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Percival Everett – Dr. No

Fort Knox, dieser Name besitzt Klang – auch Dank der Verfilmung von Ian Flemings James Bond-Roman Goldfinger. Nach Auric Goldfinger ist es in Percival Everetts Roman Dr. No nun ein absurd reicher Tech-Milliardär, der auf den Spuren von Flemings Schurke wandeln will und sich dafür der Hilfe des Mathematikers Dr. Wala Kuti versichert. Denn dieser soll ihm beim Eindringen in die nationale Schatzkammer helfen, um das Objekt der Begierde zu stehlen: das Nichts.


Inmitten von Fort Knox, abgesichert mit Technik und Bewachern, lagern die nationalen Goldreserven der USA. Diese sind es aber weniger, die den Milliardär John Sill interessieren. Vielmehr will er ran an das große – Nichts:

Meine Expertise in nichts – nichts absolut nichts, sondern eindeutig nichts – führte dazu, dass ich mit einem oder vielmehr für einen gewissen John Milton Bradley Sill arbeitete, einen Selfmade-Milliardär mit einem einzigen Ziel, einem Ziel, das manchen faszinierend, den meisten verwirrend und schräg und allen idiotisch erscheinen mochte, sich aber zumindest leicht in Worte fassen ließ. John Milton Bradley Sill strebte danach, ein Bond-Schurke zu werden, und zwar ungeachtet der Fiktionalität von James Bond. Er formulierte es folgendermaßen: „Ich möchte ein Bond-Schurke sein.“ Ganz einfach

Percival Everett – Dr. No, S. 13

Und so möchte er wie einst Auric Goldfinger hinein ins Fort Knox, wobei ihm Wala Kintu als Mathematikprofessor helfen soll. Dessen Kollegin Eigen spannt Sill ebenfalls ein und beginnt auch noch gleich eine Affäre mit ihr. Jede Menge Bond-Reminszenzen gibt es, von der Schurkenkonferenz, auf der sich Sill eines Mitarbeiters per Haifischtank erledigt bis hin zu namentlichen Anspielungen, etwa beim Charakter Auric Takitall.

Der Milliardär und das Nichts

Gewürzt wird der durchgeknallte und alles andere als stringente Plot der Handlung mit vielen Bemerkungen und Einwürfen Wala Kintus, der als Erzähler auf dem Autismus-Spektrum wandelt und als mathematisch geschulter Denker zu umständlichen Ansichten wie Verhaltensweisen und Dialogen neigt. Dabei lässt er beständig Satzbrocken wie den folgenden fallen:

Die Lüge ist das arithmetische Axion, demzufolge x für jedes x auf der Welt gleich x ist. Nur der Glaube lässt dies als unwiderlegbare Wahrheit zu. Selbst wenn ich x als das Ding definiere, das zu einer bestimmten Position in der Zeit eine bestimmte Position im Raum einnimmt. Ich war mir ziemlich sicher, dass der Mann, der vor dem Gebäude, in dem sich mein Büro befindet, eine bestimmte Position im Raum einnahm, John Sill war, und deshalb sprach ich ihn als solchen an.

Percival Everett – Dr. No, S. 52

Geheimdienstler, verschwindende Städte, ein einbeiniger Hund namens Trigo, viel Chaos und Diskussionen, das macht Dr. No aus. Trotz dem mathematischen Sachverstand Wala Kitus ist ein logischer Fortgang der Geschichte nicht immer gegeben, stattdessen beobachtet Percival Everett mit großer Freude, wie Sill seinem Vorbild der Bond-Schurken nacheifert und damit alles in Chaos stürzt. Egal ob im superschnellen U-Boot auf Wettfahrt mit den Behörden oder im Schurkenquartier, das durch eine exzellente Buchauswahl glänzt. Irgendwo zwischen Gru und Ian Fleming oszilliert dieses Buch mit Mut zum Knallchargentum.

Rassismus als werkimmanentes Thema Percival Everetts

Percival Everett - Dr. No (Cover)

Auch umkreist Dr. No wieder, wie schon seine letzten Romane Die Bäume und James das Thema des Rassismus. Großartig etwa die Szene, als Kitu bei einer Polizeikontrolle in seinem Auto angehalten wird und keine Fahrerlaubnis vorweisen kann. Aufgrund der omnipotenten Verfügungsgewalt von Sill über sämtliche Sicherheitsbehörden ist das auch eigentlich kein Problem und Kitu drohen keine Konsequenzen.

Viel interessanter dabei ist aber der Rassismus des anhaltenden Polizeibeamten, der sich immer mehr herausschält. Je verzweifelter der Mann seine behördliche Ohnmacht feststellen muss, umso hilfloser werden seine Versuche, Wala Kitu doch noch festzuhalten, bis zuletzt der einzige und stärkste Grund für die gewollte Festnahme in seinem Sprechen offenbar wird: Wala Kitu ist schwarz und als solcher per se verdächtig.

Hier scheint Everetts Talent zu Komik und gleichzeitiger Gesellschaftsanalyse voll durch. Ingesamt aber ist Dr. No ein Buch, das mit seinem anstrengenden Erzähler und der immanenten Überdrehtheit herausfordert. Natürlich fängt Percival Everett die infolge der Autismus-Diagnose leicht verschobene Wirklichkeitswahrnehmung Wala Kitus bravourös ein und mit dem ins Absurde übersteigerten Techmilliardär auf Schurkenmission knüpft Dr. No auch an die Allmachtsfantasien der im Silicon Valley beheimateten Tech-Bro-Elite an.
Tatsächlich lädt das Buch in seiner ganzen Durchgeknalltheit wunderbar dazu ein, viele Interpretationen zu bemühen und eigene Lesarten anzustrengen. Die Literaturkritik wird dies wieder mit Vergnügen tun – aber dennoch bin ich deutlich weniger begeistert.

Fazit

Für mich ist dieses Buch wieder einmal etwas zu viel des Guten. Allmählich kristallisiert sich im Oeuvre Percival Everetts ein regelmäßiger Amplitudenschlag heraus. Auf ein grandioses Buch folgt immer wieder eine zu überdrehte Satire, die mich nicht überzeugen kann. Das war mit Die Bäume so, das auf das hervorragende Erschütterung folgte – und das ist jetzt mit Dr. No so, das zumindest hierzulande auf das völlig zurecht mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Rassismusdrama James folgte (im Original erschien Dr. No bereits 2022, also vor James).

Insofern für mich eher ein No für diesen Tech-Milliardär und seinen mathematischen Adlatus.


  • Percival Everett – Dr. No
  • Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl
  • ISBN 978-3-446-28417-3 (Hanser)
  • 319 Seiten. Preis: 26,00 €
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