Sophia Klink – Kurilensee

Düngen oder nicht düngen, dass ist hier die Frage. In ihrem Debütroman Kurilensee beschreibt Sophia Klink das Leben einer jungen Naturwissenschaftlerin am russischen Kurilensee, die sich mit ihrem Forschungsteam mit einer schwierigen Frage auseinandersetzen muss. Soll man als Mensch in das Ökosystem im See eingreifen, indem man den See mit Phosphat düngt, um so das System zu erhalten – oder macht man damit alles nur schlimmer?
Bei dieser Entscheidungsfindung blickt die Autorin auf das Innere des Sees genauso wie auf das Innenleben ihrer Erzählerin.


Dass die Lachse zum Laichen und Sterben den Fluss hinaufziehen, das besang nicht nur Thees Uhlmann in einem Lied – auch aus Naturdokumentationen ist dieses Faktum hinlänglich bekannt. Wie komplex allerdings die Einbettung des Lachses in das Ökosystem ist, das ist ein Thema, dem die Autorin Sophia Klink in ihrem Debütroman Kurilensee detailliert nachgeht. Denn sie erzählt von der jungen Naturwissenschaftlerin Anna, die an einem Forschungsprojekt beteiligt ist, das seine Zelte beziehungsweise seine Forschungsstation am Kurilensee aufgeschlagen hat.

Weitab jeglicher Zivilisation ist der See auf der russischen Halbinsel Kamtschatka gelegen, wo tausende von Lachsen der Sorten Nerka oder Gorbuscha im See laichen und den zahlreichen Braunbären als Futterquelle dienen. Der Klimawandel aber macht selbst vor solch abgelegenen Regionen wie dem Kurilskoye, wie der See auf Russisch heißt, nicht halt. Und so führen Anna und ihre Kolleg*innen vor Ort detaillierte Messungen durch, um diese Veränderungen zu dokumentieren.

Lachse im Kurilensee

Sophia Klink - Kurilensee (Cover)

Deutlich zeigt sich bei diesen Studien, dass die Zahl der Lachse dramatisch zurückgeht, weswegen bei Projektverantwortlichen die Idee gereift ist, mit einer Ausbringung von Phosphatdünger im See in den ökologischen Kreislauf einzugreifen. So will man die Produktion von Algen anregen, um darauf aufbauend die Nahrungsketten im See zu unterstützen. Doch nicht nur das Forschungsteam vor Ort ist uneins, auch Anna treibt die Frage einer potentiellen Düngung und den Folgen dieses Eingriffs in die Natur um quält sie stetig.

Immer wieder bleibe ich an neuen Informationen hängen. Dabei habe ich diese Studien schon tausendmal gelesen. Die berühmten Nutrient Enrichment Programmes im Kootenay-Reservat. Salmon Management im Great Central Lake. Fast alle Studien berichten von einem positiven Effekt. Die Algen wachsen immer besser. Aber anschließend kann das Nahrungsnetz unendlich viele Wege nehmen. Reine Glückssache, ob die Fischerträge steigen. Ob die Grundannahmen stimmen. Algenblüten sind erst recht unkontrollierbar. Selten habe ich Studien gelesen, die ihre Knowledge Gaps so deutlich zugegeben haben.
Sobald wir mit dem Düngen aufhören, wird eh alles nur noch schlimmer werden. Neunundneunzig Prozent des Düngers wird niemals bei den Lachsen ankommen. Er landet irgendwo im System, wird sich erst in Jahrhunderten bemerkbar machen. Nichts, was jemals untersucht worden wäre. Wie soll ich mich da für eine Seite entscheiden?

Sophia Klink – Kurilensee, S. 129

Diese Zwiespalt beschreibt Sophia Kling eindringlich, indem sie höchst detailliert von den biologischen Abläufen und dem Forschungsalltag dort am Kurilskoye erzählt. Schwitzen in der Sauna, Erkundungsgänge rund um die Forschungsstation, dazu wissenschaftliche Papers und ein Blick der Erzählerin, der sogar auf die Zellebene zielt und der die Ganzheitlichkeit und die Fragilität von ökologischen Systemen über ganze Monate hinweg in den Blick nimmt.
Das führt unter anderem dazu, dass Kurilensee mit der genauesten und vielleicht auch schönsten Beschreibung eines Moskitostichs seit Christian Krachts Imperium aufwarten kann.

Nature Writing und Science Writing

Es ist eine Mischung aus Nature Writing und Science Writing, der den wissenschaftlichen Hintergrund seiner Autorin gar nicht verhehlen will. Denn Sophia Klink promovierte selbst über die Symbiose von Bakterien und Pflanzen und verbrachte einen Forschungsaufenthalt in Russland, was sich alles deutlich in ihrem Debüt niederschlägt. Manchmal kippt das Ganze dabei fast in den Ton eines wissenschaftlichen Papers, zeigt aber auch den strukturierten und mikroskopisch feinen Blick der Erzählerin, wenn es etwa um die Frage eines Eis geht, der diesen Blick vom Allgemeinen zum Feinen deutlich zeigt.

Manchmal vermisse ich ein hartgekochtes Ei zum Frühstück oder ein verlorenes Ei in der Suppe. Als Studentin habe ich oft ein Ei in meine Suppe geschlagen und zugeschaut, wie das Eiweiß von den Rändern ausgehend milchig wird. Ich stelle mir die Albumine vor, die unwiderruflich denaturieren. Wie sich die Tertiärstruktur verändert, oder was auch immer die optische Dichte erhöht. Die Wasserstoffbrücken brechen auf, hydrophobe alpha-Helices krümmen sich nach außen. Die Proteine bleiben aneinanderkleben, flocken aus zu einem gestockten Mantel aus Eiklar.

Sophia Klink – Kurilensee, S. 88

Das Ei ist dabei ein hervorragendes Symbol nicht nur für die Erzählweise des Romans, es stellt auch das zentrale Thema der Fertilität in den Mittelpunkt, das mit zunehmender Dauer im Roman Einzug hält. Denn obschon die ersten hundert Seiten des Romans in ihrer Beschreibungsfülle Gefahr laufen, dass mit fortschreitender Dauer wieder das dem Genre Nature Writing innewohnende Problem der Spannungslosigkeit auftritt, entgeht Sophia Klink diesem Problem geschickt. Denn nicht nur, dass mit dem Thema der möglichen Düngung des Sees ein Dilemma etabliert wird, zu dem sich die Figuren verhalten müssen. Auch ist die Frage des eigenen Nachwuchses ein Thema, das immer wieder in Kurilensee mitschwingt.

Fertilität und Fragilität

Kann man als Naturwissenschaftlerin mit genauem Blick für die Zerbrechlichkeit unseres Lebens und unserer Existenz im ökologischen Kreislauf guten Gewissens Kinder bekommen? Ist ein Kinderwunsch legitim, was macht ein solcher Wunsch mit einem, wie verändert sich der Körper – und ist es vernünftig, sich selbst fortzupflanzen? Mit dem Blick der auch sich selbst sezierenden Biologin nähert sich Klinks Erzählerin dieser Frage und setzt dabei noch eine Spur vor anderen, wie dem jüngst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Roman Halbinsel von Kristine Bilkau an, in dem diese subtil die Frage von der Erziehung von Kindern in Zeiten kollabierender Ökosysteme umkreiste.

Das alles macht aus Kurilensee einen Roman, der vielschichtiger ist, als es zunächst den Anschein hat. Mit dem mikroskopisch genauen Blick- und Denkapparat seiner Erzählerin tauchen wir immer tiefer in die Welt des Calderasees dort in der russischen Einöde ein und bekommen ein Gespür für die Komplexität und Fragilität der ökologischen Systeme, in denen wir uns als Menschen eigentlich nur falsch verhalten können. Wer Freude an dem präzisen und ausgreifenden Erzählen von Autor*innen wie Esther Kinsky, Ulrike Draesner oder Marion Poschmann hat, dem dürfte auch Kurilensee ausnehmend gut gefallen!


  • Sophia Klink – Kurilensee
  • ISBN 978-3-627-00330-2 (Frankfurter Verlagsanstalt)
  • 224 Seiten. Preis: 24,00 €
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