Andrea Petković – Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
Tennisspielerin Andrea Petković legt ihr erstes Buch vor. Doch wer belanglose Sportler-Memoiren erwartet, der dürfte sich schnell getäuscht sehen. Denn Petković macht in Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht vieles ganz anders, als man es von herkömmlichen Biografien gewohnt ist. Statt sich im Glanz ihrer Erfolge zu sonnen oder rührselige Aventüren gegen alle Widerstände zu präsentieren, erzählt sie. In Episodenform beschreibt sie die Besonderheiten großer Tennisturniere, ihre literarische Prägung, den Reiz New Yorks, Schwarzfahren und andere Geschichten, die durch Petkovićs literarisches Erzähltalent bestechen.
Mit welch einer versierten Autorin wir es hier zu tun bekommen beweist schon der kursiv gesetzten Auftakt des Buchs. Denn darin erzählt sie von ihrem Vater, der sie einst zu einem Tennisturnier in Australien begleitete und nächtens einem Braunbär begegnet sein wollte.
Geschichtenerzählen war immer Teil unserer Familie und Teil unserer Identität. Wenn meine Mutter meinen Vater abends beim Essen nach seinem Tag fragte, hörte sich jeder einzlne an wie ein Abenteuer. (…)
Das war der Haushalt, in dem ich aufwuchs. Denken Sie ab und zu daran, wenn Sie meine Geschichten lesen. Alles, was ich beschreibe, ist genau so passiert. Aber manchmal braucht es einen Braunbären, um der Wahrheit näherzukommen.
So verschafft sich Petković gleich zu Beginn die Lizenz zur Fiktion. Ein kluger Aufschlag für ihr Buch, mit dem sie sich von den üblichen Pflichten des drögen Genres Sportler-Biografien entbindet. So springt sie fortan mit ihren zehn bis 15 Seiten langen Erzählungen durch ihr sportliches und privates Leben.
Keine plumpen Sport-Erinnerungen
Zu plumpen Nacherzählungen von bedeutenden Matches ihrer Karriere lässt sie sich dabei nicht hinreißen. Wenn Petković an wenigen Stellen im Buch solche Ereignisse Revue passieren lässt, dann ist das reichlich selbstkritisch und verweist auf dahinterliegende Wahrheiten, die ihr wichtig sind. So erzählt sie von Überheblichkeit und anderen Probleme mit dem Kopf, der ihr von Zeit zu Zeit einen Strich durch ihre Siegespläne machte. Von Rivalität und Freundschaft, und was diese im Sport ausmacht.
Es geht Petković in diesem Buch merklich nicht darum, ihren eigenen Ruhm zu mehren. Natürlich handelt es sich bei ihr um eine der erfolgreichsten Tennisspielerinnen jüngster Zeit, das verschweigt sie (und die Gestaltung des Buch) natürlich nicht. Aber ebenso wie vom Erfolg erzählt sie vom Scheitern. Von Verletzungen, die sie zurückwarfen. Von der Einsamkeit in schlecht klimatisierten Hotelzimmern am Rande der Welt. Und nicht zuletzt erzählt Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht auch von der Suche nach Identität. So passt sich das Memoir der Tennisspielerin in eine ganze Riege identitäts-erforschender Bücher ein, die in letzter Zeit erschienen sind, von Saša Stanišić bis hin zu Deniz Ohde.
Ihre eigene bosnische Herkunft, das Aufwachsen in Deutschland, die Zerissenheit der eigenen Familie. All das beleuchtet die Tennisspielerin sehr klar, selbstironisch und durchaus analytisch. Diese Klarheit und auch der immer wieder aufscheinende Humor machen aus diesem Buch vielmehr als eine Sportler-Biografie.
Ein großer thematischer Bogen
Dazu ist auch der thematische Bogen, den Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht umspannt, viel zu groß. So erzählt sie vom Touren mit einer Band durch die USA, Freundschaften, Familienritualen, besuchten Konzerten und nicht zuletzt auch von ihren literarischen Leidenschaften. Dass ihr die Literatur von Jonathan Franzen, Philip Roth oder David Foster Wallace ein wirkliches Bedürfnis und für sie sinnstiftend ist, das nimmt man Petković nach der Lektüre des Buchs sofort ab.
Und dass sie die Bücher nicht nur gelesen hat, sondern von ihnen auch gelernt hat, das zeigt das Buch ebenfalls. Wie gutes Erzählen funktioniert, was man besser weglässt und auf was man sich konzentriert, das hat Petković beherzigt. Ihre Geschichten sind konzise, spannend gestaltet und haben auch mir als Tennis-Muffel plastisch einen Eindruck vom Reiz dieses Sports verschafft. Ihre Erzählungen liest man gerne, scheint doch eine wache, belesene, selbstironische und auch selbstkritische Autorin durch die Zeilen durch.
Fazit
Ja, Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht ist ein Buch über Tennis. Aber Andrea Petkovićs Buch ist eben auch so viel mehr. Auch wer nichts von Tennis versteht oder wen dieser Sport nicht übermäßig interessiert – man sollte diesem Buch auf alle Fälle eine Chance geben. Eine interessante und talentierte Erzählerin ist hier zu entdecken, die nicht nur vermittelt, wie man Tennis lesen und verstehen kann, sondern die sich auch für die Fragen von Idenität und Herkunft interessiert. Ihr ist ein Buch gelungen, das man mit dem Begriff Sportler-Memoir kaum erschlägt, und das so viel mehr ist als nur das. Oder um ein vielgenutztes Tenniszitat einmal etwas anders zur Anwendung zu bringen: Spiel, Satz, tolles Buch!
- Andrea Petković – Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
- ISBN: 978-3-462-05405-7 (Kiepenheuer Witsch)
- 272 Seiten. Preis: 20,00 €