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Susan Hill – Die kleine Hand

Endlich Zeit für etwas Grusel hier in der Buch-Haltung! Passend zu Halloween gibt es ein Buch aus der schönen Reihe Gatsby Geisterhand. Diese kleine Reihe erscheint im Schweizer Kampa-Verlag und versammelt so illustre Namen wie Henry James, Paul Theroux oder Oscar Wilde. Kurze, in einheitlichem Reihendesign gestaltete Schauermärchen und Erzählungen mit übersinnlichen Elementen gibt es hier zu entdecken. Unter anderem auch das vorliegende Buch von Susan HillDie kleine Hand.

Von Susan Hill liegt im Kampa-Verlag schon ein Krimi um den Inspector Simon Serrailler und zwei weitere Romane vor, darunter die Familiengeschichte Stummes Echo. In England ist Susan Hill auch für ihre Geistergeschichten bekannt. Mit Die Frau in Schwarz erlangte sie große Popularität, die Verfilmung mit Daniel Radcliffe sorgte für zusätzliche Bekanntheit ihres Schauerromans.

Nun ist wird ihr sonstiges Schaffen langsam durch die Editionsarbeit des Kampa-Verlags auch in Deutschland bekannter. Ihr Roman Die kleine Hand ist dabei ein hervorragender Einstieg in das Oeuvre der vielseitigen Britin. Denn es hat alles, was ein guter Schauerroman braucht. Und das auf gerade einmal etwas mehr als 170 Seiten.

Ein Antiquar auf Abwegen

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Ich-Erzähler Adam Snow. Er ist als Antiquar auf alte Bücher spezialisiert. Ankäufe und Verkäufe von seltenen oder vergriffenen Ausgabe bedeuten für ihn sein Auskommen und seine Passion. Als jäger besonderer Bücher kommt er herum – so auch an jenem Abend, als er eigentlich nach einem beruflichen Ausflug zurück richtung London möchte. Doch er verfährt sich und landet auf der Zufahrt zu einem verlassenen Haus. Dieses Haus übt eine rätselhafte Anziehung auf den Antiquar aus. Und so beschließt er, den Ort zu erkunden.

Als er sich dann im Garten umtut, spürt er plötzlich eine unsichtbare Kinderhand, die nach seiner greift. Diese Hand wird er im Laufe des Buchs noch öfter spüren. Und damit eine Macht, die eine zunehmend tödliche Gefährlichkeit für Adam entwickelt …

Susan Hill hat eine Gespenstergeschichte geschrieben, die wenig Wünsche offenlässt. Ein verwunschenes Haus, eine gespenstische Erscheinung, alte Bücher, eine Prise Der Name der Rose, alles drin. Die Zutaten ihrer Geschichte sind gut vermengt und bilden aufgrund der Kürze den idealen Gruselsnack für einen nebligen und dunklen Abend. Übersetzt von Susanne Aeckerle ist Die kleine Hand eine Empfehlung, ebenso wie die restlichen toll gestalteten Monographien in dieser Geisterhand-Reihe. Da kann Halloween kommen!


  • Susan Hill – Die kleine Hand
  • Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle
  • ISBN 978 3 311 27001 0 (Kampa)
  • 176 Seiten. Preis: 18,00 €
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Sarah Perry – Melmoth

Zu Halloween gehört auch die passende Grusellektüre. In meinen Augen bietet sich da der neue Roman von Sarah Perry (Die Schlange von Essex) mehr als an. In Melmoth lässt sie eine Engländerin namens Helen über den Mythos der wandernden Melmoth stolpern. Kann die legendenumwobene Figur auch heute noch in den Gassen Prags umgehen?


„Sag mal, kennst du den Namen Melmoth?“

„Melmoth? Nein, nie gehört. Daran würde ich mich erinnern. Melmoth – das ist nicht tschechisch, oder? Aber englisch klingt es auch nicht …“ (…)

„Nein, natürlich nicht, und es ist kein Wunder – noch vor einer Woche hätte ich nichts damit anfangen können. Eine Woche, länger ist es nicht her!“ Wieder das freudlose Lachen. „Melmoth. Sie …“ Unbeholfen streichen Karels Hände über das Papier (…).

„Hast du je“, fragt er, „dieses Kribbeln im Nacken gespürt? Wenn die Haare sich aufstellen, als würde ein kalter Luftzug durchs Zimmer wehen, den niemand fühlen kann außer dir?“

Perry, Sarah: Melmoth, S. 20f.

Die wandernde Melmoth

Vor der Lektüre von Sarah Perrys Buchs hatte ich auch noch nichts vom Mythos des oder der wandernden Melmoth (das Geschlecht variiert je nach Variante) gehört. Im Buch erklärt Perry diesen Mythos wie folgt: Laut ihr geht die Figur der Melmoth auf eine biblische Erzählung aus dem neuen Testament zurück. Denn nachdem Jesus am dritten Tage auferstanden war, kamen der Sage nach Frauen an sein Grab, darunter auch Maria Magdalena. Die Frauen entdeckten das leere Grab und trugen – je nach ausgewähltem Evangelium – die frohe Kunde der Auferstehung Jesu weiter. Unter den Frauen war allerdings auch Melmoth, die die Auferstehung Jesu leugnete. Die Strafe erfolgte prompt – oder wie es ein Bauer im Roman erklärt, nachdem er gefragt wird, warum sich ein Stuhl auf seinem Acker befindet:

„Für die Reisende“ sagte er. „Für die Zeugin, die dazu verdammt ist, von Jerusalem nach Konstantinopel zu laufen und von Irland nach Kasachstan. Sie ist einsam bis in alle Ewigkeit, ausgeschlossen von Gottes Gnade und der Gemeinschaft der Menschen. Sie sieht alles und hat ihren Blick auch auf deine Sünden und deine Verfehlungen gerichtet. Selbst die Ruhepause des Schlafes hat Gott ihr genommen!“

Perry, Sarah: Melmoth, S. 51

Immer wieder in der Geschichte und in diversen Geschichten taucht diese Melmoth auf – mal weiblich, mal männlich. Am berühmtesten ist sicher der Roman Melmoth der Wanderer des irischen Schriftstellers Charles Robert Maturin. Diese Bearbeitung des Melmoth-Mythos gilt in der englischsprachigen Welt als einer der besten Schauerromane der Schwarzen Romantik.

Melmoth – eine Perle der Schwarzen Romantik

Original Frontispiz zu „Melmoth, der Wanderer“ von Charles Robert Maturin

Während auf deutscher Seite E.T.A. Hoffmann und seine Elixiere des Teufels oder Der Sandmann als stilprägend für diese Epoche gelten, ist es auf der Insel dieser Melmoth-Mythos, der genauso unsterblich wie seine im Kern stehende Figur ist. Sarah Perry stellt sich ganz bewusst in die Tradition dieses vor 190 Jahren erstmals erschienen Schauerromans, indem sie im Maturin in ihrer Buchwidmung bedenkt.

Von der Unsterblichkeit ihrer Melmoth ist auch bald Sarah Perrys Heldin Helen überzeugt. Diese hat sich eigentlich nach Prag zurückgezogen, um ihren eigenen Gespenstern aus der Vergangenheit zu entkommen. Doch dank der Freundschaft zu einem tschechischen Forscher gelangt sie an ein Manuskript. In diesem schreibt ein inzwischen greiser ein Deutsch-Tscheche namens Hoffmann (!) seine Lebensgeschichte auf, die in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Besetzung Tschechiens zurückführt. Der alte Mann will jener Melmoth begegnet sein – und verstirbt kurz nach seiner schriftlichen Lebensbeichte in einer Bibliothek.

Angefixt von dieser Erwähnung setzt sich Helen immer tiefer mit dem Mythos auseinander. Immer wieder begegnen ihr die Spuren von Melmoth. Ob in einer apokryphen Janecek-Oper, Theodor Storms Schimmelreiter oder einem Kairoer Tagebuch. Von Zeit zu Zeit stoßen wir als Leser*innen im Buch auf lange schriftliche Auszüge aus den fiktiven Dokumenten, die sich mit Melmoth beschäftigen. So gibt es eben jene Hoffmann’schen Aufzeichnungen, einen Brief aus dem 17. Jahrhundert oder jenes oben erwähnte Kairoer Tagebuch. Bald schon hat auch Sarah das Gefühl, dass sie jemand verfolgt und ihre Spur aufgenommen hat. Ist Melmoth in den Gassen Prags unterwegs?

Auf den Spuren von Melmoth durch die Zeit

Sarah Perry will in ihrem Buch sehr viel. Die erfundenen Dokumente, die die Handlung ergänzen, reißen viele Themen an. Armenisch-türkische Zwistigkeiten im 20. Jahrhundert, Schrecken des Dritten Reichs, Leben in der Dritten Welt. Der Kleber, der diese Einzelepisoden zusammenfügt, er will nicht immer richtig halten. So ist dieses Buch stellenweise etwas unentschieden, welche Geschichte nun erzählt werden soll. Zwischen all den Einzelschicksalen und kurz skizzierten Personen geht der Schauder rund um Melmoth manchmal unter.

Dafür drückt Sarah Perry an anderen Stellen wieder ordentlich auf die Gruseltube. Dauernd fliegen Dohlen durch Prag oder klopfen an Fenster, wabert der Nebel oder knarren die Dielen der Altbauwohnung, die Helen von einer hochbetagten und eigenwilligen Dame gemietet hat.

Aus Theas Zimmer sind die langen, flachen Atemzüge der Schlafenden zu hören. Helen Franklin schaltet das Licht aus und zieht die Tür hinter sich zu. Auf dem Altstädter Ring ist alles still, nur der arme Märtyrer Jan Hus bekommt in Erwartung des Scheiterhaufens wieder mal kein Auge zu. Aber nein – vielleicht ist da nicht nur Jan Hus. Falls Sie aufgepasst haben, konnten Sie in einem Winkel des Hofes, den Helen gerade verlassen hat, eine schwarz gekleidete Gestalt erkennen; sie wacht und wartet geduldig auf den passenden Moment.

Perry, Sarah: Melmoth, S. 01

Die dunklen Seiten von Prag

Gerade die Stadt Prag ist auch so etwas wie die wichtigste Nebendarstellerin in Perrys Roman. Die Geschichte genau dort zu erzählen, ergibt nicht nur aufgrund der illustren Geschichte der Stadt Sinn. Auch spielen hier andere Geschichten, in deren Tradition Melmoth steht. Die wohl stärkste Assoziation in dem Buch hatte ich zu Gustav Meyrinks Roman Der Golem. Aber auch einen Abglanz des Prager Großschriftstellers Franz Kafka lässt sich in ihrem Buch finden, wenn man genau liest.

Die literarische Größe dieser Werke hat das Buch in meinen Augen nicht, dazu ist es eine Spur zu gefällig. Schön ist ihre dreiteilige Konstruktion voller Briefe und anderer erfundenen Quellen aber allemal. Und auch sehr stimmig, dass sich eine kommentierende Erzählstimme immer wieder einmischt, die die Leser*innen stilecht anspricht und so auch einen Hauch von Grusel erweckt.

Melmoth ist ein Roman, der sich großartig für die graue Herbstzeit oder einen Pragbesuch eignet, da er die dunklen Seiten der Stadt ergründet. Ein größtenteils gelungener Schauerroman, ein modernes Update von Charles Robert Maturins Buch und ein Titel, der sich auf einer literarischen Halloween-Feier durchaus gelungen integrieren lässt. Ein großes Lob auch an die ruckelfreie und vielstimmige Übersetzung durch Eva Bonné und die Entscheidung, das stimmungsvolle Originalcover der englischen Ausgabe beizubehalten.


Bildrechte:

Melmoth-Frontispiz: Von me – own scan, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11891547

Titelbild: Pixabay, Prag: Pexels

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