Klaus Modick – Der kretische Gast

Goethes Heldin Iphigenie wollte einst das Land der Griechen mit der Seele suchen – Johann Martens ist in Klaus Modicks Der kretische Gast schon dort angekommen. Und dies in mehr als stürmischen Zeiten, wie schon der Ankunftsflug zeigt. Denn nicht nur die Maschine wird in den Luftströmungen über der griechischen Insel durcheinandergewirbelt – auch die politischen Verhältnisse sind mehr als turbulent. Denn Johann Martens betritt im Jahre 1943 die Insel. Die Deutschen haben Kreta mehr oder minder okkupiert, doch die Zivilbevölkerung leistet Widerstand, die Truppenstärke bröckelt und die Siegesserie der Deutschen hat sich schon lange ins Gegenteil verkehrt.

Eine angespannte Lage, von der Martens anfangs nur wenig merkt. Denn ihn führt ein ganz spezieller Auftrag nach Kreta. Er soll für Hitler-Deutschland die Kuntsschätze der Insel dokumentieren und archivieren. Der attisch-hellenistische Kunst mündet laut Meinung der Auftraggeber ja unmittelbar in die arische Kunst – und Martens soll diese blödsinnige These nun mit Material aus Kreta unterfüttern. Dieser kommt seinem Auftrag natürlich gerne nach, hält ihn die Arbeit doch von seiner unter Bombenbeschuss stehenden Heimat fern. Zudem verlor er Eltern und Geliebte in einem Bombenangriff, sodass Kreta für ihn einen Neustart bedeutet. Und dieser nimmt sich auch gut aus. Zusammen mit seinem griechischen Führer Andreas Sidaris erkundet er die Insel, ein klein wenig die Kunstschätze und sehr ausführlich die kretische Lebensart.

Modick zeigt zunächst ein Kreta wie von der Postkarte oder Nikos Kazanthakis‘ Alexis Sorbas. Viel Glückseligkeit, Ouzo, Sonne und Gastfreundschaft. Von den aufziehenden Wolken ist anfangs wenig zu spüren. Aber Klaus Modick ist ein zu guter Schriftsteller, um sich nur auf Griechenlandklischees auszuruhen. Seine Geschichte greift viel tiefer, je weiter die Erzählung voranschreitet. Denn schon bald steht Martens‘ Loyalität auf einem harten Prüfstein, als er sich zwischen seinen Auftraggebern und den rebellischen Kretern entscheiden muss. Und dann ist da auch noch die hübsche Eleni, die Johann gewaltig den Kopf verdreht …

Für die Erzählung wählt Klaus Modick zwei Handlungsstränge, um Johann Martens Schicksal zu erzählen. Da ist zunächst der 1943 spielende Strang, der dessen Abenteuer auf der Insel beschreibt. Sekundiert wird das Ganze von einem 1975 spielenden Erzählbogen, in dessen Mittelpunkt Hollenbach steht, ein junger Mann auf Sinnsuche, der die Geheimnisse seines Vaters ergründen will. Jener Vater war 1943 der Vorgesetzte von Johann Martens – so entfaltet sich ein reizvolles Panorama aus Vergangenheit und Gegenwart, das für viel Abwechslung sorgt.

Über 550 Seiten gelingt Klaus Modick mit Der kretische Gast das, was man landläufig einen wunderbaren Schmöker nennt. Auch wenn dieses Werk Klaus Modicks schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, lohnt die Lektüre des kretischen Gastes immer noch über die Maßen. Klaus Modick ist und bleibt ein wunderbarer Schriftsteller, der mit Keyserlings Geheimnis schon bald wieder von sich hören lassen wird!

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