In einem eigenwilligen Hybrid aus Bekenntnisroman, Werkschau, Bildungsroman und Werkstattbericht erzählt der Vorarlberger Arno Geiger von seinem Glücklichen Geheimnis und davon, wie dieses Geheimnis sein eigenes literarisches Schaffen beeinflusste. Dabei wird der Medienwandel und Werteverfall von Gedrucktem ebenso eindrücklich vor Augen geführt, wie auch so manches hartnäckige Schriftstellerklischee dekonstruiert wird.
Ein oder zwei Bücher genügen, man debütiert auf dem Literaturmarkt, bekommt am besten etwas Aufmerksamkeit und fortan hat man sich aller materieller Sorgen entledigt. Die Tantiemen sprudeln und man kann gut vom Erreichten leben. Noch immer halten sich solche Klischees vom Schriftsteller*innendasein, obwohl es wohl kaum eine Zeit gab, in der diese Vorstellungen vom glamourösen Schriftstellerdasein so wirklich zutraf, heute noch weniger als früher.
Nicht einmal die oberste Liga der Autor*innen, deren Werke breit rezipiert und vor allem in breiter Masse gekauft werden, kann sich so wirklich auf reine Buchverkäufe stützen. Lesetouren und Co sind heute ein fast unerlässliches weiteres Einkommmensfeld, möchte man vom Schreiben leben können. Mit ein oder zwei Büchern alleine ist man noch längst kein gemachter Mann oder keine gemachte Frau.
Der Werdegang von Arno Geiger
Das ist auch die Erfahrung von Arno Geiger, den man wirklich zu schriftstellerischen Oberschicht zählen kann, hat er doch zuletzt mit seinen Romanen Unter der Drachenwand oder Der alte König in seinem Exil, dem Demenzbericht über seinen Vater, für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Arno Geiger war es auch, der als erster im Jahr 2005 den neu eingerichteten Deutschen Buchpreis mit seinem Roman Es geht uns gut gewann. Doch selbst ein Autor mit solchen Erfolgen war oder ist nicht vor materiellen Nöten und Existenzkrisen gefeit. Das zeigt Das glückliche Geheimnis eindrücklich.
Dabei zeichnet Arno Geiger in seinem Buch seinen Werdegang und die ökonomischen Realitäten ungeschönt nach. So lebt er Anfang der 90er Jahre in Wien in reichlich beengten Verhältnissen:
Es fehlt nicht viel, dann sind es drei Jahrzehnte, seit es angefangen hat. Ich war vierundzwanzig Jahre alt, strebte keine Anstellung an, weil ich Schriftsteller werden wollte, und lebte in Wien in einem Haus, das dem Aussehen nach kurz vor dem Abriss stand. In diesem heruntergekommenen Haus bewohnte ich eine heruntergekommen Wohnung, dreißig Quadratmeter, bestehend aus einer engen Küche und einem an die Küche anschließenden Zimmer. Dieses Zimmer hatte die Aufgabe von Wohn-, Arbeits-, Ess- und Schlafraum zu erfüllen. Das Klo auf dem Gang teilte ich mit den Nachbarn.
Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis, S. 12
Das glückliche Geheimnis und das Altpapier
Hier beginnt das, was Arno Geiger als „Glückliches Geheimnis“ bezeichnet und das sich fortan durch sein Leben ziehen wird. Denn inmitten seiner kärglichen Existenz stolpert er eines Tages über fünf vor dem Altpapiercontainer abgestellte Kartons, die Romane und Ausstellungsbände enthalten. Diese Entdeckung wird zum initialen Auslöser für seine Beschäftigung mit Altpapier. Fortan durchsucht er Container, schleppt Briefkonvolute, ausgesonderte Romane und Bildbände mit nachhause und veräußert diese teilweise gewinnbringend zusammen mit seiner Freundin bei Flohmärkten oder Antiquariaten.
Während er und sein Lektor für die Platzierung seiner ersten Romane im Programm des Hanser-Verlags kämpfen, bedeutet ihm die Suche nach neuen Geschichten und Entdeckungen Inspiration für sein eigenes Schreiben, in das er in diesem Buch an mehreren Stellen Einblick gibt.
Die vielen Metamorphosen im Arbeitsprozess sind schwer nachzuzeichnen. Die Lumpen, die ich nach Hause brachte, mussten zerrissen und in Fasern aufgelöst werden, damit daraus neuer Stoff entstehen konnte. Mein Schreibtisch war das Spinnrad, auf dem ich die Bruchstücke aus Fremdem und Eigenem zu neuen Fäden spann. Ich erfand zwei Dutzend Hasenfelle (Orte, Charaktere, Handlung), benutzte mein künstlerisches Talent als Nadel und nähte mit den gesponnenen Fäden und erfundenen Fellen einen Mantel: das Kunstwerk.
Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis, S. 128
Werkstattbericht, Literaturbetriebsprosa und Medienwandel
Neben diesem Einblick in die Schreibwerkstatt und die Ideenfundgrube für seine Romane ist Das glückliche Geheimnis auch ein Stück weit Literaturbetriebsprosa. So dürften Geiger und der ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger nicht unbedingt beste Freunde sein, seinen Schilderungen über die mühseligen Platzierungen seiner Romane im Programm nach. Die Hintergründe seines Gewinns des Deutschen Buchpreises, erschöpfende Lesetouren und Einblicke in den wenig glamourösen Schriftstelleralltag sind Bestandteil dieses Buchs. Vor allem aber ist das Buch eine eindrückliche Illustration über den Medienwandel und den Werteverfall des Gedruckten.
Erlöst Geiger zu Beginn seiner Karriere noch Geld mit dem Verkauf der Altpapierfunde, so wirkt dies heute nur ebenso anachronistisch wie das Bild einer sorgenfreien Schriftstellerexistenz.
Wohl jeder, der schon einmal ein nur wenige Monate altes Buch auf Momox oder einer anderen Plattform wie Ebay und oder modernen Antiquariate monetarisieren wollte, wird erfahren haben, dass sich die Ankaufspreise selbst für neu erschienene Gebrauchsliteratur nur noch im Centbereich bewegen. Längst einen florierenden Markt für die Wegwerfware Buch entstanden, was Geiger beim Rückblick auf seine Touren selbst anekdotisch beobachtet, als er festhält, dass die Liebesromane weniger und die Kriminalromane mehr wurden, Noten im Altpapier verschwanden und dafür die Weinkartons zunahmen.
Wie rasch das Buch vom gutverkäuflichen Objekt zur Dutzendware geworden, die Öffentliche Bücherschränke und Wühlkisten verstopft, das führt Das glückliche Geheimnis eindringlich vor Augen.
Das Buch als Wegwerfware
Schon längst ist das Buch zu einer Wegwerfware geworden, deren Wiederverkauf zumindest finanziell schon lange nicht mehr lohnt. Das führt bei Geiger dann auch zu einer besonders pikanten Szene, als er, der Träger des Deutschen Buchpreises, bei einer seiner Altpapiersuchen schließlich seinen eigenen ausgezeichneten Roman Es geht uns gut aus dem Müll fischt.
Einzig und allein die Überhöhung seines Wühlens im Altpapier irritiert in diesem Buch etwas. So schreibt sich Geiger aufgrund seines Tuns zum gesellschaftlichen Bodensatz der Gesellschaft herab und sieht sich sozial markiert in der Gosse. Seine Touren zu den Altpapiercontainer schildert er als eine Art Wiedergänger von Doktor Jekyll & Mr Hyde. Ich bin mir bei solchen Bezeichnungen nicht wirklich sicher, ob hier nicht etwas Banales nur einfach dramatisch überhöht wurde. Heute würde man Arno Geiger doch wohl eher zu seinem nachhaltigen und ressourchenschonenden Umgang mit dem gedruckten Wort gratulieren und ihn als Paten eines Öffentlichen Bücherschranks verpflichten, denn ihn gleich festzunehmen, wie er es in diesem Buch für sich fast nahelegt.
Fazit
Von solchen Überdramatisierungen abgesehen ist Das glückliche Geheimnis ein Buch, das den Mythos des sorgenfreien und glamourösen Schriftstelleralltags dekonstruiert und das wie eine Dreingabe zum bisherigen literarischen Schaffen des Vorarlberger Autors. Das Buch beleuchtet die Entstehungshintergründe seiner Romane, erzählt von seinem Werden und seinen familiären Wurzeln und legt nun eben auch mit viel Geraune und Bombast die Inspirationsquellen seines Schreibens offen. Eine Mischung, die trotz der disparaten Elemente aufgeht und vor allem für Geiger-Fans doppelt interessant sein dürfte.
- Arno Geiger – Das glückliche Geheimnis
- ISBN 978-3-446-27617-8 (Hanser Verlag)
- 240 Seiten. 25,00 €