Er zählt zu den großen Unbekannten der deutschen Literaturgeschichte: Eduard von Keyserling. Auf eigenen Wunsch des Dichters wurde der künstlerische Nachlass dieses Autoren fast vollständig vernichtet. Bilder existieren von ihm kaum, die bekannteste Darstellung des Poeten stammt aus der Hand von Lovis Corinth. Dieses Bild zeigt einen Mann, den man wahrlich nicht schön nennen kann, dafür aber sehr markant. Wie es zu dieser Darstellung von Keyserlings kam und welche Geheimnisse den baltischen Dichter umwittern, das versucht Klaus Modick in seinem neuen Roman Keyserlings Geheimnis zu ergründen.
Zurück ins Jahr 1901
Dabei entführt Modick zurück ins Jahr 1901 und mitten hinein ins Treiben der Schwabinger Bohème. Illustre Namen, die heute teilweise schon wieder vergessen sind, streifen von Keyserlings Lebensweg, der sich in jenem Müncher Stadtviertel ein Zimmer genommen hat und dort am liebsten den ganzen Tag flanieren und dichten möchte.
Andere Poeten wie etwa Frank Wedekind begegnen dem adligen Balten genauso wie längst vergessene GesellschafterInnen, beispielsweise Franziska zu Reventlow oder Max Halbe. Der junge Thomas Mann steht am Anfang seiner Schriftstellerkarriere, Stefan George begründet mit seinem George-Kreis eine neue Form der Lyrik; die Moderne greift in Malerei, Dichtung und Musik um sich. Ein höchst spannendes Kapitel Kultur- und Zeitgeschichte also, in dem sich von Keyserling bewegt und an dem Modick die Leser teilhaben lässt.
Sommerfrische am Starnberger See
Zusammen mit seinen Freunden, dem Dichter Max Halbe und dem Maler Lovis Corinth, beschließt von Keyserling, die Sommerfrische am Starnberger See zu verbringen. Die Freunde wollen mitsamt Anhang dem Trubel der Großstadt entkommen und draußen am Land ihre jeweiligen künstlerischen Werke vorantreiben. Während die Szenerie am Starnberger See von Keyserling stark an seine Kindheit und Jugend in Kurland (dem heutigen Baltikum) erinnert, packt Corinth seine Staffelei aus und bittet von Keyserling, ihm Modell zu sitzen. Aus jenen Stunden des Modellsitzens soll später das bekannteste Porträt des Balten entstehen. Corinth zeigt auf seinem Bild einen entstellten Mann, körperlich durch eine Syhilis-Infektion schwer gezeichnet. Dem Vernehmen nach soll von Keyserling selbst nach der Fertigstellung über jenes Porträt geäußert haben, so möge er lieber dann doch lieber nicht aussehen.
Dabei bleibt Eduard von Keyserling seinen Freunden ein stetiges Mysterium, denn der Dichter scheint nicht greifbar. Seine Vorgeschichte, seine Familie – eigentlich sein ganzes Leben liegt im Dunkeln und bleibt deshalb für seine Freunde so spannend, die ihm gerne Details entlocken möchte. Diese erfährt allerdings nur der Leser, denn Modick unterbricht die Rahmenhandlung der Sommerfrische immer wieder, um diese mit Rückblenden zu verschneiden, ehe sich dann Vergangenheit und Gegenwart zum Ende des Buchs hin überlappen.
Die Wiederentdeckung eines vergessenen Dichters
Eng entlang der historische verbürgten Wirklichkeit erzählt Modick und bringt dem Leser diesen lange vergessenen Dichter wieder etwas näher (eigentlich im Grunde genau dasselbe, das Hans Pleschinski im großartigen, ebenfalls in dieser Literaturfrühling erschienenen Roman Wiesenstein mit Gerhart Hauptmann tut). Zwar erreicht Modick zu keinem Zeitpunkt die sprachliche Brillanz Pleschinskis, dennoch ist Keyserlings Geheimnis ein wirklich unterhaltsamer Roman über die Schwabinger Boheme und das Phänomen Eduard von Keyserling.
Und wer nach der Lektüre Lust auf den baltischen Dichter bekommen hat, dem sei an dieser Stelle noch das Werk Wellen empfohlen. Eine schöne Novelle aus der Kurischen Nehrung von dem Mann, der von Freunden zeitlebens auch der baltische Fontane genannt wurde.