Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre

Eine Villa vor den Türen Nürnbergs, die Geschichte ihrer Bewohner*innen und mittendrin ein psychisch nicht ganz so gefestigter Erzähler, der tief in die Historie der Villa und der Umgebung eintaucht. Davon handelt Monika Zeiners Roman Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre, in dem die Unschärfe nicht nur im Titel regiert.


Bayern und Franken, das ist eine althergebrachte Antipathie. Grundsätzlich stolz auf ihre Identität – oder besser Idendidäd – ist, klafft zwischen den Franken und dem Rest des Freistaats im Süden nicht nur sprachlich eine Kluft. Während der Süden prosperiert, erfolgreichen Fußball spielt und sich einer reichhaltigen Kulturszene rühmen kann, ist es um Franken nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in der Kunst nicht ganz so rosig bestellt. Abgesehen von Bestsellerautor Ewald Arenz gibt es wenig Literaturschaffende, die das Land zwischen Weißenburg und Würzburg, Coburg und Bamberg auf das literarische Tapet heben. Die Großtat von Fitzgerald KuszSchweig Bub ist nun auch schon wieder fast ein halbes Jahrhundert her – seitdem hat die Literatur das Frankenland fast vergessen, wie es manchmal scheint.

Monika Zeiner, selbst gebürtige Würzburgerin, macht sich nun daran, das zu ändern. Sie, die 2013 für ihren Debütroman Die Ordnung der Sterne über Como für den Deutschen Literaturpreis nominiert war, liefert nun elf Jahre später mit Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre ihren zweiten Roman ab. Handlungsort ist das fiktive Städtchen Gründlach in der Nähe Nürnbergs. Dort, eingebettet zwischen den Fabriken von SchwanStabilo, Faber-Castell, Staedtler und der Lyra-Bleistiftfabrik liegt sie, die Villa Sternbald, der der Erzähler Nikolas Finck entstammt.

Ein Familienroman aus Franken

Der Reichtum seiner Familie gründet auf einer Firma, die sich in diesen Landstrich reich an Schreibmaterialien produzierendem Gewerbe hervorragend einfügt. Denn Niklas Ururgroßvater Ferry erfand einst ein Schulmöbel namens Columba-Schulbank. Bis in die deutschen Kolonien reichte die Verbreitung dieses Möbels, für das er 1897 auf der Erfindermesse in Paris sogar einen Preis zugesprochen bekam und den Grundstein der Schulmöbelfabrik Finck legte.

Monika Zeiner - Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre (Cover)

Weitere Möbel-Innovationen anderen Generationen von Fincks sollten folgen, darunter etwa ein Kufenstuhl, der den Erfolg der Fincks in neuere Zeiten überführte. Nun steht sogar ein potentieller Börsengang ins Haus, Unternehmensberater sind in der Villa Sternbald zu Gast – und auch Nikolas kehrt heim in das mittlerweile etwas abgewohnte Zuhause mit Blüthner-Flügel und weggeschlossenen Fotografien und Erinnerungen in der Dachkammer.

Während Nikolas sich nach einem Vorfall an einem Filmset zurückgezogen hat und ein Drehbuch-Treatment aus seiner Feder gerade beim BR liegt, ist er nun zurück nach Gründlach gekehrt, um ein Wochenende im Schoß der Familie zu verbringen. Doch nicht nur an dieser Stelle grüßt Thomas Manns Zauberberg, wenn sich der eigentlich kurz angedachte Aufenthalt im Haus auf dem Hügel zusehends verlängert.

Die Zeit dort im Fränkischen nutzt Nikolas nun, um sich in die Geschichte der Fincks einzugraben, die von anderen Gründlachern auch „Erzgauner“ geheißen wurden. Es überlagern sich Episoden der Großväter und Ur-Großväter – und nicht nur die Unternehmensberater tauchen in die Zahlen und Geschichte der Firma ein. Auch Nikolas blickt im Lauf des Buchs genauer auf das familiäre Erbe und die eigenen Defekte, die das Erbe bei ihm gezeitigt hat.

Ein geschärfter Blick und viel Unschärfe

Dabei ist es ein durchaus bemerkenswerter Widerspruch in diesem Roman, dass sich zwar auf den letzten Seiten dieses Buchs der Blick von Nikolas auf die eigene Geschichte und die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs der Schulmöbelfabrik schärft – das Buch aber weitestgehend auf die titelgebende Unschärfe als Erzählkonzept setzt. Denn so etwas wie einen klaren Fokus oder eine erzählerische Stoßrichtung weist Monika Zeiners über 660 Seiten starkes Buch nicht auf. Im Gegenteil.

Vielleicht hört Emmy ungern Wagner, weil sie ihm darin nicht begegnen will. Einmal, vor langer Zeit, hat er ihr einen Klavierauszug des „Tristan“-Vorspiels geschenkt. Er stellte ihr die Noten hin. War das noch vor dem Großen Krieg? Sie spielte die ersten Töne, den Tristan Akkord, wie fragend tastete sie sich in die Musik, die sich unter ihren Fingern dehnte, immer weiter dehnte sie die Harmonik, die Ordnung der Töne, die Sehnsucht, sodass ihr Körper vom tosenden Klang hin und her geworfen wurde wie von einem Sturm und sich alles zu überschlagen schien, weiter, höher, noch höher taumelte die Musik, ins Unendliche, bis Emmy mitten im Spiel abbrach.

Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre, S. 424

Jener hier anklingende Tristan-Akkord, den Richard Wagner in seinem Musikdrama Tristan und Isolde in das Vorspiel hineinkomponiert, beschäftigt in seiner Uneindeutigkeit bis heute die Musiktheoretiker. Monika Zeiner ist nun das Kunstwerk gelungen, mit Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre eine Art literarischen Tristan-Akkord vorzulegen.

Überlagerungen und Interferenzen

Denn auch hier überlagert sich alles und lässt sich nicht wirklich eindeutig zuordnen. Erzählte Vergangenheit und Gegenwart, Generationen, innere und äußere Handlung, alles steht miteinander in Wechselwirkung und sorgt für Interferenzen und Irritation.

Nikolas taucht in seine Erinnerungen an seine eigene Kindheit ein, ruft in Erinnerungen sein Aufwachsen in der Villa Sternbald auf und blick auf die psychologische Zerrüttung, die sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter fortsetzt. So erfand er sich ein Alter Ego als Aerophonautiker, erging sich in Lügen und bewahrt bis heute ein schwankendes Verhältnis zur Realität, was Monika Zeiner gekonnt zu schildern vermag.

Überhaupt ist es die psychologische Komponente, die die Autorin in ihrem Roman noch viel mehr als Äußerlichkeiten oder eine klar konturierte Gestaltung ihrer Figuren interessiert. Egal ob zeitweise Affäre mit seiner Schwägerin und die noch existente Anziehung für eine Kindheitsfreundin, ein medizinischer Eingriff und das Ende von Nikolas einstiger Beziehung, alles bleibt so ungefähr wie auch die ökonomische Gegenwart der Firma, die von den Unternehmensberatern aktuell durchleuchtet wird.

Erzählerischer Nebel

Villa Sternbald oder die Unschärfe der Jahre ist voller Nebel, der sich hier zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Schweigen und Betrachtungen ausbreitet. Das ist sehr stimmig, ist dieser Nebel doch auch erprobtes Mittel der Familie, um sich selbst den Blick auf die eigene Geschichte und der Herkunft des Familienvermögens eben zu „vernebeln“.

Durchblick bekommt man als Leser so allerdings auch nicht unbedingt, insbesondere wenn sich Nikolas in manischen Monologen in Gesprächen ergeht, die sich über Seiten erstrecken. Mir schien während der Lektüre an vielen Stellen, als ob Monika Zeiner selbst etwas der Durchblick ob der ganzen Stoff- und Motivfülle verlorengegangen wäre.

Will Villa Sternbald oder die Unschärfe der Jahre nun eine Familienchronik einer fränkischen Familie seit dem Beginn des 19 Jahrhunderts sein oder soll der Roman die psychologischen Verwundungen einer Unternehmerdynastie nachspüren – oder will der Roman gar ein Bild der Pädagogik und Erziehung vom Kaiserreich bis in die Gegenwart hinein zeichnen? Alles ein wenig – aber nichts so wirklich überzeugend, wie es sich für mich nach der Lektüre der knapp 700 Seiten darstellt.

Klarerer Fokus hätte mir den Zugang zu Monika Zeiners Roman erheblich erleichtert. Das Buch fordert in seiner opaken Gestaltung heraus und weiß seinen erzählerischen Punkte, allen voran der kritischen Aufarbeitung von Unternehmensgeschichte im Dritten Reich, leider auch nicht viel Neues hinzuzufügen.

Fazit

So ist Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre leider nicht der große Wurf, der Franken zurück auf die literarische Deutschlandkarte bringt, obgleich zwischen Waischenfeld und strömender Pegnitz, Sebalduslegende und Nürnberg-Spaziergang jede Menge Lokalkolorit auch kritischer Natur enthalten ist. Etwas weniger Unschärfe, mehr Fokus und eine klarere Erzählabsicht wären hier zumindest für mich die Gestaltungsmittel gewesen, die Monika Zeiners Buch mehr literarische Durchschlagskraft verliehen hätten.


  • Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre
  • ISBN 978-3-423-44496-5 (dtv)
  • 672 Seiten. Preis: 28,00 €
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