Wenn Geflüchtete vom Himmel fallen. Steffen Mensching dreht in seinem neuen Roman Hausers Ausflug an den Stellschrauben der Realität und zeigt eine beunruhigende Zukunftsvision, die ebenso erschreckend wie durchaus denkbar erscheint.
Wenn es um die Abgrenzung vor Geflüchteten geht, dann hat Europa bereits ein ganzes Arsenal von Abwehrmechanismen installiert. Das reicht von der Grenzschutzeinheit Frontex und deren illegalen Pushbacks bis hin zu Zäunen und Mauern, mit denen sich der Westen vor Geflüchteten abschirmt. Man spricht von Flüchtlingswellen, warnt, dass sich das Jahr 2015 mit seinem Zustrom an Geflüchteten nicht wiederholen dürfe und pflegt Ressentiments gegenüber den Fremden.
Steffen Mensching entwickelt nun die Idee von der Abwehr und Rückführung von Geflüchteten in ihre Heimatländer noch ein ganzes Stück weiter. Diese Idee erschließt sich dem Leser von Hausers Ausflug aber erst stückweise. Denn zum Beginn ist alles genesisgleich dunkel in Menschings Roman.
David Hauser kommt langsam zu sich und muss feststellen, dass er sich im Inneren einer Box befindet – und diese wiederum muss sich an Bord eines Flugzeugs befinden. Ihm fehlen zentrale Erinnerungen an den letzten Abend und daran, wie er in diese Box gekommen ist. Doch um welche Box es sich handeln muss – insbesondere da sie sich in der Luft befindet – das wird ihm schnell klar, und damit auch langsam den Leser*innen.
Abwurf über dem Herkunftsland
Denn Hauser ist der CEO der Firma AIRDROP. Diese hat ein ebenso perfides wie einträgliches Geschäftsmodell ersonnen, das sich in der Zukunft unter europäischen Staaten großer Beliebtheit erfreut. Hausers Firma kümmert sich um die „Rückführung“ von Geflüchteten, die von AIRDROP nicht mehr per aufwändigem Abschiebeflug durchgeführt wird, der oftmals an Bürokratie oder unkooperativen Heimatländern scheiterte. Stattdessen bedient sich die Firma der Logik von Amazon und Co und betrachtet die Geflüchteten nur noch als zu versendende Fracht .
Geflüchtete werden in Boxen gepackt und per Flugzeug über ihrem jeweiligen Herkunftsland abgeworfen. Ausgeklügelt konstruiert mit Fallschirm und Bienenwabentechnik im Inneren der Box sollen sie so in ihre Heimatländer zurückgeführt werden, auf dass sie das paradiesische Europa nicht mehr betreten.
Ein Geschäft, dass in Hausers Augen und denen seiner Auftraggeber bisher nahezu reibungslos funktioniert hat, ein paar bedauerliche Todesfälle einmal ausgenommen. Doch nun steckt eben Hauser selbst in einer Box und findet sich schon bald in einer unwirtlichen Bergregion wieder, ausgestattet mit fremden Klamotten, Zigaretten, Multivitaminriegel und einem Pass auf den Namen Walid Said.
Wer hat Hauser in die Box gesteckt? Wer hat es auf ihn abgesehen? Wo steckt er überhaupt? Und was soll das alles? Viele Fragen plagen den Manager, der nun aber in der kargen Umgebung erst einmal um sein Überleben kämpfen muss, ohne Orientierung und eine Idee, wie ihm geschieht.
Hausers Ausflug zeigt einen Mann in völliger Konfusion, der vom Abschieber zum Abgeschobenen wird. Lief sein Geschäftsmodell gerade durch die Anonymität der Abwürfe prächtig, so sieht er sich nun auf einmal auf der anderen Seite des Tischs beziehungsweise im Inneren der Box sitzend.
Ein Mann im Überlebenskampf
Langsam erschließt er sich seine Welt und trifft in seinem Überlebenskampf auf einen anderen Menschen dort in der steinigen Mondlandschaft. Und ebenso langsam entsteht ein Bild der Welt, in der AIRDROP so großen Erfolg hat, wenngleich die satirische Überzeichnung der Gegenwart mit ihrem Rechtsdrall nicht zu den stärksten Aspekten des Buchs zählt.
Auch ist die Auflösung des Ganzen nicht wirklich befriedigend, verzichtet Steffen Mensching doch auf Erklärungen und lässt auch sein Buch im Handlungsbogen dann am Ende abbrechen. Die äußeren Rahmenbedingungen im Roman werden allenfalls skizziert, sind des Öfteren nicht wirklich plausibel gestaltet und rumpeln etwas vor sich hin.
Ihn interessiert in meinen Augen eher das Geschäftsmodell des Geflüchtetenabwurfs und die Dilemmata, denen sich Hauser nach seinem Absturz in der Wüste gegenübersieht. Plötzlich muss Hauser selbst ums Überleben kämpfen, er der sich früher allenfalls in den Anfangstagen seiner Firma noch für Listen mit abgeworfenen Geflüchteten interessierte und nun eher das süße Leben mit seinen Annehmlichkeiten und gewebten Socken genießen möchte, denn sich mit den Auswirkungen seiner Geschäftspraxis zu beschäftigen. Wie nimmt er sein Schicksal an, wie kreisen seine Gedanken? Das untersucht Steffen Mensching hier einmal mehr, indem er einen Mann in die Extremsituation eines Überlebenskampfs wirft.
Fazit
Sobald sich Hausers Ausflug weg von seiner Figur bewegt, wackelt die Konstruktion. Da aber, wo Steffen Mensching ganz dicht dran bleibt an seinem CEO auf Abwegen, da ist das Buch stark und zeigt einen Menschen im Überlebenskampf und eine perfide Technik, deren Einsatz hoffentlich Fiktion bleiben möge, auf dass Humanismus und Mitmenschlichkeit gewinnen.
- Steffen Mensching – Hausers Ausflug
- ISBN 978-3-8353-5305-3 (Wallstein)
- 249 Seiten. Preis: 22,00 €