Geovani Martins – Aus dem Schatten

Brasilien – Zuckerhut, Samba, Copacabana und Lebensfreude. So die Bilder, die die einschlägigen Songs, Karneval und Filme befeuern. Dass das Land auch dunkle Abgründe hat, das wurde besonders im Vorfeld die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 klar. In den Favelas in Rio de Janeiro und anderswo regiert die Kriminalität. Drogen, Gangs, Gewalt – daran ändern auch Einsätze des Militärs nichts, die regelmäßig die Favelas stattfinden.

In das Leben der Favelas entführt auch das Buch Aus dem Schatten von Geovani Martins. Er erzählt in seinem mit Stories untertitelten Kurzgeschichtenband vom Leben in den Slums der brasilianischen Hauptstadt und von den Kämpfen, die dieses (Über)Leben bedeutet. In Brasilien scheint das Buch große Erfolge gefeiert zu haben, der Klappentext kündet von einem „Sensationserfolg“ des Buchs.

Geovani Martins selbst hat auch eine ungewöhnliche Biographie. Beziehungsweise ist sie für einen Favelabewohner wohl selbst alles andere als ungewöhnlich. Vier Jahre besuchte Martins die Schule, jobbte danach als Plakatträger und Kellner. Der 1991 geborene Autor veröffentlichte 2018 dieses Buch, ein Jahr später liegt es nun in der Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner auch im Deutschen vor.

13 Stories, 125 Seiten, wenig Neues

13 Geschichten liefert das Buch, und das auf gerade einmal 125 Seiten. Das lässt schon Rückschlüsse auf die Erzählweise von den Stories zu, die nur kurze Skizzen und Schlaglichter sind. Mal erzählt Martins von einem Graffitisprayer, mal von Beschaffungskriminalität und sehr häufig von Drogen, die für die jungen Protagonist*innen Hilfsmittel zur Flucht aus der niederschmetternden Realität sind.

Wird das Buch von der Kritik und den brasilianischen Leser*innen offenbar als neuer Realismus gefeiert und Martins Talent gerühmt, das Leben in den Favelas zu schildern, so war ich doch recht enttäuscht.

Zum Einen bietet mir der junge brasilianische Autor kaum Neues. Dass in den Favelas Gewalt und Drogen regieren – geschenkt. Dass die Polizei nicht viel besser ist als die Kriminellen, die sie bekämpfen soll – auch das war zu ahnen. Aber auch ansonsten vermittelte mir Martins lediglich Bilder, die man schon aus Dokumentationen über Brasilien oder Zeitungsberichte kennt. Dass Touristen an den Stränden unterhalb des Zuckerhutes gerne von Gangs abgezogen werden, das weiß nicht nur Martins, sondern sogar das Auswärtige Amt.

All das wäre ja nicht so schlimm, wenn der altbekannte Inhalt wenigstens auf neue oder ästhetisch besonders ansprechende Weise präsentiert würde. Aber auch das ist hier leider nicht der Fall. Sprachlich ist das Buch doch recht dünn, selbst der Sound der Straße bzw. der der Favelas wirkte auf mich recht beliebig. So verpuffen die Geschichten wie der Schmetterling in der Geschichte Die Sache mit dem Schmetterling über dem heißen Öltopf.

Die Begeisterung und den durchschlagenden Erfolg des Buches kann ich leider nicht wirklich nachvollziehen.

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