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Colum McCann – Twist

Schicksale, die wie Kabelstränge verdreht und entdreht werden. Sie flicht Colum McCann in seinem neuen Roman Twist, das die fragilen Verbindungen zwischen Menschen und Nationen besieht und dafür tief abtaucht, bis hinab auf den Meeresgrund.


Mit seinen Romanen hat sich Colum McCann einen Ruf als Autor erschrieben, der sich genau ansieht, was Menschen trennt und sie verbindet. Mal beschäftigte er sich mit der Kluft, die sich zwischen Israelis und Palästinensern auftut und die fast unüberwindlich scheint (Apeirogon), mal lässt er in einem Roman einen Seiltänzer über den Abgrund zwischen den Wolkenkratzern in New York balancieren (Die große Welt).
Im Roman Transatlantik war das Verbindende schon im Titel angelegt, hier schickte er von 1845 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gleich dreimal Menschen zu ganz verschiedenen Zeitpunkten zwischen McCanns Heimat Irland und den USA hin und her.

Nun mit Twist also ein neuer Roman, der abermals das Verbindende besieht. Das Ganze findet diesmal aber nicht wie in Transatlantik über der Erde statt, im aktuellen Roman liegt die Verbindung deutlich tiefer, genauer gesagt am Grunde des Ozeans. Denn dort sind jene Glasfaserkabel verlegt, die das Internet und damit die verschiedenen digitalen Netze zwischen den Kontinenten verbinden.

Das Geheimnis der Tiefseekabel

Einst beschrieb Stefan Zweig in der Erzählung Das erste Wort über den Ozean in seinen Sternstunden der Menschheit den Moment der Verlegung des ersten Telegrammkabels zwischen den USA und Europa. Nun, gut 150 Jahre später seit jener Pionierleistung haben sich zwar die Kabelarten geändert, die Abhängigkeit von jener fragilen Infrastruktur ist aber geblieben, wie nicht nur jüngst die Angriffe der russischen Schattenflotte auf diese Tiefseekabel zeigten.

Das muss auch der recht erfolglose Schriftsteller und Journalist Fennell feststellen, der auf Geheiß seiner Redakteurin den Weg nach Kapstadt antritt, wo er eine Reportage über Conway schreiben soll. Dieser ist auf einem spezialisierten Schiff für die Reparatur dieser Tiefseekabel zuständig und soll im Mittelpunkt von Fennells Reportage stehen, für die er zumindest anfänglich nicht allzu viel Begeisterung aufbringen kann.

Ich interessierte mich nicht für Kabel. Jedenfalls anfangs nicht. In dem einzigen Artikel, den ich am Ende schrieb, hieß es, ein Kabel bliebe so lange ein Kabel, bis es gebrochen sei, danach verwandle es sich, wie wir alle, in etwas anderes.
Eines kalten Herbstnachmittags rief mich Sachini an, meine Redakteurin bei einem Online-Magazin, für das ich gelegentlich arbeitete. Sie sprach in langen, verschlungenen Sätzen. Sie war auf einen Bericht über einen Kabelbruch in Vietnam gestoßen und hatte überrascht herausgefunden, dass beinahe die gesamte interkontinentale Information der Welt durch zerbrechliche Röhren auf dem Meeresgrund floss. Wir anderen glaubten zumeist, dass die Cloud in der Luft beheimatet sei, sagte sie, aber über Satelliten laufe nur ein kleiner Bruchteil des Internetverkehrs. Die im Schlick liegenden Kabel auf dem Meeresgrund seien schneller, billiger und weitaus effektiver. Gelegentlich brächen sie, und verteilt über verschiedene Häfen der Welt gebe es eine kleine Flotte von Schiffen, die dann mit der Reparatur beauftragt würden und oft Monate auf See verbrachten. Sachini fragte, ob ich der Geschichte nachgehen wolle?

Colum McCann – Twist, S. 14

Auf den Spuren einer Nicht-Geschichte

Zunächst allerdings sieht alles eher nach einer Nicht-Geschichte aus. Deutlich interessanter als der widerwillige Kabelexperte scheint Conways Frau Zanele zu sein, die schon kurz nach Fennells Ankunft in Südafrika von dort nach England aufbricht, wo sie mit anderen Schauspielerinnen Becketts Warten auf Godot neuinterpretieren will.

Nicht nur sie wartet im Stück auf jenen Gast, dessen Erscheinen ausbleibt, auch eine berichtenswerte Story in Kapstadt scheint auszubleiben. Ein Schleier der Lethargie legt sich über Fennell, der erst durch einen Felssturz zerrissen wird. Denn jene Verschiebung von Erdmassen wirkt auch unterirdisch fort und beschädigt die Kabel vor der Küste Afrikas und sorgt dort für einen großflächigen Ausfall sämtlicher Kommunikationsstruktur. Und so hat Fennell plötzlich doch eine Geschichte, als er mit an Bord ist, als die Mannschaft ausrückt, um den Schaden zu beheben, der nicht nur die afrikanische Welt zusehends ins Chaos stürzt.

Rätselhafte Menschen, verdrehte Schicksale

Twist ist ein Roman, der drei Menschen ins Zentrum stellt, die alle auf ihre eigene Art und Weise unnahbar bleiben. Da ist Conway, der zu Fennell auf Distanz geht und den der Journalist nicht richtig zu greifen bekommt (worüber der Journalist bis heute grübelt; ein Umstand, über den er uns schon zu Beginn des Romans in Kenntnis setzt).

Aber auch Fennell bleibt konturlos, obschon er uns als Ich-Erzähler an seinen eigenen Abgründen und Schmerzen teilhaben lässt. Und Zanele als dritte im Bunde ist nicht nur durch ihr baldiges Entweichen nach England für Fennell ein faszinierendes Rätsel – auch Conways Schiffscrew scheint der Anziehung der Schauspielerin erlegen zu sein und Teile der Crew haben wie auch Fennell selbst eine Obsession für die enigmatische Frau entwickelt.

Diese drei Figuren bringt Colum McCann in Kapstadt nun zusammen und verdrillt ihre drei Lebenswege zunächst wie die Stränge im Inneren eines isolierten Kabels. Schon kurz darauf aber entdrillt der irische Schriftsteller diese drei Schicksale wieder und isoliert die Figuren zunehmend voneinander. Aus dieser Bewegung der Eng- und dann Fortführung zieht Twist seinen Reiz.

Nachdem der Roman am Ende den titelgebenden Twist auch nicht schuldig bleibt, wird das Buch mit seinen Figuren immer mehr zu einem Rätsel. Denn plötzlich wechselt eine der Figuren die Seiten – und als außenstehender Beobachter steht man wieder vor einem Rätsel, das der Roman nicht auflösen kann und das auch gar nicht will. Mit dieser Verschiebung in der Betrachtung der Figuren und ihr erratisches Verhalten erinnert der Roman an andere, ebenfalls in maritimen Umfeld angesiedelte Romane wie Emma StonexDie Leuchtturmwärter oder Mariette Navarros Über die See, die ebenfalls ein Stück weit auf Uneindeutigkeit und die Ungewissheit setzen.

Fazit

Es liegt etwas leicht Verschobenes, Zwielichthaftes über diesem ganzen Roman, der von unseren Abhängigkeiten und Verstrickungen genauso wie von Einsamkeit erzählt. So etwas muss man mögen – Colum McCann kann es aber auf alle Fälle erzählen, denn der Roman weiß durch die Bildsprache und die Komposition einer Rückschau überzeugen. Trotz des Blicks zurück zweifelt Fennell und wir mit ihm daran, was man da eigentlich gesehen hat. Das macht in meinen Augen den Reiz dieses von Thomas Überhoff ins Deutsche übersetzten Romans aus.


  • Colum McCann – Twist
  • Aus dem Englischen von Thomas Überhoff
  • ISBN 978-3-7632-7672-1 (Büchergilde Gutenberg)
  • 336 Seiten. Preis: 28,00 €

Down Under = Crime Wunder

Chris Hammer – Outback

Während die Buchläden und Krimiregale mit völlig austauschbarer Dutzendware aus Frankreich geflutet werden (Mord in der Provence, Mörderisches Lavandou, Mörderischer Mistral, Tod in der Provence, Provenzalische Verwicklungen, Blutrote Provence, Mörderische Côte d’Azur, Madame le Commissaire, Bruno, Chef de Police, Bretonisches Vermächtnis, und so weiter und so fort; man könnte diese Reihe mit Titeln aus dem Setzkasten noch unendlich fortführen) gibt es gottseidank auch noch andere Trends als Rezept- und Reisebücher mit ein bisschen Mord und Totschlag. Eine Region, die gerade den Takt in Sachen spannender und ungewöhnlicher Krimis angibt, ist Australien. In meinen Augen entwickelt sich Down Under immer mehr zum Crime Wunder.

Zahlreiche Autoren und Autorinnen von der Insel sind es, die das Krimigenre bereichern, darunter unter anderem Candice Fox mit ihrer Crimson-Lake-Serie, Garry Disher oder Alan Carter, der nun gerade mit Marlborough Man eine neue vielversprechende Serie gestartet hat.

Zu diesen Stimmen gesellt sich nun auch Chris Hammer, der mit Outback einen komplexen, spannenden und journalistisch grundierten Thriller aus der Gluthitze des Outback vorlegt. Jener Thriller entführt in das kleine Städtchen Rivers End, das fernab der Zivilisation liegt. Genauso verdorrt wie das ganze Land ist auch das kleine Städtchen selbst. Und das hat seine Gründe.

Eine Wahnsinnstat im australischen Outback

Vor einem Jahr erschoss der junge Pfarrer des Städtchens zielgerichtet fünf Männer vor seiner Kirche. Eine Wahnsinnstat, die Entsetzen und völlige Ratlosigkeit auslöste. Der Pfarrer war beliebt, kein Zeichen hatte auf den Amoklauf hingedeutet. Die Tat sorgte für die landesweite Bekanntheit von Rivers End und seitdem leben die wenigen Menschen dort unter dem Eindruck der Katastrophe. Die meisten Läden sind dicht, es herrscht Landflucht, kaum jemanden zieht es noch in jenes Städtchen im Outback.

Außer Martin Scarsden, einen Reporter, der für den Sidney Morning Herald tätig ist. Er soll ein Feature über das Städtchen und den Amoklauf des Pfarrers schreiben. Denn was immer noch nicht gefunden ist, ist das Motiv des jungen Pfarrers. Warum hat er gerade jene fünf Männner erschossen? Martin tut sich im Dorf um und beginnt nachzuforschen. Dabei stößt er auf einige Geheimnisse, die ihn schon bald überrollen werden wie die vielen Feuerwalzen, die immer wieder im Outback wüten.

Die Suche nach dem Motiv

Viele Thriller kreisen immer um die Frage „Was passiert als nächstes?“. Daraus generieren sie ihre Spannung, da die Handlung immer unvorhersehbar bleibt oder zumindest bleiben will. Chris Hammer geht da anders an die Sache heran. Bei ihm steht das Motiv für die Tat des Pfarrers und die Suche danach im Vordergrund. Mit der Figur von Martin Scarsden hat er dafür eine tolle Figur gefunden, die sowohl durch ihren Charakter als auch ihren Job einen guten Zugriff auf die Erzählstruktur erlaubt. War Scarsden früher als Kriegsreporter im Gazastreifen im Einsatz, hat er sich nun ganz in seinen Auftrag im Outback verbissen.

Dass Chris Hammer selbst eine Vita als Journalist und Korrespondent hat, das lässt sich aus Outback sehr gut herauslesen. Fundiert beschreibt er den Kampf um die nächste Schlagzeile, die Konkurrenz von Fernsehsendern und Printmedien und die Verwicklungen, die solch ein Auftrag mit sich bringen kann. Zwar erscheint die ein oder andere ermittlungstechnische Erkenntnis etwas überzogen (Martin ist ja fast jedes Mal der Polizei voraus und sichert sich entscheidende Erkenntnisse, bevor die Gesetzeshüter auf den Plan treten), aber das ist angesichts des Tempos und des großartig geschilderten Settings gerne verziehen.

Outback ist ein Thriller (übersetzt von Rainer Schmidt), der auch lange nach diesen rekordverdächtigen 40 bis 42-Grad-Tagen noch schwitzen lässt. Eine weitere tolle Krimientdeckung aus diesem Crime Wunder Down Under!