Je näher das Ende des Clubs am Exerzierplatz rückt, umso hochkarätiger das Booking der Augsburger Institution. Als einer der letzten Acts las nun Benjamin von Stuckrad-Barre in der Kantine. Wobei der Begriff Lesung den Abend nur unzureichend erschlägt.
Zum Abschied des Kiepenheuer-und-Witsch-Verlegers Helge Malchow widmete die Wochenzeitung Die Zeit dem Kölner ein ganzseitiges Interview. Die Eingangsfrage, die Malchow gestellt wurde, lautete wie folgt:
Mal angenommen, jeder Verlag hätte seine spezifische Droge, dann ging es früher im Suhrkamp-Verlag eher um den Alkohol, während bei Kiepenheuer&Witsch Kokain die symbolische Droge wäre, oder?
Helge Malchow; Ach die Popliteratur
Der Mann, der für dieses Bild prägend gewesen sein dürfte, ist KiWi-Hausautor Benjamin von Stuckrad-Barre. Früher stets als Popliterat gelabelt, machte er Anfang der 00er von sich reden. Genau vor zwanzig Jahren erschien einem Paukenschlag gleich sein Debüt Soloalbum. Es machte den Autoren schlagartig berühmt und ließ das Feuilleton aufhorchen.
Behauptete er bei seiner Lesung in Augsburg zwar unter einigem Gelächter, er hätte das Buch abgeschrieben, da er den Film mit Matthias Schweighöfer so toll fände, war es doch in Wahrheit anders herum. Das Buch war der Wellenbrecher für die Renaissance der Popliteratur, zu deren führenden Vertretern Stuckrad-Barre neben Alexa von Henning-Lange und Christian Kracht zählte.
Die Lesung und das Kokain
Doch der Erfolg, er stieg Stuckrad-Barre im wahrsten Sinne zu Kopfe, wovon er auch bei seinem Lesungsabend erzählte bzw. vorlas. Bei einer Abstimmung des Publikums gewann nämlich ein Text aus seinem Livealbum gegen einen Soloalbum-Text. Gegenstand des Textes war eine Lesung in Göttingen vor genau 20 Jahren, die er zusammen mit Christian Kracht bestritt.
Die beiden jungen Männer waren dort als Doppellesung gebucht, das Feuilleton berichtete intensiv über die jungen wilden Literaten. Und Christian Kracht und Stuckrad-Barre zelebrierten diesen Erfolg mit Drogen. Mit vielen Drogen. Weswegen die Lesung in Göttingen zu einem surrealen Trip auf Kokain und Pillen wurde, der sich in der Nacherzählung von von BvSB in eine pointensatte Story verwandelte, die beständige Heiterkeitsanfälle aus dem Publikum evozierte.
Generell war es ein Abend, der in Sachen Humor keine Gefangenen machte. Stuckrad-Barre hatte sich nur die komischen Absturzgeschichten und Eskapaden ausgesucht. Der einzige ernste Text des Abends war gleich die Lesung aus seinem Büchlein Nüchtern am Weltnichtrauchertag (mit lediglich 8 Euro Einkaufspreis ein perfektes Nikolausgeschenk, wie der Autor die kleine Monographie anzupreisen wusste). Sein großer Comeback-Roman, Therapiebericht und die Udo-Lindenberg-Hagiographie Panikherz blieb an diesem Abend außen vor.
Michael Michalsky, Sebastian Fitzek und Tattoos
Stattdessen streute BvSB in und zwischen die Texte immer wieder aktuelle Betrachtungen, Sebastian-Fitzek-Lästereien und Anekdoten. Mal über den Zustand der SPD oder mal über jene Geburtstagsparty von Michael Michalsky in Los Angeles, auf der BvSB den Moment verpasste, in dem sich Heidi Klum und Tom Kaulitz annäherten. Das war hochkomisch und von einer sehr genauen Beobachtungsgabe geprägt, die ja generell die Qualität von Stuckrad-Barres gesamtem literarischen Oeuvre kennzeichnet.
Ansonsten kamen zwei Texte aus dem aktuellen literarischen Sammelsurium Ich glaub mir geht’s nicht so gut. Ich muss mich mal irgendwo hinlegen. Remix 3 zum Vortrag. Eine hochpoetische Erzählung über einen verliebten Besuch beim Tätowierer und der Frage, was am Ende von der Liebe bleibt. Und die andere Erzählung war eine Reportage von einem Madonna-Konzert, die eine ganz neue Ebene eröffnete. Dies gelang, indem BvSB konsequent Madonnas Namen durch den von Annegret Kramp-Karrenbauer ersetzte. Klingt wild, war im Endeffekt aber eine sehr lustige da surreale Angelegenheit.
Doch neben der Lesung in der Kantine bot Benjamin von Stuckrad-Barre auch anderweitig großes Kino. Ohne eine einzige Pause oder einen Abgang vor der Zugabe begann er gleich vom Punkt weg sein Programm. Als Entgegenkommen für das Publikum gab es dabei einen Aschenbecher, der im Lauf der Show ein ganzes Sit-In auf der Bühne hervorrief. BvSBs Analyse der Lage: „Sieht ein bisschen aus wie Kinderquatsch mit Michael“.
Back for good & Angels
Für die lockere Atmosphäre sorgte auch die Hingabe des Autors, der neben der Verlosung für das Erkennen eines Brecht-Zitats in der Brechtstadt zudem zwei musikalische Einlagen gab. Um zurück in die Soloalbum-Zeit und das Gefühl der 90er zu finden, animierte er den kompletten Flammensaal zum Singen des Take-That-Klassikers „Back for good“. Und bei der Zugabe von „Angels“ gab es dann kein Halten auf den Stühlen mehr.
Selten habe ich eine Lesung erlebt, die derartig kurzweilig, von großartigem Humor und so viel Spaß durchzogen war, wie dies beiIch glaub mir geht’s nicht so gut. Ich muss mich mal irgendwo hinlegen. Remix 3 der Fall war. Danke Benjamin von Stuckrad-Barre für diesen Abend. Und für alle anderen – hingehen, wenn er in der Nähe ist!