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Treffen sich Thomas von Aquin und Stanley Laurel im Dunkeln …

Markus Orths – Picknick im Dunkeln

Von der Kraft der Vorstellung, der Philosophie und der Frage, ob Slapstick auch in der völligen Finsternis funktioniert: Markus Orths‘ Roman Picknick im Dunkeln.


Es klingt wie ein ziemlich abgeschmackter Witz unter Theologen: Kennst du den? Treffen sich Thomas von Aquin und Stanley Laurel im Dunkeln. Ist aber kein Witz, sondern die Hypothese von Markus Orths neuem Roman. Orths, der zuvor den Maler Max Ernst durch sechs Frauenportäts porträtierte, widmet sich nun zwei Lichtgestalten der Geistes- und Comedygeschichte. Da ist zunächst Thomas von Aquin. Der stumme Ochse, wie ihn Albertus Magnus einst nannte, gilt ja gemeinhin als einer der wichtigsten Denker der Theologie. Bis zu vier Sekretären gleichzeitig soll er seine Gedanken diktiert haben. Gottesbeweise, seine Summa Theologiae, ein Schriftwerk, das Bibliotheken füllt. Der später Heiliggesprochene beeinflusst bis heute Theolog*innen mit seinem Wirken.

Statue von Laurel&Hardy

Auch Orths zweite Figur, die zugleich als Erzähler fungiert, gilt als wegweisend – beziehungsweise manchen Fans sicher auch als Heiliger. Allerdings auf einem anderen Gebiet, nämlich dem der Comedy. Es handelt sich um Stanley „Stan“ Laurel, die eine Hälfte des Komikerduos Laurel&Hardy. Bei uns ist das Duo eher unter dem Titel Dick&Doof bekannt. Mit legendären Nummern wie die der beiden als Klavierspediteure haben sich in die Comedygeschichte eingeschrieben. Während der Thomas von Aquin in Sachen Körperumfang nicht unähnliche Oliver Hardy eher vom Vaudeville-Theater kam, war es Stan Laurel, der die Pantomime und die physical comedy mit ins Spiel der beiden brachte. Legendäre etwa seine Geste, den stets auf seinem Kopf thronenden Bowler abzunehmen und sich von oben den Kopf zu kratzen. Mit seinen Gestiken, Mimiken und Gags brachte sich Laurel in das Duo ein und wirkte an vielen Gags und Nummern als Schreiber mit.

Ein seltsames Paar im Dunkeln

Doch um das wichtigste Mittel für diese Gags, nämlich die Sichtbarkeit, bringt Orths seinen Helden gleich zu Beginn des Romans. Denn Stanley erwacht in einem nachtschwarzen Tunnel. Die berühmte Hand vor Augen kann man nicht sehen. Stattdessen allumfassende Schwärze, Wände links und rechts. Ein wenig später lässt Orths Stanley dann über einen weiteren Suchenden in dem Tunnel stolpern – nämlich ebenjenen Thomas von Aquin. Die Männer aus völlig unterschiedlichen Jahrhunderten müssen sich zusammenraufen, wollen sie ans Licht gelangen. Gemeinsam streben sie in der Folge durch die Schwärze, um sprichwörtlich Erleuchtung zu erlangen. Doch warum sind sie in dem Tunnel? Was verbindet die Männer? Und was, wenn da am Ende des Tunnels gar kein Licht ist?

Markus Orths hat sich eine Ausgangslage für seinen Roman erschaffen, die viel Potential bietet. Auf den ersten Blick passt da ja nichts zusammen. Ein Theologe aus dem Hochmittelalter, ein Komiker aus dem 20. Jahrhundert. Noch dazu das surreale Dunkel, das die Männer umgibt. Wie soll daraus ein gelungener Roman werden? Können die Männer über alle Sprachbarrieren hinweg zueinander finden? Oder zerfällt der Roman in seine disparaten Elemente?

Bis zur Mitte des Buchs hätte ich letzterer Lesart den Vorzug gegeben. Denn auf mich wirkte das Ganze, als hätte Orths in seinem Zettelkasten fleißig Material zu Thomas von Aquin und Stanley Laurel gesammelt. Für eine große Biografie fehlte die Idee und der inszenatorische Angriffspunkt, also packt man die beiden Männer zusammen in ein Setting, das eine abstruse Ausgangslage verzeiht. Zwei interessante Leben werden’s schon richten, um daraus einen interessanten Roman entstehen lassen.

So dachte ich, aber wie gesagt – nur zunächst. Denn je weiter das Buch und damit sein Duo wider Willen durch das Dunkel voranschreitet, umso gelungener fand ich die Inszenierungsidee. Denn durch dieses Dunkel und die völlige Abwesenheit von äußeren Faktoren geht es bald um das Innere der beiden Männer. Woher stammen sie? Was hat sie zu dem werden lassen, das sie nun sind? Dabei gelingt Orths im inneren Monolog und äußeren Dialog der beiden Männer ein spannendes Doppelporträt, das dann auch einige Berührungspunkte aufweist.

Denken mit Thomas von Aquin und Stan Laurel

Der Theologe und der Komiker verwickeln sich im Dialog in zahlreiche philosophische Exkurse: Was meint Thomas von Aquin, wenn er von einer Geistseele spricht? Wie bringt man einem Menschen aus dem Mittelalter Humor nahe, der das Lachen ablehnt? Was bringt die Kunst der Logik in einem Raum, in dem keine Gesetze zu gelten scheinen? Warum an die Auferstehung glauben, wenn man doch offensichtlich im schwarzen Nichts feststeckt? Und kann uns unsere Fantasie retten, wenn da nichts mehr ist, nicht einmal Licht?

Markus Orths gelingt es über seine zwei so gegensätzlichen Helden, viel Nachdenkenswertes zu transportieren. Trotz des reichlich absurden Settings schafft er es, Plausibilität in das Picknick im Dunkeln zu bringen – und auch mit dem Schicksal der beiden Männer zu rühren (und mich damit auch zu berühren), ohne zu sehr auf die Kitschtube zu drücken.

Eine Hymne auf die Kraft der Vorstellung

Für mich ist Picknick im Dunkeln eine Hymne auf die Kraft der Vorstellung. Zunächst einmal im literarischen Sinne: hier kommt zusammen, was nicht zusammengehört. Das schwarze Nichts, ein Theologe des 13. Jahrhunderts, ein verstorbener Komiker, vielfach verheiratet und überzeugter Vertreter des Nonsens. Dass Literatur die Grenzen von Gattungen, Zeiten und räumlichen Beschränkungen im Handstreich einzureißen vermag, das demonstriert Orths in seinem Buch auf beeindruckende Weise. Warum nicht einmal Männer aus den Setzkästen des 13. und 20. Jahrhunderts entnehmen und sie in ein schwarzes Nichts setzen? Warum ein großes Szenenbild aufbauen, wenn es ein nachtschwarzer Tunnel auch tut? Hier nimmt sich der Baden-Württemberger alle Freiheiten, die einem die Literatur bietet, und nutzt sie klug.

Und nicht zuletzt ist auch das Buch eine Hymne auf die Kraft der Vorstellungen. So wird das Picknick im Dunkeln zum Symbol für alles, was der Geist erschaffen kann. Im Buch bringt Stan Laurel das Wesen seiner Comedy nahe, indem er Thomas von Aquin zu einem virtuellen Picknick einlädt. Beide Figuren nehmen auf einer nichtvorhandenen Decke Platz und nehmen ein nichtvorhandenes Mal zu sich. So demonstriert Laurel seinem Schicksalsgefährten, was seinen Humor ausmacht und was durch Vorstellungskraft alles möglich wird. Ein starkes Bild, das Orths da in den Mittelpunkt des Romans gestellt hat.

Und besonders gut gefällt mir neben dieser Hymne auf die Vorstellung auch der große Interpretationsspielraum, den er den Lesenden lässt. Wie stehen die beiden Figuren nun zueinander? Wer der beiden Männer ist Geistseele? Was ist echt? Geht es um die Auferstehung? Oder ist Oliver Hardy in die Rolle des Thomas von Aquin geschlüpft und wir wohnen einer letzten Nummer von Laurel&Hardy bei? Wohl jede*r Lesende wird beim Lesen des Romans eine eigene Deutung der Geschehnisse entwickeln. Und diese Vieldeutigkeit ist in meinen Augen auch ein echter Beweis der Qualität von Orths Buch, das durch eine sinnige und durchdachte Buchgestaltung noch einmal aufgewertet wird. Ein philosophisch-nachdenklicher Roman und das Portät zweier gegensätzlicher Männer, außergewöhnlich und gelungen.

Bildquellen:

Statue Laurel&Hardy: Von Hilton Teper – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18475443

Kirchenfenster Thomas von Aquin: Von Westerdam – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35215153

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