Hans Pleschinski – Der Flakon

Vom Elbflorenz nach Pleiße-Athen. In seinem neuen Roman Der Flakon schickt der Münchner Schriftsteller Hans Pleschinski eine Adelige auf eine waghalsige Mission zur Zeit des Siebenjährigen Kriegs. Dabei muss sich das Buch mit dem Vergleich mit einem anderen historischen Roman stellen, bei dem Pleschinskis neues Buch leider den Kürzeren zieht.


Sachsen, 1756. In Leipzig und an vielen anderen Orten kommt die Epoche der Aufklärung zu ihrer großen Blüte. Christian Fürchtegott Gellert schreibt Fabeln, Gottsched und seine Frau reformieren das Theater und die Sprache. Man musiziert, pflegt Freundschaften, sucht in Vorhaben wie dem Zedler’schen Lexikon das Weltwissen zu bündeln. Während im Pleiße-Athen aufgeklärt wird, wird im Elbflorenz Dresden fleißig gesammelt. So kauft Carl Friedrich Heineken als bevollmächtigter Stellvertreter des Premierministers unentwegt Kunstschätze für die königliche Sammlung an, darunter Dürer, Tizian und Holbein. Im Grünen Gewölbe funkeln und strahlen die Geschmeide, dessen Erbauung einst August der Starke veranlasste. Kunst und Kultur allenorten – aber auch der Siebenjährige Krieg steht bereits vor der Tür.

Kampf um Sachsen

Den Startschuss dafür hat Friedrich II. von Preußen im August 1756 gegeben. Mit seinen Truppen überschritt er kurzerhand die Grenzen Sachsens. Er marschiert auf Dresden und Leipzig zu. Reichsminister Brühl ist zusammen mit seinem Herrscher Friedrich August aus Dresden nach Warschau geflohen. Seine Frau Maria Anna Franziska Reichsgräfin von Brühl hat er in seinen Brühlsche Herrlichkeiten geheißenen Prunkbauten zurückgelassen. Sie hofft ebenso wie ganz Sachsen auf eine Intervention der Verbündeten. Österreich unter Kaiserin Maria Theresia, der russischen Zarin Elisabeth Petrowna oder der eigentlichen französischen Staatenlenkerin, Madame de Pompadour. Sie alle sollen dem von Preußen so bedrohten Sachsen beistehen und militärische Unterstützung leisten.

Hans Pleschinski - Der Flakon (Cover)

Doch ein Befreiungsschlag der sächsischen Armee mithilfe der Unterstützung österreichischer Truppen am Königsstein misslingt (nebenbei – was für ein schöner Kofferbegriff aus Pleschinskis früheren Werken Königsallee und Wiesenstein) Die Sachsen werden von Friedrich II. aus dem Feld geschlagen, für die preußische Armee zwangsrekrutiert und dessen Truppen können in ihrem Tun fortfahren, um weiterhin Dresden zu verwüsten und die Stadt Leipzig um horrende Zahlungen zu erpressen.

Reichsgräfin Brühl beschließt in dieser aussichtslosen Lage zu handeln. Sie will von Dresden nach Leipzig aufbrechen, um dem Tyrannen Friedrich II. unter die Augen zu treten. Entscheidende Bedeutung kommt in ihrem Plan dem Mittel Tufania zu, den sie in einem Flakon auf ihrer Reise mit sich führen möchte:

Mit Tufania, vielleicht nur wenigen Tropfen, hatten vor allem im Süden, in Palermo, Frauen ihre grausamen oder greisen Ehemänner beseitigt, mit denen sie verheiratet worden waren. Eine Essenz der Erlösung. Eine bewährte Mischung aus Belladonna, Arsen und Blei. Geruchlos, rasch in der Wirkung und nahezu spurlos. Erst der unbedachte Gebrauch, ein Weiterreichen der Flüssigkeit und dann Bestattungen in Serie hatten auf Sizilien die Behörden alarmiert.

Ein feines Mittel.

Hans Pleschinski – Der Flakon, S. 104

Tyrannenmord als letzter Ausweg

Der Tyrannenmord als letzter Ausweg. Zusammen mit ihrer Kammerzofe Luise von Barnhelm bricht die Reichsgräfin im Winter auf und reist inkognito per Postkutsche. Dabei erfährt sie anschaulich die Verheerungen im Land, sieht Züge jüdischer Geflüchteter und kommt Leipzig auf Umwegen immer näher…

Wenn der Münchner C. H. Beck-Verlag in seiner Werbung und dem Klappentext des Buchs davon spricht, dass Hans Pleschinski hier endlich ein wenig bekanntes Kapitel deutscher Geschichte erzählt, dann stimmt das nur so halb. Mag man auch den preußischen Überfall auf Sachen als entscheidendes Initiationsereignis der Siebenjährigen Kriegs nach dem Geschichtsunterricht auch nicht mehr wirklich präsent im Kopf haben, so wurde dieses Thema literarisch doch erst im vergangenen Jahr behandelt und in diesem Jahr mit einer Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse geadelt. Die Rede ist vom famosen Werk Aufklärung von Angela Steidele.

Zwar legte sie ihren erzählerischen Fokus auf die Leipziger Frauen, die neben ihren Männern und Vätern wie Johann Sebastian Bach oder dem bereits erwähnten Johann Christoph Gottsched die Aufklärung entschieden voranbrachten. Aber gerade im letzten Teil der Aufklärung ist die Belagerung Leipzigs durch die Truppen Friedrichs II. großes Thema, das sie aus der Perspektive der Zivilbevölkerung schildert.

Setzt Hans Pleschinski nun auf die in Teilen gleichen Themen, in Teilen gleichen Handlungsorte und Personen, so provoziert das natürlich einen direkten Vergleich zwischen beiden Werken. Ein Vergleich, in dem Pleschinskis neuer Roman für mich zumindest leider unterliegt.

Hans Pleschinski oder Angela Steidele?

Denn wo Angela Steidele unangestrengt Wissen vermittelte, durch die Wahl der Bach-Tochter Doro als zentrale Erzählerin einen runden und logischen Erzählfluss kreierte und ein rundum überzeugendes Lese- und Bildungserlebnis im Sinne ihres Buchtitels schuf, da liegt bei Hans Pleschinski die Sache etwas anders.

Er hält sich mit vielen Schilderungen der militärischen Lage und zahllosen historischen Randnotizen auf, lässt seine Figuren durch die Gassen Dresdens eilen, ehe dann endlich das entscheidende Komplott der Reichsgräfin geschmiedet wird. Erst nach einhundert Seiten bricht diese dann tatsächlich zur zentralen Kutschfahrt auf, die im Mittelpunkt des Romans steht.

Auch diese wird wieder zum geistesgeschichtlichen Schaulaufen. Pleschinski lässt verschiedene Theorien und Disziplinen in Form von mitfahrenden Kutschgästen und Schenkengästen auftreten. Weltpolitik, Kunst, kulturelle Strömungen, Erfahrungen des Kriegsleids und der allgegenwärtigen Zerstörung, kleine Verweise auf die Gegenwart (etwa wenn die Leipziger auf der Straße mit dem Verweis auf die Einheit als ein Volk demonstrieren), historische Biografien und Wendepunkte wie die Katte-Tragödie – all das fließt in Der Flakon ein. Leider aber rumpelt das Ganze so unelegant und schwerfällig wie die Kutsche der Reichsgräfin auf den sächsischen Wegen.

Fazit

Vielleicht hätte mich Der Flakon ohne die Kenntnis von Angela Steideles in allen Belangen so viel eleganteren Erzählung mehr überzeugt. Auch eine Formung des ganzen als Novelle mit der Kutschfahrt als zentralen Motiv wäre hier vielleicht die bessere Wahl gewesen. So aber verbindet sich hier leider in vielen Passagen erzählerische Langeweile mit geschichtsinformatorischen Overkill, abschweifende Seitenepisoden mit wenig ausgestalteten Figuren. Dass es Pleschinski so viel besser kann, hat er ja etwa in seinem grandiosen Werk Wiesenstein ja bereits bewiesen. Hier hätte ein klarerer Fokus aber notgetan, um im Wettrennen um den überzeugenderen historischen Roman nicht von Angela Steidele abgehängt zu werden.


  • Hans Pleschinski – Der Flakon
  • ISBN 978-3-406-80682-7 (C. H. Beck)
  • 360 Seiten. Preis: 26,00 €
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