Tag Archives: Normandie

Gaspard Koenig – Humus

Gaspard Koenig hat ihn geschrieben, den Roman, der einem unterschätzten Tier endlich den Platz in der Literatur zuerkennt, den es verdient. Die Rede ist vom Regenwurm. Zwei unterschiedliche Freunde haben in ihm den Sinn ihres Lebens ausgemacht. Für die Verwirklichung dieses Lebenssinns zahlen sie allerdings einen hohen Preis, zur Freude der Leser*innen von Humus.


Die Debatten über die agrikulturelle Ausrichtung des Landes und den Konflikt zwischen der Landbevölkerung und den Stadtbewohnern, sie flammten bei uns zuletzt im vergangenen Jahr auf, als die Bauernproteste für Aufsehen sorgten und nicht nur hierzulande Straßen blockierten und erhitzte Debatten auslösten. Bis nach Brüssel führte die Bauernschar der Weg, die dort im Europaviertel (mist)haufenweise Dünger und Gülle verspritzten und so ihrem Unmut auch olfaktorisch Luft machten.

Auch in Frankreich kennt man diese Debatten, die der Philosoph Gaspard Koenig in einen ebenso leichtfüßigen wie gegenwartsschweren Roman verwandelt hat, der auf den Titel Humus hört.

Der Regenwurm als Retter

Von jenem Humus ist allerdings anfänglich noch nichts zu spüren, als die gegensätzlichen Arthur und Kevin sich zu spüren – im Gegenteil. Statt Erde und Äcker bietet sich die nahe Paris gelegene AgroParisTech als großes Stahl- und Betonskelett dar, in der die Natur nur in Vorlesungen Thema ist. So ist es auch in den Vorlesungen des Regenwurmexperten Marcel Combe, der in seinen Vorträgen den Studierenden die Welt unter ihren Füßen aufschließt, die durch Betonversiegelung und kalte Architektur zumindest am Campus kaum mehr erlebbar ist.

Wie Sie wissen, sind es die Regenwürmer, die die Grundlage des Bodenlebens schaffen. Durch ihre ununterbrochene Verdauung, die sie jeden Tag das Äquivalent ihres eigenen Körpergewichts verzehren lässt, zersetzen sie organische Materie in biogene Stoffe, von denen sich wiederum die Pflanzen ernähren. Man schätzt, dass Regenwürmer pro Jahr und pro Hektar dreihundert Tonnen Material verschlingen und wieder ausscheiden. Ja, recht gehört, dreihundert Tonnen! Die Erde, über die Sie laufen, die Erde, die uns mit Nahrung versorgt, besteht in der Tat zu einem Großteil aus so entstanden organisch-anorganischen Verbindungen, mit anderen Worten aus Regenwurmscheiße. Genau deshalb vermutete der große Charles Darwin, dass uns Regenwurm das wichtigste Tier der Evolution ist. Ohne ihn bricht alles zusammen.

Gaspard Koenig – Humus, S. 10

Zwischen bäuerlichen Scholle und Startups

Gaspard Koenig - Humus (Cover)

Bewegt von den Erkenntnissen über die Wichtigkeit des Regenwurms und der von ihm geleisteten Arbeit, beschließen die beiden Freunde, die Kraft des Wurms zu nutzen und ihn zu fördern. Die Wege, auf die sie dieser Gedanke bringt, führt Arthur und Kevin allerdings maximal weit auseinander.

Während Arthur zusammen mit seiner Partnerin Anne den heruntergekommenen Hof seiner Familie naturnah umbauen will und so ein Gegengewicht zu den pestizidgedüngten umliegenden Äckern schaffen will, stolpert Kevin mitten hinein in die Welt der Startups, in die ihn seine Idee eines Wurmkomposters befördert.

Als seine findige Geschäftspartnerin Philippine das Geschäft mit dem von Würmern kompostierten Bioabfalls immer größer aufzieht, kommt Kevin in den Kontakt mit Start Ups und Risikokapitelgebern, wird mitten hineingesogen in sein Projekt namens Veritas, das sich immer größer ausnimmt, Philippine und Kevin bis ins Silicon Valley führt und dem Wurmfreund schon bald über den Kopf zu wachsen droht.

Greenwashing und Vorschriftendschungel

Gaspard Koenig hat einen Roman geschrieben, der die so unterschiedlichen Lebens- und Karrierewege von Arthur und Kevin als Ausgang nimmt, um über unser Verhältnis der Natur, das Greenwashing und unseren Ressourcenverbrauch nachzudenken. Gelungen skizziert und karikiert er die Welt der Hochfinanz und der sinnentleerten Kapitalgeber auf der einen Seite, die bäuerliche Gängelung durch Bürokratie und Vorschriften auf der anderen Seite.

Souverän übersetzt durch Koenigs Stammübersetzer Tobias Roth ist Humus ein Roman, der die ländliche Renitenz feiert und die verfahrene Situation zeigt, in der es weder Arthur im Kleinen auf seiner heimischen Scholle noch Kevin in der Hochglanzwelt der Startups vermögen, ihren eigentlichen Zielen der Förderung des Regenwurms nahezukommen. Im Gegenteil, lustvoll beobachtet Koenig, wie sich seine Figuren immer mehr im undurchdringlichen Dickicht von Vorschriften oder im Spiegelkabinett der hippen Techunternehmer verrennen und aus dem Ganzen einen Ausweg nehmen, der sie mitten hinein in eine Welt führt, gegen die sich die Bauernproteste in Brüssel oder Paris noch sehr harmlos ausnehmen.

Fazit

So ist Gaspard Koenigs Roman ein hochaktuelles Buch, das durch die vordergründige Distanzierung der beiden Freund und die dahinterliegenden Ähnlichkeiten in ihren Lebenswegen viel erzählt über unser Verhältnis zur Natur und die zunehmende agrikulturelle Entgrenzung, der wir kaum wieder Herr werden können. Und auch wenn man Koenigs Hintergrund als Philosoph dem Buch durchaus anmerkt, ist Humus das Gegenteil eines theorieschweren Romans, sondern treibt mit Tempo und flotten Fußes seinem Höhepunkt entgegen, der das Buch nachdrücklich in Erinnerung bleiben lässt.

Sachkundig versteht es Koenig, von der Welt der Kleinbauern wie auch den obersten Ministerkreisen und der Hochfinanz zu erzählen. Nur ob es mit den Regenwürmer gut ausgeht, das darf an dieser Stelle nicht verraten werden…


  • Gaspard Koenig – Humus
  • Aus dem Französischen von Tobias Roth
  • ISBN 978-3-7518-1036-4 (Matthes & Seitz Berlin)
  • 378 Seiten. Preis: 26,00 €