben wir hundert kleine Essays geschrieben, damit das Buch (ein uraltes, aber immer noch anspruchsvolles Ziel) zugleich unterhält und belehrt.

Was kann uns so ein Buch mit Menus über vergangene Zeiten erzählen?

Das Tolle ist, dass eine Menufolge, die in der Tat serviert worden ist, der Phantasie keine Grenzen setzt. Nicht nur kann man sich sofort ausmalen, wie es ausgesehen oder geschmeckt haben könnte, sondern auch, was da für Leute am Tisch sitzen, was für Leute währenddessen in der Küche arbeiten. Welche Temperatur herrscht in der Küche und wie weit spannen die Zulieferbetriebe für Nahrungsmittel ihre Fäden über den Globus? Es geht sofort los, man ist mitten in der Welt. Das Gute daran aber ist die Tatsache des Essens: wie weit die Phantasie auch mit uns durchgeht, so bleibt doch die Realität auf den Tellern. So ein historisches Menu ist zwar nur ein Detail der Geschichte – aber es ist die Geschichte dessen, was tatsächlich passiert ist. Essen hat einfach mit allem zu tun; die Weisheit „Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist“, wird von unserem Buch gespiegelt: Wer schon einmal etwas gegessen hat, kann im Grunde etwas damit anfangen. Dazu kommt noch, dass die Fragen der Ernährung und der Nahrungsmittelindustrie Dinge sind, denen wir heute besondere Aufmerksamkeit zollen müssen.

Ich stelle mir die Vorarbeiten zu dem Buch sehr umfangreich vor. Gab es Schwierigkeiten oder Besonderheiten, die euch bei der Zusmmenstellung begegnet sind?

Die Recherche war natürlich sehr arbeitsintensiv. Wir sind durch Archive und Menukartensammlungen, durch alte Kochbücher und Zeitschriften, durch Memoiren und Briefwechsel, durch überwältigend spezialisierte Blogs. Das allermeiste musste erst transkribiert und dann übersetzt werden. Das Schwere war also auch das Schöne: so ein Buch gab es bisher in Deutschland nicht, es war eine ziemliche Pionierarbeit. Die größte Schwierigkeit aber bestand darin, Menus zu finden, die all unseren Kriterien entsprechen: ein relevantes Ereignis, also auch ein genaues Datum, ein genauer Ort, und eine restlos vollständige Speisenfolge. Wir haben lang gesucht, bis alles gepasst hat.

Bei „Wohl bekam’s“ fällt es direkt ins Auge. Daher meine Frage – wie wichtig ist euch das Aussehen und der bibliophile Charakter eurer Bücher?

Die Gestaltung unserer Bücher ist uns sehr wichtig, und zum Glück haben wir grandiose Gestalter an unserer Seite: nämlich 2xGoldstein, die in der Nähe von Karlsruhe sitzen, und das Studio stg in Berlin. Sie haben gemeinsam das Erscheinungsbild unsrer Bücher gestaltet und damit das Erscheinungsbild des gesamten Verlages. Einerseits kommen da traditionelle Elemente ins Spiel: der Kopffarbschnitt, die dezente Prägung für ein Verlagssignet, kein Schutzumschlag. Andrerseits ist die Aufmachung nicht nur modern und frisch im Allgemeinen, sondern auch im wahrsten Sinne fresh. Diese Kombination ist entscheidend, ist sprechend. „Wohl bekam’s“ und unsere Auswahl aus dem Grimmschen Wörterbuch (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/grimm/), die beide von 2xGoldstein sind, sind unsere bisher opulentesten Titel, zweifarbig gedruckt, „Wohl bekam’s“ zudem durchzogen von Icons und Illustrationen, weit über 700 Stück. Voltaires Theaterstück Der Fanatismus oder Mohammed (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/fanatismus/), das 2017 in unserem allerersten Programm erschienen ist, wurde prompt von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet.

Teilhabe als Verlagsmerkmal

Nun haben es die Indie-Verlage im Wettbewerb gegen die Big Player mit ihren Werbeetats und Reichweiten natürlich immer ein bisschen schwerer. Wie kann man euch unterstützen?

In erster Linie kann man uns so unterstützen wie man jeden Verlag unterstützen kann: indem man unsere Bücher kauft und liest. Aber beim Kulturellen Gedächtnis geht es noch weiter, wir möchten ganz unmittelbar zur Teilhabe aufrufen; dazu kann ich auch auf unsere Homepage verweisen (http://daskulturellegedaechtnis.de/teilhabe/). Wir haben eine ganze Reihe von Komplizen, die uns helfen: Schauspieler, die für uns lesen oder etwas einsprechen, Korrekturleser und natürlich auch Ideengeber, die ihre Lesefrüchte teilen. Aber selbstverständlich kann man uns auch ganz einfach mit Geld unterstützen und ein stiller Teilhaber des Verlages werden.

Was sind künftige Projekte, die ihr in der Pipeline habt?

Der Herbst wird nun noch einen Schnellschuss bringen, eine Auswahl aus den Werken des Erasmus von Rotterdam, die wir aus gegebenem Anlass über den Sommer machen mussten (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/erasmus/). Das Büchlein im kleinen, handlichen Format wird am 5. November erscheinen. Erasmus hat ja die Ehre, dass sich die parteinahe Stiftung der AfD nach ihm benannt hat, und da sein Name so viel berühmter ist als seine Inhalte, haben wir eine kleine Auswahl gebastelt, in der man auf kleinstem Raum sehen kann, wie Erasmus für Menschlichkeit, Großzügigkeit, Frieden und Duldsamkeit eingetreten ist. Vor dem Hintergrund dieser Werte, die Erasmus vertritt, begrüßen wir natürlich die Namenswahl der AfD und hoffen, dass nun Erasmus umso fleißiger gelesen wird. Das nächste Großprojekt, das ansteht, ist eine Anthologie von Egon Erwin Kisch, die im Januar erscheinen wird. Sie trägt den programmatischen Titel „Klassischer Journalismus“ (http://daskulturellegedaechtnis.de/work/kisch/). Kisch versammelt darin, nach den Gattungen der Zeitung geordnet, exemplarische Artikel. Er setzte einen Standard. Herausgegeben wird das Buch von Heribert Prantl, der die Auswahl einerseits kürzen und andererseits bis in unsere Gegenwart fortsetzen wird. Das ist so ein Fall: Gedanken der Vergangenheit entdecken, vermitteln, neu nutzbar machen. Wir hoffen, dass sich die Dringlichkeit solcher Operationen bezüglich des Themas Journalismus von selbst erklärt.

Das ist natürlich immer zu hoffen! Ich bedanke mich ganz herzlich bei Tobias Roth vom Verlag Das kulturelle Gedächtnis für unser Interview!

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