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Geovani Martins – Via Apia

Gibt es Hoffnung in den Favelas? Liest man Via Apia, den Romanerstling des brasilianischen Schriftstellers Geovani Martins, dann ist man geneigt, diese Frage mit Nein zu beantworten. Denn mögen sich auch die Herrschaftsverhältnisse ändern, die Polizei in den Slums in Rio einrücken – viel Veränderung oder gar Besserung bringt all das nicht. Mag zwar die Versorgung mit bewusstseinserweiternden Substanzen reibungslos funktionieren, so mangelt es aber entscheidend an Hoffnung. Starke Lektüre, die Elemente des Kriminalromans und der Gesellschaftsanalyse vereint und in der Tradition der Romane eines Richard Price steht.


Bei Via Apia handelt es sich um eines jener Bücher, bei denen man während der Lektüre nicht zu tief einatmen sollte. Denn die Gefahr von passivem Kiffen oder anderweitigem Drogenkonsum ist hier durchaus gegeben. Martins Protagonisten rauchen den Tag Cannabis oder konsumieren Kokain. Die Drogen sind überall und allezeit verfügbar. Das ist aber auch schon so ziemlich das einzige, was in den Favelas reibungslos funktioniert. Deutlich schlechter sieht es aus, wenn es um die Frage von Perspektiven und Hoffnungen für die Bewohner von Rocinha geht.

Perspektivlosigkeit in Rocinha

Geovani Martins - Via Ápia (Cover)

Diese in Rio de Janeiro gelegene Favela ist die größte ihrer Art in ganz Lateinamerika, wie es in einer Stelle im Roman heißt. Sie bildet den Hintergrund (oder vielmehr fast den Vordergrund) von Martins Geschichte, mit der er sich nach seiner Kurzgeschichtensammlung erstmals an die Langform eines Romans wagt.

Mehrere Figuren stehen im Mittelpunkt seines Romans, die sich in Rocinha immer wieder begegnen, gemeinsam Party machen, haufenweise Drogen konsumieren und zumeist in den Tag hineinleben. Denn Perspektiven für die jungen Männer gibt es kaum. Man verdingt sich im Betreuungsservice für Kindergeburtstage von Oberschichtenkids, dient im Militär, versucht sich als Tätowierer oder findet eine Anstellung im Service eines Restaurants. Solche Momente zur Verbesserung der eigenen Lebenssituation sind aber rar gesät.

Denn auch wenn der Roman im Sommer 2011 spielt und die Stadtregierung darum bemüht ist, das Treiben in Rocinha und den anderen Favelas der Stadt angesichts der bevorstehenden olympischen Spiele zu disziplinieren, um ein positives Bild der Stadt zu zeichnen – es mag alles nicht fruchten. Zwar ziehen sich die eigentlichen Machthaber im Viertel zurück, das Militär rückt ein, um die Favela zu „säubern“ – die Hoffnungslosigkeit bleibt, allzu tief ist doch sie doch auch schon in die jungen Menschen dort eingeschrieben. Seine Herkunft kann man nicht verleugnen, egal wie viel Haschisch oder Kokain man auch konsumieren mag.

Drogen als verbindendes Element der Favela-Gesellschaft

Ähnlich wie in seinen zuvor erschienenen Kurzgeschichten oder Martins Landmann José Falero in seinem Roman Supermarkt zeigt auch Martins in Via Ápia wieder die Drogen als verbindendes Element der Gesellschaft, gegen die jeglicher Kampf aussichtslos scheint. Die Drogen als Währung und System, das vom organisierten Verbrechen schon längst auf die Zivilbevölkerung übergegriffen hat und die Favela durchsetzt hat, das erinnert auch stark an die Romane von Ryan Gattis und insbesondere an die Werke von Richard Price, die wiederum stark die Entstehung von Serien wie The Wire beeinflussten.

Liest man Geovani Martins Roman, so wirkt dieser an vielen Stellen wie die brasilianische Entsprechung dieser Art großstädtischer Milieustudie, nur dass es hier eben die schmutzigen Gassen der Favela sind, vor deren Hintergrund sich die großen und kleinen Deals des Lebens abspielen. Und ebenso mitreißend wie gutes Serienfernsehen ist auch die Erzählweise Martins, der immer wieder von einem der jungen brasilianischen Männer zum nächsten wechselt und so die Handlung in Via Ápia vorantreibt.

Fazit

Konnten mich seine Kurzgeschichten nicht wirklich für sich einnehmen, kommt Martins Talent für Milieuschilderungen und Hoffnungslosigkeit hier deutlich besser zum Tragen. Sein Roman drängt voran, schildert glaubhaft die Ausweglosigkeit des Lebens dort in Rocinha ebenso wie die ubiquitären Drogen, gegen die kein Kampf zu fruchten scheint.

Übersetzt von Nicolai von Schweder-Schreiner ist Via Ápia ein starkes Buch, das hineinblickt in die Favelas und so neben Zuckerhut-Klischees und den politischen Volten einem Teil des täglichen Lebens in der brasilianischen Hauptstadt mit viel literarischem Drive Raum gibt.


  • Geovani Martins – Via Ápia
  • Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner
  • ISBN 978-3-518-43142-9 (Suhrkamp)
  • 333 Seiten. Preis: 25,00 €
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