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Gabrielle Filteau-Chiba – Die Ungezähmten

Was ist die schönste Natur wert, wenn doch der Mensch in ihr umhergeht und die Grundlagen der Natur und ihre Intaktheit bedroht? Das beschäftigt die kanadische Autorin Gabrielle Filteau-Chiba in ihrem Roman Die Ungezähmten, der nun in der Übersetzung von Katrin Segerer auf Deutsch erstmals vorliegt. Darin erzählt sie von einer Wildhüterin, die das Raubtier Mensch auf ganz eigene Art bekämpft.


Kamouraska, eine in der Provinz Québec gelegene Gemeinde. Hier versieht die Wildhüterin Raphaëlle Robichaud ihren Dienst in den Wäldern zwischen Flüssen, tiefen Wäldern und Ahornplantagen. Einsam lebt sie in einem Trailer und verzweifelt an der Aufgabe, der sie sich gegenübersieht.

Wie soll man die Wälder und die Natur beschützen, wenn doch Wilderer nahezu ungestört die Tierpopulation dezimieren, Konzerne Raubbau an der Natur betreiben und die Politik sich nicht wirklich für die Fragilität der Natur interessiert und lieber eine Chimäre der Wildnis Kanadas feiert? Raphaëlle zweifelt so manches Mal an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns, sieht sie sich doch einer Übermacht feindlicher Kräfte gegenüber. Als dann auch noch ihre frisch bei ihr im Trailer eingezogene Hündin Coyote fast in einer der Fallen eines besonders brutalen Wilderers landet, ist für die Wildhüterin endgültig das Maß voll.

Wer sind wir, wenn sich uns angesichts der alltäglichen Grausamkeiten nicht das Fell sträubt? Nichts weiter als selbst nur Tiere, Bestien ohne Herz und Verstand.

Und ich, die Wildhüterin, muss mit meinem orwellschen Titel leben und die Jagd. und Fallenindustrie behüten, muss maßlose Mörder laufen lassen, die unsere Wälder entvölkern. Als hätten die Pelzraubtiere nicht ihren Platz in der Nahrungskette. Heute Abend werde ich viel Wasser in meinen Wein gießen müssen.

Gabrielle Filteau-Chiba – Die Ungezähmten, S. 86

Sie bläst zum Kampf gegen die Wilderer – und bekommt Unterstützung von ungeahnter Seite. Bei ihren Recherchen zur Identität des gesuchten Wilderers stößt sie per Zufall auf das Tagebuch einer anderen Frau, in der Raphaëlle eine Seelenverwandte erkennt. So sucht sie nun nicht nur nach dem Wilderer, sondern auch jener Anouk, die in dem Tagebuch ihre Seele offenbarte und die auf Raphaëlle eine große Anziehung ausübt.

Reich an Themen

Gabrielle Filteau-Chiba - Die Ungezähmten (Cover)

Die Ungezähmten von Gabrielle Filteau-Chiba vereint einige Themen. Zuvorderst ist das Buch eine Hymne an die Schönheit der Natur dort im Grenzland zwischen Kanada und den USA. Ähnlich wie Tammy Armstrong zuletzt gelingt auch der französischsprachigen Autorin in ihrem Buch eine kraftvolle Hommage an Wald und Wild dort in Nordamerika – und eine Beschreibung der immensen Zerbrechlichkeit, die der Natur trotz ihrer scheinbaren Robustheit innewohnt.

Dann ist ihr Buch auch eine Rachegeschichte, die Erzählung einer Frau, die gegen männliche Dominanz, Selbstherrlichkeit und Brutalität aufbegehrt. Nicht umsonst lauten Titelüberschrift schon einmal „Privatjagd“, „Vendetta“ oder „Zahn um Zahn“. Die schon fast archaische Rache am Wilderer, der in Raphaëlles privateste Bereiche eingedrungen ist, kontrastiert Gabrielle Filteau-Chiba mit einer sanften queeren Liebesgeschichte, die sich zwischen der Wildhüterin und der Tagebuchschreiberin Anouk anbahnt und die damit einen Gegenentwurf zur männlichen Welt voller Gewalt darstellt.

Ergänzt wird das Ganze durch Illustrationen der Autorin, die sich immer wieder im Text finden, neben Tagebucheinträge und dem Aufglimmen von Poesie, die manchmal sogar an der Konkreten Poesie geschult ist.

Eine stilistische Mischung mit mangelhaft motivierter Erzählperspektive

Das ist eine reizvolle Mischung, bei der nur die Wahl der Perspektive nicht ganz aufgeht. So ist Gabrielle Filteau-Chiba mit der Erzähltechnik der Ich-Erzählerin ganz nah dran an ihrer Figur Raphaëlle – will dann neben der Einführung Anouks mithilfe deren Tagebuchs auch noch vom Wilderer erzählen, obwohl ja eigentlich Raphaëlles Blick auf die Welt der zentrale und bestimmende ist.

Das klappt nicht so ganz, da Filteau-Chiba diese Perspektive durch eine Mischung aus realistisch geschilderten Traumpassagen und der konkreten Erzählung des Schicksal des Wilderers in den Erzählfluss holen will. Dabei blieben zumindest bei mir Fragen ob der Verlässlichkeit dieser Perspektive.
Woher hat die Wildhüterin ihr Wissen über das Schicksal des Wilderers, wenn sie doch zugleich weit weg von diesem flieht? Was ist Vorstellung, was Traum, was Realität? Dieses Schwanken der Verlässlichkeit mag trotz aller erzählerischer Tricks wie etwa der klassischen Mauerschau in Form eines Briefs schlussendlich nicht so ganz funktionieren und hätte vielleicht noch einer anderen erzählerischen Lösung als der hier angebotenen bedurft.

Fazit

Von solchen Einwänden abgesehen ist Die Ungezähmten ein krafttvolles Buch, das Natur und das Eintreten für deren Schutz feiert. Mit der Wildhüterin Raphaëlle Robichaud gelingt Gabrielle Filteau-Chiba ein widerständiger und eigensinniger Charakter, dem man durch die Wälder und Pfade der kanadischen Natur gerne folgt und mit der man mitbangt, mag man diese Art von Rache im Roman auch nicht gutheißen. Unterhaltsam und mitreißend ist dieser Natur Noir-Roman aber auf alle Fälle.


  • Gabrielle Filteau-Chiba – Die Ungezähmten
  • Aus dem Französischen von Katrin Segerer
  • ISBN 978-3-423-28515-5 (dtv)
  • 336 Seiten. Preis: 24,00 €
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